Ich hab ein Déja-vu. Vor ein, zwei Jahren bin ich schon mal gefühlt endlos aber gemütlich für ein Festival durchs Entlebuch und dann Emmental gefahren. Die Anfahrt an für sich ist dann schon ein Highlight. Man pendelt sich so schön in die Berner Gemütlichkeit, bevor es soundmässig so richtig räbblet und fertig ist mit wiederkauenden Kühen auf fetten grünen Wiesen und am Strassenrand wartende Igel.
Da sind wir also, nach immer kleiner werdenden Strassen bis wir schlussendlich auf einem Feldweg landen. Auf der Wiese wird parkiert und kurz darauf treten wir durchs Tor in die Welt von Excelsis. Dort werden wir von diversen Feuerstellen, Zelten, einer Schüür und zwei Bühnen empfangen. Ich notiere mir im grossen Zelt, wo die Hauptbühne drin ist, noch so, dass Excelsis – die ihr Festial mit anderen „Chrampfer Sieche“ selber organisiert und auch aufgestellt haben, was es aufzustellen gab – keine Mühen scheuten. Holzschnitzel belegen den Festzeltboden, so dass man ganz bequem steht und das Bühnenbild passt perfekt zum Konzept der neusten Scheibe „Tod u Vergäutig“, welche auf dem Jeremias Gotthelf Roman „Die schwarze Spinne“ basiert. Später erfahren wir, dass das Zelt immer da steht und für eben solche Anlässe von einem findigen Bauer gemietet werden kann. Und das wir hier im Middle of Nowhere sind – wo man scheinbar noch Drachen tötet (diese Barbaren) – beweist der Umstand, dass es hier noch keinen Strom gibt. Also den gibts natürlich schon, sonst wären wir ja jetzt alle mit einer Fackel in der Hand den akustischen Klängen der 15 Bands am lauschen. Dass dem nicht so ist, verdanken wir gemäss der netten Reiniungskraft auf der Damentoilette dem Trakor des Bauern, der munter vor sich hin tuckert, damit es auch ganz schön aus Boxen dröhnt. Schöne Geschichte. Das passt doch zu einem Festival einer Band, die selber Geschichten mit genialem Soundtrack erzählt.
Kurz: Einen besseren Ort um ihr 20 jähriges Bestehen zu zelebrieren, gibt es für die Ämmitaler Drachetöter wohl nicht.
Leider konnten wir am Freitag, dem ersten Festival-Tag, nicht dabei sein. Und auch am Samstag schaffen wir es erst so gegen halb neun in das gotthelfsche Paradies – dafür waren unsere Fotografen beide Tage fleissig und haben in Bildern dokumentiert, was man in Worten sowieso nie so hinkriegt.
Wir sind jetzt also gerade noch rechtzeitig für eines der Festivalhighlights angekommen: Pertness. Die schottenrocktragende Folk-Metal-Kapelle mit ihrem Swiss Highland Metal liefert einen starken Auftritt in dem gut einem Drittel bis zur Hälfte gefüllten Festzelt. Gute Songs und Live-Erfahrung sind die Basis dazu. Das Publikum nimmt es mit entsprechender Gemütlichkeit wohlwollend an. Man spürt schnell, heute sind die gesetzteren Geniesser vor Ort. Das Durchschnittsalter klar über 30. Wer also Pogo oder sonstige Folk-Tänze wie Circle Pits erwartet, der wird heute sicher enttäuscht. Es ist mehr ein Stelldichein etablierter Bands des Genres zu Ehren Folk-Metal-Pioniere Excelsis.
Nach einem feinen Burger in der Scheune schauen wir kurz bei der kleinen Bühne im halboffenen Zelt vorbei. Dort spielen grad Tir Awen. Eine ganz spezielle Kombo, welche Gross-Stadt-Strassenmusik-Flair ins beschauliche Niederösch bringt. Die sechsköpfige Truppe zeigt eindrücklich, was Mulitinstrumentalisten sind. So bedient der eine zum Beispiel gleichzeitig Gitarre, Bassdrum, Schellen und Didgeridoos (!). Ergänzt wird er durch Kontrabass, Geige, Flöten, Piano/Akkordeon und Gesang. Das beste dabei – nachdem man mal alle gleichzeitig eingesetzten Instrument mit Staunen entdeckt hat – es hört sich auch noch gut an. Definitiv auch eine Band, die man sich gerne wieder mal an anderer Stätte – zum Beispiel an einem Mittelalterfest – anhört.
Aber bald ist schon Zeit für das Highlight und der Grund des Festivals: Excelsis. Ich glaub, ich hab schon oft genug erwähnt, dass es sich hier um die wahren Folk-Metal-Pioniere handelt – zuletzt grad ein paar Zeilen weiter oben. Wer sprach 1995 den schon von Folk-Metal? Ich behaupte mal, der grösste Teil der Metalschar konnte sich – grad zu Grunge- und späteren Nu-Metal-Zeiten – wohl kaum vorstellen, dass wir mal zu Metal ergänzt mit Geflötle, Geigen, Leiern, Dudelsack und im Fall von Excelsis sogar Bäsechlopfe und Fünfliber-Schwingen abgehen werden? Man kannte es vielleicht ein bisschen von den Irish-Bands, aber im Metal?
