Maiden England
Schon im Herbst 2012 wurde das Konzerthighlight des Jahres 2013 angekündigt: Iron Maiden an einem Samstag im Hallenstadion und sie spielen die legendäre „Seventh Son Of A Seventh Son“-Show bzw. auch als Live-Video bekannt unter „Maiden England“ von 1988. In anderen Worten ein Abend mit der legendären Bühne, riesige, wechselnde Bühnenbilder, die noch von Hand gewechselt werden – also nix mit digitalem Screen – Eddie in all seinen übergrossen Ausführungen und vor allem unzählige Klassiker aus den 80er Jahren der wegweisenden Metal-Pioniere.
Nicht nur ich war bei der Ankündigung dieser Show begeistert, sondern auch die halbe Metalschweiz. Kein Wunder waren die Stehplatztickets schnell weg und das Konzert seit Monaten ausverkauft (kurzfristig gab es dann nochmals Tickets vor dem Konzert). Die Vorfreude war also über Monate riesig. Und heute bin ich kribbelig und nervös, wie schon lange nicht mehr vor einem Konzert. Und das heute ist ja nicht mein erstes Maiden-Konzert, geschweige Metalkonzert …
Nun ist der Tag gekommen, wo ich mit riesigen Erwartungen und mit 12’699 Anderen im Hallenstadion stehe. Nach UFOs „Doctor Doctor“ startet der Introfilm, der verschiedene Eisberge beim Kalbern zeigt. Eis ist das grosse Thema der heutigen Show, in Anlehnung an das Cover von „Seventh Son Of A Seventh Son“.
Und Knall und Feuer legen die Briten gleich mit „Moonchild“ los. Es folgen weitere legendäre, wenn auch nicht die ganz grossen Klassiker, abgesehen von „Minutes To Midnight“, bis zum „Trooper“, wo sich Bruce Dickinson wie gewohnt in die britische Rotrock-Militär Uniform des 18./19. Jahrhunderts begibt und dazu heftig die vom Krieg lädierte Fahne seiner Nation schwingt.
Bruce ist sowieso agil und zappelig wie immer. Steht kaum eine Sekunde still und rennt von einem Bühnenende zum anderen, hoch hinters Schlagzeug und wieder runter auf die übergrossen Monitore stehend in der Bühnenmitte. Der Campino des Metals bzw. eher umgekehrt müsste man sagen, dass Bruce das grosse Vorbild Campinos sein muss, wenn es um Bühnenkilometersammeln geht. Auch der Rest der Band steht kaum einmal still. Da könnte sich eine Menge jüngerer Bands Anschauungsunterricht geben, wie man die Massen begeistert und so zu einer der grössten Metalbands aller Zeiten wird.
Die Saitenfraktion um den kreativen Kopf der Band – Steve Harris – der mit seinen einzigartigen, galoppierenden Bassläufen nicht nur Tempo, sondern auch die Melodien vorgibt – harmoniert auch mit drei Gitarren. Da hapert’s bei vielen anderen Bands schon bei zwei Ego-Gitarreros.
Als dann die Offenbarung Johannes – gesprochen von Barry Clayton (1931-2012) – ab Band ertönt, ist allen klar, jetzt gibt es definitiv kein Halten mehr. Die schon vom ersten Ton Hammerstimmung erreicht einen ersten Höhepunkt mit „The Number Of The Beast“ – DER Maiden Klassiker schlechthin. Rechts neben dem Schlagzeug steigt eine mittelgrosse Beast Statue empor. Da sollten jedoch noch anderen Dimensionen auf uns zukommen.
