Was schreibt man für eine Review, wenn man eine Band sehr, sehr mag und sich seit über einem Jahr auf deren neues Album freut und dann einfach nur enttäuscht ist? Nun, eine sehr lange Review, weil man einfach was Positives schreiben will …
Die Apokalyptischen Reiter sind für mich eine der genialsten Metalbands überhaupt. Sie schaffen es, in einen Song gefühlte 367 Stilrichtungen und manchmal auch grad noch ein paar verschiedene Sprachen reinzupacken. Und die grosse Kunst dabei, die Harmonie stimmt und jeder bisherige Songs ihres Schaffens steht eigenständig in der Welt und hat eine packende Melodie – meist im Refrain als steter Anker bei den Reitersongs – verpackt. Bei welcher Band steht im Wikipedia-Eintrag unter Genre schon «Die Musik der Band ist eine Mischung aus Black-, Death-, Thrash- und Power Metal sowie Rock und Folk». Und die Aufzählung ist bei weiten nicht abgeschlossen. Da gab es auch schon Ausflüge aufs Flamenco-Parkett, Country-Feld, 1001 Nacht, Reggae und einige andere Stilrichtungen mehr. Die Breaks von den Reitern sind nicht einfach nur Tempi-Wechsel, sondern auch Stilwechsel.
Dazu kommt die markante Stimme von Fuchs, der man einfach gerne zu- und immer einen gewissen Schalk raus hört. Dies passt so wunderbar zu den aussergewöhnlichen, oft gesellschaftskritischen Texten – inzwischen fast ausschliesslich auf Deutsch gesungen – welche in dieser Art im Metal eher selten sind.
Ich liebe gute, ehrliche Musik. Ich liebe die Varietät. Ich liebe viele verschiedene Genres. Dementsprechend liebe ich die Reiter. Und seit über einem Jahr freue ich mich auf die neue Scheibe. Auf den 70’000 Tons Of Metal 2013 sprach ich mit Fuchs und Ady unter anderem über das neue Album. Und sie liessen immer wieder durchblicken, dass dies ein Meilenstein sein wird. Die Grenzen die die Reiter eigentlich nie kannten noch weiter ausloten. „Falls wir je einem Genre angehört haben, so sind dessen Barrieren endgültig überwunden.“ Als Reitermaniac macht man sich bei solchen Ansagen nicht allzu viele Gedanken. Man ist sich dies ja gewohnt. Wie gesagt, oft schon in einem einzigen Song.
Und die letzte Scheibe „Moral & Wahnsinn“ hat sicher schon einiges vorgespurt. Und endlich habe ich die Möglichkeit, „Tief“ anzuhören und es passiert genau das, was mit dem ganzen Prolog eigentlich nicht eintreffen kann und soll. Doch es tut’s. Ich bin einfach mal ziemlich enttäuscht von dem, was ich höre. Ich war auf alles gefasst, aber nicht auf Neue Deutsche Härte, auf viel Elektrozeugs. Und so kommt mir das Ganze beim ersten Mal durchhören ganz schräg rein. Nun, ich beschliesse keine voreiligen Schlüsse zu ziehen und lass das Album mal für ein paar Wochen ruhen.
Gemäss offizieller Pressemitteilung soll Tief den Indie-Röhrenjeansträger, den Metal-Addict und den lasergeflashten Elektro-Anhänger gleichermassen pushen. Mein Problem ist, dass ich mich mit den ersten zwei identifizieren kann, mit dem Letzteren jedoch überhaupt nicht. Und gibt es Leute, die sich hier von allen dreien angesprochen fühlen?
