Die Götter des Symphonic-Metals
Imperial Age
(Raphi): Für einmal hat es sich ausgezahlt, pünktlich zur Türöffnung des Z7 zu erscheinen. Auch wenn dies bei einer Zeit von 18:30 Uhr an einem Mittwoch nicht ganz ohne Aufwand machbar war. Aber ansonsten hätten wir Imperial Age aus Moskau verpasst, die gerade einmal 15 Minuten nach Entriegelung der Türen und somit eine Viertelstunde vor dem eigentlich angesetzten Konzertbeginn auf der Bühne loslegten. Unter diesen Umständen war die Halle natürlich so gut wie leer und wir hatten die Ehre, gleichzeitig in der zweiten und in der letzten Reihe zu stehen. Insgesamt waren knapp 25 Zuschauer anwesend, als das symphonische Intro erklang und kurz darauf die vier Herren und zwei Damen dem Bandnamen entsprechend opulent gekleidet begannen, die Halle mit Symphonic Metal aufzuwärmen.
Sehr positiv fiel dabei der Umstand auf, dass die Truppe gesangstechnisch gleich eine geballte Dreierpackung auffuhr. So wurde Sopran-Sängerin Alexandra häufig begleitet von Keyboarderin Corn und Mastermind Aor steuerte dazu noch männliche Vocals bei. Das ergab vor allem in den Refrains einen tollen Chor und es war schön, dass dieser auch fast ohne Samples druckvoll und überzeugend klang. Viel Unterstützung vom Band war trotz bombastischem Sound vermutlich sowieso nicht nötig, denn Aor war als zweiter (oder erster) Keyboarder tätig. Mit nur einem Gitarristen im Line-Up trat die Gitarre etwas in den Hintergrund, aber von der dargebotenen Musik her war das in Ordnung.
Das Sextett gab sich trotz der spärlichen Anzahl Besucher (mittlerweile auf 50 Nasen angewachsen) beträchtliche Mühe, die vorhandenen Zuhörer in Stimmung zu bringen. Keine leichte Aufgabe aber Bandoberhaupt Aor erklärte uns nach dem Konzert guter Dinge: „Es ist doch grossartig hier sein zu können. Besser zu früh auftreten müssen, als gar nicht!“. Alles in allem ein sehr sympathischer und auch musikalisch überaus gelungener Einstieg in den heutigen Abend. Jetzt waren wir aber gespannt auf den Auftritt von Ego Fall (oder wie sie sich auf Chinesisch nennen 颠覆M).
Ego Fall
(Raphi) Die Band aus der Inneren Mongolei (das ist der Teil der Mongolei, welcher zur Volksrepublik China gehört) ist zum ersten Mal seit ihrer Gründung vor 15 Jahren auf Europatournee und dieser Auftritt stellt somit ihre Premiere in der Schweiz dar. Ehrlich gesagt, hegte ich im Vorfeld keine allzu grossen Erwartungen an den Auftritt obwohl mich der Folk Metalcore der Truppe auf ihren Alben bisher immer begeistert hatte. Vielleicht weil absehbar war, dass doch einiges der diversen asiatischen Folkinstrumente ab Band kommen würde, vielleicht weil die Band hierzulande so unbekannt ist. Ich sollte jedoch eines besseren belehrt werden.
Die folkigen Klänge des Intros wurden live (!) von Bassist Chao Luomeng auf einer Morin Khuur (asiatisches Cello) gespielt und von ihm mit Ober- und Untertongesang begleitet. Das war eine sackstarke Einleitung, die einen direkt mitnahm in die Weiten des mongolischen Graslands. Als sich dann beim ersten Song die ganze Band präsentierte (in golden verzierte lange Gewänder gehüllt), war ihnen die Freude am Auftreten richtig anzusehen und diese Energie übertrug sich auch praktisch sofort auf ihr Spiel und ihre Musik. Dabei kamen die Folkinstrumente tatsächlich ab Band, da A Heicha, der für die Samples verantwortlich ist, nicht mit von der Partie war.
