Die Meister der Göteborger Schule
Nach ihrem fulminanten Auftritt am diesjährigen Summer Breeze Open Air kann ich einfach nicht anders. Es muss eine Albumkritik her. Das haben sich die schwedischen Melodic Death-Experten Dark Tranquillity einfach verdient.
Deswegen bin ich mal eben rasch in den nächstgelegenen Media Markt gehuscht und habe mir die aktuellste Scheibe der Jungs gekauft. «Atoma» heisst das gute Ding und ist am 04. November des letzten Jahres via Century Media erschienen. In der nachfolgenden Rezension wird die Qualität der zwölf Tracks ausgiebig geprüft.
DAS ALBUM – «Atoma»
Eröffnet wird das Opus durch die Nummer «Encircled». Auf einen gemächlichen, orientalischen Auftakt folgt Mikael Stannes bitterböses Stimmorgan und knallende Drums von Kollege Anders Jivarp. Zudem geht’s ziemlich rasant zur Sache. Nichtsdestotrotz geht – wie für Dark Tranquillity typisch – niemals die Melodie verloren. Das Ende kommt dagegen etwas arg abrupt.
Beim zweiten Song handelt es sich bereits um den Titel-Track der Scheibe. «Atoma» hat verdammt viel Ohrwurmcharakter, was massgeblich an den eingängigen Keyboard-Passagen liegt. Martin Brändström leistet da ganze Arbeit. An der Mikrofon-Front wird hingegen deutlich, dass Mikael auch den Klargesang beherrscht. Klingt bei ihm ziemlich nach Gothic Metal. Hörempfehlung? Aber ja doch. Dieser Song wird euch praktisch nicht mehr loslassen.
Gemäss Aussage des Frontmanns zielen die Texte des Albums mehrheitlich auf die Quelle menschlicher Konflikte und die beiden Punkte Hoffnungslosigkeit und Frustration. So sind ebenfalls auf «Forward Momentum» überaus schwere Riffs von Herrn Niklas Sundin – der im Übrigen auch für das Album-Cover verantwortlich ist – zu hören. Den Schweden gelingt es in beeindruckender Manier eine einlullende, melancholische Atmosphäre zu erschaffen. Abermals vergeht die Zeit beim Hören wie im Fluge.
«Neutrality» zählt dann wieder zu den rasanteren Nummern des Silberlings. Jetzt kommen die Headbanger unter der Zuhörerschaft auf ihre Kosten. Hier setzt Mikael wiederum ausschliesslich auf seinen markanten Kehlgesang. Mitreissende Gitarrenklänge runden die ganze Geschichte sauber ab. Dark Tranquillity sind zurecht in einem Atemzug mit ihren Landsleuten von At The Gates oder In Flames zu nennen. Nicht umsonst gelten all diese Truppen als prägende Figuren der Göteborger Schule des Melodic Death Metal.
Weiter geht die Reise mit «Force Of Hand». Am Anfang kommt die Nummer etwas schleppend aus den Startlöchern und nimmt dann allerdings immer mehr Fahrt auf. Jetzt sind abermals die Nackenmuskeln der Zuhörerschaft gefragt. Nach rund 01:40 Minuten beginnt die Melodie plötzlich ziemlich eingängig zu wirken. Massgeblich daran beteiligt sind die überragend platzierten Riffs. Im letzten Drittel folgt kurzzeitig eine Tempodrosselung. Dies ist jedoch bloss die Vorbereitung auf ein fetziges Solo aus dem Hause Sundin. Dieser Song kriegt sozusagen gerade nochmals die Kurve.
In der Albumhälfte treffen wir schliesslich auf den Track «Faithless By Default». Mit einer Spielzeit von 04:32 Minuten verdient sich dieser das Prädikat «längster Song der Platte». Somit zählen die Schweden nicht gerade zu den Langstreckenläufern, aber weniger ist ja schliesslich manchmal auch mehr. Die Band setzt sich hier kritisch mit der Glaubensfrage auseinander. Verpackt wird das Ganze im gewohnten, melancholischen-melodiösen Mix. Ein Song zum Nachdenken.
