Wenn dreiviertel der Besucher pogen
Man muss wohl zur Generation der aktuell um die 40 Jährigen gehören, um die Tauben noch zu kennen. Das Duo – Micro und Konrad – wurde in den 80ern gegründet und hatten wider allen Erwartungen seit ihrem Debut mit dem wegweisenden Titel „Das kriegen wir schon hin“ einiges an Erfolg aufzuweisen.
Mit ihrem Fun-Punkrock waren sie die deutsche Antwort auf die legendären The Toy Dolls aus England. Spassige Texte verpackt in Melodien die einfach hängenbleiben. Jeder Song von die Abstürzende Brieftauben steht für sich und kennt man nach dem ersten Mal anschliessend praktisch für immer. Bei mir blieb es jedoch nicht beim ersten Mal, denn ich fand die Hannoveraner sofort und immer sehr cool, genau mein Ding. Und so stehe ich da bei meinem ersten (sic!) Tauben-Konzert und stelle fest, ich kann heute noch jeden Text mitsingen – zumindest kenn ich den Text, das mit dem Können-Singen ist eine andere Geschichte. Aber wenn es dem nicht so wäre, würde ich jetzt hier auch nicht schreiben …
Aber der Reihe nach. Warum ich sie nie live sah, ist mir eigentlich selber ein grosses Rätsel. Es gibt ja sonst kaum eine Band, die ich gut finde, die ich nicht mindestens einmal und meist X-Mal schon live erlebt habe.
Zurück zu den Tauben: Anfang 90er wurde aus dem Spass etwas mehr Ernst, die Texte kritischer und obwohl man beim Debut noch sang „wir brauchen keinen Bass“ waren sie dann plötzlich zu dritt und leisteten sich den Luxus von … Bass. Gut, ich liebe ja guten Basssound … aber bei den Tauben hat der tatsächlich nie wirklich gefehlt. „Krieg & Spiele“ war zwar für sich eine gute Scheibe, aber halt nicht ganz so wie man die zwei Jungs kennen und lieben gelernt hat. Es war austauschbarer. Und wie die meisten 80er Bands verschwanden auch sie mehr oder weniger gegen Ende der 90er von der Bildfläche und irgendwann 1997 löste man sich schliesslich auf. Es gab im neuen Jahrtausend noch ein Reunion-Konzert (2002) aber der endgültige Schluss der Band besiegelte Gevatter Tod höchstpersöhnlich: Konrad starb kurz Zeit nach dem sich die Tauben 2006 wieder für eine Studioprojekt trafen an Herzversagen mit nur 44 Jahren.
Das wars dann wohl … dachten wohl alle und nicht nur ich. Denn die Abstürzende Brieftauben ohne das kogeniale Duo Micro-Konrad konnte man sich einfach nicht vorstellen … doch es sollte anders kommen.
2013 reaktivierte Mikro zuerst zu dritt die Tauben wieder. Davon blieb aber kurz später nur Drummer Olli übrig und so spielte man schon mal das eine oder andere Konzert wieder zu zweit – und wechselt wie damals mit Konrad live auch ab und zu das Spielgerät (Gitarre & Drums). Singen tun beide. Micros markante Stimme würde fehlen, aber Olli kann – ich sags nicht gerne – Konrad gut – so gut es geht – ersetzen. Und er ist ein richtig fetter Punk-Drummer mit Bass, Snare, Standtom, einem Becken und Hi-Hat. Mehr brauchts nicht.
