Cryptex - Rain Shelter Sessions, PT 1-3 (CD Cover Artwork)
Do, 28. Dezember 2017

CRYPTEX – Interview mit Simon Moskon

Folk, Progressive Rock
08.02.2018
Cryptex - Rain Shelter Sessions, PT 1-3 (CD Cover Artwork)

Hirn-Hör-Musik für die Ewigkeit!

Die Musik von Cryptex ist facettenreich, anspruchsvoll und tiefgründig. Kalte Virtuosität findet man bei der Band aus Salzgitter (Deutschland) aber nicht vor.

CRYPTEX macht es einem wirklich schwer, sie in eine Schublade zu stecken. Dafür sind die Kompositionen zu vielschichtig, jedoch lassen sich Elemente aus Progressive Rock und Folk als klare Handschrift erkennen.  Simon Moskon, Komponist und Kopf von CRYPTEX, schaute mit mir auf sein Künstlerleben zurück – inklusive aller erdenklichen Höhen und Tiefen. Mit beeindruckender Offenheit berichtete der wortgewandte Sänger darüber, warum es um die Band so lange still geworden war und gibt uns einen Ausblick, auf was wir uns im neuen Jahr 2018 freuen dürfen. Der aktuelle Release „Rain Shelter Sessions, PT 1-3“, der als digitaler Download zur Verfügung steht, beweist nicht nur wie brillant sich der Savatage Klassiker „Gutter Ballet“ umsetzten lässt, sondern gibt u.a. auch einen Vorgeschmack auf neues Songmaterial („Closer“).

Metalinside (Liane): Die Band CRYPTEX besteht nun schon seit gut 10 Jahren und ist in meinen Augen einer der spannendsten Acts aus Deutschland. In den letzten Jahren ist bei euch und auch bei dir persönlich viel passiert.

Simon Moskon (SM): Ja, es ist auch bald 5 Jahre her, seit wir uns das letzte Mal gesehen haben.

MI: Stimmt, das war 2013 auf der Threshold Tour. Ihr hattet im Vorprogramm hier in der Schweiz gespielt. Kannst du dich daran noch gut erinnern?

SM: Ja, ich habe ein sehr feinmaschiges Gedächtnis. (lacht)

MI: Was ist dir denn in diesem Zusammenhang hängen geblieben?

SM: Ich plaudere einfach mal ein bisschen aus dem Nähkästchen, ok? Wir spielten damals im Kiff in Aarau. Ich erinnere mich, dass die Zusammenarbeit mit dem Club hoch professionell abgelaufen ist, wie mit dem Z7 eben auch. Es ist immer wieder erstaunlich zu sehen, wie hoch professionell die Leute in der Schweiz arbeiten. Das ist sicher auch ein Teil der Mentalität dort. Ich erinnere mich, dass Pete Morten von Threshold an diesem Tag sehr krank gewesen ist. Er siechte da im Backstage so vor sich hin und war völlig neben der Spur, was uns allen sehr leid tat. Ich hatte das Gefühl, dass unsere Shows damals nicht so gut miteinander gegriffen hatten. Ebenso war auch die Resonanz des Publikums, im Vergleich zum Rest der Tour, sehr verhalten gewesen. Aber es kann auch ein subjektives Empfinden gewesen sein. Aber du, Liane hattest ja geschrieben, dass du sehr angetan warst von der Vielschichtigkeit und vom Facetten-Reichtum der Musik. Ich bin jemand, der tendenziell überdurchschnittlich selbstkritisch ist und sehr sensibel auf vermeintlich abgeneigte Zuschauer reagiert. Was aber meist gar nicht der Fall ist. Ich glaube, das liegt an meiner teilweise etwas “verqueren” Wahrnehmung. Ich kann also relativierend sagen, dass das vielleicht auch ein gutes Konzert gewesen ist (lacht).

MI: Das war nicht euer erst Gig in der Schweiz…

SM: Nein, 2012 haben wir mit Pain of Salvation schon einmal im Z7 gespielt. Es war auch sehr beeindruckend, dass sie uns so gut behandelt haben, obwohl wir nur Support Act waren. Sie haben uns das Gefühl vermittelt, dass wir adäquat sind. Das war sehr schön. Und ich weiss noch, dass die Leute wie verrückt Merchandinsing von uns gekauft haben.

