Die Loreley, jene Sagengestallt mit dem goldenen Haar, von Heinrich Heine besungen und von Gästen aus aller Welt auf dem Felsen am Rhein in Deutschland besucht. Ich getraue mich mal zu fragen, wer kennt sie nicht? Doch nicht nur die Loreley verzaubert die Gäste am romantischen Rheinufer, auch die unzähligen Burgen und Schlösser der Region beeindrucken immer wieder aufs Neue. Doch die wahre Perle der Region ist definitiv die Freilichtbühne mit Blick ins Rheintal, wo im Sommer immer wieder grossartige Konzerte und Festivals stattfinden. Seit nun neun Jahren pilgern Fans der progressiven Rockmusik dort hin und zwar zum „Night Of The Prog“ Festival. Ein besonderer Höhepunkt, wie ich finde, denn der Veranstalter und Haken Bandmanager Winfried Völklein (WIV Entertainment) hat ein besonderes Händchen, was die Auswahl der Künstler betrifft und überrascht immer wieder mit einem besonderen Line Up, wenn auch für meinen Geschmack die härteren Töne dieses Jahr leider etwas zu kurz gekommen sind.
Vor einer Woche hatte ich noch im „Skianzug“ zu Robert Plant die Linse gezückt, zu „Night Of The Prog“ war dann die Hitzewelle ausgebrochen. Progressive Wetteraussichten sind das….
Freitag, 18. Juli 2014
Am ersten Tag ging es um 13:00 Uhr los und das aus Italien stammende Quartett Gran Turismo Veloce stürmte in roten Overalls (Gruppenoutfit) die Bühne. Mit Jubel auf den Sieg der Deutschen Mannschaft bei der Fussball WM, versuchten sie sich gleich mal die ersten Pluspunkte zu ergattern. Das hatte die Band, die sich 2008 formierte, aber gar nicht nötig. Mit ihrem Mix aus 70s Prog und modernen Einflüssen des Jazz sowie Rock überraschten die Südländer gleich zu Beginn des Festivals. Auch an Entertainment-Talent schien es den Italienern nicht zu fehlen, so witzelte der Gitarrist Massimo Dolce über den Geburtstag seiner geliebten Mamma und animierte das Publikum zum 60. Geburtstag ein Ständchen zu singen. Aktuell ist man dabei, das zweite Album aufzunehmen, welches mit Hilfe von Crowdfunding zustande kommen soll. Es lohnt sich, diese Band zu unterstützen.
Die in der Szene nicht ganz unbekannte deutsche Formation Traumhaus waren als nächstes dran. Mit deutschem Gesang wirkt Alexander Weyland erst mal etwas gewöhnungsbedürftig auf mich, muss ich zugeben. Auch sonst konnte der für mich erste Auftritt dieser Band nicht ganz so überzeugen. Obwohl musikalisch wie auch textlich anspruchsvolle Unterhaltungskunst abliefert wurde, fiel bei mir bei diesem Auftritt nicht der Groschen. Zu erwähnen wäre noch, dass auf ihrem letzten Album „Das Geheimnis“ Jimmy Keegan (Spock`s Beard) am Schlagzeug gastierte. In dem Fall ist Traumhaus auch international anerkannt und von Musikerkollegen geschätzt.
Die internationale Auswahl bot nun Collage auf. In den 90ern waren die Polen die Antwort auf Marillion und IQ und siehe da, nach etlichen Besetzungswechsel in der Band überraschten Collage erneut mit einem neuen Frontmann: Karol Wróblewski. Der Jungspund brachte reichlich Tempo ins Spiel und fegte wie ein Wirbelwind über die Bühne. Als Frontmann an diesem Tag der erste wirkliche Stern am Himmel.
Zurück nach Deutschland: Mit Long Distance Calling aus Münster wurde das Genre „Post Rock“ abgedeckt und war mit rein instrumentaler Musik die erste Band ohne Gesang. Ganz klar beim Publikum sehr geschätzt, wirkten die zahlreichen Wiederholungen von Song Strukturen und einzelnen Passagen auf mich verhältnismäßig viel zu lang und eintönig. Da kann die Schweizer Formation Leech für meinen Geschmack bei Open Air Konzerten besser punkten.
Die grosse Aufregung kam dann bei IQ auf. Mit ihrem aktuellen Album „Road Of Bones“ haben die Engländer etliche Ohrwürmer kreiert, die mich nicht mehr los lassen. Dazu kommt, dass IQ bis auf den Keyboarder wieder fast in Originalbesetzung agiert. Stücke aus dem aktuellen Album in dieser Besetzung live zu sehen, darauf hatte ich mich gefreut. Tatsächlich spielten sie auch eine perfekte Song Auswahl, die auch Lieder aus ihrem älteren Repertoire geboten hatte, wie zum Beispiel „Frequency“ vom gleichnamigen Album oder „The Darkest Hour“ (Album: Ever). Leider war Peter Nicholls Gesang an diesem Abend recht dünn, was wohl auf eine Erkältung zurückzuführen war. Nicholls drehte sich immer wieder zur Seite und hustete oder musste sich räuspern. Reichlich Live-Material, welches von der Band zur Verfügung steht beweist eindeutig, dass er es sonst viel besser kann. Ich hoffe mal, dass sie ihr neues Album auch noch demnächst in der Schweiz live präsentieren werden.
