Wieso Dawn of Destiny nicht bekannter sind, ist mir ein Rätsel. Vor allem, wenn man bedenkt, wie erfolgreich ihre Kollegen der female fronted Metal Branche wie Nightwish oder Epica sind, obwohl… vielleicht sag ich dazu besser nichts mehr, Geschmäcker sind ja bekanntlich verschieden. (Und das ist auch gut so.) Ausserdem haben es Dawn of Destiny gar nicht nötig, dass man andere Bands schlecht macht im Vergleich mit ihnen, sie überzeugen auch so.
Dawn of Destiny sind eine Power Metal Band aus Bochum. Allerdings nur im weitesten Sinne. Ich weiss ehrlich gesagt nicht, wie ich ihre Musik beschreiben soll. Laut Wikipedia haben sie Thrash, Gothic, und Death Metal Einflüsse. Auf ihrer Homepage bezeichnen sie sich selbst als „a new generation of Metal“. Ich denke, das trifft’s wohl am besten, etwas Vergleichbares habe zumindest ich nämlich bisher nicht gehört.
Dawn of Destiny haben einige Besetzungswechsel hinter sich, und es bleibt zu hoffen, dass Jeanette Scherff, ihre jetzige Leadsängerin, ihnen noch lange erhalten bleiben wird. Wieso? Weil Jeanette eine toll Stimme hat. Damit meine ich nicht „schön“, obwohl sie das sicher ist, nein, damit meine ich hauptsächlich „variabel“ und „nicht so opernhaft wie bei einigen anderen“. Einfach eine gute, solide Stimme, ums kurz zu machen. Seit dem Vorgänger von F.E.A.R., Praying to the World (2012), ist sie mit an Bord, und sie hat sich in diesen 2 Jahren deutlich weiterentwickelt; so zeigt sie auf F.E.A.R. beispielsweise, dass sie sehr wohl auch Screams beherrscht.
Neben Jeanette singt auf fast allen Songs auch Jens Faber, Bassist und Mastermind von Dawn of Destiny, mit. Übernahm Jens auf dem Vorgänger noch häufig die Growls, zeigt er sich nun von einer weniger aggressiven Seite, was sich aus der Rolle, die er auf F.E.A.R. spielt, erklärt. Mehr dazu gleich.
F.E.A.R. ist ein Konzeptalbum – und was für eines. Um das Album zu verstehen, muss man die Geschichte kennen, deswegen hier kurz der Abriss. Sie ist aufgeteilt in vier Akte:
Forgotten: Eve sitzt wegen eines von ihrer Mutter verschuldeten Unfalls im Rollstuhl. Von ihrem Vater abgeschoben, landet sie im Heim. Nahe dem Heim lebt Ben, der die Gefühle anderer Leute fühlen kann, wenn er sie berührt. Er fühlt sich zu Eve hingezogen und möchte sie berühren. Enslaved: Eve wird von zwei Männern verschleppt und vergewaltigt im Wald zurückgelassen. Ben findet sie, berührt sie – er weiss, was passiert ist und ist vom Wunsch nach Rache besessen. Zufälligerweise ergibt sich Gelegenheit dazu, und er schlägt Eves Vergewaltiger im Wald zusammen, wahrscheinlich sogar tot. Admired: Eve erholt sich über die Jahre langsam von dem, was man ihr angetan hat. Zuerst misstrauisch, gibt sie der sich entwickelnden Liebe zwischen ihr und Ben doch eine Chance. Die beiden sind glücklich, heiraten sogar. Released: Zwei Jahre nach ihrer Hochzeit wird Ben mit der Diagnose AIDS konfrontiert. Er kann Eve klarmachen, dass er sie nie betrogen hat, und sie glaubt ihm. Sein letzter Wunsch ist es, in ihren Armen zu sterben. Als Ben tot ist, nimmt Eve eine Nadel und entnimmt ihm Blut…
Dieses sehr komplexe Konzept spiegelt sich in der Musik wider. Der vierteilige Aufbau ist sehr gut hörbar, vor allem Admired ist im Gegensatz zu den anderen drei Teilen sehr fröhlich und aufbauend. Das muss man Dawn of Destiny lassen, sie haben Mut: Ein Album um eine so komplexe Geschichte herum aufzubauen, und dann nicht mal mit einem Happy End ausklingen zu lassen… das ist nicht eben alltäglich. Aber ihr Mut zahlt sich aus, denn F.E.A.R. vermag auf ganzer Linie zu überzeugen. Mit Mats Levén und Jon Oliva – die den Vater und Vergewaltiger spielen – haben sich die Deutschen ausserdem sehr prominente Verstärkung anlachen können.
