Fehlender Sidekick
Die «Gefahr für die Öffentlichkeit»-Tour vom Farin Urlaub Racing Team macht halt im ausverkauften Komplex 457 in Zürich. Und wenn die Hälfte – oder je nach Ansicht 3/4 – der die Ärzte irgendwo halt macht, dann muss man mit ein paar Leuten rechnen. Und so wundert‘s keinen, dass im ehemaligen Füdlischuppe ein Puff herrscht. Ausverkauft; mit rund 2’100 Nasen über mehrere Generationen verteilt. Wer hätte das gedacht, dass da überhaupt so viele von diesen mit restlichem Körperanbau reindürfen? Da wird‘s unweigerlich eng. Und warm. Aber das passt ja, wir sind ja nicht im Stadl. Und das sieht man schon, wenn man die ganze Meute von etwas oben herab beobachtet. Der Pit wiegt und wackelt vom ersten Ton an unerlässlich hin und her wie ein Pudding auf einem Power-Plate.
Und als ob das nicht reichen würde, setzt Farin bei „1000 Jahre schlechten Sex“ noch einen drauf, indem er das hin und her schunkeln noch zusätzlich animiert und orchestriert. Das funktioniert im ruhigeren Anfangsteil sehr gut, bis sich dann bei Songmitte mit zunehmender Härte einen „Circle“ Wall of Death bildet. Hm? Wie das geht? Man crasht nicht nur Frontal, sondern 360 Grad, so dass es Leonhard Euler selig die Tränen in die Augen treibt.
Einmal mehr zeigt uns der schwarzgekleidete Meister der unverzerrten Gitarre – und wenn sein muss auch mal mit – dass es keinen, aber wirklich keinen gibt, der es besser versteht, sein Publikum zu willenlosen Quasimoden zu erziehen. Und heute steht er nicht mit der besten Band vor uns, sondern mit der wohl schönsten Band. Gut, auch dieses Prädikat haben die Ärzte wie alles andere mit „Superlativ & Band“ schon lange für sich reserviert. Aber da schauen wir jetzt mal getrost drüber hinweg, denn schliesslich ist es heute so was wie eine halbe oder eben dreiviertel die Ärzte-Show.
Stimmt das? Hm, so sehr ich den wasserstoffblonden Berliner mag, so fehlt doch sein Ungleicher-Geht’s-nicht-Zwillingsbruder Bela B. Es wird heute zwar wie an jedem DÄ-Konzert eifrig geklatscht, gesungen, getanzt, gehüpft, gepoggt und nicht wenig geschwitzt. Letzteres ist ja ein Bonmot aus einem früheren Die Ärzte Konzert von Farin selbst: „Heiss hier“! Publikum: „Ja!“. Farin: „Schwitzt ihr?“ Publikum: „Ja!“ Farin staubrocken: „Man riecht’s.“
Das Farin Urlaub Racing Team bestehend aus sowohl spielerisch als auch optisch nicht zu verachtenden Mädels – mit ein paar männlichen Bläsern – fordert ihn zwar musikalisch, aber sprüchemässig fehlt sein Sidekick Bela B. So bleiben diese – ein b-seitenfüllendes Highlight einer jeden Die Ärzte-Show – für farnsche Verhältnisse doch eher lau. Und sein fieses Dauergrinsen weit bis hinten zu den Ohrenläppli lässt auch keine Provokationen vom Racing Team zu. Denn wie Farin in „I.F.D.G.“ singt, würden die eh aus der Band fliegen, wenn sie sich gegen den Chef aufbegehren. Übrigens, dort wo seine Teetasse während des ganzen Konzerts draufsteht, ist auch unmissverständlich „Jefe“ drauf geschrieben. Trotzdem, ein bisschen mehr Interaktion zwischen FU und dem RT wäre cool.