Es sollte noch besser kommen. 2016 veröffentlichten die beiden den ersten neuen Song seit 23 Jahren. Und dies zwar durchaus mit ernstem Hintergrund – „Nie wieder Pegida“ – aber ganz im gewohnten Stil des 80er Tauben Sounds. Spätestens da wurde ich auch wieder aufmerksam, was da im hohen Norden unseres nördlichen Nachbarlands abging. Und es ging noch besser … Ende 2016 veröffentlichten sie gar eine komplett neue Scheibe mit wieder klarer Ansage: „Doofgesagte leben länger“. Zumindest die Band, nicht alle Mitglieder. Und man sang ja schliesslich auch mal tief in den 80ern „Ihr sagt wir stürzen ab, aber wenn wir das spielen, liegt ihr schon längst im Grab.“
Und die neue Langrille ist DER Hammer! Nicht nur Pflicht für alle Taubenfans. Kurz nach dem Release doppelte man noch mit einem Song für bzw. gegen die AfD nach („Frauke halt’s mal“). Bei dem Olli verdammt geil, so richtig fies-agressiv singt.
Ihr könnt es ahnen … es kommt noch besser! Die Tauben sind wieder flügge geworden und auf Tour. Und so erlebe ich heute nicht nur eines der selten Gastpiele der Tauben in der Schweiz, sondern vor allem endlich meine Premiere, welche ich in meinen kühnsten Träumen nicht mehr erwartet hätte. Und selten bzw. schon lange nicht mehr, habe ich mich so auf ein Konzert gefreut wie auf dieses. Jetzt trete ich ein in den Gewölbekeller vom Werk21 – der kleinere Bühne des Dynamo.
Für einmal bin ich eher früh dran und so mach ich mich gleich mal an den Merch-Stand. Ein Tour-Shirt muss jetzt einfach sein. Und da steht einer etwas verloren in der Gegend rum … wahrscheinlich der Merch-Mann. Wir kommen ins Gespräch bzw. es treffen sich wohl die beiden schlechtesten Händler der Welt. Ich bin einfach schlecht wenn’s um Feilschen geht und da bietet mir der nette Herr doch einfach ohne Nachfrage zwei Shirts für CHF 30 anstelle CHF 35 an. Und zwei Kleber gibt’s on top dazu. Na dann sagen wir nicht nein und Kollege Thomasik hat jetzt auch ein Tauben-Shirt.
Wir plaudern noch etwas weiter und mir dämmert immer mehr, aber halt, der Merch-Mann ist doch der Olli. Die Hälfte der Band. Ui, nichts anmerken lassen und cool weiter reden. Ich glaub, er hat’s nicht gemerkt, dass ich es zuerst nicht merkte. Und gleich um die Ecke steht auch Micro und unterhält sich mit ein paar Fans. Da muss ein Foto her.
Übrigens, der Merch-Mann – OK Olli – hat was von Stefan Raab. Zumindest schon mal optisch. Mehr dazu später.
Doch zuvor ist noch eine Vorband angekündigt.
Smools, Abfuuk
Die Zürcher Band spielen mit viel Leidenschaft und wohl auch schon etwas Lebergift intus. Eigentlich ganz cool und ich tue denen jetzt unrecht, aber schau nur kurz rein. Soundmässig nicht 100% mein Ding und ich bin einfach wirklich nur für die Tauben da. Das hört sich jetzt sehr elitär an, aber man möge mir da verzeihen, auf diesen Moment habe ich gut 25 Jahre gewartet.
So verpasse ich auch mehr oder weniger die Vor-Vorband bestehend aus einer Person … ihr ahnt es: Tausendsassa Olli spielt auf einer akustischen Klampfe ein paar lustige Lieder unter dem Namen „Abfukk“ (Band ohne Anspruch). Ich krieg nur was von Fotze und so mit, leider hab ich das zu spät realisiert. Und gemäss Aussage der Band konnte man sich eine zweite Vorband nicht leisten und so musste halt Olli nochmals ran. Gut er ist ja auch der Neue. Aber zu seiner Ehrenrettung, auch Micro machte später mal den Merch.
Abstürzende Brieftauben
Bald ist der Moment nicht mehr des Wartens, sondern des Erlebens. Die Tauben bzw. vor allem Olli stellen noch um bzw. ihr Schlagzeug auf. Das steht gleich neben dem Ständermik ganz vorne bei der Bühne. Ein Set-up wie man es selten erlebt und auch extrem cool ist. Es soll dann später beim Pogen auch der eine oder andere kopfvoran in die Bassdrum stürzen.