Rund 4 – 6 Wochen später sitze ich wieder da. Hab das Tief sicher schon drei und mehr Male ganz durchgehört. Ich bin immer noch einen Weg aus diesem zu finden. Wo geht’s hoch? Wo sind die Melodien, die einem sonst bei die Apokalyptischen Reiter trotz aller Härte und Schräge immer wieder halt geben. Ja huere siech, wo ist eigentlich die Härte? Wo sind diese thrashigen Speed-Riffs und vor allem von wo kommt so viel Elektronik? Zu weilen kommt es mir fast ein bisschen vor, als hätten sich Helen Fischer und Scooter vereint. OK, das ist der Tiefpunkt dieser Review, den ich als Freund und Fan der Reiter nicht akzeptieren kann. Ich geh jetzt mal in der Tiefe Perlentauchen. Da muss doch was dran sein, vor allem wenn die Band selber davon überzeugt ist. Was lange gut war, wird nicht plötzlich schlecht. Aus einem stolzen Hengst wird nicht auf einmal ein unsicheres Pony.
Also, jetzt nochmals Song um Song:
Starten tut’s mit dem Titelsong „Tief“. Dieser gibt schon ziemlich klar vor, wohin die Reise auf dem neusten Silberling von den Reitern geht. Abgehackte Gitarren – die tönen irgendwie schon noch geil, vor allem das Anfangsriff, das sich so richtig durch Metal sägt – aber leider kommt auch sehr viel Elektronik und Effekte beim Gesang zu tragen, was etwas schwer liegt im Magen (sorry, der Reim musste jetzt sein). Dafür ist der Refrain 1a reitermässig. Da gibt’s nichts zu bemängeln. Also eigentlich ganz OK und genial dazu das Video! Es sollte sich später herausstellen, dass der erste Song auch der beste ist.
Bei „Wir“ röhrt zwar Gitarre wieder ganz geil, aber da kommt jetzt der typische Neue Deutsche Härte-Beat. Hm, der müsste für mich nicht sein. Ist schon sehr Bum, Bum – dafür ist der Refrain wieder ganz cool. Vor allem der Teil, wo Fuchs tief röhrt wie ein Hirsch – unterlegt mit einer verträumten Melodie aus dem Labor vom Dr. Pest. Ich geh jetzt mal davon aus, dass es Fuchs ist – dass er deftig growlen kann, hat er ja in der Vergangenheit oft genug eindrücklich bewiesen. Dieser Song ist wohl der ambivalenteste auf der Scheibe zwischen „hey, was soll das denn?!“ und „wahhh, verdammt geil.“
Klares Piano von Dr. Pest eröffnet „Wo es dich gibt“, welches mit der Nr. 3 am Start steht. Auch hier wieder der NDH-Beat. Auch hier wieder röhrende Gitarren, auch hier wieder Elemente zwischen Genie und Muss-das-sein. Hier drängt sich – sorry, aber schon ein bisschen der Kitsch-Vergleich mit Helen Fischer und Scooter auf. Ich weiss, dafür kann man mich hassen, aber das Bum, bum im Hintergrund – vor allem in der Bridge – hört sich an, als wäre Scooter bei den Aufnahmen nebenan gewesen.
Was aber bei allen drei Songs bisher auffällt, ist der sehr aktive Einsatz der Drums. Nebst den röhrenden Gitarren, Elektro-Beats das markanteste bei diesen dreien. Und das auch ganz geil, mal abgesehen vom Bum-Bum-Bass-Hi-Hat-Mix.
Also weiter mit „Was bleibt bin ich“. Die ersten 30 Sekunden einen lupenreine Rammstein-Nummer. Ich wette, dass viele Rammstein-Fans hier getäuscht werden könnten. Und wieder z’bum-z’bum-z’bum. Und tendenziell etwas lahm. Man nickt den Kopf automatisch dazu, eventuell tanzt der eine oder andere auch, aber es reisst mich nicht vom Hocker.
„Ein leichtes Mädchen“ kommt in einem sehr ähnlichen Gewand wie die Vorgänger daher. Irgendwo zwischen „Wo es dich gibt“ und „Was bleibt bin ich“. Gut gefällt mir hier der Basslauf. Die Halbballade-kann man jedoch eher als Füller abhacken. Kommt zum Beispiel niemals an einen „Seemann“ ran.
Noch mehr Piano und vor allem die typische fuchssche Stimme mit viel Schalk drin zu Beginn. Jetzt sind wird nach bisher mindestens zwei Halbballaden mit „Vöglein“ bei einem reinen Samenlöser angelangt. Mit zwei Minuten ein weiterer – wenn auch kurzer – Füller.
