Spagat zwischen Alt und Neu
Fünfunddreissig Jahre sind eine lange Zeit. Man wird geboren, wächst auf, geht zur Schule, gründet eine Band und, wenn sie Kreator heisst, beeinflusst man damit viele andere Musiker. Ja, Kreator ist eine Legende die schon so lange existiert. Es liegt vielleicht daran, dass die Besetzung beständig geblieben ist, auch wenn nicht alles rund lief. Musikalisch nahmen die Herren aus Essen jede Gelegenheit wahr, um ihre Kreativität auszuleben. Das trieb einige Fans manchmal zur Verzweiflung.
Und nun ist eine neue Platte da… Fluch oder Segen? Die 2012 erschienene „Phantom Antichrist“ überzeugte nur teilweise den Verfasser und hinterliess ihm den Eindruck eines Halbfabrikats.
Schon beim ersten Durchlauf wird einem klar, dass die auf „Phantom Antichrist“ gespielten Melodien mehr als nur eine Laune waren. Kreator entfalten auf „Gods Of Violence“ ihr Können wie selten zuvor. Kompositorisch und technisch gehen sie sehr abwechslungsreich vor. Sie werten auf und verfeinern den typischen Kreator-Sound mit ungewohnten Ansätzen. Das Resultat weiss die Nackenmuskulatur zu reizen. Ventor gibt energisch das Tempo an und wird dabei vom Bassist und Ex-Darkness Christian Giesler kraftvoll unterstützt. Mille kreischt seine kritischen Botschaften raus in die Welt, während Songwriter und Gitarrist Sami Yili-Sirniö mit Nachdruck zeigt, wer der Virtuose der Band ist. Sie können aber auch mit ruhigerem Ton überraschen und punkten.
Erinnert das Intro etwa an neueren Iron Maiden-Kompositionen? Die NWOBHM-Einflüsse tauchen immer wieder auf. Sie sorgen für epischen Melodien oder gar ergreifenden Momente, die Kreators teutonischen Thrash auflockern. Schleppende Riffs überrollen den Hörer wie eine Dampfwalze, Fäuste schlagen Unisono in die Luft, tausende Kehlen rufen „Satan Is Real! Satan Is Real!“, bevor ein gewaltiges „Totalitarian Terror“ das Publikum zum Abfeiern im Pit einlädt. Die Band hat mehrere Refrains in die Kompositionen eingearbeitet, die nur darauf warten, in einer Konzerthalle mitgegrölt zu werden. Mitreissende Melodien fliessen in holzigen Abschnitte, Zartes kracht gegen Rohes: Mit Gegensätzen bauen Kreator Spannung auf und lassen einem die Hühnerhaut über den Rücken laufen. Hört Euch symbolisch dazu „Side By Side“ an. Das Lied gewinnt durch den Kontrast zwischen harten Riffs und akustischem Spiel an Charakter.
Kritiker werden einwenden, dass da zu viel Gedudel dabei ist, dass es ja zu Iron Maiden oder Santiano eher passen würde. Es wird noch besser, liebe Leute. Kreator trauen sich mit „Fallen Brother“ sogar industrielle Einlagen zu. Freuen wir uns doch darüber. Musiker sind Künstler und sollen sich ausleben, um zu wachsen. Kreator haben uns schliesslich so oft neue Gesichter gezeigt, dass ihre kompositorische „Frechheit” als Markenzeichen betrachtet werden kann.
Fanzit zu Kreator 2017
Mit dem Spagat zwischen Alt und Neu bindet die Band ihre Stammgefolgschaft an sich. Gleichzeitig startet sie eine Charmeoffensive, um neues Publikum zu gewinnen. Mit „Gods Of Violence“ liefern Mille & Co. ein Werk, das pompöser und facettenreicher ist als alle andere davor. Der Hörer wird gefordert. Er braucht mehrere Anläufe, um die verschiedene Aspekte dieser Platte zu erfassen und geniessen.
Fortschritt ist unaufhaltsam, das wissen wir. Metallica, Iron Maiden und andere Grössen erkannten es auch, reagierten und hatten Erfolg damit. Wie Mille in „Lion With Eagle Wings“ schreibt: This is my time, this is my fight […]. In diesem Sinne, wenn du mit Metal es besser kannst, Kreator können es sogar länger.
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Trackliste KREATOR – Gods Of Violence
- Apocalypticon
- World War Now
- Satan Is Real
- Totalitarian Terror
- Gods Of Violence
- Army Of Storms
- Hail To The Hordes
- Lion With Eagle Wings
- Fallen Brother
- Side By Side
- Death Becomes My Light
PS von pam: Zieht euch diesen nachfolgenden Song im Video rein … wow, verdammt geil. Melodie, Riffs … als Klassiker geboren!