Dann folgt noch ein Soundcheck. Wobei, nicht ein Soundcheck, sondern DER Soundcheck. Was sonst für alle Beteiligten und insbesondere fürs Publikum ein notwendiges Übel ist, kriegt man jetzt schon einen Vorgeschmack auf das folgende Konzert. Olli lässt sein Knüppel-Talent durchblicken – insbesonderen auch schon mit fleissigem Grimassen-Schneiden zwischen Spass und Übereifer raabschen Ausmasses. Und es wird schon fleissig rumgeblödelt. Wann hat das Gefühl, die Tauben wären schon sehr schnell zufrieden mit dem Sound, während der Mixer etwas pedantischer zur Sache geht. Final spielen sie dann einen Soundcheck-Song. Der geht in etwa so: „Das ist der Soundcheck-Song…“. Und als dann alles ready ist und die Fans schon in den Startlöchern stehen, sagt Micro, dass es noch nicht grad los geht. Es kommt noch was. Sie gehen von der Bühne. Ah klar, ein Intro soll doch schon noch sein, bevor sie dann gleich wieder die Bühne betreten.
Und das setzt sich unter anderem aus „Morgn“ – dem Intro von der Scheibe „Der letzte macht die Tür zu“. Ja, und dann geht es los. Los heisst, vom ersten Ton an … und bis zum letzten wird deftig gepogt in dem kleinen Keller des Dynamo, dem Werk21. Nur die, die ganz am Rande stehen oder ganz hinten können sich dem entziehen. Gut, man ist dann einfach Puffer zwischen Pit und Wand sowie Biergeduschter. Pogen soll ja sein, aber warum muss das Bier in die Luft anstelle die Kehle runter? Na ja, jetzt aber nichts anmerken lassen, dass man überraschenderweise schon fast zu den Älteren heute Abend gehört.
Pieke Punk
„Wir können nicht mehr als drei Akkorde und wir spielen nicht filigran und was die Leute davon halten ist uns absolut egal. Wir sind die Tauben und geben alles was wir haben. Das ist Punkrock von der Pieke auf seit über 30 Jahren. Das wir keinen Bassisten haben sollte schon lange bekannt sein und bei uns geht auch kein Feuer weg denn wir sind doch nicht Rammstein. Wir spielen laut, wir spielen schnell. Wir machen das zu zweit …“
Damit wär ja eigentlich schon alles gesagt. Aber natürlich wollen wir mehr aus dem fast unerschöpflichen Fundus der Norddeutschen. Was jetzt folgt ist kaum in Worte zu fassen. Eigentlich gäbe es eine Setliste und angekündigt wurde, dass sie zuerst mal davon spielen und dann die Fans wünschen dürfen. Aber das gilt eigentlich schon seit dem ersten Song nicht mehr … Pieke wäre Nr. 6 gewesen. Und so erleben wir zwei Jungs, die sich gegenseitig herausfordern, indem sie kurz nach einem Song als erstes den nächsten vorschlagen. Vor allem Olli macht sich einen grossen Spass daraus, mit dem letzten Schlag wie in der Schule artig händehochstreckend ums Wort zu bitten und den nächsten Klassiker anzukündigen. Das hört sich dann jeweils so an: „Ich, ich hab noch einen …“ und dann wird geflüstert, Mikro schüttelt den Kopf, Olli zeigt seine Grimassen und trommelt mit voller Power schon wieder los. Und alle anderen – inklusive Mikro – ziehen mit. Als hätte der Junge grad sein erstes Schlagzeug zu Weihnachten gekriegt.
Die Klassiker kommen fast alle durchs Band. Ausser das von mir gewünschte „Luzie“ bleibt wie erwartet auf der Strecke. Denn als mich Olli am Merchstand fragte, welches Lied ich heute von ihnen gerne hören würde, war Luzie mein erster Gedanke – es war auch lange mein Lieblingslied von meiner allerersten Tauben-CD „Das kriegen wir schon hin“ – was ja wie erwähnt auch deren Debut-Longplayer ist. Im Nachhinein wäre natürlich auch „Betzy Fraitag“ eine gute Wahl gewesen, denn auch dieser einer meiner Favoriten der Tauben fehlt als einer der ganz wenigen heute.