MI: Wie gehst du mit den unterschiedlichen Kulturen und dem damit verbundenen Verhalten des Publikum um?

SM: Manchmal ist es teilweise unglaublich, was da für eine Energie vom Publikum ausgehen kann und auf die Bühne geschickt wird. Es hat fast schon etwas von einer aggressiven Stimmung, aber nicht im negativen Sinne, sondern es ist eher sehr mitreissend. So ist die Mentalität überall anders, die Vibes überall anders. Das ist dann schon schwierig, wenn man auf Tour ist und sich als Künstler immer neu einstellen muss und die unterschiedlichen Stimmungen aufs Neue verwerten und verarbeiten muss. Du musst ja auch mit den Leuten interagieren, da musst du dann jeden Abend ein anderes Muster bemühen. Was du bei den Franzosen oder Spaniern abziehen kannst, funktioniert beispielsweise auf keinen Fall in Dänemark.

MI: Die aktuelle Tour habt ihr nun beendet, richtig? Was war eigentlich der Hintergrund für eine Tour ohne Album Veröffentlichung?

SM: Ja, die ist nun fertig. Um die Hintergründe zu klären, muss ich ein bisschen ausholen. Wir haben halt auf Grund von privaten Umständen und auch meines Krankheitsbildes ein bisschen umdisponieren müssen. Aufgrund der bei mir stattgefundenen massiven Dekompensation meiner schweren depressiven Störung, musste ich Ende Oktober 2015 den Stecker ziehen. Kurz bevor die zweite Tour zu dem damals erschienenen Album „Madeleine Effect“ hätte stattfinden sollen. Als das Album im April 2015 veröffentlicht wurde, stand eh schon alles auf der Kippe, weil ich zu der Zeit in einer ähnlichen Situation gewesen bin. Ich war kurz vor dem Release des Albums schon mal in der Klinik und habe mich stationär behandeln lassen müssen. Das passierte natürlich auf freiwilliger Basis.

Da war dann alles recht schwierig. Die Leute, die damals in der Konstellation mitarbeiteten, waren zu diesem Zeitpunkt auch erst ca. ein 3/4 Jahr in der Band mit dabei. Die hatten natürlich dadurch in ihrer Motivation und ihrer Illusion einen grossen Dämpfer verpasst bekommen. Es stand alles schon auf wackligem Fundament aufgrund diverser Vorgeschichten und als dann letztendlich die „Madeleine Effect“ veröffentlicht wurde, haben wir nur eine kleine Release-Tour von 8 Konzerten gespielt. Ich sagte „Leute, ich kann nicht direkt aus der Klinik kommen, ein Album veröffentlichen und ewig auf Tour gehen. Ich muss viele Dinge für mich regeln.“

2015 habe ich mich dann auch nach knapp 9 Jahren Beziehung von meiner Partnerin getrennt und direkt taumelnd mit Tunnelblick in die nächste, völlig katastrophale Beziehung gestürzt. Ich versuche schon immer so einen Eiertanz zwischen einem normalen Leben und einem gesunden, vernünftig strukturierten Leben, hinzulegen. Dann ist da aber auch in gleichem Masse dieser Anteil in mir drin, der alles nach vorne peitschen will, der gewisse moralische Verpflichtungen gegenüber der Band und den Menschen, die in dieser Band mitarbeiten, empfindet. Also habe ich dann 2015, anstatt mich auf meine Gesundheit zu konzentrieren, alles daran gesetzt, eine grosse zweite Release-Tour auf die Beine zu stellen. Wir haben dann mit unseren Partnern von CMM & Co. überlegt, dass es dann in diesem Zusammenhang gut wäre, die „Madeleine Effect“ als Doppel-Vinyl-Edition rauszubringen, damit man ein entsprechendes Thema hat.