Zur Krönung des ersten Tages spielten Transatlantic ihren vorerst letzten Gig zum aktuellen Album „Kaleidoscope“. Vereinzelt gab es auch bei den anderen Bands technische Probleme zu bemerken, aber bei Transatlantic schien wohl zu Beginn der dickste aller Würmer drin gewesen zu sein. Nach knapp 40 Minuten Verspätung und etlichen „Buh Rufen“ sowie Pfiffen aus dem Publikum, betraten die hochkarätigen, in der Prog-Szene bestens bekannten Musiker die Bühne. Mit dem knapp 30 Minuten Schmuckstück „Into The Blue“ vom erwähnten Album startete man in die Nacht und leider dauerte es noch eine Weile an, bis alle technischen Ungereimtheiten beseitigt wurden. Mike Portnoy agierte hinter seinem Schlagzeug sichtlich ungehalten und ich dachte „Gleich spuckt er Galle!“ Immer wieder gab er hektisch Anweisungen an den Mischer. Doch dann lief alles rund und Transatlantic bewiesen, dass sie musikalisch enorm viel auf dem Kasten haben. Bassist Pete Trewavas, der auch bei Marillion beschäftigt ist, durfte bei diesem Festival gleich zwei Mal Headliner-Luft schnuppern. Grosser Abschluss-Auftritt!
Samstag 19. Juli 2014
Eine weitere Band, auf die ich sehr gespannt gewesen bin, war Synaesthesia aus London. Erst im Februar diesen Jahres wurde ihr Debut Album „Time, Tension & Intervention“ veröffentlicht. Bereits um 12:00 Uhr spielte somit die erste Band des zweiten Tages auf der Loreley. Die sehr jungen Musiker überzeugten mich schon beim Reinhören ihres Debuts mit tollen Arrangements und verträumten Melodien. Wenn man bedenkt, dass hauptsächlich Keyboarder/Sänger Adam Warne für das Songwriting zuständig ist, darf man ohne weiteres vor dem erst 20-jährigen den Hut ziehen. Schöner Start in den erneut sonnigen und sehr heissen Tag. Die CD habe ich bereits bestellt und merke, dass mir die Musik von Tag zu Tag immer besser gefällt.
Den ersten richtig grossen Schlag bekam ich jedoch nicht etwa von der prallen Hitze, sondern von A Liquid Landscape. Das aus den Niederlanden stammende Quartett konnte bereits die Bühne mit Karnivool, Riverside und Anathema teilen und stellte an diesem Nachmittag mit „Nightingale Express“ ihr Debut-Konzept-Album vor, das sich mit der Sinnessuche und der Frage „Was mache ich hier in diesem Leben überhaupt“ beschäftigt. Anspruchsvoller und abwechslungsreicher New Art Rock, der auch Live auf Anhieb überzeugte. Weitere feine Details lassen sich beim Hören des Albums über Kopfhörer entdecken. Absolut empfehlenswert und meine persönliche Neundeckung auf dem diesjährigen Festival. Live schienen sie mir jedoch im Vergleich zur CD ein weniger härter rüber gekommen zu sein.
Dream The Electric Sleep, die die USA vertraten, flogen im Vergleich zu den zwei ersten Bands, an mir vorbei wie ein kleines Lüftchen und blieben fast unbemerkt. Ihre Mischung aus Rock, Folk und doomigen Elementen entspricht eigentlich meinem Beuteschema. Warum sprang der Funke also nicht über? Vielleicht gibt es einfach mittlerweile zu viele Bands in dieser Konstellation bzw. die dieses Genre versuchen abzudecken. Meine volle Konzentration galt bereits dem nächsten Act, der die Schweiz vertreten sollte.
Mit Clepsydra war dann auch eine Band aus der Heimat (für mich neuen Heimat) vertreten. Nach dem die Musiker ihre Aktivitäten einige Zeit auf Eis gelegt hatten, kündigten sie 2013 eine Reunion an. Wie unschwer zu erkennen war, sind die Tessiner stark von Marillion zu Fish Zeiten geprägt, was vor allem Sänger Aluisio Maggini versucht hatte, gesanglich umzusetzen. Immer wieder gestikulierte er und spielte mit Emotionen, wie damals der ursprüngliche Sänger von Marillion. Das Publikum war begeistert und beschenkte die Band mit viel Applaus. Ein weiterer Auftritt der Band im Heimatland sollte man nicht verpassen: Eleven Rock Festival, Kofmehl (Solothurn) am 20. September 2014.
