100% „Satisfaction“ garantiert?
Liane: Die Aufregung um die Stones war bereits im Vorfeld recht gross. Leider nicht nur im positiven Sinne, denn die Ticketpreise waren nicht ganz billig. Angefangen bei 164.- CHF für einen Stehplatz der Kategorie 4, konnte man bis zu 368.- CHF für einen Sitzplatz der Kategorie 1 berappen. Auch wenn sich viele Fans in den sozialen Medien darüber brüskierten, war das Stadion am Ende doch voll, also ausverkauft.
Es gab also genügend Zuschauer, die neugierig genug waren und sich davon überzeugen wollten, ob das angebliche Rockereignis des Jahres auch wirklich das bietet, was im Vorfeld versprochen wurde. Eventuell wollten die knapp 50’000 Zuschauer auch einfach nur die vielleicht letzte Chance nutzen, um einer der grössten und ältesten Rock Bands „Lebe wohl“ zu sagen?
Wie immer bei solchen Grossveranstaltungen kommt die gute Stimmung auch rund um das Stadion schon am frühen Nachmittag auf. Musik, Bier, Wurst und Wein wohin das Auge reichte. In den Häusern und Blöcken drum herum wurden die Balkone geschmückt und Freunde eingeladen, um die persönliche Private-Stones-Party zu feiern. Die Weichen für ein Erlebnis der Superlative waren also in und um das Stadion gestellt.
Um 16:30 gingen die Tore auf und der Veranstalter war sehr gut um die Sicherheit der Gäste bemüht. Rucksäcke und Taschen mussten draussen bleiben und konnten im dafür vorgesehenen „Gepäck-Zelt“ abgegeben werden. Dies schätzten auch die Fans, welche extra für das Konzert angereist waren und ihre Koffer deponieren wollten.
Die perfekte Einstimmung mit „The Struts“
Das musikalische Grossereignis eröffnete die britische Rockband „The Struts“. Die perfekte Wahl, um für die Rolling Stones einzuheizen. Mit ihrem Mix aus Rock und Glam standen die Engländer bereits schon vor Veröffentlichung ihres Debut Album „Everybody Wants“ (2014) bei den Stones im Stade de France (Paris) im Vorprogramm auf der Bühne. Vor allem Sänger Luke Spiller wusste zu überzeugen und fetzte mit seinem Glitter-Outfit quer über die riesige Bühne. Dass er bereits mit zarten 11 Jahren vor dem Spiegel stand, um Freddie Mercury (Queen) zu imitieren, wurde schon während des ersten Songs klar. Nicht nur optisch, sondern auch stimmlich erinnerte er stellenweise an den herausragenden Queen-Frontmann ohne diesen billig zu imitieren. Stilistisch orientierte sich das Quartett an Bands wie T. Rex, Slade, Aerosmith und Queen. Zur Geltung kamen „The Struts“ auf der „Überbühne“ der Stones leider nicht so ganz und gingen für meinen Geschmack etwas unter. Ein Club-Konzert mit mehr Nähe zu den Fans hätte sicher viel mehr Spass gemacht.
The Rolling Stones
Die Vorarbeit für die gigantische Bühnenshow der Rolling Stones dauerte gut 12 Tage und beschäftigte 1371 Mitarbeiter. Die 43 Trucks müssen ja schliesslich von irgendjemandem gefahren und geleert werden. Alleine am Veranstaltungstag selbst waren 762 Helfer im Einsatz, um einen reibungslosen Ablauf zu garantieren. Der Aufwand und die Kosten für so eine Wahnsinns-Show dürfen nicht unterschätzt werden und erklären auch vielleicht, warum die Ticketpreise nicht ganz so günstig gewesen sind.
Vier gewaltige Video-Türme bäumten sich über dem Publikum auf und zu sehen waren zunächst vier knallrote Stones Zungen auf gelbem Hintergrund. Um knapp 20:25 Uhr standen sie dann endlich auf der Bühne! Wie gewohnt sympathisch, lachend und top gekleidet. Irgendwie sahen die Stones noch smart aus, auch wenn das wilde Leben seine Spuren hinterlassen hat und vor allem Keith Richards die tiefsten Falten im Gesicht trägt, die ich je in meinem Leben gesehen habe. Wenn man bedenkt, was die Bandmitglieder schon durch ihre Körper gespült haben, dann weiss man es zu schätzen, dass sie noch lebend und einigermassen grad auf der Bühne stehen können. Hut ab meine Herren! (Gerne verweise ich hier auf die Biografie von Keith Richards).