Relativ zeitgleich wurde dann auch noch die zweite Beziehung gegen die Wand gefahren und das Mädel verliess mich. Das hat mir damals echt das Herz gebrochen. Das hat dann in Verbindung mit all dem anderen Scheiss solche Ausmasse angenommen, dass ich schwer suizidal wurde. Meine Familie und engen Freunde mussten dann letztlich intervenieren. Ich wusste dann, dass ich an einem Punkt war, wo ich alles abschneiden und alle Brücken abbrennen musste. Was ich die ganzen Jahre zuvor nie machen wollte/konnte. Ich dachte immer, das mit der Band muss um jeden Preis weiter gehen. Auch wenn ich beispielsweise blutspuckend im Backstage sitzen würde, das wäre egal. Wir verfolgen hier ein höheres Ziel. Der einzelne zählt nicht. Ich war halt sehr borniert und engstirnig, wenn es um dieses Band-Thema ging. Irgendwann fällt dann der Körper und der Geist einfach in sich zusammen. Dann bin ich zu Kreuze gekrochen und habe die Bombe platzen lassen. Es musste alles abgeblasen werden. Man hat im Anschluss daran über ein Jahr kaum etwas nennenswertes über CRYPTEX gehört. Die Band lag praktisch brach.

MI: Hat dir die Zeit geholfen, wieder zu genesen?

SM: „Mein Gesundungsprozess“ – nun in diesem Kontext finde ich es immer fragwürdig, was man als gesund bezeichnen soll, denn es ist nicht wie wenn man sich ein Bein bricht, es dann sechs Wochen schient und dann wieder laufen kann. Als ich mich dann wieder in der Lage gesehen habe, ein bisschen mit der Band zu arbeiten, spielten wir im Sommer 2016 das erste Festival – die Metal Days in Slowenien. Das war dann schon ein ziemlich krasser Einstand. Ich war zu dem Zeitpunkt so ziemlich genau ein Jahr lang nicht mehr auf der Bühne gestanden. Es war ein tolles Konzert und ich hatte Blut geleckt. Trotz aller Probleme, die wir auch Band-intern untereinander hatten, habe ich mich trotzdem wieder in der Lage gesehen, einen Monat später in der Balver Höhle in Deutschland zu spielen. Das ist ein grosses Festival, wo Pain of Salvation dieses Jahr auch spielen werden. Das war so fantastisch. Das hat uns so viel Aufwind gegeben, weil da einfach 2’500 Menschen kollektiv zu unserer Show ausgeflippt sind und wir dort ohne Witz Unmengen an Merchandise verkauft haben. Für eine relativ kleine Band ist das phänomenal.

Ich war eh total euphorisiert, weil ich kurz zuvor erfahren hatte, dass ich Vater werde. Zu der Zeit habe ich auch viel Sport getrieben. Ich hatte ein anderes und gutes Körpergefühl und fing an abzunehmen. Dadurch hatte ich auch mehr Kondition auf der Bühne. Das war merklich spürbar.

Ich hatte dann weitere Konzerte gebucht, was ich eigentlich seit je her für Cryptex gemacht habe. Das hat uns dann im Herbst 2016 durch einige Clubs in Deutschland bis in die USA, u.a. zur 70’000 Tons of Metal Cruise im Februar 2017 geführt.

MI: Dann kam es auch zu den „Rain Shelter Sessions“ mit den 3 Songs…

SM: Ja das ist unserer Meinung nach auch ziemlich geil geworden. „Gutter Ballet“ (Savatage – Cover) und dann auch einen ganz neuen Cryptex Song als exklusive Überraschung. Im Zuge dessen haben wir dann die „Anthems of Glory“ Tour zusammengestellt. Da kann man sich die Frage stellen, ob es Sinn gemacht hat. Aber ich bin Verfechter davon, dass das Konzerte spielen die Essenz ist, dass das immer Sinn macht. Klar, aus Marketing-technischen Gründen ist es besser, wenn man ein neues Album draussen hat. Aber in diesem Geschäft folgt sowieso nichts einer Logik. Von da her bin ich da auch lieber etwas freier in meinem Handeln und lasse mich nicht so limitieren. Wie soll eine kleine Band wie Cryptex alle zwei Jahre ein neues Album in Eigenregie veröffentlichen. Wer soll das bezahlen? Und wer soll das realisieren? Wir machen ja eigentlich alles selbst. Die Tour wurde dann relativ erfolgreich am 10. Dezember 2017 in Augsburg beendet.

