«Rum ist zum Trinken da – und nicht um damit ein Feuer zu entfachen!»
In Zusammenhang mit unserer Kritik zu neuen Ye Banished Privateers-Platte «First Night Back in Port» erhielten wir dank Napalm Records zusätzlich die Möglichkeit, ein Mail-Interview mit den Bandmitgliedern Mr Bellows und Silent Jim zu führen. Dabei sprach Metalinsider Dutti mit den beiden Herren nicht bloss über das neue Werk, sondern unter anderem auch über die ganze Piraten-Thematik, Alestorm und eine brennende Bühne.
Metalinside (Dutti): Ihr seid jetzt ein Teil der Napalm Records-Familie. Wie fühlt sich das an?
Mr Bellows: Es fühlt sich fantastisch an! Wir haben uns selbst nie als Band betrachtet die jemals von einem Plattenlabel unter Vertrag genommen werden würde. Wir sind sehr stolz darauf, bisher alles in Eigenregie gehandhabt zu haben und dass unsere Karriere auf dieser «Do It Yourself»-Mentalität aufgebaut wurde. Aber als dann die Anfrage von Napalm Records hereingeflattert ist, fühlte es sich wie der passende Zeitpunkt an, um etwas Hilfe von aussen dazu zu holen. Bis jetzt hat alles hervorragend geklappt. Seit wir diesen Frühling an Bord gekommen sind, haben wir sehr viel über die Musikindustrie gelernt. Zudem arbeiten wir mit einem genialen Team zusammen, welches uns super unterstützt.
Silent Jim: Jawohl! Ein Traum aus Teenager-Tagen ist Realität geworden! Jedoch ist es auch ein bisschen komisch. Ich begann als Metal-Gitarrist und versuchte stets meinem Weg treu zu bleiben. Vor circa acht oder zehn Jahren verliebte ich mich dann allerdings in die irische Folk-Kultur. Es wirkt auf mich noch ziemlich unreal, dass ich ein Teil der weltweiten Metal-Szene geworden bin, obwohl ich meine «Metallica-mässige» E-Gitarre in die Ecke gestellt und stattdessen ein paar Folk-Instrumente spielen gelernt habe.
MI: Welches ist eurer Lieblings-Song auf eurer neuen Scheibe? Mir gefallen vor allem der Titel-Track (ich vermute, dass die Crew ihre erste Nacht zurück im Hafen definitiv genossen hat), «Cooper’s Rum» (ein cooles Trinklied), «For A Fragile Moment’s Ease» (mit einem selbstkritischen Seeräuber und seinen tiefgehenden Gedanken) und «We Are Ye Banished Privateers» (eine weitere mitreissende und energiegeladene Party-Hymne).
Silent Jim: Ich stimme dir bezüglich deiner Favoriten absolut zu und bin begeistert, dass dir das Album gefällt! Diese Frage zu beantworten ist jedoch genau so schwierig, wie wenn ich dir meine Leibspeise oder mein Lieblingsgetränk mitteilen würde. Es ändert sich jeden Tag und ist abhängig von meiner Stimmung, meinen Konzerterfahrungen und weiteren Faktoren. Bis anhin hätte ich am Ehesten mit «I Dream Of You» oder «Annabel» geantwortet. Aber aufgrund der kürzlichen Arbeit an einem Fanclub-Tribut-Video für «Ye Banished Privateers» würde ich mich wohl für diesen Titel entscheiden. All die Liebe und positive Energie, die der Clip mit sich bringt, lässt den Song für mich in einem neuen Licht erstrahlen. Diese Gefühle erlebe ich auch währen Live-Darbietungen dieser Nummer.
Mr Bellows: Ich muss ehrlichgesagt zugeben, dass mir die beiden längsten Songs «Devil’s Bellows» und «Mermaid’s Kiss» zusagen. Zuerst dachte ich, dass ich diese beim Hören aufgrund der langen Spielzeit und mehrheitlich simplen, repetitiven Melodien einfach überspringen würde. Aber inzwischen ertappe ich mich jedes Mal aufs Neue dabei, genau diese beiden Nummern explizit zu hören. Hauptgrund wird sein, dass die Instrumentalisten hier von Anfang bis Ende improvisieren. Also wenn du dir diese verschiedenen Elemente zu Gemüte führst, erkennst du plötzlich zahlreiche Details: Harmonien, neue Melodien, diverse Instrumente und eine ordentliche Dynamik.
MI: Was haltet ihr von anderen «Piraten-Bands» in der Szene wie zum Beispiel Alestorm, Swashbuckle, The Privateer oder Running Wild?
