Nachdem das grösste Schweizer Rock- und Metalfestival in den letzten Jahren die Massen mit Krachern wie Rammstein und Iron Maiden nach Interlaken locken konnte, blieben die ganz grossen Namen dem diesjährigen Anlass fern – und mit ihnen auch viele Zuschauer. Gerade einmal 18’000 Fans der harten Musik und somit 6’000 weniger als im Vorjahr waren es bei der diesjährigen 11. Auflage, diese sorgten aber für eine gewohnt ausgelassene und zumeist friedliche Festivalstimmung. Ein Rückblick auf drei ereignisreiche und unterhaltsame Tage im Berner Oberland.
Die Ruhe vor dem Sturm
Bei der Anreise gegen Donnerstagmittag war es erstaunlich ruhig in Interlaken. Keine Wartezeiten für den Shuttlebus, keine Schlange beim Tickettausch, kein Anstehen bei den Einlasskontrollen. Und dies lag nicht nur daran, dass die meisten Festivalgänger schon am Mittwoch ihre Lager aufschlugen. Das weite Grün der Felder, wo sich im Vorjahr Zelte und Pavillons eng aneinander gereiht hatten, zeigte unmissverständlich, dass mit deutlich weniger Besuchern als noch vor Jahresfrist gerechnet wurde. Die schlechten Wetterprognosen – welche sich glücklicherweise nicht bewahrheiten sollten – wirkten wohl zusätzlich abschreckend. Und doch war sie den Anwesenden anzumerken: Die grosse Vorfreude auf 3 Festivaltage vor einer der schönsten Kulissen überhaupt, gespickt mit einigen Highlights und Überraschungen.
Die Headliner
Mit Slipknot brach am Donnerstagabend das erste grosse Gewitter über das Flugplatzgelände von Interlaken – zumindest musikalisch gesehen! Mit ihrer einzigartigen, energiegeladenen Bühnenshow (2 zusätzliche Schlagzeuge auf den Seiten sorgten für gehörig Drive!), einer hervorragender Lichtinszenierung und ihrem knallharten, sehr eigenen Musikstil sorgten die Amerikaner für Stimmung! „Ready to loose your fucking mind?!“ Frontmann Corey Taylor gelang es, die Menge mitzureissen. Richtig eindrücklich war dies bei Spit It Out: Hunderte von Fans folgen den Worten „Jump the Fuck Up!“ und sorgen für ein kleineres Erdbeben! Surfacing setzte dann schliesslich den Schlusspunkt unter eine aussergewöhnliche, durch viel pyrotechnisches Material unterstützte Show!
Die Messlatte für die kommenden Tage lag – was die Unterhaltung angeht – entsprechend hoch. Logisch allerdings, dass man Motörhead nicht annähernd in einen solchen Vergleich miteinbeziehen kann. Routiniert wie eh und je präsentierten die Briten am Freitagabend ihr Programm, Überraschungen blieben dabei vollständig aus. Gut so, denn zu kritisieren gab es nichts! Solide zog Lemmy sein Ding durch und zeigte sich dabei gewohnt wortkarg – das Kompliment „It’s beautiful here“ darf schon fast als euphorisch betitelt werden. Sehr schade war allerdings, dass sich die Leute vor der Bühne selbst von Übersongs wie Over the Top und Ace of Spades – mit den schlichtweg geilsten Riffs des Wochenendes! – kaum mitreissen liessen. Ein Zeichen dafür, dass die Altrocker von Motörhead nicht so recht ins ansonsten eher alternativ geprägte Line-Up passen wollten?
Ganz anders dann In Flames! Melodic Death Metal mit harten Riffs, Einflüssen aus dem Core-Bereich und geprägt durch die mittlerweile recht eigenwillige Entwicklung: Schnell zeigte sich, dass die Schweden viel mehr dem Geschmack der durchschnittlich doch eher jungen Festivalgänger entsprechen! Dazu trug auch die Setlist bei: Nur wenige neue Songs, dafür durchgehend viel Energie, Härte und Tempo! Und Anders Fridén sorgte spätestens mit den Worten „Are there any roules against crowdsurfing in this place?“ für Spektakel! Selten habe ich so viele Fans gleichzeitig über den Moshpit surfen sehen wie bei Bullet Ride! Genauso eindrücklich wie der Circle Pit bei Drifter war dann der Anblick von hunderten von Feuerzeugen zu The Quiet Place! Eine würdige Headliner-Show, welche die Schweden mit Sweet Shadow und dazu einem imposanten Feuerwerk im grossen Stil beendeten!