Dies tat aber der guten Stimmung keinen Abbruch und alle Bandmitglieder nahmen immer wieder den Kontakt mit dem Publikum auf, was die Freude an diesem Konzert so richtig von der Bühne in den Zuschauerraum schwappen liess. Leadsänger Yu Chao versprühte während seiner kurzen Ansagen eine spürbare Begeisterung auch wenn wir aufgrund seines Englisch etwas genauer hinhören mussten, um alles zu verstehen. Auf jeden Fall hatten sie vor, uns gedanklich auf eine Reise in die mongolische Steppe zu führen und das ist ihnen sicher gelungen. Die dazu gespielten Songs aus allen drei bisher erschienen Alben werden mit ihrem Mix aus Metalcore und asiatischem Folk Metal vielen Zuhörern (mittlerweile doch etwas mehr) ganz bestimmt als positive Entdeckung in Erinnerung bleiben.
Luciferian Light Orchestra (LLO)
(pam) Luciferian Light Orchestra (LLO) ist ein weiteres Projekt von Therion’s Mastermind und unermüdlichem Schaffer Christofer Johnsson. Die Band hatte Anfang 2015 ihr Debut herausgebraucht, welches mehr oder weniger Therion im Stile der 70er Jahre repräsentiert. Gemäss Christofer handelt es sich Songs, welche sich über die Jahre angesammelt haben und für Therion zu 70er waren.
Es ist irgendwo zwischen Black Sabbath der 70er und Therion der 90er anzusiedeln. Also wie ich persönlich finde, sehr geil. Es lohnt sich, sich die Scheibe mal zu Gemüte zu führen. Umso gespannter bin ich, was mich heute Live von denen erwartet. Gleich zu Anfang gibt’s eine kleine Überraschung. Christofer scheint sich nicht unter den maskierten Musikern zu finden. Figurmässig passt keiner. Ich habe eigentlich damit gerechnet, ihn heute zwei Mal auf der Bühne zu sehen. Aber ich denke zwei Stunden Therion sind auch nicht ganz ohne.
Wer auch immer hinter den Masken steckt – online findet man praktisch keine Infos zur LLO Live-Formation – Christofer hat auf jeden Fall wieder Mal ein gutes Händchen bewiesen, begnadete Musiker zusammen zu trommeln. LLO hört sich an, wie ab CD. Also perfekt und doch mit einer guten Prise Retro – wenn diese auch etwas weniger ausgeprägt ist, als ab Konserve.
Auch die Dame am Mik, die sich mit guter Figur geschickt weiss, lasziv an die männlichen Kollegen zu schmeissen und so das Publikum so richtig heiss zu machen, bringt die Stimme wie erhofft perfekt rüber. Damit es nicht ausartet, strahlt sich dabei auch eine kühle Distanz zum Publikum aus. Guter Mix zwischen guter Stimme, ein kleiner Hauch von Erotik und kühler Exotik.
Wenn wir schon beim Mik sind, auch die Stimmen der drei Jungs an den Äxten sind nicht zu verachten. Da fragt man sich wieder Mal, wo Chris immer wieder so Hammermusiker und -Stimmen auspackt. Der wohl beste Scout im Metal!
Ich find, was vom bestem Neuen seit längerem im Symphonic Metal. Nach knapp 40 Minuten ist der Genuss – von dem leider wieder Mal viel zu wenig was haben – vorbei.
Therion
Doch jetzt gehört die Bühne und so eigentlich der Thron den Göttern und den Begründern – meiner Meinung nach immer noch weit unangefochtenen Meister – des bombastischen, progressiven Symphonic-/Opera-Metals. Dabei wie immer in den letzten Jahren mitten drin im Steampunk-Kostüm der absolute Meister, Kopf und Herz von Therion: Christofer Johnsson. Und schon der erste Ton bestätigt meine obigen Zeilen. Und einmal mehr sag ich: „Nie, aber wirklich nie eine Sekunde zögern Therion live zu sehen.“ Therion toppt nicht nur alles auf gepressten Silberlingen und Schwarztellern, sondern insbesondere auch live überragen sie das ganze Genre. Instrumental in Perfektion, zweistimmige Soli und wie immer in letzter Zeit mit mindestens drei klassisch ausgebildeten Sängern. Dieses Mal sind es wie ebenfalls seit längerem Vater- und Tochter Thomas Vikström und Linnéa Vikström. Letztere mit ungewohnt pinken Haaren und mit gewohnt schnippisch-arrogantem Göreauftritt. Da müsste Thomas das Mädel wieder mal über die Knie nehmen. Als Ersatz für Lori Lewis – die Therion zwar im Studio treu bleibt, aber keinen Bock mehr auf Touren hat – ist zum ersten Mal Chiara Malvestiti aus Italien mit dabei. Das neue Mädel harmoniert schon perfekt mit dem Rest. Chris ist sich ja Besetzungswechsel ziemlich gewohnt. Da geht so ein Wechsel scheinbar nahtlos von Statten; doch auch nur scheinbar so einfach, denn es war ein längerer Prozess, eine würdige (Live-)Nachfolgerin für Lori Lewis zu finden. Ein paar Sängerinnen gaben sich die Klinke in die Hand.
