Es ist September. Die konzertmässige Herbstsaison haben Powerwolf am Tag zuvor im Z7 eingeläutet. Und jetzt steht doch tatsächlich nochmals ein Open Air auf meinem Terminplan… Ich grabe mal warme Klamotten raus, denn Temperaturen wie im Juli sind leider nicht zu erwarten…
Tennwil: eine kleine Ortschaft im Aargauer Seetal. Aber in diesem Nest gibt’s seit ein paar Jahren ein kleines und feines Rockfestival. Nachdem zu Beginn der Fokus auf heimisches Schaffen gelegt wurde, ist vor zwei Jahren mit Masterplan das erste Mal eine international nicht unbekannte Band aufgetreten. Mit Serenity und Devil’s Train legten die Veranstalter letztes Jahr noch eine Schippe nach. 2015 wurde das Festival jetzt vom Mai also auf das erste Wochenende im September geschoben – und mit Brainstorm und Mystic Prophecy konnten zwei richtige Power Metal Schwergewichte verpflichtet werden. Grund genug für einen Trip in den Aargau…
Es ist bereits nach 19 Uhr, als ich mich auf den Weg mache. Dank Freitagabend Feierabendverkehr dauert’s eine gefühlte Ewigkeit, bis ich endlich in Tennwil eintreffe. Auf der Bühne sind zu diesem Zeitpunkt die Süddeutschen 20 Dark Seven an der Arbeit. Guter, solider Hardrock, und da kommt die Coverversion von Ozzy Osbourne’s „Shot in the Dark“ gerade recht. Das leider eher spärlich anwesende Publikum hat ebenfalls Freude daran und fordert lautstark nach Zugaben. Und die Jungs packen mit „Rock n’Roll“ von Led Zeppelin nochmals ein saugeil gespieltes Cover aus, welches vor allem den älteren Zuschauern ein Grinsen ins Gesicht zaubert. Wieder mal eine Band, deren Namen ich mir merken sollte…!
Zeit für einen Rundgang. Das Gelände ist eine Wiese, die wohl zu einem Bauernhof gehört, leicht erhöht, sodass man einen schönen Blick auf die Bühne hat. Es gibt ein grosses Zelt mit Bar, ein paar Verkaufsstände und sogar ein Open Air Tattoo Studio. Hungern muss man auch nicht, ein grosser Grillwagen sowie ein Stand mit Thai Food bieten eine nette Auswahl. Auch die Preise sind mehrheitlich äussert fair – ich hab jedenfalls noch nirgends ein Konzert oder Festival gesehen, wo ein Becher Mineralwasser läppische zwei Franken kostet! Chapeau!
Die Bühne ist eher klein, aber natürlich ausreichend für ein Festival dieser Grösse. Als Fotograf habe ich allerdings absolut keine Freude an der „Lightshow“: mindestens zwei Dutzend Spots und Scheinwerfer spenden Licht vom hinteren Teil der Bühne, während die Bands von gerade mal sechs Lichtern frontal beleuchtet werden. Das gibt fürs Publikum zwar coole Effekte, ist aber für gute Bilder nun ja: suboptimal.
Mittlerweile ist es Zeit für die nächste Band: DGM aus Italien. Ui… das ist diese Art progressiver Metal, wie ihn wohl Dream Theater auch spielen. Schlicht und einfach nicht meine Baustelle… Man muss zugeben, dass die Band jedoch eine stattliche Anzahl Fans hat und dementsprechend gefeiert wird.
Naja – meine Wenigkeit ist latürnich vor allem wegen einer Band hier: Brainstorm! Die Schwaben sind ein Garant für feinste Unterhaltung. Ich erinnere mich nur zu gerne an den grandiosen Auftritt beim Ice Rock Festival oder auch als Support beim Sabaton Open Air im Z7. Heute ist also wieder einmal ein Headliner Auftritt angesagt und ich nehm’s vorweg: diese Show wird legendär!
Es ist weit nach 23 Uhr, als Andy, Todde, Milan, Toni und Dieter die Bühne betreten. Todde hat bereits was zu trinken dabei (sieht nach Rotwein aus) und der Fünfer scheint bester Laune zu sein. Andy bestätigt recht rasch den Eindruck, den man sofort hat: die Jungs haben backstage anscheinend bereits etwas gegen den gröbsten Durst unternommen…
Mit „Highs without lows“ und „Worlds are coming through“ legen die Schwaben zügig los, bevor mit „Hollow Hideaway“ der erste Oldie an der Reihe ist. Während Gitarrist Todde eine Flasche Weisswein öffnet, macht Fronter Andy B. Franck Ansagen, bei denen gar Oberschnorri Tobi Sammet neidisch würde. In der Schweiz wurden so mittlerweile wahlweise 36 oder über 80 Millionen Schallplatten verkauft (die Zahl steigert sich überproportional mit dem Getränkekonsum…).