Was wir schon ganz am Anfang lernen ist, dass jeder Song mit einem Schluss (Snare-Bassdrum) wie bei den Scorpions endet. Die kämen ja auch von Hannover und so sei man es ihnen schuldig, erklärt uns Olli.
Immer wieder lassen die beiden ihrem kindlichen Schalk und Charme freien Auslauf. So erholt man sich zwischen den Songs und Pogen mit einem durchwegs fetten Smile im Gesicht und am Ende weiss man nicht, was mehr schmerzt, der Nacken oder die Lachmuskeln.
So auch, als mitten in einem Song Mikro aufhört zu spielen und mit Blick hinter die Bühne sagt: „Benny, es ist passiert“ (beim Namen bin ich jetzt nicht mehr 100% sicher, Benny oder wie du heisst, es sei mir verziehen). Der Supergau ist eingetroffen, eine Gitarrensaite ist gerissen. Es ist ja nicht so, dass wie bei gewissen Bands nach jedem Song die Gitarre gewechselt und diese dann vom Gitarrentech oder Roadie jeweils frisch gestimmt und gepützelt wird, nope, Mikro und abwechselnd dann auch mal Olli, spielen immer mit dem gleichen Oldie-Teil. Muss eine Liebe aus der Jugend- auf Lebenszeit sein. Nun, es gibt da tatsächlich einen – ich nenn ihn jetzt einfach weiter Benny – der die Gitarre übernimmt, doch es steht nicht sofort ein Ersatz bereit. Es kommt ein bisschen Hektik auf, was aber wunderbar zu diesen hyperaktivem Gebaren auf der Bühne – vor allem Ollis – passt. Es geht dann schliesslich doch weiter mit einem Ersatzbaby und ein paar Songs später ist die alte Liebe mit neu aufgezogener Saite zurück. Als hätte man fast nichts davon mitbekommen 😉
Und so könnte ich jetzt noch zeilenweise Schwärmen von einem meiner besten Konzerterlebnisse nicht nur im 2017, sondern überhaupt! Die Tauben stürzen heute definitiv nicht ab, wenn dann ein paar Pogianer oder beinahe der Kunstturner Punk, der sich an den Deckenrohren austurnt und kurz vor einem Feldaufschwung steht bzw. hängt. Nun, zwischen Decke und den Rohren sind grad mal 15 cm Platz … war ein bisschen gar ehrgeizig.
Das Konzert endet typischerweise mit „Tränen … in euren Augen“ – leider soll dies, als ich diese Zeilen finalisiere noch eine tiefere Wirkung entfalten …
Das Fanzit
Endlich hab ich die Tauben mal live erlebt und ich bin nah dran zu schreiben, das war eines meiner Top 10 Konzerte ever. Es kam alles zusammen. Jugenderinnerungen, Texte und Songs die man einfach liebt, zwei Musiker die einfach Spass am Spass haben – davon je ein durchgeknallter Drummer raabschen Ausmasses und ein Original mit einzigartiger Stimme – und eine volle (kleinste) Location, ein Publikum das vom ersten bis letzten Ton mächtig abgeht, guter Sound … hab ich was vergessen? Es war schlichtweg perfekt!
Und jetzt der Dämpfer: Inzwischen haben sich die Tauben schon wieder aufgelöst. Einmal mehr stürzt der Vogel ab. Mikro und Olli waren sich scheinbar nicht einig über die Zukunft der Band. Somit wurde die restliche Tournee und neue Platte abgesagt. Bis auf Weiteres war es das also. Danke dem Punkrock-Gott, dass ich das noch erleben durfte! Und wenn die Tauben wieder mal irgendwo zum Absturz ansetzen: Ich bin dort!