Silent Jim: Da ich mit Metal-Musik aufgewachsen bin, kann ich nur in den höchsten Tönen von Running Wild schwärmen! Ich habe nie einen Song von ihnen gelernt, aber sie waren für mich immer DIE Piraten-Band schlechthin. Heutzutage müsste ich meine Eindrücke bezüglich ihres Piraten-Gehabes wohl relativieren. Nichtsdestotrotz sind sie nach wie vor eine grossartige Truppe.
Auf Alestorm bin ich eigentlich erst nach der Anfrage von Napalm Records aufmerksam geworden. Zuerst war ich von ihrem Sound nicht wirklich begeistert. Mir gefiel es eigentlich nie, wenn moderne Punk-Elemente auf diejenige des Irish Folk trafen. Bands wie die Dropkick Murphys erzeugen ihren Sound ja mit diesem Mix. Als ich Alestorm etwas mehr Zeit gab, musste ich diesen Vergleich allerdings aufgeben. Heute bin ich effektiv ein Fan ihrer eingängigen Melodien, den harten Riffs, ihrer «Don’t Give A Fuck»-Mentalität und ihrer mitsingtauglichen Texte. Generell kann ich sagen, dass die wenigen Piraten-Bands, die ich kenne, sehr inspirierend sind und zusammen in einer hübschen und dynamischen Symbiose arbeiten, anstatt ihre Shows und Songs stets nach dem gleichen Muster durchzuziehen.
Mr Bellows: Es ist praktisch unmöglich Alestorm nicht zu mögen. Ich habe erstmals 2010 von ihnen gehört während unseres ersten, internationalen Gigs. Ein paar verrückte dänische Piraten empfahlen mir den Song «Keelhauled». Ich war direkt fasziniert, auch wenn ich mich damals noch nicht sonderlich in der ganzen Metal-Thematik auskannte. Sie haben definitiv Star-Potenzial und scheinen allerdings gleichzeitig umgängliche und bescheidene Typen zu sein. Ihre Musik ist eingängig und unterhaltsam und die Jungs erobern die Welt mit Humor und sich in den Gehörgängen festbeissenden Melodien.
Diese Woche habe mit dem Schreiben eines neuen Songs begonnen. Als im Refrain ankam, beschlich mich plötzlich der Verdacht, diesen schon einmal irgendwo gehört zu haben. Es stellte sich heraus, dass ich «Mexico» geschrieben hatte (Anm. Dutti: Ein Track der neuen Alestorm-Platte «No Grave But The Sea»). Schöner Moment! Ich hatte den Song erst einmal gehört, als vor ein paar Monaten das dazugehörige Video veröffentlich wurde. Das hat offenbar bereits gereicht, um die Melodie meinem Gedankenspeicher hinzuzufügen. Ich werde wohl nie mehr fähig sein einen Song zu schreiben. Sei verflucht, Christopher Bowes!
MI: Können wir eventuell eines Tages mit einer gemeinsamen Tour mit einer dieser Truppen rechnen?
Mr Bellows: Nur wenn wir im Falle von Alestorm gemeinsam mit ihnen «Mexico» auf der Bühne performen dürfen! Haha, Nein, aber das wäre wirklich fantastisch. Beide Bands stehen beim selben Label unter Vertrag und beide machen Piraten-Musik. Ich könnte mir das somit sehr gut vorstellen.
Silent Jim: Mir persönlich würde das hervorragend gefallen. The Dread Crew Of Oddwood, Alestorm, Running Wild… Es wäre eine Ehre mit einem dieser Namen in Verbindung gebracht zu werden.
MI: Meiner Meinung nach ist euer Heimatland Schweden eher bekannt für Wikinger. Weshalb habt ihr euch trotzdem für die Piratenthematik entschieden?
Mr Bellows: Tja, weil die meisten Schweden von diesen ganzen Wikinger-Sachen die Schnauze voll haben. Wir gründeten die Band als Irish Traditional Folk/Sea-Shanty-Projekt und dadurch war die Piratengeschichte von Anfang an ziemlich naheliegend.
MI: Wie anspruchsvoll ist für euch das Schreiben der Lyrics? Ist es bloss Fantasie/Kreativität oder bezieht ihr euch auf historische Dokumente, welche die Seeräuber-Thematik behandeln?
Mr Bellows: Wir recherchieren intensiv für die meisten unsere Songs. Normalerweise beginnt die ganze Sache mit einer Melodie und einer Idee für ein Thema. Von dort aus graben wir wirklich tief und versuchen alles Mögliche über den Ort, die Person oder die Geschichte herauszufinden. Unsere primäre Ambition ist es, die Melodie, die Songstruktur und den Text so authentisch wie möglich wirken zu lassen. Da wir allerdings nicht im 18. Jahrhundert leben, kommt das finale Resultat auch oftmals mit modernen Einflüssen daher.
