Es ist Dienstagabend. Und wenn das Z7 an einem Dienstagabend richtig voll ist, dann kündigt sich etwas Grosses an. So ist es auch heute, am Ende eines wunderbaren Frühlingstages: die Krefelder Blind Guardian sind wieder einmal zu Gast. Und mit dabei sind die Israelis von Orphaned Land. Eine Kombination, die man wohl auch als „spannend“ bezeichnen darf…
Ich versteh’s einfach nicht: wenn es auf der Homepage, auf den Tickets und auch sonst auf allen möglichen Informationskanälen heisst „Beginn 19.30h“: warum beginnt dann doch alles eine halbe Stunde verspätet? Den SBB rennt man schon wegen weniger Verspätung die Bude ein… Ich finde das irgendwie einfach doof, denn mit einem früheren Showstart könnte manch einer auch mal ein Bierchen mehr trinken, weil er nicht mit dem Auto unterwegs sein müsste. Anyway – das ist eine andere Geschichte.
Kurz vor 20h jedenfalls starten Orphaned Land ihren Gig. Sänger Kobi Fahri läuft im schwarzen Gewand und barfuss auf die Bühne, irgendwie sieht er aus wie eine Wiedergeburt von Jesus. Seine Gestik kann diesen Eindruck durchaus noch verstärken. Grundsätzlich habe ich Respekt vor dem Schaffen dieser Jungs. Wenn man den politischen Hintergrund kennt, kann man sich vorstellen, dass es alles andere als einfach war für diese Band, sich eine funktionierende und erfolgreiche Karriere aufzubauen. Ich kann aber einfach mit der Musik nichts anfangen. Dieser extreme arabische Einschlag treibt mich bereits beim zweiten Song an die Biertränke. Andere Einflüsse in Ehren – aber hier ist mir das mehr als nur ein „Touch too much“. Pam wird es anders sehen, und auch im Publikum gibt’s durchaus einige, denen das gefällt. Geschmacksache halt…
pam: In der Tat. Für mich eine der spannendsten Metal-Bands überhaupt. Einerseits sicher, weil sie wie keine andere Band beweisen, dass Metal keine Grenzen und schon gar keine Religionen kennt. Oder in den Worten von Kobi: „Heavy Metal is the only religion that is global“. Da gibt es ausser Hühnerhaut nichts anzufügen. Andererseits find ich den Sound auch geil und ist ja spannend, wenn man jeweils nicht so recht weiss, ob man Headbangen oder Bauchtanzen soll, wenn die Jungs live performen. Es war aber heute sicher nicht der beste Auftritt der Isralies, den ich bisher gesehen habe. Irgendwie fehlt heute etwas die Leidenschaft bzw. die kommt irgendwie nicht so ganz rüber. Dennoch gibt es mehr als nur Höflichkeitsapplaus.
Es ist fast viertel nach Neun. Zeit für ein Spektakel der Sonderklasse – Blind Guardian kehren nach langen Jahren endlich wieder auf die Bühne des Z7 zurück! Dass sie den grossartigen Album Opener „The Ninth Wave“ auch hier an die Spitze der Setlist stellen, ist ein weiteres Indiz dafür, dass sich Hansi Kürsch und Co ihres Stellenwerts absolut bewusst sind. Es gibt wenige Bands, die mit einem Zehnminüter eine Show eröffnen. Aber Blind Guardian sind nicht wie die anderen, das zeigen sie jetzt ein ums andere Mal!
Das nächste Beispiel folgt gleich: Hansi macht klar, dass er alle Ansagen hier in deutscher Sprache machen wird! Wenn ich da an zig andere Leute denke, die trotz deutscher Muttersprache nur Englisch auf der Bühne sprechen… Sehr sympathisch, der Herr Kürsch!
Der Opener ist also durch, das Publikum bereits in Feierlaune. Etwas Kontrast gefällig? Blind Guardian gehen vom neuesten Song zum (naja: fast…) ältesten und packen die Thrash Metal Keule aus mit „Banish from Sanctuary“. Die Matten wirbeln und es ist augenscheinlich, dass die alten Nummern nichts von ihrer rauen Magie verloren haben. Erstaunlich, dass es bei dieser Nummer keinen einzigen Crowdsurfer gibt…
Mit „Nightfall“ folgt ein erster von vielen weiteren Klassikern, und hier darf auch das Publikum das erste Mal richtig mitsingen. Während Kameras die ganze Show aufzeichnen, spielen Blind Guardian eine Ladung Material neueren Datums. Schlecht ist anders, ganz klar – aber irgendwie vermisst man bei Songs wie „Fly“ oder „Prophecies“ doch etwas… Apropos „Prophecies“: schade, dass diese Nummer gespielt wird und dafür zum Beispiel „The holy Grail“ dafür auf der Strecke bleiben muss… Wie es gehen kann zeigen sie mit „The Last Candle“ vom „Tales from the Twilight World“ Album, eine Nummer übrigens, die auch nicht immer gespielt wird. Grossartig!