Und da gab es also die paar Emmentaler, die genau auf dieses Konzept setzten. Sie bewiesen damit wohl so viel Mut wie früher die Drachentöter. Drum werden sie ja wohl auch Emmentaler Drachentöter genannt. OK, das ist jetzt meine Version dieser Namensbeigebung. Dazu gibt es eine andere Geschichte in den gängigen Wikis und offziellen Bandbiographien. Aber eine Version die aus meiner Sicht durchaus auch glaubwürdig ist.
Einenweg, mit mehreren Konzeptalben zur Schweizer Geschichte haben sie sich über die Jahre in der bald auch existierenden Szene etabliert. Und waren immer schön fleissig mit neuen Alben und natürlich auch Live-Auftritten abliefern. Und genau dieser Pioniertat und konstant guten Outputs über die letzten 20 Jahre zollen wir heute abend Respekt und sind nach Niederösch City gepilgert.
Trotz aller Routine scheint es für die Band – die heute gleichzeitig ihre neueste CD (siehe Link unten für Review) taufen wird – nicht ein gewohnter Auftritt zu sein. Eine gewissen Nervösität liegt in der Luft, die vor allem der charismatische Kopf der Band – Münggü – nicht ganz verbergen kann. Aber damit holt er und seine Mitstreiter sich nur noch weitere Sympathiepunkte ab. Erfahrung ja, kaltblütige Routine nein.
Das Festzelt ist jetzt gut gefühlt, aber es hat immer noch genügend Platz für jeden, dass es auch ganz gemütlich bleibt. Einzig mein Standplatz grad neben dem Heizgebläse bringt mich ins Schwitzen. Gut, hätte mich auch umplatzieren können, aber man bleibt ja gemütlich wenns schon so gemütlich ist und bin damit auch solidarisch gegenüber Münggu, dem der Schweiss im Gesicht nur so runterläuft. Die Heizung hätte es aber spätestens ab jetzt nicht mehr gebraucht – jetzt wo Excelsis die Bühne betreten und sich mit uns auf die Reise ihrer über 20jährigen Geschichte begeben. Und eigentlich gehts ja aus Tradition bei deren Konzeptalben noch weiter zurück in die Schweizer Geschichte von Tell bis zu Gotthelfs Zeiten. Und entsprechend dem neuen Album basierend auf dem bereits erwähnten Roman Gotthelfs – Die schwarze Spinne – ist auch das Bühnebild aufwendig in 3D gehalten. Ausgelehnt wurde das „Dorf“ scheins von einem Theater irgendwo in der Gegend. Quelle dieser Aussage ist wieder das nette Fräulein der Damentoiletten-Reiniungs-Truppe. Und ziemlich prominent steht auf der Bühne der Balken eines Hauses, wo gemäss dem Roman die böse Spinne eingesperrt werden soll. Dazu mehr später.
Schon nach nach den ersten Tönen und Minuten weiss ich bereits wieder, warum ich hier stehe, warum wir Excelsis für die nächste „Metal Masters powered by Metalinside.ch“ (siehe Link unten) engagiert haben. Ab Konserve hört sich die Truppe schon ganz, ganz gut an. Aber Excelsis muss man sich live gönnen. Da kommen die Songs noch besser und eben auch die Ausstrahlung von Münggu. Excelsis sind eine Band und jeder der Band bringt seinen Anteil und macht seine Sache sehr gut. Somit ist das nicht abwertend gegen die anderen Jungs gemeint, aber Münggu ist eine Ausnahmeerscheinung die es in jeder Band braucht, wenn sie über 20 Jahre erfolgreich bestehen will.
Schon fast ironisch fragt uns Münggu zwischen zwei Songs, ob wir Eluveitie kennen. Die Schweizer Band, die den Folk Metal gross gemacht habe. Das mag sein, aber geschwängert wurde die Folk Metal Lady von Excelsis. Somit schon speziell, wenn sich dann die Pioniere Eluveitie als Referenz nehmen. Aber was uns Münggu weiter mitteilen will: „Miär hend male gseid, wemür male i de Hitparade sind, dänn hörüd miär uf mit derä Musig. Miär sind ez mit em nüe Album uf Platz 39 glandet.“
Was will er uns damit mitteilen? Das sie wegen dem Hype um Elu jetzt in derem Sog auch eben in dieser Hitparade gelandet sind und zum Mainstream zählen? Ich glaube nicht. Und wenn dann, haben sie es verdient und es ist inzwischen schon fast Usanz, dass Metal in der Hitparade landet. Vor allem deswegen, weil Metalheads noch die letzten Mohikaner sind, die auch noch CDs kaufen. Also, ohne den verdienten Erfolg von Excelsis zu schmälern, aber man ist sicher noch weit davon entfernt, von Kommerz und Ausverkauf zu reden. Oder hat jemand von euch schon mal die Jungs im Standardradioprogramm gehört? Spätestens, wenn sie auf einem Bravo Hits Sampler landen, dann könnte man das Thema wieder aufgreifen.