MI: In wie weit hat der Wechsel innerhalb der Band die aktuelle Arbeit beeinflusst?

SM: Es gibt eine andere Dynamik, wir sind wie eine neue Band. Früher waren wir ja zu dritt und haben etwas mehr “Roughness” auf der Bühne gehabt. Jetzt sind wir eine Vierer-Konstellation und ich bin der einzige, der von der Originalbesetzung noch dabei ist. Die Band hat somit live auch einen anderen Anstrich bekommen. Nicht weniger energetisch, aber es hat einen anderen Habitus und eine andere Wirkung und eine etwas andere Attitüde. Aber ich finde das auch ganz wichtig. 2008 bis 2013 waren wir so und seit 2015 ist die Band nun etwas anders. Es ist auch wichtig, dass sich eine Band verändert bzw. den Mut dazu aufbringt. Pain of Salvation zum Beispiel sind für ihren Facetten-Reichtum bekannt. Für mich persönlich sind sie auch nach wie vor ein grosses Vorbild. Aber all das hier ist Schall und Rauch und interessiert wahrscheinlich keinen. (lacht)

MI: Was möchtest du damit sagen?

SM: Viele Menschen sind doch sehr stumpf geworden. Die wollen wissen, worauf sie sich einlassen und wollen nicht gefordert werden. Ich kenne Bands aus dem entfernten Bekanntenkreis, die unglaublich erfolgreich sind. Aber die bringen jedes Jahr ein Album raus und machen einfach immer das Gleiche. Es ist immer das gleiche Artwork, es sind immer die selben Fotos, immer die selbe Stilistik, immer die gleichen Songs, es ist immer dieselbe Struktur. Sie haben aber trotzdem eine sehr manifestierte, gut gewachsene Fan-Base. Wenn man wie CRYPTEX keine genaue Zugehörigkeit zu einer Szene, einer Bewegung oder einem Hype hat, wenn man relativ verschroben ist und fast schon eigenbrötlerisch sein eigenes Ding macht, ist es zusätzlich zu diesem sowieso schon schwierigen und verworrenen Geschäft, zehnmal so schwer.

MI: Die Frage ist, möchte man Geld verdienen oder sich verwirklichen?

SM: Ja wirklich. Das ist dann immer die Diskrepanz. Auf der einen Seite wäre es natürlich toll, wenn man mit sowas wie CRYPTEX sein Geld vollends verdienen könnte. Aber die Gesetzmässigkeiten sind in diesem Business einfach anders. Das sind oft Phantastereien. Da muss man dann schon wirklich in Cover-Bands spielen, die regelmässig auf Hochzeiten oder Volksfesten spielen. Schwierig wird es dann natürlich, wenn man so viel reinsteckt, als wäre es ein Vollzeitjob, aber es kommt im Umkehrschluss in keiner nennenswerten Relation zurück. Das birgt ein grosses Mass an Frustration und dann macht sich auch mal Resignation breit.

MI: Wie ist denn die neue Situation als Vater für dich?

SM: Es ist anstrengender als ich gedacht hätte, aber auch schöner als ich gedacht hätte. Somit gleicht es sich auch wieder etwas aus (lacht). Die Quintessenz, die ich aus den 9 Monaten seit ich Vater bin ziehen kann, ist eigentlich fast nur positiv. Ich habe das Gefühl, es tut mir sehr gut.

Und es ist schon schön, so einen Spross dann in der Familie zu haben und auch Verantwortung zu übernehmen. Das ist so die eine Seite. Aber man wird auch mit einer ganz anderen Form von Emotionalität konfrontiert, was auch sehr schön ist. Es ist natürlich auch schwierig. Ich bin jetzt 31 Jahre alt und habe mein Leben bis hierhin sehr autark gelebt und sehr frei. Auch ich erlebe jetzt einen Reifungsprozess (lacht). Um das etwas abschliessend und allgemein zu halten. Ein Kind erdet einen ganz gut.

MI: Du lässt dir also nun dein Leben von deinem Kind diktieren?

