Krokus.
Mit über 10 Millionen verkauften Platten die erfolgreichste Schweizer Band ever. Unzählige Klassiker im Repertoire. Einer der geilsten Stimmen im Hardrock. Und zwei enttäuschende letzte Alben. Was erwartet man da als Krokus-Fan für das heutige Konzert im Volkshaus, wenn man die Solothurner schon ein paar Mal live erlebt hat? Freue ich mich einfach auf viele Klassiker oder hoffe ich in erster Linie auf möglichst wenig neue Songs?
Ich lasse mich gerne überraschen und gehe frohen Mutes ins Volkshaus. Halt nach wie vor eine der coolsten Konzert-Locations in der Schweiz.
Bob Spring – die Einmann-Akustik-Vorband – lass ich mal aus und so muss ich jetzt auch nicht drüber schreiben über das warum und wieso die Wahl auf ihn fiel. So legen Krokus schon kurz vor neun mit „Addio a Cheyenne“ von Ennio Morricone (Spiel mir das Lied vom Tod) ab Band los. Der Start ist mal sehr gemächlich.
Und dann geht’s los in der Beinahe-Urbesetzungen (so ganz „ur“ ist die nicht) bzw. der Beinahe-Urbesetzung-Extended-Version mit drei Gitarristen und neuem Drummer. Freddy Steady ist ja nach der Reunion wieder einmal ausgestiegen (worden) und so sitzt hinter den Fellen ein etwas jüngerer Schlagzeuger – zumindest gegenüber den ergrauten Herren davor. Wie der grad heisst, weiss ich leider nicht. Wer jetzt ein bisschen verwirrt ist, kann sich damit trösten, dass Krokus den inoffiziellen Weltrekord im Besetzungswechsel haben. Es haben schon über 30 Musiker mal bei Krokus gespielt … bei einer kompletten Reunion hätte man also schon bald ein Symphonie-Orchester beisammen.
Zurück zum heutigen Abend. Leider wird schon nach den ersten paar Liedern klar, dass heute nicht in erster Linie Klassiker, sondern wie befürchtet, vor allem Dirty-Dynamite-Songs gespielt werden. Und das nicht zu knapp. Dazu mehr später und immer wieder.
Soundmässig gibt‘s nicht viel zu kritisieren, aber die Songauswahl könnte für mich nicht schlimmer sein. So spielen sie zum Beispiel als dritten Song das sehr, sehr lahme „Winning Man“. Also kaum ist man langsam warm gelaufen, kommt schon der Oberhänger. Unsere Kleider sind vom sintflutartigen Regen auf dem Weg ins Volkshaus immer noch nass. Damit die trocknen, muss es aber schon mit mehr Power aus den Boxen dröhnen/blasen.
Nach Winning Man geht‘s weiter mit belanglosem Chilbi-Rock („Rattlesnake Rumble“ … Mama I got the Rattlesnake Blues …). Ich habe jetzt auch bald den Blues … … und dann die Erlösung. Beim fünften Song (!) gibt‘s endlich Krokus: „Long Stick Goes Boom“. Dafür lieben wir und die halbe Welt die Schweizer AC/DC. Und jetzt wird auch eifrig mitgeklatscht und gesungen. Jetzt ist auch unser Rocker-Gwand (Kleider) trocken. Man sieht nur noch zufriedene Gesichter. Also, lahmer Start, aber jetzt geht‘s los.
Zu früh gefreut, es geht weiter mit Chilbi-Rock. Aber ich seh schon, ich werde für diese Review viel Kritik einstecken. Denn den meisten hier, scheint dies zu gefallen. Wenn ich mich umschaue, dann auch nicht ganz überraschend. Mit meinen 35 Jahren bin ich einer der jüngeren. Und man hört auch Stimmen wie „das geilste Konzert einer Schweizer Band seit Jahren“. Da muss ich jetzt ein paar Mal Bier schlucken. Zeigt jedoch, dass heute wohl viele im Publikum sind, die nicht (mehr) so regelmässig an Konzerte pilgern und somit halt einfach sehr schnell zufrieden sind bzw. nicht mitgekriegt haben, wie viele Schweizer Hammerbands auf hohen Niveau es inzwischen gibt.
Mein verwöhntes Metal-Konzert-Herz ist da halt einfach ein bisschen mehr gewohnt und erwartet halt von der grössten Schweizer Rockband ever mehr. Da würde jede Krokus-Coverband mehr bringen. Dabei wäre es so einfach, ein paar neue Songs sind ja OK, aber bitte spielt mehr von den Klassikern oder von mir aus auch von den beiden Hammeralben mit ebenfalls jüngerem Datum „Rock The Block“ (2003 immerhin die erste Nr. 1 Platte von Krokus) und „Hellraiser“ (2006 – Nr. 2).
