GAMMA RAY – Empire of the Undead

Power Metal
22.03.2014

Wo Gamma Ray drauf steht, da ist Gamma Ray drin, so viel ist sicher. Die Hanseaten beweisen mit ihrem elften Studioalbum Empire of the Undead wieder einmal, dass sie sich nicht in einer Stilrichtung festnageln lassen. Von Thrash über Rock ist hier fast alles vorhanden, und doch klingt jeder Song nach Gamma Ray: Eine Band, die ihre Einflüsse hat, und sich derer auch nicht schämt. Da hätten wir zum Beispiel Priest, Maiden oder Queen, um nur mal ein paar zu nennen. Und natürlich Gamma Ray selbst. Dass sie gerne auch mal bei sich selbst klauen, geben die vier Musiker unumwunden zu. Nun, so lange dabei etwas herauskommt wie Empire of the Undead, gibt es nichts zu klagen.

(Sowieso ist dieses ganze „Das klingt aber wie vw von xy.“ lächerlich. Dann klingt es halt ein bisschen nach xy, na und? Solange die Mucke ordentlich Spass bringt, spielt das doch keine Rolle.)

Getragen wird das Album wie immer von Kai Hansens markanter Stimme, über die ich hier nicht grossartige Worte verlieren muss: Wer den Mann nicht kennt, sollte dies schleunigst ändern, wer ihn kennt, liebt oder hasst ihn seiner sehr speziellen Stimme wegen. Auf Empire of the Undead zeigt der “Grandfather of German Powermetal”, dass er sich keineswegs auf seinen Lorbeeren ausgeruht hat, sondern sich gesanglich stetig weiterentwickelt und eine Diversität und Spannbreite vorzuweisen hat, die manchen Sänger vor Neid erblassen lassen sollte. Und diese wird auf dem neusten Silberling voll ausgeschöpft:  Von Screams und Screeches zu clean und raspy, von warm bis kalt und brutal ist alles dabei.

Über das Handwerkliche muss man bei einer Band wie Gamma Ray, die seit 25 Jahren im Geschäft ist, ebenfalls nicht mehr gross was sagen. Kai Hansen, Henjo Richter und Dirk Schlächter spielen ihre jeweiligen Instrumente (Gitarren, resp. Bass) mit einer Virtuosität, die ihresgleichen sucht, und wer bisher noch Zweifel hatte, dass Michael Ehré Daniel Zimmermann an den Drums würdig ersetzen kann, der wird eines besseren belehrt.

Nun zum Album an sich: 61:11 Minuten lang, beginnt die Platte mit dem fast 10-minütigen Epos Avalon. „Mutige Entscheidung“,  mag sich der eine oder andere denken – aber nur so lange, bis man den Song gehört hat. Mit der besten Hookline des Albums ist „Episch“ nur der Vorname. Der dreistufige Aufbau erinnert an Rebellion in Dreamland vom hochgelobten Album Land of the Free (1995)… viel mehr muss man dazu gar nicht mehr sagen. Der Song wird live sehr gut funktionieren, da er neben Epik auch grosses Headbang-Potential hat.

Gefolgt wird Avalon von Hellbent, das den Hörer bei der Epik abholt und mit einem musikalischen Arschtritt schnurstracks in den Highspeed Himmel befördert.  Hellbent ist zweifelsohne der härteste und schnellste Songs des Albums, der keine Gefangenen macht und  alles vernichtet, was ihm im Weg steht: Heavy Metal voll auf die Zwölf halt. Herrlich. Den Song gibt’s unterdessen auch schon als Lyrics-Video Auskopplung.

Pale Rider tritt wieder ein bisschen auf die Bremse und bewegt sich mehr in Hardrock Gefilden. Der Song baut hauptsächlich auf den sehr eingängigen Chorus, dessen zweites Wort ihm eine Parental Advisory Notiz auf iTunes eingebracht hat… Jaja, man muss schon aufpassen, wo man heutzutage so böse Wörter wie „motherfucker“ in den Mund nimmt. Ein solider Song, mit guter Melodie, der noch eine kleine Überraschung bereithält.

Born to Fly dürfte wohl einer der Songs sein, der sich nicht zu viele Fans macht. Es gibt auf Empire of the Undead – wie auf fast allen Gamma Ray Alben – Songs, die sich sofort im Hirn festsetzen und die man fast nicht mehr aus dem Gehörgang kriegt, und Songs, deren volles Potential erst zur Geltung kommt, wenn man ihnen aufmerksam zuhört. Born to Fly ist einer davon. Eher langsam und mit einem Chorus, der nichts Weltbewegendes ist, dürfte es ein paar Durchläufe brauchen, bis man die nicht so augenfällige Dynamik und Struktur des Songs lieb gewonnen hat.

Master of Confusion und Empire of the Undead sind die beiden Songs, die sich schon auf der 2013 veröffentlichten EP Master of Confusion befanden. Wer aber glaubt, die Hamburger Jungs seien so faul gewesen und hätten die Songs einfach copy/paste aufs neue Album gepackt, der irrt. Der Sound klingt klarer und differenzierter; hier und da kann der aufmerksame Hörer sogar grössere Änderungen feststellen. Dazu muss natürlich gesagt werden, dass ich hier eine Promo vorliegen habe, am Sound kann sich bis zur finalen Version sicher noch das eine oder andere ändern – hoffentlich, im Falle des Titelsongs, meine Version hat nämlich ein leichtes aber definitives Rauschen drauf, das auf der EP nicht zu hören war und sicher auch nicht zum Song gehört.