SM: Die Diktatur der Angepassten. Es ist für mich immer ein Graus, dass man in dieser Gesellschaft, wenn man ein Kind zeugt / auf die Welt bringt, gewissen Zwängen unterliegt. Man wird in eine Art Korsett gepresst. Ich finde das teilweise absurd und gefährlich. Man muss halt auch den Schneid haben und das Selbstbewusstsein, um sich ein bisschen von dem ganzen Zeugs frei machen zu können. Und das ist für mich so eine Balance, die ich auch noch für mich finden muss oder wiederfinden muss. Ich bin ja irgendwie auch wichtig und auch meine Partnerin ist wichtig. Dieses Kind ist um Himmelswillen auch sehr wichtig. Aber viele machen den Fehler, dass sie ihr Leben ausschliesslich nach dem Kind ausrichten. Es sollte aber anders sein. Es sollte so sein, dass man das Kind in seinen gewohnten Ablauf integriert, dafür Platz macht, aber nicht anders rum.

Das sehe ich als persönliche Herausforderung für die Beziehung, die ich mit meiner Partnerin führe, und für die Erziehung des Kindes. Dass man sich von diesen gesellschaftlichen Zwängen ein bisschen versucht frei zu machen. Das fände ich sehr gesund. Aber nur wenige Menschen haben den Mut dazu. Ich weiss noch nicht, ob ich bis zur letzten Konsequenz diesen Mut und diese Kraft aufbringen kann. Das weiss ich noch nicht. Das erforsche ich gerade.

Ich finde mich plötzlich in Situationen wieder, wo ich nie gedacht hätte, dass ich das mal mache. Diese ganze Normalo-Scheisse, das ist mir eigentlich zutiefst zuwider. Ich möchte mein Kind schon gerne nach meinen Wertvorstellungen erziehen, nach meinen Credos und auch möchte ich, dass Individualität gross geschrieben wird und dass meine Tochter lernt frei zu denken. Nicht so sehr in Clustern, in Kategorien. Ach, furchtbar! Ich hab auch Angst vor dieser Kindergarten- und Schulzeit, wenn dann die ganzen Pädagogen kommen und meinen, sie wüssten wie das Leben funktioniert. Das finde ich lächerlich. Da bin ich dann auch oft… Ach egal, egal (lacht.)

MI: Ich bin beeindruckt wie offen und ehrlich du über all diese Themen mit mir sprichst.

SM: Weisst du, Schwäche zu zeigen ist ja ein Attribut, das in unserer Gesellschaft oder generell in den westlich-orientierten Gesellschaften verpönt ist. Wirklich Schwäche zu zeigen, zeugt hier nicht von starkem Charakter. Sondern man zeigt ganz klar, dass man kein funktionierendes Zahnrädchen in diesem grossen Konstrukt ist. Ich habe mit meiner Offenheit die Erfahrung gemacht, ganz viele wunderbare Sachen zu erleben. Menschen, die dann auf mich zugekommen sind und sich selber geöffnet haben. Wo ich daraus resultierend, wunderbare, tolle Begegnungen hatte und Freundschaften entstanden sind. Meine eigentlichen Freunde, die ich schon Jahre zuvor hatte, wo ich nur noch funktioniert habe, als ich noch dieses Spiel mitgespielt habe, haben sich dann von mir gelöst. Das ist dann auch sehr interessant zu sehen, wie sich die Leute in deinem sozialen Umfeld anfangen zu verhalten. Das fängt bei der engsten Familie an und hört bei den entferntesten Bekannten auf. Teilweise ist es erschreckend, teilweise ist es aber auch sehr schön.

Du glaubst gar nicht , wie viele Leute psychische Probleme haben. Aber es traut sich kaum jemand, darüber zu sprechen. Ich war mehrmals in dieser Klinik. Das ist eine Klinik, die ein Fassungsvermögen von über 600 Patienten hat und gut 80% dieser Patienten/innen sind unter 25 Jahren. Da muss man sich die Frage stellen, was in einer Gesellschaft falsch läuft, wenn die Majorität einer Nervenklinik unter 25 ist. Das ist meiner Meinung nach ein Armutszeugnis für eine angeblich so progressive Gesellschaft. Das gab mir halt auch stark zu denken. Ich suhle mich nicht in meinem Krankheitsbild, ich verstecke mich nicht dahinter, ich gebe mich dem nicht geschlagen, ich gehe einfach offen und ehrlich damit um. Ich kann nur jedem dazu raten und jeden ermutigen, der ähnlich empfindet und ähnliche Störungen und Probleme hat, genau dies zu tun. Du glaubst gar nicht, wie viele Menschen mit Depressionen und anderen seelischen Störungen und Ängsten durch die Gegend laufen. Das sind so viele und die Dunkelziffer ist so gross.

