Rund 15 erlesene Konzerte spielen Dream Theater auf der aktuellen Tour, auf welcher sie das aktuelle (Konzept-)Album in voller Länge darbieten. Dabei wurden Locations ausgewählt, welche des Albums auch würdig sind. Oder anders formuliert: Die Zuschauer werden in Theater oder wie eben in Zürich ins Kongresshaus gelotst wo normalerweise eher Klassik und die „feinen“ Töne angesagt sind.
Nun kann man Dream Theater vorwerfen, dass diese Idee bereits viele andere Bands hatten und man einfach Profit schlagen möchte. Deshalb sei daran erinnert, dass wir es hier mit einer progressiven Band zu tun haben, die für das „Spezielle“ bekannt ist. Also wirkt das Vorhaben sehr authentisch und es ist passend ein solches Album wie „The Astonishing“ in diesen gehobenen Örtlichkeiten zu performen.
Eines muss ich noch loswerden, bevor wir ins Theater der Träume eintauchen: The Astonishing splittete schon im Vorfeld die Gemüter der DT Fans. Die einen meinen, es sei das Beste bzw. das speziellste Album der Band bisher, andere werden mit den eher gemässigten Riffs und Tönen nicht sonderlich warm und finden das aktuelle Album nicht das „legendäre“ Album.
Falls euch die Meinung des Schreiberlings interessiert: Es ist wie bei jedem Album der Herren: Ein Durchlauf reicht effektiv nicht. Ich musste bis jetzt jede CD von Dream Theater mindestens 10x durchhören, bis ich plötzlich Gefallen fand. Es sind eben Melodien, Kompositionen und Songs, die komplex sind und zuerst „wachsen“ müssen.
The Astonishing LIVE
Natürlich war die Vorfreude auf den Abend gross, das Kongresshaus zwar gut gefüllt, aber nicht ganz ausverkauft. Natürlich speziell, wenn man als Metalhead an einem Konzert sitzt und nicht steht, aber man gewöhnt sich bekanntlich an alles. Ich sah Dream Theater übrigens ein paar Tage vorher in Milano und nehme somit auch Bezug zum direkten Vergleich von zwei verschiedenen Shows.
Die Bühnenaufmachung bzw. die Videoleinwände versprachen schon vor dem Start des Konzerts eine typische Show von DT. Während des Konzerts wurde die Geschichte, welche dem Album Zugrunde liegt in Bild und manchmal (in Zwischensequenzen) auch in Ton entsprechend zu den Songs fortgeführt. Aus meiner Sicht sehr gelungen und anregend um die Musik der Band mit der Geschichte und dem eigenen Kopfkino verbinden zu können.
Dream Theater lieferte an diesem Abend in Zürich wirklich gut ab. Das Konzert war soundtechnisch wirklich absolut in Ordnung (was in Milano leider nicht der Fall war). Es ist eigentlich nicht mehr erwähnenswert, dass die Musiker der Band einfach absolute Weltklasse in ihrem Genre sind. Und mit Weltklasse meine ich Weltklasse. Was John Petrucci aus seinen Gitarren zaubert, scheint mir manchmal nicht von dieser Welt zu sein. Myung am Bass ebenso virtuos, eher zurückhaltend wie gewohnt, aber aus meiner Sicht der wichtigste Mann für diese Band. Habe persönlich noch niemand gesehen, welcher eine Bassgitarre so bedient. Mike Mangini an den Drums war oder ist nach Portnoy definitiv die beste Wahl. Der „kleine“ Mann wächst hinter den Kesseln immer wieder über sich hinaus. Wenn man ihn während des Konzertes mal länger beobachtet, merkt man schnell, dass er immer wieder Spässchen einbaut, welche auch von den anderen Musikern bemerkt und positiv aufgenommen werden. Ich bin überzeugt, dass an Portnoy schon lange niemand mehr denkt…
Wenn wir eine Schwachstelle suchen, dann ist es auch heute wieder der Gesang. James Labrie ist und bleibt einfach der „schlechteste“ Musiker dieser Traumband. Ich muss aber auch ehrlich anmerken, dass er in Zürich (im Gegensatz zu Milano) von Anfang an eine nahezu perfekte Leistung ablieferte. Labrie traf von Anfang an jeden Ton, die Stimme war kraftvoll und mit Selbstvertrauen unterlegt. Und wenn man nochmal einen positiven Punkt sucht, dann ist festzustellen, dass er kaum noch von der Bühne verschwindet. Aus meiner Sicht ist und bleibt er eine „Diva“ mit guten und eher nicht gelungenen Tagen. Zürich gehört zur ersten Sorte.