Das Publikum braucht zwischendurch dafür eine Aufmunterung, um „Shiva’s Tears“ richtig zu würdigen. Andy’s Pegelstand merkt man ihm an, als er „Erased by the Fire“ ankündigt. Der Song heisst zwar „Erased by the Dark“, aber ausser den Tüpflischiisser wie ich einer bin, hat das wohl kaum einer realisiert… Mit „Recall the Real“ folgte ein absolutes Highlight, einer der besten Songs vom aktuellen Album „Firesoul“. „Falling spiral down“ und „Entering Solitude“ waren kaum schwächer und bei der Frage nach den Singkünsten lassen sich die Fans nicht lange bitten und stimmen subito „All those Words“ an!
Die Musiker sind sichtlich beeindruckt und erklären, dass „vor zwei Wochen 5‘000 Schweden auch nach mehrmaligem Erklären kaum wussten, was sie singen sollten!“ Der Song selbst ist natürlich auch hier ein grossartiger Stimmungsmacher und das Publikum wird nicht müde, minutenlang weiter zu singen. Heiss geht’s weiter mit dem Titeltrack der aktuellen Scheibe und direkt danach gibt’s „Fire walk with me“. Mittlerweile ist einer der Organisatoren aufgetaucht und bringt sechs gefüllte Schnapsgläser. Keine Ahnung, was da drin ist, sieht zwar aus wie Bailey’s – aber ich nehme an, dass es eine andere Marke ist. Anyway: Andy schnappt sich drei Gläser und bedauert danach, dass jetzt einer von der Band leer ausgehen muss – und er selbst noch gar nichts hatte…! Das göttliche „…and I wonder“ verursacht Gänsehaut und beim abschliessenden „How do you feel“ folgt die nächste Ladung Schnaps. Dies nachdem Todde mal grinsend meinte „Herr Veranstalter – wir haben leer…!“
Todde – der längstens an der zweiten Weinflasche hängt – und vor allem Andy merkt man an, dass sie nicht mehr ganz so nüchtern sind. Der Sänger versorgt seine Mitstreiter Toni und Milan mit Shots, während Todde den Weisswein auch mal dem Dieter hinter den Drums weiterreicht. Angetätscht oder nicht: auf jeden Fall haben die Jungs mächtig Spass! Andy könnte hier fast als Comedian durchgehen. Dass er bei der letzten Zugabe „Shiver“ kaum mehr singen kann infolge Lachanfall, verzeiht man heute Abend gerne. Und der Veranstalter steht auch schon wieder mit gefüllten Gläsern vor der Bühne…
Zum Vergleich: Brainstorm spielen heute die gleichen 16 Songs wie im Januar am Ice Rock Festival (wenn auch in anderer Reihenfolge). Damals brauchten sie dafür etwa 90 Minuten. Hier ist nach etwa 110 Minuten Schluss! Andy packt heute den Vielredner Tobi in die linke und das schwedische Pendant Joakim in die rechte Westentasche…
Schlussendlich darf man sagen: wohl nicht die beste Show von Brainstorm (Ice Rock toppen ist fast nicht möglich!), aber mit Sicherheit die lustigste! Band hat Spass, Publikum hat Spass – passt!
Und so mache ich mich mit einem Grinsen auf den Stockzähnen auf den Heimweg…
Da ich auch den Samstag im Büro verweile, startet die Anreise erneut erst abends. Heute dank Unfall und dementsprechendem Stau im Limmattal noch eine Viertelstunde verlängert…
In Tennwil sieht’s nach Regen aus und ich hab schon die Befürchtung, dass sich der Parkplatz noch in einen Acker verwandeln könnte. Ausser ein paar Tropfen bleibt’s jedoch glücklicherweise bis zum Schluss trocken. Unterwegs zum Gelände höre ich bereits „Another one bites the Dust“ – stimmt: das müssten die Killer Kings sein, eine Queen Coverband. Also rasch vor die Bühne – und staunen! Da stehen mindestens zwei Herren, die mir bekannt vorkommen…? Ah ja: das ist der Österreichische Sänger von Serenity mit seinem italienischen Gitarristen. Ah – und die covern jetzt Queen? Speziell: Georg Neuhauser läuft auf der Bühne mit (fast) der gleichen Jacke rum wie bei seiner Stammband. Nun ja…