Mit Heaven Shall Burn sorgte dann am Samstagabend eine deutsche Band für den Festival-Abschluss. Auf den so eher unerwarteten Intro Heart of Steel von Manowar folgten während rund eineinhalb Stunden harte Klänge zwischen Melodic Death Metal und Metalcore, optisch untermalt durch eine breite Auswahl an Bühnenbildern. Lead-Sänger Marcus Bischoff mit einer 0815-Kurzhaar-Frisur im Stile von Hansi Kürsch (Danke Pam für den Vergleich!) sorgte mit seinen Ansagen für gute Stimmung, Titel wie Counterweight, Endzeit und Of No Avil liessen den Moshpit ein letztes Mal erzittern. Mit einem durchwegs soliden Auftritt ging dann kurz vor 1 Uhr morgens das Greenfield Festival 2015 zu Ende!
Fotos Greenfield Festival 2015 – Tag 1 (Friedemann/pam)
Viel Abwechslung
Vom Mittelalter- über Stoner- zum Punk-Rock, vom Metal-Core bis hin zu Rockabilly: Das diesjährige Line-Up sorgte auch tagsüber für gehörige Abwechslung. So stand mit Godsmack früh eine Band auf der Bühne, welche mit melodischem Rock, emotionsgeladenen Lyrics und authentischem Gesang zu überzeugen wussten. Die Amerikaner boten am Donnerstag nicht nur mit ihrem aktuellen Album 1000hp, sondern auch mit gestandenen Songs wie Straight Out of Line eine musikalisch herausragende Show!
Richtig gerockt wurde am Samstag: Die Australier von Airbourne präsentierten sich bestens gelaunt und konzentrierten Ihre Energie auf die ausgelassene Bühnenshow! Gradliniger Hardrock bei traumhaften Bedingungen läuteten den Festival-Endspurt ein. Zuvor hatten die deutschen Powermetaller von Powerwolf ihre Messe abgehalten – etwas Religion soll ja zwischendurch auch sein. Humor und Interaktion mit dem Publikum kamen dabei nicht zu kurz, Neues hatten die Wölfe allerdings nicht zu bieten. Zudem will ich nicht wissen wie viel Zeit Sänger Attila damit verbrachte, das Publikum zum Mitmachen zu animieren – da hätten vermutlich 2 Songs mehr drin gelegen…
Folk-Elemente tauchten am Freitag im Programm auf: Nachdem am frühen Nachmittag die englische Truppe Skinny Lister oder East Cameron Folklore selbst hartgesottene Rocker zu einem ausgelassenen Tänzchen motivieren konnten, brannten die Mittelalter-Rocker von In Extremo am Abend ihr Feuerwerk ab. Ob der gigantischen Flammen hatte Gerüchten zufolge sogar die Bühneneinrichtung etwas zu leiden! Genauso wie die optischen Effekte gehört bei den Deutschen das breite Arsenal an Arbeitsgeräten dazu: Dudelsäcke, Flöte, Harfe und viele weitere unkonventionelle Instrumente wussten sie bestens einzusetzen, dementsprechend lebhaft wirkte ihr Auftritt!
Ansonsten dominierten einmal mehr moderne und alternative Klänge das Greenfield Festival. A Day to Remember, The Peacocks, Asking Alexandria, Hollywood Undead, Backyard Babies und viele weitere Bands mit Einflüssen aus Nu-Metal, Punk und Core verwandelten das Greenfield in ein Tollhaus – auch auf der zweiten Bühne war immer etwas los! Dort zeigten insbesondere Darkest Hour einen klasse Auftritt. Ein schneller, teils quirliger Mix aus Core- und Death-Elementen, geprägt durch melodische Riffs der oft dominanten Lead-Gitarre: Die Amerikaner waren für mich DIE Entdeckung des diesjährigen Greenfield Festivals!
Fotos Greenfield Festival 2015 – Tag 2 (Friedemann/pam)
Support the Future
Am Freitag und Samstag bekamen zudem auch zwei junge Schweizer Bands ihre Chance: Als Gewinner der im Vorfeld durchgeführten Contests konnten Progstone (Lausanne) und Blood Bound (Zürich) ihr Können im Rampenlicht des internationalen Festivals unter Beweis stellen. Eine wertvolle Möglichkeit für die beiden Nachwuchsbands, um auf Ihrem Weg wichtige Erfahrungen sammeln zu können, und es vielleicht Scream Your Name gleichzutun, welche vor 4 Jahren in derselben Position standen und dieses Jahr nun die Main Stage rocken durften!
Die beiden Bands hatten sich im Vorfeld gegen insgesamt knapp 200 Mitbewerber behaupten können und sich so ihren Platz im Billing des Festivals erkämpft. Unterstützt werden dieses und andere ausgewählte Projekte durch die Greenfield Foundation, welche im Jahr 2012 ins Leben gerufen wurde. Unter anderem wird jungen Schweizer Rockbands auch ein Tourbus für Auftritte im In- und Ausland gratis zur Verfügung gestellt.