Die Krefelder nehmen jetzt ein wenig den Fuss vom Gaspedal. Und es folgt der nächste Kontrast: die Fans kriegen den direkten Vergleich zwischen dem neuen „Miracle Machine“ und dem alten „A past and future Secret“. Es ist wohl müssig zu erwähnen, welche Nummer hier das Rennen macht… Bier beim ersten Song, Hühnerhaut all over beim zweiten…
Der nächste Kontrast folgt jetzt auf der Stelle: Das ultraschnelle „Majesty“ sorgt blitzartig wieder für heftig Bewegung im Publikum und Hansi kündigt daraufhin bereits den letzten Song des Abends an. Allerdings dauert es doch einen Moment bis zum Ende, denn das fantastische „And then there was Silence“ wird zum Besten gegeben. Und wieder: welche Band wagt es, als Opener und als „letzter“ Song jeweils solche Epen zu spielen? Blind Guardian sind wahrlich in ihrer eigenen Liga!
Nach nicht mal 90 Minuten zieht sich die Band also ein erstes Mal zurück. Und man fragt sich bereits, welche Klassiker im Zugabenblock fehlen und welche man noch geniessen darf…
Los geht’s mit dem Intro „War of Wrath“ und dem geilen „Into the Storm“, gefolgt vom nicht minder geilen „Twilight of the Gods“ vom aktuellen Album. Mit „Valhalla“ verabschieden sich die Krefelder ein zweites Mal – nach mittlerweile weit über eineinhalb Stunden. Doch das Ende ist noch nicht nah: der zweite Zugabenteil startet mit dem DRITTEN über zehnminütigen Epos: „Wheels of time“, das Publikum mobilisiert die letzten Reserven. Der endgültige Abschluss ist hingegen jetzt der ganz normale Standard: Bei „The Bard’s Song (In the Forest)“ überlässt Hansi den Gesang mehrheitlich den Fans und beim ultimativen Rausschmeisser „Mirror, Mirror“ herrscht das letzte Mal Partystimmung. Nach weit über zwei Stunden entlassen Blind Guardian ihre Anhängerschaft in die kühle Nacht.
Zeit für ein Fanzit… Blind Guardian sind zweifellos eine der besten Bands überhaupt. Sie unterscheiden sich in vielen Dingen von den „normalen“ Gruppen, sie können sich Sachen erlauben, an die andere nicht im Traum denken würden. Über eine halbe Stunde Spielzeit für gerade drei Songs?? Mutig – aber in diesem Fall auch genial! Über zwei Stunden Gesamtspielzeit? Ebenfalls etwas, was heute leider alles andere als eine Selbstverständlichkeit ist. Auch die Wahl des Support Acts Orphaned Land ist speziell.
Spielerisch gibt’s nichts zu meckern: Hansi Kürsch stimmlich in Topform (und an die kurzen Haare werde ich mich nie gewöhnen…), André Olbrich und Marcus Siepen beackern neben dem Sänger den vorderen Teil der Bühne und die Rhythmus Fraktion mit Frederik Ehmke und Barend Courbois sowie Keyboarder Michael Schüren macht einen grundsoliden Job. Showmässig können die Krefelder leider jedoch nicht aus dem Vollen schöpfen – die Bühne des Z7 ist dann doch zu klein. Ausser ein paar wirklich coolen Lichteffekten ist die Show eher spartanisch. Aber andererseits liegt der Fokus hier so oder so mehr auf der Musik!
Womit wir bei der Setlist angelangt sind…: über eine halbe Stunde für drei Songs heisst auch, dass viele andere Nummern gestrichen werden müssen. „Imaginations from the other Side“, „The Script for my Requiem“, „Mordred’s Song“, „Lost in the Twilight Hall“, „Lord of the Rings“, „Time stands still (at the iron Hill)“, „Journey through the Dark“ – und dies sind nur Klassiker! Von neuere Dingen wie „A voice in the Dark“, „Under the Ice“ oder dem schon erwähnten „The Holy Grail“ ganz zu schweigen… Ganz klar: Blind Guardian haben mittlerweile so viel Material, dass man in einer Show unmöglich jeden Fan glücklich machen kann. Persönlich hat mir die Setlist der zweiten Show auf der „70‘000 Tons of Metal“ Cruise zwar besser gefallen, aber das ist umgekehrt das Gute an dieser Band: man kriegt bei jedem Konzert immer wieder andere Songs aufgetischt! Alles, was mir in meiner Live-Sammlung jetzt noch fehlt, wäre „Somewhere far beyond“…