Vom Bodensee bis nach Bern – die Schweiz ist ja bekannt für ihre kleinen Dimensionen – dauert es normalerweise ein-dreiviertel Stunden, ausser Frau Holle leert ihre Kissen und bringt dadurch den Verkehr zum Erliegen. Und genau das hat sie am 7. Dezember veranstaltet, als in Bern das Metal Christmas Festival über die Bühne ging.
Den Auftritt von POWERWOLF hatte ich mir schon auf der Umfahrung von Zürich abgeschminkt, den von EPICA eine Weile später ebenfalls. Bei EDGUY stürmte ich die Halle, erreichte den zweiten Song und hatte damit noch eineinhalb Tracks zum Fotografieren. Also Kamera aus dem Rucksack, kurz die Einstellungen gecheckt und dann losgeschossen. Anschliessend dann das Adrenalin herunterfahren und das Konzert geniessen.
Und ein Genuss war es durchaus. Musikalisch haben sich die Jungs aus Fulda nichts geschenkt – sie boten den gewohnten Power Metal und waren ein würdiger supporting act für Lemmy und seine Kumpels. „Nobody’s Hero“, „Rock of Cashel“, „Tears of a Mandrake“, „Pandora’s Box“ und „Lavatory Love Machine“ – auch die Setlist liess kaum Wünsche offen. Nachdem auch die letzten beiden Songs „Save Me“ und „King of Fools“ verklungen waren, konnte sich das Publikum nur teilweise entscheiden, ob sie gerne noch eine Zugabe gehabt hätten oder lieber so schnell als möglich MOTÖRHEAD auf der Bühne sehen wollten.
Lemmy Kilmister, Philip „Wizzo“ Campbell, Mikkey Dee – sie enterten eine gute halbe Stunde nach EDGUY die Bühne. Und das Publikum bot ihnen einen warmen Empfang. Ich war ebenfalls gespannt – in erster Linie aber, weil die Fotos dieser Jungs noch in meinem Portfolio fehlten. Wie erreicht man es eigentlich, dass man weder singen noch besonders gut Bass spielen kann, den Kontakt zum Publikum wenig bis gar nicht herstellt, und trotzdem berühmt oder berüchtigt wird? Reicht es, wenn man Millionen Flaschen Jack Daniels und Milliarden Büchsen Bier killt und einen hässlichen Hut trägt?
Anscheinend schon, denn sonst wäre Lemmy nicht eine der bekanntesten Kultfiguren der Metalszene.
MOTÖRHEAD jedenfalls haben mit ihrer Musik mehr für die Entwicklung des Heavy Metal und anderer Bands getan als für ihren eigenen Erfolg. Und – obwohl die Jungs ihren Rock’n’Roll mit vielen der bekannten Nummern spielten – das grosse musikalische Erlebnis war das Konzert nicht. “Rock It”, Doctor Rock”, “Killed By Death” oder “Going To Brazil”, keiner fehlte. Und natürlich gehörte – dieses Mal am Ende des Sets – “Ace Of Spades” dazu. Insgesamt aber war das nicht der grosse Reisser, eher relativ lieblos heruntergespielt, wenig Interaktion mit dem Publikum – ein sehr durchschnittlicher MOTÖRHEAD – Auftritt. Meine Hoffnung ruhte jetzt bereits auf SAXON und darauf, dass sie noch ein musikalisches Highlight setzen würden.
Mir stellte sich die Frage, welche Band eigentlich der Headliner sein sollte. Klar, laut Plakat und Ankündigung – MOTÖHEAD. Nach dem Abend vertrete ich aber eine andere Meinung. Für mich war die letzte Band auch der Headliner war. MOTÖRHEAD haben von ihrem Ruhm profitiert, musikalisch aber enttäuscht – zumindest mich.
Dagegen haben SAXON von Beginn an einen kraftvollen Auftritt hingelegt und eine Setlist gezeigt, die sich sehen lassen kann. “Heavy Metal Thunder”, “Hammer of the Gods”, Power and the Glory” – nach diesem Einstieg folgten weitere Hits, neuere und ältere. Darunter auch “Sacrifice”, der Titelsong des neuen Albums, das auf nächsten Februar angekündigt ist.
Sowohl Sänger Biff Byford als auch die Gitarristen Paul Quinn und Doug Scaratt sowie Bassist Nibbs Carter und Schlagzeuger Nigel Glockler – sie alle zeigten, was sie in den letzten Jahrzehnten gelernt haben. Da standen fünf Profis auf der Bühne, die nicht umsonst seit über dreissig Jahren immer wieder Festivals headlinen. Sie haben nicht den ganz grossen Status als Metalband, zumindest heute nicht mehr. Aber sie haben ein Konzert abgeliefert, das sich sehen lassen kann.
Nach weiteren Tracks wie “Crusader”, “Strong Arm of the Law”, “The Eagle Has Landed”, “Wheels of Steel” und “Denim and Leather” folgte als letzte Zugabe “Princess Of The Night”.
Damit schlossen sie einen heissen Konzertabend ab und schickten die Fans anschliessend hinaus in die kalte, schneereiche Nacht – und zwei Konzertfotografen auf einer schneebedeckten Autobahn zurück nach Zürich und zum Bodensee.