(Eine kleine Randnotiz hierzu: Jon Oliva bezeichnet No Hope for the Healing als “the best song anyone has asked me to be a guest vocal on”. Na, wenn das mal kein Lob ist!)
Neben Mats Levén und Jon Oliva hört man auf F.E.A.R., wie bereits erwähnt, noch Jeanette Scherff, welche Eve spielt, und Jens Faber, der Ben verkörpert.
Zwar sind die Songs auf F.E.A.R. nicht ganz so eingängig wie auf dem Vorgänger Praying to the World, aber das bedeutet lediglich, dass man sich ein wenig mehr mit dem Album auseinandersetzen muss; dies ist sowieso sehr empfehlenswert, da man das ganze Konzept kaum begreift, wenn man nicht auch ein bisschen Aufwand dafür betreibt – der sich jedoch durchaus lohnt, denn die Welt, die sich einem dann erschliesst, ist fantastisch. Ich habe selten ein Konzeptalbum gehört, das seine Story in musikalischer Form so passend widerspiegelt.
Auf jeden Song einzeln einzugehen, würde den Rahmen dieser Review sprengen, denn jeder Track ist so vielschichtig, und so sehr mit der Geschichte verbunden, dass man ihm ohne Probleme eine ganze Seite widmen könnte. Daher werde ich Kapitelweise vorgehen und einige Highlights hervorheben:
Der erste Teil, Forgotten, ist bedrückend, düster und traurig; Mats Levén hat seinen Auftritt bereits im ersten Song und bereichert das Duett Jeanette und Jens um eine dritte Stimme, die sich super ins Gesamtbild einfügt.
Enslaved ist interessanterweise nicht so düster wie Forgotten, dafür ist es kraftvoller, man spürt Eves Verzweiflung und Wut, wofür End This Nightmare mit dem powervollen und eingängigen Chorus ein Paradebeispiel ist. No Hope for the Healing ist teilweise aus der Sicht des Vergewaltigers erzählt, teilweise aus Bens Sicht, und man muss hier ganz klar sagen, dass die Band wohl niemand besseren für die Rolle des Vergewaltigers hätte finden können als Jon Oliva. Er verkörpert die Perversion seiner Figur perfekt. Bei No Hope for the Healing übernimmt Jeanette nur die Backing Vocals, was der Scheibe noch zusätzlich Farbe verpasst, da man nicht „nur“ female Vocals hat, und somit schöne Abwechslung ins sowieso schon grosse Hörvergnügen kommt.
Admired beginnt mit dem Song Rising Angel, der noch nicht so fröhlich ist, wie die drei darauffolgenden des Kapitels – man merkt, dass Eve dem sich langsam abzeichnende Glück mit Ben gegenüber noch misstrauisch ist. Finally und Then I Found You sind in diesem Kapitel besonders hervorzuheben, da sie die Songs mit dem grössten Ohrwurm-Charakter sind und ein wenig an die Eingängigkeit von Praying to the World erinnern.