Bei „Run To The Hills“ kocht das Stadion definitiv und dennoch läuft es mir trotz der Hitze kalt den Rücken runter, als wirklich alle in der Halle lauthals mitsingen. Sogar Leute um mich herum, die sonst nicht grad als mitjohlende bekannt sind. Dieser Hammermitsingsong ist halt nicht nur an der Heavy Disco ein Klassiker. Zum ersten Mal erscheint auch der rund Zwei-Meter-Grosse „Walking Eddie“ auf der Bühne. Run To Hills erzählt ja die Abschlachtung der Indianer aus der Sicht der Indianer und der Soldaten. Eddie übernimmt heute die Rolle des Soldaten – mit einem Pfeil durch den Hut ist er jedoch dem Indianertod knapp entkommen. Leider ist dies der einzige Auftritt des laufenden Eddies heute Abend.
Es gibt kein Halten mehr. Selten wird es an einem Metalkonzert so laut von allen Anwesenden und nicht nur aus den Boxen. Man könnte meinen Justin Bieber stehe auf der Bühne – gut dann natürlich mit anderem Publikum. Einmal mehr ist es jedoch Schade, dass ein grosser Teil der Leute die Show sitzend auf den Rängen erlebt. Ich bin überzeugt, dass einige auf den Sitzplätzen uns da unten mit den Stehplatztickets gehörig beneiden. Sitzplätze auf den Rängen gehören an Metalkonzerten eigentlich abgeschafft.
Es erscheint eine riesige Eddie Skulptur. Eddie als schreibender Hellseher (The Clairvoyant) und so war klar, es kommt ein weiterer – wenn nicht der – Höhepunkt des heutigen Abends bzw. dieser Tour: „Seventh Son Of A Seventh Son“ – der Auslöser der Maiden England Tour 1988/2013. Der epische Mittelteil bringt die Halle zum Fliegen. Für einen Moment wähnen wir uns an einem Symphonie-Konzert. Wie schon im Maiden England Video von 1988 kriegen wir zum ersten und einzigen Male den Keyboarder Michael Kenney (? – Basstechniker von Steve Harris – ?) nicht zu Gesicht, denn das ist wie damals hinter einer Maske und Umhang versteckt, dafür umso mehr sein Keyboard umrahmt mit grossen Pfeifen, als wäre es eine mobile Orgel.
Bei einem weiteren Maiden Klassiker – The Clairvoyant – gibt es heute Abend zum ersten Mal Abstimmungsprobleme zwischen den Instrumentalisten. Irgendwie verpassten die Gitarristen den Einsatz zu Steve Harris Bassintro und so war dies soundmässig leider der schlechteste Song heute Abend – jedoch immer noch auf ansprechenden Niveau und der Song ist zu geil, dass sich wirklich jemand ernsthaft drum kümmert. Die Masse singt und springt zum eingängigen Refrain Marke Maiden.
Der stimmungsmässig absolute Höhepunkt – eigentlich gibt es heute nur einen Höhepunkt und zwar vom ersten bis letzten Ton – kommt mit Ansage: „Fear Of The Daaaaark“. Es gibt wohl kaum einen anderen Metalsong, wo live eine Hühnerhaut praktisch auf Knopfdruck liefert. Wenn das ganze Hallenstadion bzw. deren Inhalt singt, gibt es für die Nacken- und Armhäärli kein Halten mehr. Ding! und die stehen stramm. Einer der epischsten Songs überhaupt – und das ohne Orchester, sondern einfach ganz Bescheiden mit einem 12’700köpfigen Chor. Hammer. Einfach nur bombastisch.
Beim Maiden-Signature-Song – Iron Maiden – erscheinen mehrere kleinere Ice Monster im hinteren Bühnenaufbau. Später werden diese ergänzt durch einen riesigen Eddie gemäss Vorlage des Seventh Son Of A Seventh Son Album-Covers: In der Hand der kurz vor dem entpuppen stehende siebte Sohn und nach einer Weil brennt Eddies Hirn. Bei uns brennt das Herz. Verdammt ist das geil heute.
Nach einer kurzen, eingespielten, Rede Churchills folgt „Aces High“ – auch dieser (Flieger-)Song kommt hammermässig rüber. Einzig was bisher fehlt oder zumindest ich verpasste, ist die typische Steve-Harris-Bein-auf-Monitor-Bass-und-Oberkörper-nach-Vorne-Pose.