MI: Du verarbeitest diese Themen auch in deinen Texten?

SM: Ja vieles davon. Aber eigentlich sind die Texte eher selten gesellschaftskritisch. Die Texte sind in der Regel autobiographisch. Da geht es viel um Verlust, um Liebe, um Erfahrungen aus der Kindheit, meine tiefsitzenden Ängste, die ich so habe. Ich versuche zumindest Sachen so in den Kompositionen auszudrücken, wie ich persönlich nicht wüsste, wie ich sie verbal formulieren sollte. Teilweise kann das auch schon mal sehr pathetisch werden. (lacht)

MI: Gibt es schon ausser dem neune Song „Closer“ auf „ Rain Shelter Sessions“ weiteres neues Material?

SM: Es gibt weitere Songs, die derzeit entstehen oder bereits in den letzten eineinhalb Jahren entstanden sind. Dazu gibt es aber noch keine Texte. Zuerst entstehen die Kompositionen und Arrangements und der Text kommt oftmals ganz zum Schluss. Ich hab meistens schon so grobe Ideen, grobe Muster und Textfetzen im Kopf oder ich weiss zumindest über welches Thema ich schreiben möchte. Im Vordergrund stehen die Melodien und die Komposition. Die haben bei unserer Musik auch eine ganz grosse Bildsprache, wie ich finde. Texte sind bei uns natürlich auch sehr wichtig, so ist es nicht, aber sie tragen das nicht vollends allein, wie in der Popmusik sonst üblich… (lacht)

MI: Wo holst du dir Inspiration für die Kompositionen?

SM: Inspiration dafür findet man ja eigentlich immer und überall. Ich kann überhaupt nicht genau sagen, was mich inspiriert. Das ganze Spiel ist dann doch viel komplexer. Man orientiert sich an anderen Künstlern und Bands, nicht was die künstlerische Arbeit angeht, teilweise eher was so Marketing-technische Sachen betrifft. Oder man schaut sich hier und da ein paar Sachen ab, was man bei anderen Bands toll und interessant findet etc.. Das halte ich für gesund und wichtig. Da sind wir schon recht aufmerksam und adaptieren auch mal ein paar Sachen.

Es darf nur nicht dazu führen, dass man sein eigenes Ding aus dem Fokus verliert und dazu tendiert Äpfel mit Birnen zu vergleichen oder im schlimmsten Falle ständig “Mein Auto, Mein Haus, Mein Boot” spielt.

Aber wenn es um die künstlerische Arbeit geht, ist es einfach etwas, was aus mir rauskommt. Und warum das dann aus mir rauskommt, weiss ich meistens gar nicht. Meistens sind das Bezugsquellen, die ich irgendwann erkenne oder herstelle. Die liegen dann vielleicht auch zwei Jahre oder sogar zehn Jahre zwischen. Ich weiss nicht. Umso dreckiger es mir geht und umso trauriger ich bin, desto grösser ist die Wahrscheinlichkeit, dass dann ein paar Tage oder Wochen später irgendwie ein bisschen Musik rauskommt. Der Song „Closer“ von der neuen Single zum Beispiel. Dieser Song ist schon sehr wegweisend, für das was in nächster Zeit kommen wird. Der Song vermittelt meiner Meinung nach eine krasse Stimmung und behandlet unter Anderem auch den Herzschmerz von 2015. Ich liebe meine Tochter und meine Frau über alles und wir leben in einer überwiegend glücklichen und harmonischen Beziehung – Dennoch lassen mich diese ganzen (teilweise traumatischen) Erfahrungen, die ich vornehmlich in den letzten 4 Jahren gemacht habe, logischerweise auch heute nie ganz los.