Wäre es nicht nett gewesen, wenn jemand vor dem Auftritt von Brian Cummins kurz angekündigt hätte, dass Bigelf aufgrund Krankheit des Sängers Damon Fox gar nicht auftreten werden? Eine kleine Entschuldigung wäre angebracht gewesen. Der eine oder andere hatte sich auf die Band gefreut und die grosse Enttäuschung wäre somit wenigstens ein bisschen erspart geblieben. Ob Brian Cummins, bekannt durch die renommierte Genesis Cover Band „The Carpet Crawlers“, ein passender Ersatz gewesen ist, darüber lässt sich sicher streiten. Dennoch muss man sich im Klaren sein, dass ein Ersatz so kurzfristig nicht einfach gefunden werden kann. Der Engländer nahm es zumindest mit Humor und witzelte über seinen Einsatz beim NOTP: „Ich bin auch eine Big Elve“ Damit spielte er auf seine körperliche Fülle an. Als Alleinunterhalter brillierte er vor allem mit seiner Stimme und reichlich Charme. Peter Gabriel`s „Biko“ oder „Running Up That Hill“ wurden beachtlich vorgetragen. Spasseshalber stellte er Kate Bush noch vor, die natürlich nicht mal einfach so auf die Bühne rauschte. Lustiges und sympathisches Kerlchen! The Carpet Crawlers spielen übrigens am 29. Oktober 2014 im Z7 in Pratteln.
Anathema – was soll ich sagen. Der Auftritt lies Gänsehaut zum Himmel wachsen. Für mich persönlich der schönste Beitrag des diesjährigen „Night Of The Prog“. Auch wenn mich bis jetzt das neue Album „Distant Satellites“ noch nicht überwältigen konnte, schafften die Briten es, mich durch ihre durchweg grossartige Bühnenpräsenz und der tollen Song Auswahl in den Bann zu ziehen. „The Storm Before The Calm“ aus dem Album „Weather Systems“ ist einer meiner Favoriten und das Wechselspiel zwischen nachdenklichen und stürmischen Songstrukturen wurde auch live überwältigend rüber gebracht. Der Titel „Die Ruhe vor dem Sturm“ beschreibt die Stimmung dieses Liedes wohl am besten. Ich werde sicher dem aktuellen Release eine zweite Chance geben.
Das Festival beenden durften Marillion. Keine andere Band an diesen zwei Tagen schaffte es in meinem Umfeld, so zu polarisieren. Man kann sagen, es hatten sich zwei Fronten gebildet, was auch demonstrativ mit „Fish“ T-Shirts gefeiert wurde. Dies, obwohl der ursprüngliche Sänger der Band bereits seit über 25 Jahren nicht mehr im Boot ist. Ich gehöre zu denen, die Fish nachjammern und habe seit dessen Abgang die Neuformation mit Steve Hogarth nicht mehr weiter verfolgt, da mich die Neuausrichtung in keinster Weise überzeugen konnte. Die letzte Chance war für mich, die Band an diesem Festival live zu erleben.
Musikalisch gab es nichts zu bemängeln und Sänger Steve Hogarth brillierte auch mit theatralischen Einlagen, akrobatischen Bewegungen der Gesichtsmuskulatur und treffsicherem Gesang. Ich weiss, ich werde mir mit dieser Aussage viele Feinde machen, aber den schauspielerischen Gesten und der Ausstrahlung eines Fishs kann Steve Hogarth einfach nicht das Wasser reichen. Damals im Jahre 1988, haben die andauernden Differenzen Fish von dem Rest der Marillion Band getrennt, was wohl auch gut so gewesen ist. Somit konnten beide Parteien ihren für sich besten musikalischen Weg weiter verfolgen. Ich persönlich kann nun mit ruhigem Gewissen das Kapitel Marillion ohne Fish abschliessen, da ich auch nach dem Auftritt an der Loreley weiterhin stur behaupten kann: Fish war der Sänger mit dem grösseren Charisma und der ausdrucksstärkeren Stimme und der fehlt mir in dieser Konstellation, bei der Gitarrist Steve Rothery das einzige verbleibende Gründungsmitglied ist.
Fanzit: Auch wenn mir persönlich das Line Up von 2013 viel besser gefallen hatte, ist es immer wieder eine Bereicherung an die Loreley zu NOTP zu fahren. Nächstes Jahr gibt es das 10 Jahre Jubiläumsfestival mit einer Art „Best Of“- Programm. Unbedingt schon mal im Kalender notieren: 17. Juli – 19. Juli 2015! Dann gibt es sogar drei Tage lange anspruchsvolle Musikkunst zu geniessen. Ich bin sicher, dass die Schweizer Prog-Gemeinde bis dahin wieder neuen Zuwachs bekommen hat (siehe zwei Schnappschüsse von diesjährigen Besuchern aus der Schweiz in der Bildergalerie vom 2. Tag ganz am Ende).