Während ich einfach wieder mal so hin und weg bin von Therion und mir so die Notizen für diese Review mache, schiesst mir vor allem wieder mal durch den Kopf: „Huere siech. Da wird was vom absoluten geilsten im Metal überhaupt geboten und das Z7 ist wieder mal halb leer (nicht halb voll, sondern halb leer, weil ja diese Hälfte bei mir Unverständnis auslöst).“ Da möchte man eigentlich trotz angenehm viel Platz und kein Anstehen vor Flüssigkeit kaufen und Flüssigkeit ablassen, am liebsten die halbe Schweiz zu ihrem Glück zwingen. OK, klassische Musik und Oper ist ja schon nicht jedermanns Sache, das ist mir schon bewusst, aber einfach welche musikalische Qualität hier geboten wird, ist schon das doppelte und dreifache des Eintrittspreises wert.
Aber genug gejammert. Wieder zurück und zum Glück, für die die heute da sind. Weil die kriegen wie schon mehrfach erwähnt, Einzigartiges geboten. Und heute vor allem am Anfang einiges von „Secret Of The Runes“. Thomas macht seinen Part wie immer sehr gut. Doch heute muss er auch wieder einmal die Metalscreams übernehmen, die er nicht ganz so gut bringt wie zum Beispiel Snowy Shaw. Snowy wird wie immer mit seinem deftigen Singorgan und theatralischem Auftritt heftigst vermisst. Thomas liegen die klassischen und tiefen Töne um einiges besser. Das ist aber heute – nebst dem Görenlook und -Gehabe von Linnéa das einzige Haar in der Suppe. Wobei, wenn dann, dann nur ein Wimperhaar. Klitzeklein.
Insbesondere dann, als Thomas zum Duett mit seiner Tochter bei „O Fortuna“ ansetzt. Da gibt’s stimmenmässig nichts mehr auszusetzen und zu erwähnen, ausser dass ich wie ein bedepperter Güli (Hahn) mit meiner Hühnerhaut dastehe und einfach den Mund nicht mehr zukriege. Um nochmals nach der Wimper zu tauchen, die Kleine zappelt da bei dieser Halbballade rum, als wäre sie eine Soul-/Gospelsängerin. Was solls, Augen zu und einfach nur geniessen.
Thomas erzählt uns dann, dass er seit er 2007 zu Therion stiess vor jeder Tour Chris fragte, ob sie „Black Fairy“ spielen. Doch bisher gab es von ihm immer eine Absage. Und heute darf er endlich mal ran an diesen Song (gut, ein bisschen Recherche nach dem Konzert – googlen halt – zeigt schnell, dass es heute nicht ganz das erste Mal war). Na ja, ich weiss warum Chris andere Songs bevorzugte. Da gibt es einiges Spannenderes im Backkatalog von Therion und das ist einer der Songs die einfach nicht zum Stimmenumfang von Thomas passen. Dazu hätte es einen Snowy gebraucht. Ich wäre Chris nicht böse, wenn es in Zukunft wieder ein nein zu diesem Song gibt.
Dass Stageacting passt auch wie immer perfekt. Metalparts werden in typischer Metalpose gerockt und gezockt, während die klassisch-opernhaften Elemente schön theatralisch dargeboten werden. Der perfekte Mix zwischen den zwei optisch doch so unterschiedlichen und musikalisch doch nicht ganz so unterschiedlichen Welten. Genau so wie es auch der Sound von Therion ist.
Beim Bühnenbild hat man gespart bzw. wohl einen Anhänger zu Hause gelassen. Da gab’s auch schon mehr mit grossen Kerzenständern/Kerzen, metallenem Hag für mehr Gothic-Friedhof-Atmosphäre. Einzig das Backdrop vermittelt gut angeleuchtet zusätzliche Stimmung. In der Sprache von Metallica haben die Schweden also nicht ihr Full Arsenal mitgebracht. Heute steht klar die Performance der Band im Vordergrund.