Da fällt mir immer wieder auf, du schreibst und du singst und komponierst schon wieder über dieses Thema. Das ist ein subjektiver Prozess, den ich nur schwer beeinflussen kann. Meine Freundin sagt oft zu mir: „Simon, ich kann jetzt schon absehen, dass das wieder ein Album wird, was die Leute emotional völlig überfordern wird.“

Unsere Musik ist nicht hoch komplex oder gar virtuos. Das muss sie auch nicht sein. Aber ich mache halt die Musik in erster Linie für mich selbst. Und denke überhaupt nicht darüber nach, ob das irgend jemandem gefällt. Das ist mir relativ egal. Ich muss das hören und muss dabei beispielsweise heulen und mich dabei auskotzten können. Ich versuche diesen Schmerz und diesen ganzen Dreck, durch den ich mich oft suhlen muss, irgendwie einzufangen. Wenn das jemandem gefällt da draussen, ist das super. Wenn nicht, ist es auch ok. Es ist vollkommen cool für mich.

Meine Freundin kriegt das ja an vorderster Front mit, wenn irgendwas entsteht. Ich persönlich denke hin und wieder, depressiver, runterziehender, dunkler und fieser geht es fast gar nicht mehr. (lacht) Aber das ist natürlich alles nur subjektiv. Ich bin da sowieso nicht das Mass der Dinge. Unser Album „Madeleine Effect“ ist ja zum Beispiel ein ziemlich verkopftes und sperriges Werk.

Ich weiss nicht wie du das empfunden hast, aber die meisten Fans oder auch andere Leute haben dazu keinen Zugang gefunden.

MI: Ich muss ehrlich zugeben, ich hatte zu „Good Morning, How Do You Live?“ einen grösseren Zugang. Aber ich denke, man muss es auch mal live erlebt haben.

SM: Absolut, ganz klar. Man konzipiert ja Musik mit dem Anspruch, dass der Endverbraucher sich hinsetzt, das Licht ausmacht, sich vielleicht hinlegt, die Augen zu macht, Kopfhörer aufsetzt und das laut hört. Und wenn man das macht, dann wirkt ein Album wie „Madeleine Effect“, sehr überwältigend.

Aber der Zeitgeist ist nunmal so, dass alles beliebig klingt. Genügsame Musik als Berieselung nebenbei. Das bin ich nicht. Da würde ich mich ja selber verwässern. Meine Persönlichkeit und meinen Charakter.

MI: Ein Ausblick in die Zukunft?

SM: Bis jetzt stehen für den Sommer zwei Konzerte an und wir werden versuchen im Frühjahr noch vereinzelt ein paar Club-Gigs zu spielen. Aber die erste Hälfte des nächsten Jahres ist eigentlich dafür reserviert, dass wir versuchen noch viel mehr Songmaterial zu schreiben. Idee ist es, irgendwie im Herbst 2018 eventuell mit einer Vorproduktion und Studioproduktion zu beginnen. Das ist jetzt so grob der Plan, aber das kann natürlich auch ganz anders kommen.

Es wird eine personelle Veränderung bei uns im Line-Up geben. Hierzu aber an anderer Stelle, zu gegebener Zeit mehr! Die Livetermine und die Studioplanung werden davon jedenfalls nicht betroffen sein und so wie es derzeit aussieht, kann es tatsächlich sofort nahtlos weitergehen!

Auch Cryptex bleibt von internen Differenzen nicht verschont. Das hat jede Band. Ab dem Punkt, wo mehrere Menschen zusammen kommen, um gemeinschaftlich an einer Sache zu arbeiten, gibt es auch unterschiedliche Meinungen, Sichtweisen und verschiedene Vorstellungen. Das ist klar. Es differiert und es soll auch differieren. Bei uns geht es hier nochmal um ein paar andere Themen. Das muss man hier jetzt nicht konkretisieren , aber es ist wichtig zu sagen, dass wir jetzt nicht eine interne Schlammschlacht hatten oder man im Streit auseinander geht, sondern wir haben einfach gemeinsam entschieden, dass es in letzter Konsequenz besser ist, wenn eben diese genannte Veränderung im Line-Up vollzogen wird.

08.02.2018
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Fr, 24. April 2015, Alternative Rock, Folk Rock, Progressive Rock

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Autor Bewertung: 7.5/10