Musikalisch boten die Briten bekannte Songs wie „Sympathy For The Devil, „It`s Only Rock & Roll“ und „Start Me Up“: Kurz gesagt, ein Querschnitt durch das reichlich vorhandene Repertoire von über 50 Jahren Musikgeschichte. Die Mitt-70er lieferten eine Rock & Roll-Show, die man in diesem Alter erst mal durchstehen muss. Mike Jagger genoss es sichtlich und nutzte den Laufsteg wie ein 20-jähriges Model, welches den Hüftschwung einstudiert hatte. Seine wohlverdiente Pause bekam er, als Keith Richards die zwei Songs „Happy“ und „Slippin Away“ vortrug. Für meinen Geschmack hätte er das auch bleiben lassen dürfen, denn qualitativ hochstehend ist anders. Aber übelnehmen konnte ich es ihm einfach nicht. Keith lächelte verschmitzt und genoss den Applaus und erneut überzeugte mich diese grosse Sympathie.
Ich fürchte, die Jungs lassen sich auch weiterhin nicht unterkriegen. Wenn es sein muss, schleifen sich die Stones wahrscheinlich noch mit dem Rollstuhl auf die Bühne. Die hatten reichlich Spass und so wie es aussieht, lassen sie sich den ums Verrecken bis zum bitteren Ende nicht nehmen. Passiert nichts Aussergewöhnliches, kommt das nächste Album bestimmt! Ob man das dann braucht oder ob der Gig im Letzigrund zu überzeugen vermochte, muss wohl jeder für sich selbst beantworten. Musikgeschichte bleibt Musikgeschichte!
Dutti: Meine Wenigkeit wollte sich dieses musikalische Grossereignis ebenfalls keinesfalls entgehen lassen. Bereits 2014 habe ich dem Spektakel an selber Stätte begeistert beigewohnt. Und heute Abend? Tja, die Herrn Jagger, Richards, Wood und Watts haben abermals eindrücklich bewiesen, dass Rock kein Alter kennt. Für meinen Geschmack wirkten sie sogar noch ein Spürchen überzeugender als damals vor drei Jahren. Das galt insbesondere für Keith Richards. Er machte einen ziemlich frischen Eindruck und lieferte zudem auch – und da bin ich mit Kollegin Liane nicht ganz einer Meinung – stimmlich sauber ab. «Dauer-Herum-Stolzierer» Mick brillierte zwischen den Songs ab und an mit sehr solidem Schweizerdeutsch – Respekt! Die Blues-Nummern und die Mundharmonika-parts stellten eine willkommene Abwechslung dar. Lob verdienen übrigens auch die Musiker, die mit den Stones zusammen die Bühne teilten (und wohl während den Shows leider allzu oft in Vergessenheit geraten oder zu wenig Beachtung erhalten). Der Mann am Bass und die Sängerin mit ihrer «souligen» Stimme haben bei mir zurecht bleibende Eindrücke hinterlassen.
Aufgrund des exzessiven Musikersterbens in den letzten Jahren machen sich die Fans wohl berechtigterweise Sorgen um ihre Lieblinge. Aber wir wollen den Teufel jetzt nicht voreilig an die Wand malen. Sollte ich in dem Alter ebenfalls noch so vital sein, kann ich schon äusserst zufrieden mit mir sein. Das Publikum durfte heute Abend verdientermassen behaupten, Teil von etwas ganz Besonderem gewesen zu sein. Die «rollenden Steine» sind und bleiben einfach lebende Legenden und einmalige Rockstars. Ausserdem fühle ich mich geehrt, dass mir die Herren indirekt einen Song gewidmet haben. Meine Kollegen neben mir formulierten das Stück «Dancing With Mr. D» nämlich kurzerhand zu «Dancing With Mr. Dutti» um.
Setliste – The Rolling Stones
- Sympathy for the Devil
- It’s Only Rock ’n‘ Roll (But I Like It)
- Tumbling Dice
- Hate to See You Go (Little Walter cover) (live debut)
- Ride ‚Em on Down (Jimmy Reed cover)
- Dancing With Mr. D
- Like a Rolling Stone (Bob Dylan cover) (Sieger des im Vorfeld veranstalteten Votings)
- You Can’t Always Get What You Want
- Paint It Black
- Honky Tonk Women
- Happy (Keith Richards on lead vocals)
- Slipping Away (Keith Richards on lead vocals)
- Midnight Rambler
- Miss You
- Street Fighting Man
- Start Me Up
- Brown Sugar
- (I Can’t Get No) Satisfaction
- Gimme Shelter*
- Jumpin‘ Jack Flash*
*Zugabe