MI: Rum oder Bier? Und weshalb?
Silent Jim: Vor oder während einer Show bevorzuge ich Rum, weil kaltes und mit Kohlensäure versetztes Bier meine Stimme ruiniert und mich alle paar Sekunden zum Rülpsen zwingt. Selbstverständlich passt das auch sehr gut zu unseren Kostümen. Masshalten ist jedoch essentiell. Ich spiele lieber zu oder komplett nüchtern als total betrunken. Nach einer Show bitte Bier – und zwar Wagenladungen davon! Obwohl mein Piraten-Shirt eigentlich mehr Luft als Kleidungsstück ist, schwitze ich trotzdem wie Sau und deswegen gibt’s nach einer 90-minütigen Headbanger-Hitzeschlacht nichts Besseres als ein eisgekühltes Bier.
Mr Bellows: Bier! Im Gegensatz zu Jim trinke ich während einer Tour die ganze Zeit über. Ausser ich mixe es mit etwas anderem, aber das ist nicht wirklich mein Ding. Ich könnte das beispielsweise nicht mit Rum machen, da ich dann kaum ein 90-minütiges Set überstehen würde.
MI: Jetzt mal ehrlich – wie viele Liter Alkohol benötigt ihr während einer Show oder an einem Tag im Studio?
Mr Bellows: Als Gruppe? Eine Menge! Wir sind eine grosse Crew. Aber es gibt durchaus Unterschiede bei den einzelnen Personen. Einige von uns wirst du vor und nach einer Show immer an der Bar finden, währen andere den seriösen Weg bevorzugen. Aber schliesslich benötigen wir ja jeweils auch ein paar verlässliche Fahrer.
Silent Jim: Ein paar Gläser fördern sicherlich die Partylaune und rauben einem auch etwas die allfällige Nervosität. Aber Alkohol kann dich natürlich auch einschränken und dann leiden der Gesang und die Performance darunter. Süchtig bin ich glücklicherweise nicht – und möchte es auch nie werden. Während Tourneen trinke ich primär zur Überbrückung von Wartezeiten oder weil man ein offeriertes Gläschen nicht ablehnt. Zudem verdiene ich mit unserer Musik nicht so viel, als dass ich solche Angebote einfach ablehnen könnte. Ein erfolgreiches Konzert ist sowieso stets ein Grund zum Feiern.
MI: Habt ihr einen bevorzugten Piratenfilm oder ein Videospiel?
Silent Jim: Die Klassiker haben mich nie sonderlich interessiert bis Disney mit Captain Jack Sparrow und den «Pirates Of The Caribbean»-Filmen daherkam. Nun würde ich mir sehr gerne auch all die anderen Piratenstreifen ansehen. Am besten erinnere ich mich an eine zwei Episoden lange Mini-Show basierend auf «Die Schatzinsel» mit Eddie Izzard in der Rolle des Long John Silver. Für TV-Serien möchte ich zudem «Black Sails» unbedingt erwähnen. Ich stehe zwar erst am Anfang der dritten Staffel, aber die ganze Sache ist genial. Und für Videospiele müssen wir natürlich über «Assassin’s Creed: Black Flag» sprechen. Ein echtes Meisterwerk! Ich habe das Spiel auf meiner Playstation 3 durchgezockt und dann das Ganze gleich nochmals auf der Playstation 4. Eine wohl investierte Zeitverschwendung! Die historische Korrektheit des Spiels und der TV-Serie verdient Respekt. Die fiktionalen Elemente gewinnen nie Überhand.
Mr Bellows: Ich bin da eher «oldschool» und nenne als Game «Sid Meyer’s Pirates» und als Film «Yellowbeard» – eine Action-Komödie aus den Achtzigern und gleichzeitig der erste Piratenfilm, den ich jemals gesehen habe.
MI: Ein Konzert einer Halle oder eines an einem Festival: Welches bevorzugt ihr und weshalb?
Silent Jim: Schwierige Frage! Eine Festivalbühne bringt oftmals ein verrücktes und lautes Publikum mit sich, was mir ziemlich viel Adrenalin durch den Körper schiessen lässt. Zudem geniesst man auf einer solch grossen Bühne viel Freiraum. Auf der Gegenseite sind Festivals immer arbeitsintensiv und stressig. Clubs- und Hallenkonzerte erzeugen hingegen eine intime Atmosphäre zwischen uns und dem Publikum. Meiner Meinung nach ist ein konstanter Mix zwischen beiden Arten die optimale Lösung.