Aber wenn du denkst es geht nicht mehr … kommt von irgendwo ein, zwei Feuerzeuge her. Entweder sind Farin Urlaub Racing Team Fans überdurchschnittlich rauchig, alt oder einfach old Skul. So viele brennende Feuerzeuge wie beim langsameren Teil von „Der ziemlich okaye Popsong“ habe ich schon lange nicht mehr gesehen. Und dabei ist kein, aber wirklich kein leuchtendes Natel-Display auszumachen. Und sonst hätte ich grosszügig drüber hinweggesehen. Der Pit bleibt auch immer schön in Bewegung, so dass der ewigen Filmerei – für wen macht ihr das eigentlich? – Einhalt geboten wurde. Lektion von heute: Man muss den nervenden Handy-Hochalten-Zeitgeist mit Pogo bekämpfen!
Weitere Überraschungen bleiben aus … bis Farin mit einer roten Gitarre auf der Bühne vor uns steht. Und auch der rote Wuschelkopf Nesrin „Nessie“ Sirinoglu an der zweiten Gitarre tut es ihm gleich. Während mir grad so durch den Kopf schiesst: „Hm, Farin? Rote Gitarre? Gab’s das schon?“ Nimmt mein Teenie-und-irgendwie-immer-noch-Held meinen Gedankengang auf: „Ihr kriegt heute die volle Show geboten: Zwei rote Gitarren. Death Metal? Nein, eher ‚etwas huere‘ Romantisches.“ Aha, alles klar. Und einmal mehr stellt uns der schlaksige Berliner seine Schweizerdeutsch-Künste unter Beweis. Das fing schon mit einem schlichten „Grüezi“ nach dem Fall der … ähm, des schwarzen Vorhangs an. Kurz zu vor stand ich neben der Bühne und sah den Meister noch hinter diesem stehen. Ich dachte, winkste ihm mal. Und tat es. Er dachte (wohl): Winkste mal zurück. Und er tat es. Da hüpfte das Herz des Schreibenden. Ja, es braucht nicht viel, um Glücklich zu sein im Leben. Und wenn es so ist, dann eignen sich die meisten Songs von Farin als Soundtrack dazu. Meist geht es ja um die Sonne, Sommer, Reisen (Urlaub…) und wenn mal nicht, dann um die, die einen darum beneiden. FU ist also nicht nur der Meister der populären Unterhaltung, sondern auch des Glücklichseins und das selbige Machens.
Und dazu braucht es übrigens auch keine Vorband. Etwas nach acht Uhr kam die inklusive Chor und Bläser 11köpfige Band von Farin auf die Bühne und man konnte also getrost für mindestens zwei Stunden – es wurde gar von drei, was früher bei den die Ärzte mehr oft als nicht vorkam, gemunkelt – die Glücksbatterien aufladen.
Und natürlich fehlt dabei auch – passend zu Farins Gwand – nicht mehr als nur eine Prise schwarzer Humor. Wir hofften dabei vor allem auf unseren Lieblings-FU-Song „Die Leiche“. Und die kam doch tatsächlich angeschwommen: „Es schwimmt eine Leiche im Teich. Sie erinnert mich ein klein wenig an dich …“. Makabrerer geht’s nicht, aber verpackt in Samt und Seide geht’s runter wie ein Baarer Goldmändli. Nach rund 2/3 der Show war es der bisher ruhigste Song, bekam aber am meisten Resonanz. Es wird zwar vor allem in den ersten Reihen schon vom ersten Song an lautstark mit gesungen, aber hier war der Applaus danach bisher am Lautesten. Der wohl typischste FU-Song überhaupt, was den Text aber auch die entsprechende Verpackung betrifft: Sarkasmus und Ironie gepackt in schönster Melodie.
Wie geht’s weiter? Farin klärt uns dazu auf: „Deutschland ist das Land der Kultur. Und Blasmusik. Wir geben euch die volle Ladung!“ Da tritt einer der Bläser mit dem grössten Ding in den Händen und am Mund – ähm, wie heisst das Ding? Ah, Tuba? Egal, er spielt ein paar „heeyeeye, heeyeeyes“ bis er dann die Melodie von „Zehn“ anspielt und schon sind alle von den Zehen bis zu den Haarspitzen gestreckt und bereit zum … Hüpfen bzw. Springen. Damit es heute im Komplex ja auch nicht zu gemütlich wird. Und so rein rhetorisch fragt uns FU: „Wollt ihr noch mehr“? „Ja“, schreit es ihm entgegen. Fu: „Ich dachte ihr seid höfflich.“ So schreit es ihm nochmals entgegen: „Sir, ja, Sir“.