Queen covern ist wohl nicht der einfachste Job auf dieser Welt. Und wenn man sowas macht, dann sollte man dieser Aufgabe gewachsen sein. Die Killer Kings sind dies nur bedingt. Einige Songs tönen recht annehmbar, bei anderen würde sich Freddie wohl im Grab umdrehen, wenn er die hören würde. Tönt jetzt hart, sorry… und ich gebe zu, dass wohl nicht alle meine Meinung teilen würden. Aber vielleicht haben die Leute auch einfach nur den Plausch daran, bekannte Hits zu hören, ohne allzu sehr auf die Details zu achten. Denn trotz durchzogenem Auftritt kriegen die Killer Könige anständig Applaus. Ich wäre hingegen froh, wenn in diesem Slot die Belgier Fireforce gespielt hätten, das wäre eher meine Baustelle gewesen…
Als Co-Headliner stehen jetzt die Schweizer Stoneman auf dem Programm. Zugegeben: ich hab den Namen nie zuvor gehört. Ich zitiere von der Homepage:
„STONEMAN ist einschmeichelnder Düsterpop oszilliert zwischen kapriziösem Gothic und chromglänzenden Metalriffs. Bittersüsse Melodien treffen auf brachiale Härte, und dies in einer selten so kompakten und den Ohren schmeichelnden Qualität.“
Also ab vor die Bühne, reinhören schadet nie. Aber oh Schreck: was da aus den Boxen dröhnt, ist irgendeine Art Rammstein Verschnitt. Von „bittersüssen Melodien“ kann ich nichts feststellen, unter „Gothic“ verstehe ich was anderes und von „einschmeichelnder Düsterpop“ höre ich nichts. Kurz: Stoneman entsprechen total dem Gegenteil von dem, was meine Ohren aushalten. Die einzige Ablenkung ist ein Schnitzel mit Pommes Frites, aber die Ohrstöpsel bleiben auch beim Essen drin… In der Bar läuft derweil das Fussballspiel Schweiz – Slowenien. Es steht 0-2 in der 65sten Minute. Also auch nix, was man unbedingt weiter schauen muss. Also wieder raus für eine Runde Smalltalk… In der Zwischenzeit gewinnt die Schweiz das Spiel noch…
Nach den gestrigen Brainstorm ist auch der heutige Headliner den Power Metal Fans sicher ein Begriff: Mystic Prophecy kennen viele wohl noch aus Zeiten, als Gitarrenvirtuose Gus G. mit dabei war. Der ist allerdings längstens weg und spielt heute bei Ozzy Osbourne. Die Allgäuer treten heute nur zu viert auf, denn Basser musste aus gesundheitlichen Gründen passen.
Fronter R.D. Liapakis und seine Mannen lassen dennoch nichts anbrennen und starten mit „Kill the Beast“ ein knapp neunzig minütiges Power Metal Feuerwerk. Mit „Savage Souls“ folgt bereits ein Klassiker und kurz darauf der Titelsong des aktuellen Albums „Killhammer“. Die Band sprüht vor Spielfreude, das Publikum dankt es ihnen mit grossem Applaus.
Die Setlist bleibt abwechslungsreich: nach dem ältesten Song „Lords of Pain“ folgt mit „Hate Black“ ein erstklassiger Headbanger – und im direkten Anschluss gibt’s mit „We kill! You die!“ den wohl schnellsten Song des Tages. Und im Publikum werden die Matten geschüttelt und es wird mitgeschrien – wohl nicht nur meine Stimme ist am nächsten Tag komplett dahin…
Nach dem schnellen „Evil Empires“ verschwindet der Vierer das erste Mal von der Bühne. Doch nicht für lange: mit dem göttlichen „Ravenlord“ haben Mystic Prophecy noch ein Ass im Ärmel! Und als Abschluss gibt’s mit „Paranoid“ noch ein Cover, welches zwar auch frenetisch gefeiert wird (und wirklich gut gespielt ist!), aber ich hätte lieber noch den einen oder anderen „eigenen“ Song gehört.
Die Fans überschütten die Band mit Jubel, sodass es nach dem Abschlussfoto sogar noch eine weitere Zugabe gibt. Lia fragt, welchen Song es denn sein darf. Auf den Ruf „Fireangel“ meint er jedoch grinsend, dass der längstens gestorben sei… Die Auswahl beschränkt sich somit auf jene Songs, die heute auf der Setlist stehen, und das Publikum entscheidet sich dafür, dass es nochmal RICHTIG eins auf die Rübe geben soll: „We Kill! You Die!“ wird somit der Abschluss eines coolen Konzertes.
Was bleibt als Rückblick? Die Rocknacht in Tennwil ist ein schnuckliges, nettes Festival. Gut gelegen, prima organisiert, genügend Platz gibt’s ebenfalls. Eigentlich zu viel Platz – denn ein paar Zuschauer mehr wären grundsätzlich sicher wünschenswert! Allerdings: September ist keine Open Air Zeit. Auch wenn’s schlussendlich nicht geregnet hat: es wurde schon recht kühl am späteren Abend… Aber wenn das Billing stimmt, werde ich auch nächstes Jahr einen Besuch hier in Betracht ziehen!