Ostern mal anders …
Stell dir vor. Du spielst auf der Hauptbühne des wohl exklusivsten Metal-Festivals der Welt – irgendwo auf hoher See in der Karibik – und ein paar Monate später sitzt du im Bus zu deinen zwei ersten Headliner Shows in der Schweiz. Nach zehn Stunden Fahrt landest du irgendwo in einer Wald- und Wiesenlandschaft, wo grad die Igel vom Winterschlaf erwachen und löchriger Käse gemacht wird. Ein paar Stunden später spielst du dein Set in einem ausgebauten Heustock vor knapp 100 Leuten. Was für eine Berg- und Tal-Erfahrung einer deutschen Thrash-Metal-Band aus Hannover, die wortwörtlich Berg und Tal geniesst.
Nach einer einstündigen Fahrt – wovon die letzten 20 Minuten auf einer einspurigen Wald- und Wiesenstrasse stattfinden – erreiche ich die Sonne in der Wäckerschwend. Wäckerhä? Wäckerschwend bei Oschwand halt. Angrenzend ans Emmental. Die Sonne wurde als das Hallenstadion des Emmentals angekündigt. Na ja, für mich ist es eher die Schüür des Emmentals. Der ausgebaute Heustock ist nicht nur urgemütlich, er erinnert mich auch stark an die Schüür in Luzern. Wenn auch diese nicht ganz so idyllisch wie die Sonne gelegen ist.
Eng ist es…
Dass die Strasse dort hinauf nur schmal und kurvig ist, stört mich nicht, im Gegenteil, wenn alle Konzertlocations so gelegen wären, wäre die Anfahrt schon Teil vom Happening. Dass man kaum kreuzen kann, ist auch nicht weiter schlimm, denn während der ganzen Fahrt kommt mir nie ein Auto oder sonst was entgegen. Ich muss nur zweimal stoppen, als jeweils ein einsamer Igel schön brav am Strassenrand wartet und auf mein Zeichen hastig die Strasse überquert. Ich wähne mich im Märchen. Und so gleich geht mir durch den Kopf, was wohl durch den Kopf der Jungs und Mädels der drei Bands aus Deutschland während dieser Anfahrt ging. Nun, während ich diese geniesse, ist die Anfahrt für die schon lange kein Thema mehr. Ich schaff es grad noch zu Crossplane – die kurz nach meiner Ankunft ihr Set starten. Ich bin knapp dran, aber wenn der Parkplatz nur 20 Meter vom Eingang zwischen Gaden und Sonne liegt, ist auch das nicht wirklich ein Problem.
Als Heimweh-Landei fühl ich mich in dieser Umgebung natürlich wohl und es erinnert mich stark an die vielen Konzert und Parties in meinen rockigen Dorf, bevor der Techno alles kaputt machte. Nun, immerhin hatten wir Fettes Brot und Clawfinger zu deren besten Zeiten zu Gast. Und so ähnlich scheint es hier zu sein. Alle scheinen Hampi – der leidenschaftliche Organisator des Eiers Rock – zu kennen – ausser vielleicht die paar Deutschen und einen Luzerner. Einzig was fehlt ist die typische Dorfjugend-Töffligang. Also es fehlt beides, die Jugend und die Töfflis.
Bevor ich jetzt ganz in Jugendnostalgie verfalle, endlich zu dem was wirklich zählt. Die Bands, der Sound. Und bin ich schon mal froh, habe ich Crossplane nicht verpasst. Die deutsche Version von Motörhead – einfach ein bisschen weniger dreckig, ein bisschen weniger Whisky in der Stimme, aber beim Rock n‘ Roll kaum vom Original abweichend. Und das macht auch gut Laune. Sänger und Gitarrist Celli schaut auch immer zu jedem einzelnen im Publikum, dass sich dieser und diese ja wohl fühlt und nicht auf andere Gedanken als dem Rock n‘ Roll kommt. Gut die Hälfte der rund 100 Nasen ist auch artig im Kopfschütteln im Takte der Musik. Auf dem Lande wird schliesslich auch nicht rumgeposed. Man ist Metal und zeigt das auch, ohne angestrengt cool zu sein. Im diesen Sinne könnte das Hallenstadion gerne auf der Wäckerschwend stehen.
Celli lässt uns immer wieder wissen, dass wir ein Wahnsinnspublikum seien und es ihnen viel Freude mache, hier zu sein. Das hört man doch gerne, auch wenn wohl die eine oder andere Floskel mitschwingt. Ich überleg mir grad, wie dies dann bei Cripper sein wird. Denn das Publikum passt optisch eher zu den ersten drei Bands als zu gegrowletem Thrash Metal.