Aber zurück ins Emmental. 20 Jahre ist eine lange Zeit. Und wer rechnet, der weiss, dass auch ein Münggu nicht mehr in den 20ern steckt. So kommt er auch kräftig ausser Atem bei der einen oder anderen Nummer. Die Songs von Excelsis zeichnen sich auch durch einen hohen Anteil an Gesang aus und dies dann meist zweisprachig – abwechselnd zwischen Schweizerdeutsch und Englisch. Dem Trademark von Excelsis. Wieder mal nach Luft ringend – ganz so schlimm war es nicht – schaut mich Münggu ins Publikum blickend an und sagt: „Pam ich wirdä alt.“ Dem Widerspreche ich – OK, alt werden tun wir alle – aber gewisse Leute wie eben Münggu reifen und werden nicht einfach alt, sondern immer besser und grösser, so dass man gerne zu solchen Leuten hochschaut.
Während ich da so dahinerzähle, sind wir inzwischen bei der Mitte des Sets angelangt, als eine künstliches Gewitter mit Blitz und Donner die Bühne erschüttert. Dicker Nebel kommt auf. Die Emmentaler Drachentöter – die kurz zuvor die Bühne zum ersten Mal verlassen hatten – erscheinen jetzt in ihrer Bauernkrieger-Kutten. Es spritzt Blut, als sie die übergrosse schwarze Spinne töten bzw. eigentlich in den vorher erwähnten Holzbalken verbannen. Gleichzeitig erleben wir die Geburt des neuen Albums – wurde sie der Spinne aus dem Bauch herausgeschnitten? Das bleibt wohl eines der kleinen Geheimnisse des Drehbuchschreibers und der ersten Reihe. Der Holzbalken wird dann von den Emmentaler Drachen- bzw. Spinnentötern durchs Publikum getragen und schliesslich mitten in diesem auf dem Boden deponiert. Nichts für Leute mit Spinnenphobie.
Weiter gehts nach dieser kommentarlosen, dafür umso eindrücklicheren CD-Taufe mit „Mir Kämpfe“. Da verkäckt Roli seinen Einsatz. Münggu gibt ihm den Hinweis: „Miär Kämpfe isch s’Siebni“ und kann sich dabei sein Markenzeichen, das schiefe Rocky-Schmunzeln nicht verkneifen.
Ganz episch – der obligate Hühnerhaut-Moment – wirds bei „Chrieger“. Dudelsack und Bäsekchlopfe sorgen dafür, aber auch die mitsingenden Fans tragen das ihrige dazubei. Ganz grosses Folk-Metal-Kino.
Und das alles immer ganz nahbar ohne irgendwelche Allüren oder so. Beispiel gefällig, welches die sympathischen Jungs nicht besser beschreiben könnte? Als bei Münggu sich der Mikrofonständer ständig selbstständig macht, erbarmt sich ein „Roadie“ und fixt diesen wie mit Geisterhand. Dafür gibts von Münggu ein fettes Müntschi auf die Backe.
So könnte es ewig gehen – also mit dem Konzert und nicht dem Geknutsche auf der Bühne, aber irgendwann kommen auch wir hier zum Ende. Der Balken mit der Spinne drin wird zum letzten Mal von den fünf Kapuzenträgern aus dem Emmental weggetragen. Doch aufgrund motivierenden Zurufen und Beifallskundgebungen kommen sie nochmals zurück und lassen das Publikum mittels Lärm machen drüber abstimmen, ob es als Zugabe „Wyssi Bärge“ oder „Annabäbeli“ gibt. Schon fast voraussehbar, dass hier Letzterer Uralt-Song der Drachentöter gewinnt. Doch wahrscheinlich weil „Wyssi Bärge“ fix auf der Setliste steht und es sich ja auch um einen neuen Song handelt – und vielleicht auch weil es grad so schön ist, zur Stimmung passt – erhalten wir dann beide Songs als Zugaben. Und klar, dass es bei Annabäbäeli nochmals richtig fröhlich abgeht. Mit einem Refrain wie „Annabäbeli, gäll du ziesch mr nid am Schnäbeli“ kann ja nichts schiefgehen und das sagt sich wohl auch Pertness, die bei diesem Live-Fun-Klassiker mit auf die Bühne kommen und eifrig den lustigen Text mitsingen und so auch ihren Spass haben.
So, das wars. Jetzt ist definitiv fertig mit der Jubi-Sause – zumindest für uns. Es gibt noch ein, zwei weitere Bands auf der Running Order und sicher feiert der eine oder andere noch etwas länger, da wir jedoch am nächsten Tag frühmorgens ein paar Tage in die Ferien fahren, gönnen wir uns – und ich mir bereits auf der Heimfahrt – eine Kapuze voll schlaf. Und mit einem Lächeln im Gesicht erinnern wir uns auf einen weiteren gemütlichen Abend mit den Excelsis Jungs und freuen uns auf deren Besuch an den Metal Masters Vol. II. Hauuuuuu.