Anders’ Spiel an der Schiessbude sorgt bei «The Pitiless» für hohes Tempo. In Mikaels Gesang sind dieses Mal sogar Ansätze einer Black Metal-Stimme zu vernehmen. Bei diesem Stück scheint sowieso die aggressivere Gangart gewählt worden zu sein. Wir bewegen uns somit im Bereich der älteren In Flames-Werke. Nichtsdestotrotz geraten bei Dark Tranquillity die melodiösen Aspekte zu keiner Zeit in den Hintergrund. Und exakt dies ist die hohe Kunst der Jungs.
«Out Of Proof» glänzt mit massig Facettenreichtum. Unterschiedliche Gesangsformen, variables Tempo und das Beherrschen der einzelnen Instrumente auf ganz hohem Niveau. Zurecht eine weitere Hörempfehlung dieses – bis hierhin – gelungenen Silberlings. Kann «Clearing Skies» da mithalten? Nicht ganz. Für einmal wirkt die Atmosphäre fröhlicher als bei den anderen Nummern. Trotzdem plätschert die ganze Sache so vor sich hin und lässt überraschende Wendungen vermissen. Aufgrund dessen ist das Hörerlebnis hier leider nicht zu hundert Prozent gewährleistet. Bei einem mehr als 10 Songs umfassenden Album trifft man allerdings in den meisten Fällen irgendwann auf solche sogenannten «Lücken-Füller».
Da macht das nun folgende «When The World Screams» schon wieder deutlich mehr Spass. Rasante Geschwindigkeit und wütendes Gebrüll prägen diesen Track. So kennen und lieben wir unsere Schweden. «Merciless Fate» ist jedoch bereits wieder eine düstere Angelegenheit. Das geht unter die Haut. Mikael krächzt sich erneut die Seele aus dem Leib. Man fühlt sich, als würde man in ein dunkles Loch fallen und sich dort einsam und allein mit Gedanken und Zweifeln quälen. Ebenfalls verdientermassen ein Anspieltipp dieser Platte.
Für die Finalissima zeigt sich das Stück «Caves And Embers» verantwortlich. Ein letztes Mal mobilisieren die Schweden all ihre Kräfte und untermauern ihren Experten-Status im Genre des Melodic Death Metal. Ein absolut passender Albumabschluss.
FAZIT
Die Meister der Göteborger Schule des Melodic Death Metal liefern mit ihrem elften Werk «Atoma» anspruchsvolle und trotzdem auch unterhaltsame Ware ab. Im Erzeugen von melancholischen Stimmungsbildern spielen Dark Tranquillity zweifelsohne ganz vorne mit. Herausragende Akteure sind eindeutig Tastenklimperer Martin Brändström und Sänger Mikael Stanne. Letztgenannter verfügt über ein facettenreiches Stimmorgan mit Wiedererkennungswert. Auf der Scheibe tummelt sich allerdings auch der eine oder andere Lückenfüller-Kandidat. Der Mittelteil des Albums flacht niveaumässig zum Teil ein wenig ab. Überragend ist dagegen das Anfangs-Trio. Man darf sich zurecht auf die nächste Live-Begegnung mit der Band freuen.
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Trackliste Dark Tranquillity – Atoma
- Encircled
- Atoma
- Forward Momentum
- Neutrality
- Force Of Hand
- Faithless By Default
- The Pitiless
- Our Proof Of Life
- Clearing Skies
- When the World Screams
- Merciless Fate
- Caves And Embers
Line Up – Dark Tranquillity
- Mikael Stanne – vocals; lyrics
- Niklas Sundin – guitars; album artwork
- Anders Iwers – bass
- Martin Brändström – keyboards
- Anders Jivarp – drums