Ganz nach dem Motto „Support the Future“ stellte die Foundation am diesjährigen Festival zum zweiten Mal der „Band Support Day“ auf die Beine. Während knapp 3 Stunden gaben Persönlichkeiten aus dem Musikbusiness – darunter beispielsweise die Booking-Verantwortlichen von Greenfield und Gurten-Festival – ihr Wissen weiter. Über 40 Teilnehmer folgten den beiden Podiumsdiskussionen zu Themen wie Booking, Livebusiness, Medien und Management mit Interesse; ein Beweis dafür, dass die Arbeiten und Bemühungen der Greenfield Foundation grossen Anklang finden!
Greenfield Festival: Quo vadis?
Trotz schlechtem Wetterbericht blieb es am diesjährigen Greenfield fast durchwegs trocken – die Veranstalter freuten sich sogar über die wohl besten Wetterbedingungen der letzten Jahre. Auch sonst zog man eine positive Bilanz, speziell in Bezug auf den musikalischen Bereich zeigte man sich sehr zufrieden.
Selbst die doch stark zurückgegangenen Besucherzahlen (minus 6’000 im Vergleich zu 2014) vermochten die Verantwortlichen nicht zu beunruhigen. Stephan Thanscheidt, seinerseits für das Booking am Greenfield verantwortlich, betonte, dass eine gewisse Schwankung für ein gestandenes Festival kein Problem sei. Speziell in diesem Jahr war unter anderem die aussergewöhnliche Konkurrenzsituation mit vielen Konzerten grosser Rockbands ein Grund für den Rückgang. Zudem sei die Sache mit dem Booking immer eine gewisse Glücksache – man werde „den Teufel tun“ sich dadurch anzuzweifeln, sondern sich Mühe geben, das Festival weiter zu konzeptionieren und besser zu machen.
Für mich erstaunlich ist dennoch, dass man das Fehlen grosser Bands wie beispielsweise Iron Maiden nicht mit vom Stil her ähnlichen Bands zu kompensieren versucht hat. Während Motörhead zwar unzweifelhaft zu den Highlights zählten, aber bei der diesjährigen musikalischen Ausrichtung nicht als Zuschauermagnet wirken konnten, vertraten Powerwolf und In Flames die (stark ausgedehnte) Sparte des Heavy Metals im Alleingang. Power-, Thrash-, Death-, Black-, oder Pagan-Metal kamen deutlich zu kurz – und gerade dass keine einzige Band aus den letztgenannten Bereichen verpflichten werden konnte (oder wollte) stösst bei mir auf Unverständnis, würde sich doch der in diesem Jahr erstmalig organisierte Mittelaltermarkt speziell an Anhänger dieser Subgenres richten. Stattdessen versucht man mit weiteren Attraktionen (Fun-Park, Sponsoren-Stände mit Aktivitäten wie Beach Volley, Ping-Pong u.a.) es abseits der Bühnen allen recht zu machen – ohne das Konzept mit dem musikalischen Angebot in Einklang zu bringen. Dadurch entsteht meiner Meinung nach die Gefahr eines Identitätsverlustes: Mit einer solchen Strategie kämpft das Greenfield Festival nicht um Metal- und Hardrock-Fans, sondern konkurriert mit anderen grossen Schweizer Anlässen um die breite Masse der „Mainstream-Festivalgänger“. Definitiv eine Entwicklung, die so nicht meinem Geschmack entspricht.
Dennoch bleibt natürlich hervorzuheben, dass das diesjährige Greenfield in vielerlei Hinsicht absolut zu überzeugen vermochte. Sämtliche Auftritte gingen reibungslos über die Bühne – mit Ausnahme von Eagles of Death Metal, welche ihren Auftritt wegen Problemen mit dem Tourbus leider absagen mussten. Dass diese dann immerhin fürs Abendessen noch aufgetaucht sind, spricht definitiv für das Festival als solches und im Besonderen für das beliebte Backstage-Catering, für welches sich einmal mehr René Schudel verantwortlich zeigte. Auch für das Wohl der Fans wurde alles vorbildlich organisiert: Vom fast durchgehend verfügbaren Shuttlebus in die Stadt, über eine unglaublich breite Auswahl von Verpflegung- und Einkaufsmöglichkeiten (erstmals mit veganen Angeboten) bis zur perfekten Inszenierung der einzelnen Shows (inklusive sensationeller Video-Aufnahmen!) zeigte man sich in Interlaken von seiner besten Seite! Dementsprechend darf man sich jetzt schon auf die nächste Durchführung freuen – und wie gesagt: Zwei oder drei Anpassungen im Billing dürften unter Umständen bereits reichen, um die Zuschauerzahlen wieder auf die Werte der vergangenen Jahre zu bringen!