Wenn Tarja ruft, bin ich nicht weit. Auch wenn sie das sehr oft tut. Innerhalb acht Monaten spielt sie ihre dritte Show in der Schweiz. Überhaupt, seit dem Start ihrer Solokarriere war sie mindestens einmal pro Jahr in unserer Alpenrepublik. Dass es ihr bei uns gefällt, bestätigte sie mir ein paar Wochen vor dem Konzert in einem Interview (siehe Link zum Interview unten).
Wir können uns also glücklich schätzen, dass die schönste Stimme des Metals uns so oft beglückt. Dass nicht nur ich so denke, zeigt eine sehr gut gefüllte Härterei am heutigen Dienstagabend.
The Name
Uns auf Tarja einstimmen dürfen die Holländer von The Name. Das gelingt denen nur teilweise, aber wir haben dies ja eigentlich auch nicht nötig – für Tarja sind wir immer in Stimmung. Leider ist der Mix vor allem am Anfang nicht so ideal und so geht einiges was wir wohl hören sollten irgendwo zwischen Instrument und Boxen verloren. Es hat mich jedenfalls nicht so gepackt, als das ich hier jetzt mehrere Zeilen drüber schreiben könnte. Und das Bier hat ja auch seinen Reiz, auch wenn dies mit CHF 7 pro Becher trotz Züri-Szenenviertel schon fast über den unendlichen Durst liegt.
Tarja
Aber kaum betreten Mike Terrana und seine Mitstreiter in der Tarja Allstar-Band die Bühne, erliegen unsere Reize sowieso anderen Dingen. Als dann kurz darauf Tarja in ihrem neckischen Kleid mit Halbdurchblick – wie schon im Z7 letzten Herbst – erscheint, ist es definitiv um uns geschehen. Ich wiederhole mich und werde es wohl immer wieder tun. Kein, aber wirklich keine hat auf der Bühne eine solche Ausstrahlung – von der Stimme schreib ich ja grad noch nichts. Wer da nicht in ihren Bann verfällt ist als Spezies wohl irgendwo zwischen Velosattel und Melkstuhl anzusiedeln.
Doch auch bei Tarja ist der Beginn vom Sound bzw. Mix her etwas harzig, es sollte sich jedoch schnell besseren und am Ende bleibt nur ein Fanzit: Hammersound in bester Lautstärke – so, dass man einfach stundenlang hinhören könnte.
Und noch etwas fällt heute besonders auf. Tarja war ja noch nie eine Stehpuppe auf der Bühne und hat schon zu Nightwish Zeiten sich als rockige Opernsängerin positioniert. Das heisst, das pechschwarze Haar wurde auch immer wieder Mal der Zentrifugalkraft ausgesetzt. Doch heute ist sie ein richtiger Zappelphilipp. Das rockige Element nimmt schon fast überhand. Sie rockt, sie schwitzt und hüpft auf der Bühne herum, als gäbe es nichts Schöneres im Leben. Gibt es das? Für Tarja nicht. Im Interview hat sie X-Male betont, wie glücklich sie sei, wie sich die Karriere entwickelt, das zu tun, was sie einfach liebt: auf der Bühne zu stehen und alles zu geben. Und wie schon – gemäss Tarja – ihre erste Gesangslehrerin betonte, den Diamanten, den sie in sich trägt, immer scheinen zu lassen.
Also gar nichts von Diva – bis auf die Schuhe. Holy Knochenbruch, das sind ja mindestens 10 cm Stelzen. Wie man damit rum hüpft bleibt ein Rätsel der Menschheit oder ein Geheimnis in Kreisen des schönen Geschlechts.
Nicht nur Tarja ist wie gewohnt ein Augen- und Ohrenschmaus, sondern auch ihre Band – diese aber vor allem Zweiteres. Gut, die italienische Bassistin Anna Portalupi hat schon auch was – ein Frau am Bass wirkt ja eh immer – und sie hat’s wie der Rest ziemlich drauf. Sie spielt übrigens in einer Hardrockband Namens Hardline – wo auch ein gewisse Mike Terrana spielt. Und dieser Mike ist halt immer ein Highlight zu zuschauen. Zuzuhören sowieso. Und damit wir das Potential der Band auch mal so richtig geniessen können, verlässt die grösste Ablenkung des Abends – Tarja – bei „Never Enough“ für ein paar Minuten die Bühne und so erleben wir eine geniale Jam-Session. Jeder darf mal ein bisschen lauter und solig. Angefangen beim Cello (Max Lilja – Ex-Apocalyptica), dann Gitarre (Alex Scholpp), Bass, Drums und zuletzt Keyboards (Christian Kretschmar). Ein richtig deftiges Soundgewitter. Da steht der Mund auch mal ohne Tarja offen. Ein musikalisches Highlight jagt das nächste.
Die Setlist wird auch heute wieder vom aktuellen und dem bisher besten weil abwechslungsreichsten Tarja-Werk dominiert. Bei ihrer allerersten Solo-Single „I Walk Alone“ kommt der obligate Dank an die Fans, dass wir sie von Anfang an unterstützt und geliebt haben. Nun, sie hat es uns auch nicht ganz so schwer gemacht. Sie nennt uns ihren Winterstorm, ich sie schlicht: Göttin!
Die andere Pflicht erfüllt heute wieder mal „Wish I Had An Angel“. Bei den ersten Konzerten waren die Nightwish Songs noch die Highlights, inzwischen ein schöne Zugabe. Auch wenn ich auf einige Biere verzichten würde, wenn ich je wieder mal „Deep Silent Complete“ von ihr live gesungen höre.
Als Zugabe gibt’s „Victim Of Ritual“ mit dem rollen R als wäre es ein Ricola-Song und „Die Alive“ sowie einem hammergenialen „Until My Last Breath“. Der letzte Song des Abends nimmt mir die Worte aus dem Mund. Tarja, bis zum meinen letzten Atemzug oder anders ausgedrückt, einmal mehr wurde heute Abend bewiesen, wenn Tarja kommt, gibt’s keine Ausreden nicht zu erscheinen. Will ich auch nicht. Sie hat uns schliesslich auch noch nie enttäuscht – höchstens mal Schwanger etwas weniger Gas geben können. Aber das ist eine andere Geschichte und ein kurzes Thema vom einstündigen Interview mit ihr.
Fanzit
Eineinhalb Stunden Mystique Voyage. Klassischer Operngesang, Rock und Metal von einem anderen Stern. Ein Stern der heller leuchtet als alles andere was ich jemals live erlebt habe. Und das immer wieder. Ich freu mich, noch oft zu wiederholen.
Setliste Tarja Turunen
- In For A Kill
- 500 Letters
- Damned & Devine
- Falling Awake
- I Walk Alone
- Anteroom Of Death
- Never Enough (inklusive Band Jam Session)
- Darkness
- Neverlight
- Mystique Voyage
- Wish I Had An Angel (Nighwish Cover)
- Deliverance
- Medusa
- Victim Of Ritual*
- Die Alive*
- Until My Last Breath*
*Zugabe