Während ich das schreibe, sagt mir Hubär neben mir, dass Bruce mir gleicht. Na ja, zumindest er mir. Da er jedoch noch ein paar Jahre älter ist, geb ich ihm den Vorrang und so unterschreibe ich ab jetzt mir Bruce. 😉
Aber zurück zum wahren Bruce und was wirklich zählt, Maiden. Der Wahre gesteht uns gegen Schluss, dass er weder Deutsch noch Französisch spreche („Je parle anglais.“). Janu. So stellt er uns seine Bandkollegen in gewohnter englischer Sprache vor. Bei Nicko McBrain erfahren wir nicht nur, dass er gemäss Bruce der Schönste von allen sei, sondern auch seine Cymbals (Becken) aus der Schweiz bezieht (Paiste). Gemäss Bruce werden diese von 1’000 Zwergen (?) in den Schweizer Bergen gehämmert. Was man so alles erfährt heute.
Es geht langsam gegen das Ende zu. Und gemäss allseits bekannter Setliste folgen jetzt die zwei letzten Songs. Ein weiteres – für mich überraschendes – Highlight ist „Evil That Man Do“. Die Melodie vom Refrain läuft mir noch Tage später nach. Und nochmals alles geben sowohl Band als auch Publikum bei „Running Free“ – der ersten Single, dem ersten Maiden-Hit überhaupt.
Und dann? Ist es vorbei. Alles was irgendwie fliegt und nicht grad ein Vermögen kostet, wirft die Band ins Publikum. Das war’s es also. Doch das sehen nicht alle so. Die Stimmung flacht auch Minuten nach dem die Band die Bühne verlassen hat, nicht ab und alle Zugabe-Varianten werden zum Besten gegeben. Da das Saal-Licht nicht angeht, glaube ich sogar langsam selber noch an eine Zugabe. Die Frage ist, wie flexibel ist das eingespielte Maiden-Team? Maiden-Rufe ertönen, die Tribüne stampft wie früher im Spielhuus oder war es 1, 2 oder 3? Egal, jetzt, spätestens jetzt hätten wir eine Zugabe verdient. Ich habe schon lange nicht mehr eine solch geniale Stimmung erlebt. Doch die bleibt von den Briten ungehört, nicht mal Eddie schaut vorbei. Und nach gefüllten Fünf-Minuten, geht schlussendlich doch das Saal-Licht an.
Das ist hart zu verdauen. Kurze Enttäuschung kommt hoch. Und jetzt wollen wir auch nicht „The Bright Side Of Life“ hören. Das ist schon fast ein Hohn. Maiden oder nix. Und zwar live. Die gute Stimmung, das Publikum heute hätte definitiv ein, zwei mehr Songs verdient. Das gibt einen Punkt Abzug in der Kür.
Das Fanzit
Die Pflicht war perfekt. Alle – hohen – Erwartungen erfüllt. Ich hatte das Konzert als das Konzert des Jahres angekündigt und das wird es wohl sein und bleiben. Eine volle 10 von 10? Nicht ganz, bei der Kür ist der Abgang missraten. Das Publikum hätte eine Zugabe verdient. Einen Punkt Abzug. Geil war’s trotzdem. Und meine Frau hört sich nur noch Maiden an und auch ich war noch nie ein grösserer Fan der Metalpioniere als nach diesem Konzert.
Setliste Iron Maiden
- Moonchild
- Can I Play With Madness?
- The Prisoner
- 2 Minutes To Midnight
- Afraid To Shoot Strangers
- The Trooper
- The Number Of The Biest
- The Phantom Of The Opera
- Run To The Hills
- Wasted Years
- The Seventh Son Of A Seventh Son
- The Clairvoyant
- Fear Of The Dark
- Iron Maiden
- Aces High
- The Evil That Man Do
- Running Free