Aber eben, die anderen Rocker heute Abend sind da höflicher und klatschen halt grundsätzlich bei allem was Krokus heute spielt. Die haben ja schliesslich die beiden neuen Alben auch gekauft. Bei mir war nach Hoodoo-Zeugs Schluss – und wenn ich jetzt die neuen Songs live höre, dann aus gutem Grund.
Leider geht‘s weiter mit – es tut mir leid – aber superlahmen Songs wie „Better Than Sex“. Ich geh dann mal Bier holen und bislen liegt auch grad noch drin.
Wir sind bei Song Nr. 8 angekommen und ja, es kommt der zweite Song, welcher eine Halbwertbarkeit von über zwei Jahren hat: „Fire“! Auch wenn der Zeitpunkt für diesen Hammersong nicht ganz ideal ist. Der wäre besser gewesen nach ein paar schnelleren und härteren Nummern. Aber ich sauge jetzt mal jeden Klassiker in mich auf, so ist das jetzt eigentlich egal. Und immerhin darf Mandy Meyer bei dem langen Solo von Fire endlich auch mal zeigen, was für ein Hammergitarrist er ist. Ansonsten fragt man sich schon, was bei diesen einfachgestrickten Songs der Zusatznutzen von einem dritten Saitenhexer ist. Bei Fire ist das zweistimmige Solo mit Fernando Von Arb aber schon ziemlich cool. Das bisherige Highlight von heute Abend.
Auch Marc Storace gefällt’s: „Läck du miär.“ Aber den zweiten Satz hätte er sich sparen können: „We slow down for the girls.“ Hallo? Und für wen war dann die letzte halbe Stunde mit mehr oder weniger langsamen Geschnulze? Ich habe zumindest die Beni Thurnheer Cüpli Fraktion noch in keiner „Loge“ entdeckt. Es folgt „Dirty Dynamite“. Und wann folgt das Set für die Rocker-/Metalfraktion?
Langsam weiss ich nicht mehr, ob ich den Wiedereinstieg von Von Rohr so gut finde. Ich fand es ja damals den Hammer und habe so drauf geplangt. Aber bis auf die Reunion Show im Stade de Suisse 2008 war es eine einzige Enttäuschung.
Zwischenfazit: 9 Songs und davon wurde es mir bei zweien warm ums Herz. Man bedenke, dass Krokus das Zehnfache davon hätte. Der bisherige Tiefpunkt: Neben uns wird paargetanzt. Zugegeben nicht grad im Mosh-Pit … aber huere siech, wir sind an einem Konzert der Schweizer Hardrock-Legende Krokus!
Immer wenn ich nah dran bin das Konzert zu verlassen oder zumindest ein Bier zu holen, kommt wieder einer der unsterblichen Songs: „Screaming In The Night“. Als ich das Gewitter/Donner und die Wolkenbrüche zu Beginn dieses Klassikers höre, bin ich schon wieder aus dem Häuschen. Es bräuchte so wenig. Und mit „Easy Rocker“ wird endlich mal nachgedoppelt. Der bisherige nicht nur stimmungsmässige Höhepunkt.
So, aber nicht übertreiben, denken sich wohl die alten Herren und lassen den Jüngsten ein Drumsolo spielen. Storace: „Er isch ez halt de Jüngscht.“
Unerwartet früh, aber mit dem heutigen Set keine Sekunde zu früh, spielen die Urgesteine anschliessend den Überhit „Bedside Radio“. Jetzt stehen sogar oben in der Galerie ein paar Leute auf. Wie schon bei früheren Konzerten staune ich aber wieder einmal, dass Bedside Radio 1:1 Original wie ab Platte gespielt wird. Dabei hätte der Refrain das Potential für eine Mitsing-Orgie, den Song in die Länge zu ziehen. Aber ich will jetzt nicht rummeckern, wenn schon mal drei Klassiker nacheinander gespielt werden. Und weiter geht‘s mit ihrem damaligen ersten Hit in den USA: „Heatstrokes“. Der Song wurde damals während einer Hitzeperiode in den amerikanischen Radios rauf und runter gespielt. Die Stimmung erlebt jetzt definitiv ihren Höhepunkt.