Und – geht ja bei „Zehn“ nicht anders – es wird gesprungen wie wohl bei keiner anderen Band, wo der Chef über 20 und das Publikum mehrheitlich auch drüber ist.
Zur auf seiner Gitarre gespielten Titelmelodie von Pink Panther gibt uns Farin ein kleines Geheimnis preis: „Das nächste Lied (Alle dasselbe) ist eigentlich ein Hörspiel. Ich möchte dies mit euch vertonen. Ihr macht die Geräusche und Bewegungen.“ So geht er mit uns Song- um Songzeile durch und erklärt/zeigt uns, was wir bei dem jeweiligen Wort zu machen haben. Klar, dass man dabei an den hohen Ansprüchen des Meisters nur scheitern kann. Wie zum Beispiel bei der Textzeile „Nur ein paar Krähen zu sehen …“ krähen die meisten. Ein paar „Semantiker“ – wie sie Farin bezeichnet – wissen natürlich, dass man Krähen, die man sieht, nicht (zwingend) hört. Farin meint dazu trocken: „Es hat da ein paar Semantiker unter euch. Ich mag es nicht, wenn das Publikum schlauer ist als ich.“ Sagt es und zeigt es uns allen, wie sich die Krähe in SEINEM Hörspiel mit lautlosen Flügelschlägen bemerkbar machen. So geht es weiter mit dem Blitz und klar, dass eine Japanerin in seinem Chor zeigt, wie man „scheint“. Fies wie immer dann die Bemerkung zu den fehlenden Blitzen hinten rechts: „Entschuldigt, wenn ihr keine Arme habt. Ich wollte euch nicht zu nahe treten.“
Das Resultat des nach dem Üben ganz gespielten Hörspiels lässt sich dann aber sehen. Leicht erhöht, wirkt die Choreo wie wochenlang einstudiert. Der Farin könnte die nächste Olympia-Eröffnungsfeier in China mit Tausenden orchestrieren, da wäre er voll in seinem Element.
Aber vorher – es ist jetzt zehn Uhr – geht’s mal offstage im Komplex. Ein erstes Fanzit nach zwei Stunden: Farin toppt live nach wie vor so ziemlich alles, was man sonst kennt. Aber grenzt es an Blasphemie, wenn man denkt, dass man Farin schon mit grösserer Anwesenheit erlebt hat? Ist er eben doch nur ein Gott mit Bela und Rod (Rod erwähnte ich jetzt nur, damit es sich reimt)? Ist er alleine einfach ein Übermensch? Egal werden sich wohl jetzt die 2’099 anderen Mitpogger und Mitlauscher sagen. Es wird gesungen, gepoggt, getanzt, gehüpft, gesprungen und vor allem auch viel gelacht. Die Band spielt ordentlich. Die meisten Songs kriegen eine Zusatzprise Ska mit auf dem Weg zu unseren Lauschern. Das nimmt zwar den Songs ein bisschen deren Eigenständigkeit, hilft aber beim Tanzen und Pogen. Und wenn er schon drei Bläser dabei hat, sollen die auch … Blasen. Auch mit dem Risiko, noch heute von einem Blitz getroffen zu werden: Es ist vielleicht grad deswegen ein bisschen monoton heute.