Die fröhlichen Crossplane verabschieden sich mit den Worten „Wir sind Crossplane und ihr seid Rock n‘ Roll.“ Na das hört man doch gerne. Und auch deren Sound, welcher ganz treu dem Bandnamen ist – eine V8-Motor-Version.
Hampi verabschiedet die Band ebenfalls mit markigen Worten ans Publikum gerichtet: „Das isch ez genau de Grund gsi, warum miär de ganzi Bullshit überhaupt möched.“
Einzig was fehlen sind ein paar hundert Nasen mehr. Dann wäre das schon fast Ostern und Weihnachten zusammen gewesen. Crossplane gab sich jedoch redlich Mühe über die Lücken im Publikum grosszügig hinwegzusehen.
Jetzt bin ich gespannt auf Cripper. In einem Interview mit der Band vor ein, zwei Jahren sagte mir Bandleaderin Britta, dass sie immer alles geben, egal ob 10 oder 1’000 Leute da sind. Na dann kann sie heute den Worten taten folgen lassen. Mal schauen, ob wir heute die gewohnte Ladung an Power und Spielfreude erleben werden.
Hampi kündigt Cripper an. Er habe die Band zum ersten Mal in Balingen gesehen und war sofort begeistert. Seit diesem denkwürdigen Moment war für ihn klar, wenn er mal ein Festival organisiert, dann werden Cripper die Headliner sein. Und so habe er die Band einfach mal angefragt und zu seiner Überraschung kam die Zusage postwendend. Hätten es sich die fünf nochmals überlegt, wenn sie gewusst hätten, dass sie für rund 100 Leute eine zehnstündige Busfahrt auf sich nehmen?
Cripper geben hier Antwort gleich hier und jetzt. Wie angekündigt merkt man das eher spärliche Publikum der Performance der Band kaum an. Vom ersten Ton geht’s ab wie gewohnt mit exaktem Spiel, viel Spass und einer Britta an vorderster Front, die sich bei mir immer mehr zu einer der genialsten Leader (bewusst männliche Form, denn bei den Frauen ist die Konkurrenz nicht so gross) an Konzerten mausert. Die Dame hat die nötige Power und Aggressivität, die es für eine Thrash-Metal mit growlendem Gesang braucht. Sie wechselt gekonnt aber auch ganz natürlich zwischen der toughen Leaderin und dem Kumpel von nebenan. Das zelebriert sie richtig gehend und da kommt ihr die tiefe Bühne und die Lücken im Publikum entgegen. Sie hat zwar auch keine Berührungsängste sich in die ersten Reihen zu werfen – wie sie auf der Cruise mehrere Mal eindrücklich zeigte (siehe Fotos 70’000 Tons Of Metal) – und auch heute prostet sie den Metalheads zu, gesellt sich singend neben einen Typen, der an einem Stehtisch abstützend an seinem Bierchen nippt. Geiles Bild wenn sie dabei den Kopf ebenfalls abstützt und der Band zuschaut während sie vom Publikumsbereich heraus singt.
Auch mal sich vor die Bühne legen und für die unaufhörlich knippsenden Fotografen – die wie ich nicht genug davon kriegen – posen gehört zu ihrem heutigen Repertoire. Und nicht nur sie hat ihren Spass auch der Rest der Band – insbesondere Gerrit am Bass und Dennis am Schlagzeug haben einen Dauersmile drauf. Die Band ist nicht nur wegen einer attraktiven Sängerin was für die Augen, sondern es macht einfach Spass dem ganzen Ensemble zuzuschauen. Dazu gehört auch heavy headbanging von Britta und insbesondere von den beiden Gitarristen Jonathan und Christian. Da kann auch nicht widerstehen und tue, was rund die Hälfte der Anwesenden tut: Haare schwinge – auch wenn die nicht mehr ganz so lang wie zu meinen Töfflibueben-Zeiten sind. Ich habe selten ein Konzert erlebt, wo der Anteil der Bangenden so hoch war. Absolut waren es heute wenige Leute, aber scheinbar die richtigen. Und für einmal kann man ganz klar sagen, alle die auf den Ausflug auf die Wäckerschwend verzichteten haben, verpassen definitiv was!