Das war jetzt doch schon mal das, was man von Krokus erwarten kann. Unvermeidlich folgt der nächste lahme Song neueren Datums: „Hoodoo Woman“. Wobei ich hier gestehen muss, dass dieser live ganz OK ist und bedeutend besser abgeht als ab Konserve. Die „ooooooohhohohos“ kommen gut. Und es wird eifrig mitgesungen, wie ich es eigentlich in dieser Intensität bei Bedside Radio erwartet hätte.
Der Übergang von Hoodoo zu einem anderen Ur-Klassiker – „Tokyo Nights“ – passt hier perfekt. Und es wird weiter mitgesungen als stünden die die Ärzte auf der Bühne.
„Eat The Rich“. Ohne Worte. Na ja, ist ja eine Review drum eines: Geil! Oder noch 4 mehr: Endlich mal richtig Power! Wenn man jetzt in den Saal sieht und schaut wie die alten Rocker auf und vor der Bühne abgehen, fragt man sich schon, ob Krokus an den neuen Songs wirklich Spass haben. Bei der ersten Hälfte des Konzerts fehlte die Leidenschaft. Es ähnelte eher einem lästigen Promoauftritt für die neue Platte.
OK, das man die neuen Songs spielen will und muss verstehe ich ja. Aber das man jetzt noch „Mighty Quinn“ – gemäss Von Rohr der erste Song den Krokus spielte – bringt. Da bin ich baff. Das Cover von Bob Dylan ist ja einer der Gotthard-Live-Klassiker schlechthin. Auch wenn Krokus diesen schon Jahrzehnte vor Gotthard spielte, so kommt es doch eher wie ein Cover vom Cover (Gotthard) rüber.
Der Von Rohr muss den Song aber schon lieben, dass er diesen sowohl mit Krokus als auch mit Gotthard als Produzent coverte.
Mighty Quinn ist dann auch der letzte Song heute Abend. Begleitet von einem Konfettiregen verabschieden sich die Blüemlirocker – sorry, aber das passt grad zum heutigen Abend – mit Monty Pythons „Always Look On The Bright Side Of Life“ ab Konserve. Was will uns dieser Song sagen? Will man uns, oder zumindest die enttäuschten wie mich, besänftigen im Sinne von, hey, war doch alles nur Spass. Wir wissen schon, dass wir mehr drauf hätten, aber schau doch aufs Positive vom heutigen Abend.
Also, ich versuch’s.
Das Fanzit Krokus
Extrem schwache erste Hälfte. Von den ersten neun Songs grad mal zwei Klassiker. Der Rest war Chilbirock. Die zweite Hälfte zeigte, warum Krokus in den 80ern vor 80‘000 Leuten aufgetreten sind – und eben nicht an den Dorfchilbis. Ich mache mir mit dieser eher negativen Review sicher nicht viele Freunde bei den Krokus-Fans. Wer aber ehrlich zu sich selbst ist, wird zugestehen, dass dies ein extrem schwacher Auftritt von Krokus war. Nicht weil etwas besonders schlecht war (mal abgesehen von der Setliste), sondern weil Krokus einfach viel mehr drauf hat. Meine Erwartungen waren heute leider zu hoch.
Tipp: An alle die jetzt den Kopf schütteln oder mit mir einig sind. Hört euch mal (wieder) die Live-Scheibe „Fire & Gasoline“ von 2004 an. WELTEN!
Setliste Krokus – Volkshaus Zürich 2013
(in Klammer von welcher Scheibe der Song stammt):
- Intro (Addio a Cheyenne – Once Upon A Time In The West/Ennio Morricone)
- Hallelujah Rock n‘ Roll (Dirty Dynamite)
- Go Baby Go (Dirty Dynamite)
- Winning Man (Hardware)
- Rattlesnake Rumble (Dirty Dynamite)
- Long Stick Goes Boom (One Vice At A Time)
- Better Than Sex (Dirty Dynamite)
- Dög Song (Dirty Dynamite)
- Fire (Metal Rendez-Vous)
- Dirty Dynamite (Dirty Dynamite)
- Screaming In The Night (Headhunter)
- Easy Rocker (Hardware)
- (Drum Solo)
- Bedside Radio (Metal Rendez-Vous)
- Heatstrokes (Metal Rendez-Vous)
- Hoodoo Woman (Hoodoo)
- Tokyo Nights (Metal Rendez-Vous)
- Eat the Rich (Headhunter)
- Mighty Quinn (Bob Dylan/”Gotthard” Cover)
- Outro (Always Look On The Bright Side Of Life)