Während ich dies so vor mich dahinsenier ist das Racing Team mit Chef und Bläsern wieder dort am Weitermachen, wo man vorher aufgehört hat – die Fans ebenso – bis man eine Viertelstunde später die Bretter vor uns zum zweiten Mal verlässt. Und jetzt kommt meine zweite Verneigung vor dem wirklich aktiven Publikum. Es werden die doch so schweiztypischen „Ohohohoo, ohohohoo, ohohohoos“ gesungen, um die Band zurück auf die Bühne zu bewegen. Old Skul zum zweiten. Und der Farin nimmt die Melodie auf und spielt diese auf der hohen E-Saite nach. Für viele Teil der Show, für mich eines der Hühnerhaut-Momente.
Als die Band nochmals offstage geht, genehmigen wir uns noch ein Bierchen, auch wenn wir uns heute fest vorgenommen haben, die Merch-Ware – T-Shirts etc. – nicht schön zu trinken. Aber zumindest bringen wir den Merch-Mann auf die Idee, dass es in der Schweiz eigentlich „Farin Ferien“ T-Shirts geben müsste. Da sind wir mal gespannt auf den nächsten Auftritt in der Schweiz. Gemäss Farin spielen sie ja noch an ein, zwei Festivals diesen Sommer.
Und um bei der Meute die letzten Reserven anzuzapfen, geht’s mit der zweiten Zugaberunde nochmals richtig ab mit „Wo ist das Problem?“ Und situationsgerecht folgt das „Abschiedslied“ und damit ja alle ganz schön leer gepoggt sind, noch mal kurz „Zehn“. Und jetzt soll gemäss der Band nicht mehr nur gesprungen werden, sondern auf Kommando auch still gestanden oder auch noch auf die Fresse gefallen werden. Letzteres taten wohl ein paar im Pit schon früher.
Das finale Dankschön von Farin Urlaub gibt’s um 22.25 Uhr – also nach etwas mehr als zwei Stunden ist aus die Maus.
Fanzit zum Zweiten – Farin Urlaub Racing Team
Ich hab heute Farin wohl zum 25. Mal oder mehr Live erlebt (mit DÄ und/oder Solo) und er toppt immer noch alles was die Publikumsanimation und Sprüche betrifft. Es war aber definitiv nicht der beste Farin heute. Er wirkte ab und zu etwas teilnahmslos, müde. Das Dauergrinsen verkam zu einem „Ab-und-zu-Grinsen“ und die Sprüche ohne Ping-Pong mit Bela kommen nicht gleich spontan. Trotz allem, es ist Farin, es sind seine Songs, seine Band, das reicht ja schon, um glücklich zu sein und das Publikum wohl mehrheitlich restlos zu begeistern. Es wurde wie kaum an anderen Konzerten gesungen, getanzt, gelacht und eigentlich die ganze Zeit – auch bei weniger punkigen Nummern – wild gepoggt. So, dass die meisten aus dem Pit nach der Show klitschnass waren, ihre extra für Farin getönten und nassgeschwitzten Haare den Körper mittönten. Als ich hör jetzt auf, mit der Götterlästerung, dem Haare-in-der-Suppe-Suchen und sag einfach: Es war einmal mehr einfach geil.
OK, vielleicht noch ein Wort zur Setliste. Einige neue Songs wurden gespielt und vor allem die Leiche. Somit fehlte für mich persönlich eigentlich „nur“ „I.F.D.G.“, „Und die Gitarre war noch warm“, „Insel“ oder „Wie-ich-den-Marilyn-Manson-Ähnlichkeitswettbewerb-Verlor“.
Setliste Farin Urlaub Racing Team
- Was die Welt jetzt braucht
- Glücklich
- Heute Tanzen
- Klasse
- Am Strand
- Herz? Verloren
- Porzellan
- Augenblick
- 1000 Jahre schlechten Sex
- 3000
- iDisco
- Unscharf
- Sommer
- Der ziemlich okaye Popsong
- Newton hatte Recht
- Das traurigste
- Niemals
- OK
- Immer dabei
- Dynamit
- Die Leiche
- Zehn
- Alle dasselbe
- Petze
- Trotzdem
- Unter Wasser*
- Keine Angst*
- Karten*
- Wo ist das Problem?**
- Abschiedslied**
- Zehn 2**
*1. Zugaben
**2. Zugaben