Und die Location inspiriert auch die Band. Britta verrät uns – mit Blick auf ein paar Strohballen am Rande – dass sie schon lange Mal auf einer solchen singen möchte. Aber dies dann wohl mit einer anderen Band. Unter sechs Augen erleben wir nach dem Konzert ein kurzes anstimmen von Cotton Eye Joe durch Britta auf eben dieser Ballen. Und ein solcher Ort mit Heu in der Luft macht auch auch durstig und auch Lust auf Einheimisches und kaum solches in Form von Schnaps angefordert, gibt’s jedem der Band einen gut gefüllten Bänz (?) – Obstbrand – und letzteres tat er dann auch: Brennen!
Dass Hannover und die Wäckerschwend 745 Kilometer auseinander liegen, erleben wir auch anhand diverser Verständigungsproblemen. Aber zu unserer Entschuldigung, Britta redet oft schneller als die Schallwellen sich fortbewegen können. Auf der anderen Seite werden unsere Ricola-Witze auch nicht ganz so verstanden. Nun, bei einer englischsprachigen Band versteht eh auch die Hälfte nie was und der fröhlichen Stimmung ist dies nur förderlich. So haben sowohl Band als auch Publikum was zu lachen – halt jeder über seine eigene Witze und die ausbleibende Reaktion.
Zum Schluss werden wir dann alle ganz schön gefucked und werden wie bei einem Overkill Konzert traditionell am Ende zum Rausschmeisser „Fuck You“ aufgefordert, den Stinkefinger zu zeigen. Bei Cripper heisst der Song „Faqu“ – also ausgesprochen gleich. Nicht mein Ding – Stinkefinger zeigen – den ich hab die Band ja lieb und so keinen Grund denen oder sonstwem den Finger zu zeigen. Schön dass auch Gerrit sich für das verbindende Zeichen der Metalheads – den Horns – entscheidet.
Dann wäre es eigentlich definitiv fertig für heut gewesen, aber Hampi interveniert und fordert sowohl Band als auch Publikum zu einer Zugabe auf. So können wir Cripper doch nicht gehen lassen und so räbblet es noch mal deftig – so deftig, dass ich vergessen habe, welcher Song am Schluss dazu gepfeffert wurde. Selbst nachdem es mir später Britta nach dem Konzert noch sagte wie der Song hiess, half dies meinem Löcherhirn nur kurz aus.
Fanzit nach 1.5 Stunden Cripper und rund einer Stunde Rock n‘ Roll von Crossplane zuvor. Das Eiers Rock hat vielleicht nicht den coolsten Namen – oder eben grad doch – und ist bei weitem nicht das grösste und bekannteste Festival, aber ganz bestimmt eines der sympathischsten und schönsten gelegenen. Eiers Rock ist – so nimmt man es von aussen zumindest war – vor allem viel Herzblut von Hampi. Sowohl er aber auch die Auftritte der Bands hätten jedoch mindestens drei bis vier Mal so viele Leute verdient. Vor allem Cripper haben mir wieder einmal mehr bewiesen, dass sie nicht nur geile Scheiben haben, sondern vor allem eine verdammt geile Liveband sind. Und mit Britta haben sie nicht nur eine der aktivsten Leader, sondern auch eine der geilsten growlenden Stimme des Metals auf der Bühne. Wer nur annähernd auf Thrash-Metal steht, sollte sich eine nächste Gelegenheit die Hannoveraner live zu erleben, nicht entgehen lassen.
Und eine Kritik gibt es noch an die Organisation: Denner-Bier (1291) für die Band – vor allem Cripper, die gerne gute Biere ausprobieren – geht nicht.
Und noch eine positive Meldung: Es wurde kein überfahrener Igel gemeldet. Höchstens ein paar von Cripper bzw. von deren derben Sound überfahrene Hardrocker.
Setliste Crossplane
- Bring The Fire (Hey, Hey, Hey)
- In My Veins
- Old Brown Shoes
- Real Life
- Is It me?
- Hellride
- Killing Machine
- I will Be King
- Balls
- Can’t Bring Me Down
- Rollin‘
- The Rock N‘ Roll Demons
- Easy Lay
- Take It Or Leave It
- No Win Situation
- Dirty Woman
- Bad Medicine
- Believe In
Setliste Cripper
- Intro
- New Shadow
- Life Is Deadly
- Damoclas
- Devil Reveals
- Junkie Shuffle
- Hysteria
- GSP7 Cock
- Animal
- Dogbite
- Fire Walk With Me
- I […]
- Shortcut
- Faqu
- (Zugabe)