Für über zwei Stunden hochstehende Musik kriegt man wohl bei keiner anderen Band pro Artist auf der Bühne mehr geboten. Heute sogar nicht nur zweistimmige Gitarrensoli, sondern bei „Kings Of Edom“ (Sitra Ahra) gar zusammen mit dem Bass dreistimmig. Und wenn’s mal Chris Vidal alleine macht, dann mit einem Tempo, was ich selten so erlebt habe. Die Finger fliegen über die sechs Saiten als hätten sie das ganze Leben nie was Anderes gemacht. Da hauts einem die Linsen aus den Glubschern.
Bei „Mon Amour, Mon Ami“ (Les Fleurs Du Mal) kommt dann noch jemand in der Person von der LLO Sängerin zusätzlich auf die Bühne. Der Song passt perfekt zum etwas verruchten Look der Sängerin. Ganz theatralisch darf dann Thomas zum Ende des Songs die Dame zu Tode würgen. Sie dürfe gemäss einem grinsendem Thomas in der laufenden Tour so noch neun Mal sterben.
Chiara die neue hat sich wie gesagt gut ins Therionensemble eingefügt. So richtig solomässig brillieren darf sie dann bei einem der Live-Klassiker: Lemuria. Die Stimme kommt ganz genial bei dieser wunderschönen Ballade. Da lässt sie Lori schon etwas vergessen.
Christofer gibt sich wie immer ganz ruhig und souverän. Er scheint wie immer alles komplett im Griff zu haben und den Auftritt zu geniessen. Das sei jedoch nicht immer so. Er liebe es auf Tour zu sein, aber „Sometimes it sucks – like yesterday.“ Sie hätten das Konzert in Brescia (I) beinahe absagen müssen. Die Soundanlage (PA) sei Scheisse gewesen, der Food ebenso und dazu gab es kalte Duschen. Heute hätten sie 5-Sterne-Essen, vier heisse Duschen und der Sound aus den Monitoren (Boxen auf der Bühne für die Band selbst) seien hier im Z7 besser als gestern die ganze Front-Anlage. Und es habe hier sogar eine Waschmaschine. Das hören wir ja immer wieder von allen Bands. Das Z7 ist für jede Band ein Tourhighlight, wo man wieder mal anständig Duschen, Waschen und vor allem fein essen kann. Sicher wichtige Gründe, dass das Z7 über das ganze Jahr fleissig und immer wieder von unseren Lieblingsbands besucht wird. In diesem Fall, danke einmal mehr ans Z7-Team!
Christofer meint dann auch: „Why can’t Switzerland occupy the whole world? We promise, we would always be just on tour. Give some more money to the Swiss Army …“. Hehe, das wäre mal ein guter Grund für eine Weltherrschaft anzustreben: Wir besetzen euch nur, damit die geilen Bands das ganze Jahr Non-Stopp auf Tour sind. Ganz selbstlos also.
Zum Abschluss gibt’s dann ganz traditionell den Signature Song von Therion: „To Mega Therion“. Da braucht’s keine zusätzlichen Worte. Und wie immer in den letzten Jahren gibt es da auch das klassische Gitarren-Macho-Duell zwischen den beiden Chris‘. Der eine – Christian Vidal – spielt mit der Zunge, der andere – Christofer – hinter dem Kopf. Wie immer tipp ich auf eine Unentschieden.
Bevor ich mich jetzt zum x-ten Mal wiederhole und schwärme wie geil es ist, mach ich jetzt auch Schicht im Schacht. Und Leute, wenn ihr wieder mal nicht dabei wart, lasst euch das beim nächsten Mal – und das wird sicher schon wieder bald sein, wenn die Jungs und Mädels warm duschen und fein essen wollen – die Götter des Symphonic-Metals nicht entgehen. Keine, aber wirklich keine andere Band macht ihnen diesen Status streitig.
Setliste Therion
- Ginnungagap
- Schwarzalbenheim
- Niefelheim
- Vanaheim
- Melek Taus
- The Beauty In Black
- Invocation Of Naamah
- Cults Of The Shadow
- The Siron Of The Woods
- Wine Of Aluqah
- Morning Star
- Black Diamond
- Black Fairy
- Mon Amour, Mon Ami
- Kings Of Edom
- Dreams Of Swedenborg
- Lemuria
- The Invincible
- Son Of Staves Of Time
- Rise Of Sodom And Gomorrah
- To Mega Therion