Hier über die Songs im Einzelnen zu berichten, wäre dem Konzeptalbum nicht entsprechend. Die Songs wurden ohne grosse Pause aneinander gereit. Ab und zu verliess die ganze Band die Bühne und machte einer Videozwischensequenz Platz, welche zum nächsten „Kapitel“ überleitet. Die Abstimmung von Band und Video sowie Licht schien mir nahezu perfekt. Die Show kam, wie man so schön sagt „aus einem Guss“. Möchte man ein paar Songs herausheben, würde sich „The New Beginning“ und „Moment of Betrayal“ sicher sehr anbieten. Der erstgenannte Song besticht durch ein ausserirdisches Solo von John Petrucci und der zweitgenannte Song ist einer der eingängigsten, bei welchem Herr Labrie sogar das Publikum zum Mitschunkeln und mitsingen einlud.
Apropos Publikum: Auf das ich mir jetzt wohl auch einige Feinde mache, aber was solls: Die Schweizer Fans haben die Begeisterung einfach nicht im Blut. Nach dem Konzert in Milano (ja ich weiss, Italiener, Emotionen, usw.) war in Zürich richtig schweizerisch tote Hose in Sachen Stimmung. Schade, denn die Band hätte es verdient. Ich schäme mich manchmal auch ein wenig fremd, wenn ich an solchen Konzerten einer von der Sorte bin, welcher am Schluss eines Songs schreit und jauchzt…und andere nicht mal die obligaten „Klatsch“-Bewegungen machen.
Ein letzter Punkt: Natürlich fehlten an diesem Konzert die gewaltigen Überriffs, bzw. die „normale“ Härte der Band. Aber eine Rock-Oper kann einfach nicht in der altbewährten Härte daherkommen, ansonsten wäre es die Bezeichnung nicht mehr wert. Es schien mir aber, dass dies genau der Punkt war, welcher viele Zuschauer ein wenig negativ empfanden.
Fanzit: Spezielle Location, Spezielle Ambiance, Spezielles Album, Musiker der Extraklasse, Gewohnte DT Mucke in leichterem Soft-Format, soundtechnisch absolute Top-Qualität, James LaBrie mit guter Leistung aber doch am wenigsten überzeugend im Gegensatz zum Rest der Band, Publikum mit Schlafkrankheit, T-Shirts für 50 Stutz, welche sich hoffentlich zu diesem überrissenen Preis niemand gekauft hat, aber alles in allem für einen Fan von DT ein Erlebnis der Sonderklasse, welches die 150.- Eintritt wert waren.
Setlist Act 1 Dream Theater
- Descent of the NOMACS
- Dystopian Overture
- The Gift of Music
- The Answer
- A Better Life
- Lord Nafaryus
- A Savior in the Square
- When Your Time Has Come
- Act of Faythe
- Three Days
- The Hovering Sojourn
- Brother, Can You Hear Me?
- A Life Left Behind
- Ravenskill
- Chosen
- A Tempting Offer
- Digital Discord
- The X Aspect
- A New Beginning
- The Road to Revolution
Setlist Act 2 Dream Theater
- 2285 Entr’acte
- Moment of Betrayal
- Heaven’s Cove
- Begin Again
- The Path That Divides
- Machine Chatter
- The Walking Shadow
- My Last Farewell
- Losing Faythe
- Whispers on the Wind
- Hymn of a Thousand Voices
- Our New World
- Power Down*
- Astonishing*
*Zugaben