Und dann, nach dem Aufsteller Then I Found You, zeigen sich Dawn of Destiny mit Released auf einmal wieder von ihrer bedrückenden Seite. One Last Time ist mit fast 10 Minuten der längste Song der Scheibe und vereint vielfältige Emotionen in sich: Von Trauer über Wut hin zu Resignation, findet man sich als Hörer den widersprüchlichen Gefühlen Bens ausgesetzt, der weiss, dass er sterben wird, und nur noch einen Wunsch hat: Dies in den Armen Eves zu tun.
Ich finde es sehr interessant, dass Released genau das ist: Released. Schon im Wort selbst steckt die positive Note, die man auch den Songs anhört. Man könnte denken, dass das Ende, das diese Beziehung nimmt, von absolut niederschmetternder Musik untermalt wird – dem ist aber nicht so. Die Spur von Glück ist immer noch vorhanden, denn die beiden sind zusammen, wenn es endet. Und selbst der letzte Song, To Live Is To Suffer, ist nicht düster gehalten, sondern einfach nur traurig schön. Ein letztes musikalisches Aufbäumen vor dem Ende, das Eves Gefühl der Verzweiflung zum Ausdruck bringt, aber gleichzeitig zeigt, dass sie nie ihren Glauben an Ben verloren hat und bereit ist, ihrer Liebe nachzufolgen. Das letzte, fast schon gehauchte „To live is to suffer!“ zu den Klängen eines Klaviers ist herzzerreissend.
Zur Umsetzung des Albums muss man keine grossen Worte verlieren: Der Mix ist wirklich gelungen, was im Vordergrund sein soll, kommt gut zur Geltung ohne den Hintergrund zu übertönen, Dirk Raczkiewicz unterstützt die Band mit gekonnt gespielten Keyboard-Klangteppichen, und dass nur ein Mann – Veith Offenbächer – für Lead-, Rhythmus-, sowie Akustikgitarre verantwortlich zeichnet, ist keineswegs ein Nachteil für das Album. Einen Drummer hat die Band zurzeit offenbar nicht, John S. ist lediglich als Gastmusiker aufgeführt. (Tatsächlich habe ich nicht mal rausgefunden, wofür das S. eigentlich steht… nicht mal Google konnte da weiterhelfen. Sehr mysteriös.)
Fanzit: Ein absolut empfehlenswertes Album für alle Fans von gutem, komplexen Power/Melodic Metal. In diesem Zusammenhang muss ich zum wiederholten Male den Vorgänger Praying to the World erwähnen: Wo dieser nämlich aus Songs besteht, von denen jeder ein absoluter Ohrwurm ist, der aber deswegen nach endlosen Durchläufen irgendwann doch ein wenig an Spannung verliert, vermag F.E.A.R. vor allem durch seinen komplexen und durchdachten Aufbau zu überzeugen, und lädt dazu ein, sich das Album immer und immer wieder aufmerksam anzuhören. Mit „aufmerksam anhören“ meine ich, sich tatsächlich mit dem Booklet hinzusetzen, die Lyrics zu lesen, die Story um die Songs herum zu studieren, und sich von der Musik in eine Geschichte voller Abgründe von Trauer, Hass, und Liebe entführen zu lassen. Aber man kann F.E.A.R. auch gut weniger aufmerksam geniessen, dazu laden vor allem die Songs von Admired ein, sowieso die clever verteilten Ohrwurm-Refrains, die immer dann auftauchen, wenn man als unaufmerksamer Hörer einen solchen braucht, um nicht zu einfacherer und eingängigerer Kost umzuschalten – wenn es denn solche Banausen überhaupt gibt.
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Tracklist
Forgotten
- With Silence Comes The Fear
- Waiting For A Sign
- My Memories
Enslaved:
- Innocence Killed
- End This Nightmare
- No Hope For The Healing
Admired:
- Rising Angel
- Finally
- Prayers
- Then I Found You
Released:
- One Last Time
- Dying In Your Arms
- To Live Is To Suffer