Eluveitie sind ein Phänomen
Vor zehn Jahren als Studioprojekt gegründet, hat die Band um Frontmann Chrigel Glanzmann mittlerweile von der Schweiz aus die ganze Welt erobert. Es gibt wohl kaum ein Metalfest, welches sie nicht schon bespielt haben, und die legendärsten Clubs der Welt nennen sie praktisch ihr Zuhause.
Im Februar dieses Jahres erschien mit «Helvetios» ihr mittlerweile fünftes Studioalbum, und meiner Meinung nach reiht sich dieses nahtlos in die Erfolgsgeschichte seiner Vorgänger ein.
Für die letzte Clubshow vor der Festivalsaison 2012 hatte das Oktett nun etwas ganz besonderes angekündigt: Man wolle Helvetios komplett durchspielen hiess es, und dazu noch einige ältere Gassenhauer zum Besten geben. Als Austragungsort für diese Orgie wurde der fast schon intime Rahmen der Kulturfabrik KuFa in Lyss ausgewählt. Gut für mich, das KuFa befindet sich quasi ein Steinwurf von zuhause entfernt.
Nun denn, auf in die Schlacht!
Das Konzert wird von drei Bands eröffnet, welche im Rahmen des «W:O:A Metal-Battle» um einen der begehrten Plätze im Billing des Wacken Open Airs kämpfen. Ich bin zwar eher früh in Lyss, doch bis ich mich durch alle Hände geschüttelt habe, reicht die Zeit gerade noch aus, um mir ein Bier aufschwatzen zu lassen bevor die grosse Show beginnt. Und wie sie beginnt.
Das Intro dröhnt pompös aus den Boxen, die Menge begrüsst die einzeln zum Vorschein kommenden Musiker mit frenetischem Applaus. Dann geht’s nahtlos über in den Opener und damit auch gleich in die erste Enttäuschung: Frontmann Chrigel hört man kaum, und auch sonst lässt der Mix zu wünschen übrig. Das hindert die Menge jedoch nicht daran, ihre Idole ausgelassen zu feiern, und fast zeitgleich mit dem Beginn des Songs bildet sich auch schon der erste die Halle zur Hälfte beanspruchende Moshpit.
Der zweite Song bringt nicht viel Neues, Chrigel ist nach wie vor kaum zu hören, die Menge tobt. Mir fällt auf, dass Anna Murphy die Haare gefärbt hat, schwarz glaube ich, und es steht ihr ausgezeichnet.
Nach der dritten Darbietung spricht König Chrigel zum ersten Mal zum Volk, erklärt das Konzept des Abends, bedankt sich und lässt noch das übliche «Ihr seid das beste Publikum!» vom Stapel bevor sich die Maschine stampfend weiterdreht.
Plötzlich finde ich mich am Rande eines riesigen Moshpits wieder, und bevor ich begreife, wie mir geschieht, hat mein Bier es sich auf meinem T-shirt und meinem Notizblock bequem gemacht. Naja, gehört dazu, weiter gehts.
Dann wird das Publikum still und unsicher, dieses Lied kennt man offenbar noch nicht so. Nichtsdestotrotz lauscht man andächtig und klatscht artig. Die Band verschwindet.
Anna kommt zurück auf die Bühne und singt sich direkt in mein Herz. Sie hat seit ihren Anfängen bei Eluveitie 2006 enorme Fortschritte gemacht. Kompliment! Oder wie es der Herr hinter mir lakonisch ausdrückt: «Ich hätts nicht besser gekonnt!»
Endlich scheint auch der Mischer erwacht zu sein und der Mix erscheint mir zum ersten Mal perfekt. Nun fällt auch die schon einige Male zuvor bemerkte unglaubliche Präzision dieser Band besser auf, die Frucht einerseits sicher des Talents der acht Spielleute und andererseits auch der jahrelangen harten Arbeit, angereichert mit einer gehörigen Portion Ehrgeiz und Innovationsgeist. Es sind nicht zuletzt diese Eigenschaften, welche Eluveitie zum Schweizer Metalexport Nummer 1 machen!
Chrigel sagt, das nächste Lied «Neverland» hätten sie noch nie live gespielt. Ich habe den Eindruck, diese Ansage schon bei verschiedenen Liedern an verschiedenen Konzerten von Chrigel gehört zu haben. Aber wen kümmerts. Es rockt.
Oftmals braucht es nur die Ansage, um ein Publikum zum kochen zu bringen. Wie jetzt, als Chrigel «A Rose For Epona» ansagt. Auch hier bietet Anna einmal mehr eine gesangliche Meisterleistung dar, das KuFa liegt ihr zu Füssen.
