CLIMAX – Face it!

Symphonic Metal
22.06.2014

Climax ist eine Walliser Band, die 2003 ihr Debütalbum (Play Some Heavy) veröffentlichten und im Februar 2014 mit Face it! nachlegten. Mit dem zweiten Album wird ein Stilwechsel vorgenommen, man spielt nun Symphonic Metal. Zumindest in der Theorie. Der eingefleischte Symphonic Metal Fan dürfte jedoch beim Anblick des Covers schon das erste Mal stutzig werden. Wo sind die schwertschwingenden Recken, wo sind die zahnbewehrten Drachen, die bärtigen Zwerge, die düsteren Verliese, die post-apokalyptischen Vampir-Einhörner? (Letzteres könnte auch nur Wunschdenken sein.) Nichts von alledem findet man auf Face it! Cover. Stattdessen haben wir da eine junge Frau, die nicht ganz so lasziv auf dem Boden liegt wie manch einer das sicher gerne hätte (so weit, so gut) und eine riesige Spinne, die sich über ihrem Gesicht abseilt… so weit, so ungut. Vielleicht muss ich deutlicher werden: Es ist ein sehr hässliches, definitiv zu gross geratenes Exemplar der Gattung Macheswegmachesweg!!!. Etwas, das – da bin ich sicher – sich in Australien pudelwohl fühlen würde. Und dass da unten etwas in der Evolution der Tierwelt falsch gelaufen ist, muss ich wohl nicht erwähnen.  Als in diesem Aspekt stereotypische Frau finde ich das… nicht so toll. Aaaber, ich finde es auch interessant, weil ich mich dann doch fragte, wie man darauf kommt so ein Cover zu machen und was es wohl mit der Musik zu tun hat. Die gute Antwort ist: Es kommen keine Lobeshymnen auf zu gross geratene Krabbelviecher vor. Was dann? Nun, „thematisch geht es um Weltschmerz, Eifersucht, Religionskriege oder etwa um Erfahrungen, die man in der Wüste machen kann.“ (Promo Text, Roger Buchmann) Umgesetzt wurden diese Themen in acht Tracks plus Intro auf höchst interessante Weise.

„Interessant“ ist denn auch das Stichwort für dieses Werk. Wer Epik à la Rhapsody of Fire erwartet, wird enttäuscht sein, vielmehr drängt sich der Vergleich mit Savatage auf, auch weil Sänger Michel Lagger sehr an Jon Oliva erinnert. Was jedoch bei einem direkten Vergleich mit Savatage auffällt und was Climax auch ganz klar von Rhapsody of Fire unterscheidet, ist der fehlende Pomp, die fast schon minimalistisch anmutende Simplizität der Arrangements. Man hat den Eindruck, dass man alles, was nicht unbedingt notwendig war, weggelassen hat. Kai Hansen (Gamma Ray) hat das einmal schön gesagt: „Das ist ein bisschen wie ein Bild malen. Dass man hier noch ne Blume hinmalt und da noch ne Biene. Das braucht man aber nicht, wichtig ist der Baum im Vordergrund.“ Climax scheinen sich mit Blumen und Bienen gar nicht erst beschäftigt zu haben, sondern sich für einen schlanken Baum auf weissem Hintergrund entschieden zu haben. Das macht das Album genauso interessant, wie die manchmal progressiv anmutenden Elemente oder das unvermutete Latein. Auch die Tatsache, dass die Songs immer besser werden und schon fast überraschende Hooklines bieten, machen Face it! zu einem Werk, das man sich auf jeden Fall einmal angehört haben sollte.

Spring of the World’s Pain ist ein gutes Beispiel für einen typischen Face it! Song… falls man auf diesem Album überhaupt von einem typischen Song sprechen kann. Abrupte Tempiwechsel, Stilwechsel und eine Melodie, die – wenn auch nicht weltbewegend – doch sehr eingängig ist. From East to West hat schon sehr episch anmutende Stellen, dann wieder eingestreute Sprechpassagen, die wie aus dem Radio klingen, die Hauptteile des Songs werden nur von Akustikgitarren und Keyboards unterstützt… was soll ich sagen? Ich kann nur immer wieder wiederholen, dass jeder Song auf Face it! unglaublich interessant und vielschichtig ist.

Der erste Höhepunkt des Albums für mich und auch der am ehesten symphonische Metal Song, ist Nemesis, der mit einer Hookline beginnt, die man so schnell nicht loswird. Nach Nemesis folgt mein persönliches Highlight, 24000 Years. Wenn in einem Song Latein verwendet wird, dann läuten bei mir immer alle Alarmglocken und ich mache mich daran herauszufinden, ob es denn sinnvolles Latein ist, oder nur grammatikalisch völlig inkorrekt aneinandergereihte Wörter. Als Lateinstudentin finde ich Letzteres sehr ärgerlich und enttäuschend. Hier haben mich Climax absolut positiv überrascht, denn das Latein ist nicht nur korrekt, sondern auch teils sehr komplex… für die 99% der Nicht-Lateiner da draussen: Der Song ist auch sonst wirklich gut, hat sehr gute Hooklines und Melodien; zwar hat man mehr vom Song, wenn man Latein versteht, doch geniessen kann man ihn definitiv auch sonst.

Die drei Songs, die noch folgen, können das vorgelegte Niveau sehr wohl halten, und mit Remembered wird uns auf dem letzten Platz doch noch eine Ballade geliefert, als wir die Hoffnung schon aufgegeben hatten – und was für eine! Ein absoluter Ohrwurm und 100%ige Hörempfehlung!

Fanzit: Face it! ist zwar klar nicht, was man sich gemeinhin unter Symphonic Metal vorstellt und kann nicht mit Bands wie Rhapsody of Fire oder Nightwish verglichen werden, aber es ist ein sehr komplexes, sehr interessantes Album, das ich jedem, der gerne mal was Neues hört, wärmstens empfehle. Für meinen Teil habe ich nämlich noch nie etwas Vergleichbares gehört. Die Walliser mischen sehr schlanken, minimalistischen Sound mit aufwändigen Streicher-Arrangements und Chören, erinnern nicht nur mit den abrupten Stilwechseln innerhalb einzelner Songs an Savatage, sind aber doch irgendwie ganz anders als alle anderen, und vermögen immer wieder zu überraschen. Der Sound und der Mix sind sehr gut und so wird Face it! zu einem rundum spannenden Hörerlebnis. Wer sich die Zeit zum aufmerksamen Zuhören nicht nehmen will, oder wer epischen Bombast à la Rhapsody sucht, der wird allerdings weniger Freude daran haben. Face it! ist nichts für jedermann oder jederzeit, aber etwas für Genre-offene Hörer, die Freude an bisher Ungehörtem und Experimentellem haben.

 

Trackliste

  1. The Door (Intro)
  2. Spring of the World’s Pain
  3. From East to West
  4. Delusions
  5. Nemesis
  6. 24000 Years
  7. Under Fire
  8. All Men Are Free
  9. Remembered

Album Review Bewertung

Autor Bewertung: 8.5/10



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Autor
22.06.2014
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