Für jene, die die Songs noch nicht kennen: Master of Confusion ist ein sehr melodisches Stück, das gerne mit I Want Out verglichen wird. Empire of the Undead hingegen geht mit den preschenden Gitarren und Drums eher in Richtung Thrash und hat insofern viel mit Hellbent gemeinsam.

Nach dem Gemetzel von Empire of the Undead fliessen unerwartet sanfte Töne aus den Lautsprechern: Aha, die obligatorische Ballade. Das ist keineswegs abwertend gemeint, ich mag Balladen sehr, wenn sie gut sind. Und Time for Deliverance ist definitiv gut. Sehr gut sogar. Gänsehaut (à la The Silence, für Gamma Ray Fans) trifft Queen, und das ganze wird gesungen von einem Kai Hansen, der zeigt, dass er sich in tieferen Tonlagen pudelwohl fühlt und die volle Kraft seiner Stimme auch bei ruhigeren Tönen durchaus zu nutzen weiss. Sollte der Song live gespielt werden, kann man nur hoffen, dass jeder ein Feuerzeug dabei hat, das er schwenken kann – wenn ein Gamma Ray Song der letzten Jahre ein Lichtermeer verdient, dann dieser.

Von schaurig-schön zu einfach nur schaurig. Demonseed beginnt mit einem gesprochenen Part, der klingt wie aus einem alten Exorzismus-Horrorfilm und eine verzweifelte Atmosphäre schafft. Danach werden aber mit dem Hauptriff, das sich in seiner Einfachheit sofort im Ohr festsetzt, überraschend andere Töne angeschlagen. Der Song ist eher ruhig, bei weitem nicht so schnell oder hart wie Hellbent oder Empire of  the Undead – und das bildet einen wunderschönen Gegenpol zum Intro und den Lyrics. Überlasst es Gamma Ray, einen Song über einen Dämon zu schreiben, der sich von Leid ernährt und daran ergötzt, und dabei nicht mal böse zu klingen, teilweise sogar fast fröhlich. Es ist ein bisschen so, wie wenn man jemandem mit einem Lächeln erklären würde, dass er gleich einen grausamen Tod sterben wird. Creepy.

Seven ist so ein Song bei dem Gamma Ray bei sich selbst geklaut haben. Und zwar mit unerhörter Dreistigkeit sogar vom selben Album. Die zu Grunde liegende Melodie erinnert stark an Master of Confusion. Das ist jedoch kein Nachteil für den Song: Ganz im Gegenteil schafft es im Unterbewusstsein eine schöne Brücke zum anderen, äusserst eingängigen, Song, während die bewusst wahrgenommene Melodie sich stark davon unterscheidet. Seven braucht ebenfalls einige Durchläufe, bis er sein Potential entfalten kann; da seine Brüder aber eine sehr hohe Messlatte setzen, bleibt er eher Durchschnitt.

I Will Return ist erneut ein Kandidat, dem man zuhören muss um zu verstehen, was er möchte. Ein „Ich lass das mal so im Hintergrund laufen“ wird dem Song wenige bis keine Freunde einbringen. Der Chorus ist top, das treibende Riff und die Gitarrensoli auch, aber alles in allem bleibt er leider trotzdem ein wenig farblos.

Built A World, der Europäische Bonus Track, ist ein Rausschmeisser erster Güte. Die Hooklines können sich ohne weiteres mit denen von Avalon messen und zusammen mit dem Thema – von der realen Welt nicht akzeptiert zu werden  –  machen sie aus dem Song den perfekten Lieblingssong-Kandidaten, der als Konkurrenz wohl hauptsächlich Avalon zu fürchten hat.

Fanzit: Empire of the Undead beweist wieder einmal, dass Gamma Ray es 25 Jahre nach Gründung noch immer drauf haben, anders zu klingen als die breite Masse. Sie sind episch, rutschen aber nie in den Kitsch ab. Sie sind hart, aber nicht auf Kosten kunstvoll gesponnener Melodien. Sie sind eingängig, aber nie einfach und oberflächlich. Sie experimentieren, verlieren aber nicht ihre Wurzeln. Für Gamma Ray Fans ist das Album ein Muss, da es eine grosse Vielfalt an Stilrichtungen bietet, aber wieder eher in Richtung der Alben vor To The Metal! (2010) geht, das bei vielen Fans nicht so grossen Anklang gefunden hat. Es ist wohl irgendwo zwischen Majestic und Land of the Free II anzusiedeln. Für (Noch-)Nicht-Gamma Ray Fans kann ich das Album ebenfalls wärmstens empfehlen (auch wenn es nicht ihr bestes Werk ist), denn es gibt heutzutage kaum eine Band, die qualitativ so hochstehenden und vielfältigen Power Metal liefert, wie die Hanseaten es immer wieder tun – so auch mit Empire of the Undead.

 

Wertung: 9.5 von 10

 

März 2014 (Tanja)

 

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Album Review Bewertung

Autor Bewertung: 9.5/10



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22.03.2014
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