Schlaf! „Es wird Nacht“. Diese Aufforderung hätte es nach dem „Vöglein“ fast nicht gebraucht. Tut mir leid, aber auch Nr. 7 bleibt eher ein Tief. Eher was für die Symphonic-Metaller.
„Die Wahrheit“ weckt uns wieder auf und aus der Nacht wird wieder Tag. Erinnert mich zu Beginn an die Ärzte. Der Mid-Tempo-Song macht vor allem mit dem wie so oft bei den Reitern ausgeklügelten und variierenden Gitarrenspiel Freude. Es geht wieder etwas aufwärts.
In ähnlicher Manier geht’s bei den „2 Teufel“ zu. Da gibt es eigentlich nicht viel mehr Neues zu erwähnen, ausser untypischem Gesang von Fuchs – irgendwo bei Dimple Minds anzusiedeln.
Bollywood! „Die Welt ist tief“ ist mit indischen Klängen aus dem fiktiven Ort Shangri-la. Und eine Gruppe Kasachen im Hintergrund. Der schnellste Song auf Tief.
„So fern“ zum Abschluss bringt nichts mehr Neues. Auch sehr poppig.
Fanzit Tief: Und nach mageren 38 Minuten ist es schon vorbei mit „Tief“. Ich bleib dabei, auch wenn ich es den Reitern hoch anrechne, dass sie immer wieder neue Grenzen ausloten, aber „Tief“ ist für mich der Tiefpunkt der bisherigen Reiter-Diskografie. Und überraschenderweise ist es auch das eintönigste Album. Kaum ein Song bleibt hängen, es hört sich – auch nach dem X-ten Mal durchhören – alles irgendwie gleich an. Und was ich ganz fest vermisse, ist die gewohnt Power von den Reitern. Die flackert nur ab und zu etwas auf. Was wir da hören, sind nicht die Reiter, sondern das bedeutend langsamer fortkommende Fussvolk. Das die Reiter definitiv mehr können, haben sie schon mehrmals sehr eindrücklich mit 9er und 10er Alben wie „Have A Nice Trip“, „Friede sei mit dir“ oder „Licht“ bewiesen.
Als Doppelalbum oder auch einzeln kommt gleichzeitig der Aufwasch diverser Klassiker mit „Tiefer“ raus. Auch wenn es jetzt der Titel fast aufzwingt, aber die Reiter fallen hier nicht noch tiefer. Das Konzept kennen wir schon von Helloween (Unarmed) oder von die Ärzte bei deren bisher unerreichten Unplugged Session (Rock n‘ Roll Realschule). Das Ganze kommt schon fast ein bisschen loungemässig rüber. Also etwas, das man gut gerne im Hintergrund laufen lassen kann. Oder als Live-Unplugged-Session sicher auch ganz cool.
Vielleicht noch spannend zu wissen, dass Chrigel Glanzmann von Eluveitie bei „Auf die Liebe“ als Gast mitflötelt. Dieser Folk-Song lädt ganz schön zum Tanze. Coole Version.
Fanzit Tiefer: Hammersongs wurden kastriert. Aus einem Hengst wurde ein Wallach. Was sonst die Schweden Hellsongs mit Metal-Klassikern machen, haben hier die Reiter gleich selbst gemacht. Die Songs bleiben genial, aber es nicht wirklich zwingend das Ganze. Drum eine 7.
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Trackliste Tief
- Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit
- Wir
- Wo Es Dich Gibt
- Was Bleibt Bin Ich
- Ein Leichtes Mädchen
- Ein Vöglein
- Es Wird Nacht
- Wahrheit
- 2 Teufel
- Die Welt Ist Tief
- So Fern
Trackliste Tiefer
- Zeit
- Weg
- Friede Sei Mit Dir
- Flieg, Mein Herz
- Paradies
- Leidenschaft
- Auf Die Liebe
- Wahnsinn
- Terra Nola