Mr Bellows: Ich stimme Jim hier zu. Ich freue mich immer auf eine noch grössere Masse und den damit verbundenen Rausch. Mit der Zeit wird das allerdings etwas langweilig und gibt dir nicht mehr denselben Kick. Die Auftritte in kleineren Locations gehen mir ebenfalls richtig unter die Haut. Du spielst sozusagen nicht für die Fans, sondern mit ihnen zusammen. Unsere treusten Anhänger haben uns genau an solchen Shows kennengelernt.
MI: Die ganze Band ist ziemlich gross. Wie ist das Tour-Leben mit so vielen Leuten?
Silent Jim: Mehrheitlich chaotisch und stressig, aber gleichzeitig auch witzig und amüsant. Wir haben gelernt mit der Kindergartenatmosphäre, die während unserer Reisen herrscht, umzugehen und versuchen jeden einzelnen Moment zu geniessen.
Mr Belows: Kommt darauf an wen man fragt. Nimm zum Beispiel den jeweiligen Fahrer. Wie mag es wohl sein, 12 betrunkene Piraten herumzukutschieren und alle 30 Minuten einen Boxenstopp für Biereinkäufe und WC- oder Rauchpausen einzulegen? Andererseits sind wir eigentlich wie eine grosse Familie bestehend aus Personen, die sich weigern erwachsen zu werden. Wir haben unterwegs immer haufenweise Spass und sind dankbar, dass wir jedes Jahr so viele neue Leute und Orte kennenlernen dürfen.
MI: Gibt es irgendeine Location (oder ein Festival) in der ihr gerne einmal auftreten möchtet?
Silent Jim: Da gibt es einige Kandidaten! Eine Rückkehr nach Wacken wäre ein riesiger Wunsch meinerseits. Allerdings lese oder höre beinahe täglich etwas über neue Spielstätten, die schlichtweg zu cool sind um sie zu ignorieren. Ein nach wie vor existierender Traum der ganzen Band ist ein Gastspiel auf dem Replikat der «Götheborg» (Anm. Dutti: Eine Nachbildung eines Handelsschiffs der Schwedischen Ost-Indien Kompanie). Wir haben auch schon einige Einladungen dazu erhalten, konnten diese aber leider nie in unseren Tour-Plänen unterbringen. Ich persönlich habe jedoch eher Vorstellungen von besuchenswerten Ländern als irgendwelchen konkreten Locations. Die USA und Japan würden mich extrem reizen.
Mr Bellows: Aus irgendwelchen Gründen möchte ich unbedingt einmal im Red Rocks Amphitheater im US-Bundesstaat Colorado auftreten. Ich war zwar noch nie dort, aber dieser Ort scheint etwas prachtvolles und heimeliges an sich zu haben.
MI: Habt ihr eine bevorzugte Konzertlokalität in der Schweiz?
Silent Jim: Wir waren erst einmal in der Schweiz und ich persönlich weiss praktisch nichts über die Gegend. Für eine winzige und unvorbereitete Gruppe im Rümpeltum in St. Gallen zu spielen war sowohl komisch als auch äusserst impulsiv. Ich würde gerne einmal dorthin zurückkehren und auch die anderen Konzerthallen der Schweiz auschecken.
Mr Bellows: Was soll ich sagen? Rümpeltum. DIY-Kultur und rebellische «Fuck All»-Attitüde in Reinform. Wir sind während dieser Show beinahe gestorben, weil uns ein betrunkener Irrer beeindrucken wollte und mit seinem hochprozentigen Stroh Rum die Bühne in Brand gesteckt hatte. Trotz dieser negativen Erfahrung war es definitiv ein mitreissender Gig.
MI: Habt ihr irgendwelche speziellen Bitten an eure hiesigen Fans im Hinblick auf ein nächstes Konzert hier in der Schweiz? (Auch wenn momentan noch keine Tour-Daten feststehen).
Silent Jim: Bringt mir eine Flasche eures besten Rums und singt einfach lautstark mit. Nichts würde mich glücklicher machen.
Mr Bellows: Rum ist zum Trinken da – und nicht um damit ein Feuer zu entfachen!
MI: Danke euch beiden vielmals. Irgendwelche abschliessende Worte für die Leser von Metalinside?
Mr Bellows: Jawohl. Kommt vorbei, wenn wir ein Konzert in eurer Gegend spielen und trinkt ein Bierchen mit uns.
Silent Jim: Danke für das Interview und fürs Lesen. Es ist uns eine grosse Ehre ein Teil eurer Gemeinschaft zu sein und ich freue mich schon darauf, euch alle an einem unserer Konzerte begrüssen zu können.