Das Konzert ist gefühlsmässig bis auf den letzten Platz ausverkauft – und das Publikum lässt sich deutlich einteilen in jene wie ich, welche Eluveitie schon zwanzig Mal und mehr gesehen haben, und jene, welche sich erst kurzem mit dieser Band befassen; erstere sind nämlich eher im hinteren Teil der Halle sowie auf der Galerie angesiedelt und lauschen bedächtig oder fachsimpeln, während letztere den vorderen Teil in ein Tollhaus verwandeln.
Die Band selbst wirkt extrem routiniert, fast schon zu sehr, teilweise hat man den Eindruck, man hätte genauso gut zuhause die CD hören können, das wäre das selbe, einfach ohne Bierduschen, Gedränge und Chrigels grosspurigem Gehabe und seinen «Motherfuckers», was mir übrigens jedes mal aufs Neue wieder tierisch auf den Keks geht.
Nach dem «vorerst letzten Song» (Chrigel), begleitet vom bisher grössten Moshpit, betritt ein Ansager von der KuFa die Bühne und profiliert sich erstmal durch falsches Aussprechen des Wortes «Eluveitie». Danach folgt die Rangverkündigung des W:O:A Metal Battle sowie die Aufforderung zum Bierkauf, begleitet von lautstarken «Eluveitie»-Sprechchören.
Dann braucht die Band zwei Zugaben, um die Fans nach der durch den Unterbruch entstandenen leichten Stimmungsflaute wieder wachzurütteln. Diese hat es aber in sich: Die Menge dreht durch, ein Crowdsurfer nach dem anderen erklimmt die helfenden Hände und lässt sich von ihnen an die Front bringen. Elu ziehen nochmal alle Register, animieren das Publikum aus vollen Kehlen. Nicht steigerbar? Denkste.
Bei «Inis Mona» kennt die Crowd kein Halten mehr, der Moshpit war zu diesem Zeitpunkt nur nicht grösser, weil man ihn dann um die KuFa herum hätte bilden müssen, und auch zum Mitsingen lässt man sich nicht zweimal bitten.
Nachdem sich Chrigel für des Publikums Präsenz zu dieser späten Stunde sowie bei den W:O:A-Battle-Teilnehmern für deren Einsatz bedankt hat, stimmt er die erste unter der Flagge Eluveities geschriebene Hymne an: «Uis Elveti». Party pur!
Chrigel bemerkt, was uns allen schon lange bekannt ist (obwohl er wie immer in Wollpullover und – mütze erschien), nämlich dass es kochend heiss ist in der KuFa. Was bedeutet, dass die Akustikinstrumente gestimmt werden müssen.
Zum Intro von «Thousandfold» spielen Eluveitie mit dem Publikum das obligate «Hej-hej-hej»-Spiel – und alle machen brav mit. Und ich begebe mich langsam zur Bar, bevor diese komplett belagert wird. Langsam neigt sich der Abend nämlich dem Ende zu, abgerundet wird das Konzert durch «Calling The Rain» sowie «Tegernakô», Publikum und Band geben noch einmal alles. Dann Abgang in Rockstarmanier und nach dem Outro kommen sie mit weissen Handtüchern auf den Schultern noch ein letztes Mal auf die Bühne, winken zum Abschied – und weg sind sie.
Und ich bleibe zurück mit den gemischten Gefühlen eines Eluveitie-Fans der ersten Stunde, der sich die guten alten Zeiten zurückwünscht. Jene Zeiten, als Eluveitie plus Publikum noch in einem Wartehäuschen Platz gefunden hätten. Jene Zeiten, als Chrigel seine Ansagen noch nicht mit englischen Fluchwörtern spickte. Jene Zeiten, als Eluveitie noch nicht an jedem Popfestival spielte und im Radio bis zur Schmerzgrenze ausgelutscht wurde, jene Zeiten als noch Fehler gemacht werden durften und nicht alles blankpoliert klingen musste – Fehler sind menschlich. Routine auch.
Doch dann entschliesse ich mich dazu, stolz zu sein. Darauf, dass es (wiedermal) eine Schweizer Metalband so weit gebracht hat. Darauf, dass Eluveitie ihren Weg gehen, auch wenn dies vielleicht bedeutet, Kompromisse einzugehen. Darauf, dass die new wave of folk metal die ganze Welt geflutet hat – und noch wiele weitere Wellen schlagen wird. Eluveitie sind ein Phänomen.