Das nächste Meisterwerk der Finnen
Amorphis haben eine beeindruckende Entwicklung hinter sich. Bei jeder neuen Platte ist es Ihnen irgendwie gelungen, nochmals eine Schippe draufzulegen. Auch Stiltechnisch decken die Finnen eine ziemliche Bandbreite ab.
Waren es am Anfang noch primär Death- und Doom-Elemente, kamen im Laufe der Jahre zusätzlich Heavy Metal und progressive Einflüsse dazu. Die packenden Melodien lassen den Zuhörer oftmals in fantastische Welten und Landschaften eintauchen. Meines Erachtens existieren für das Kalevala – das finnische Nationalepos – kaum geeignetere Geschichtenerzähler. Prägende Figuren der Band sind sicherlich Lead-Gitarrist Esa Holopainen und Sänger Tomi Joutsen.
Mit «Queen Of Time» steht das inzwischen 13. Amorphis-Studioalbum in den Startlöchern. Veröffentlicht soll es über das uns allen bestens bekannte Label Nuclear Blast werde. Hoffentlich verfehlt die Unglückszahl für einmal ihre Wirkung. Glücklicherweise sind die meisten mir bekannten Metalheads nicht abergläubisch. Genau wie beim Vorgängersilberling «Under The Red Cloud» hatte auch dieses Mal wieder Produzent Jens Bogren seine talentierten Fingerchen im Spiel. Erstmals in der Bandgeschichte kamen ein Orchester und Chor zum Einsatz. Ein Hauch Schweiz ist auf «Queen Of Time» übrigens ebenfalls enthalten: Chrigel Glanzmann (Eluveitie) wirkt an den Pipes mit. Ich kann die kommenden Hördurchläufe kaum erwarten.
Das Album – «Queen Of Time»
Die Biene – «The Bee» – macht den Anfang. Hui, da geht’s tempomässig ja schon ziemlich zur Sache. Auf engelsgleichen Intro-Gesang (ähnlich wie bei Rammsteins «Sonne») folgt rasantes Keyboard-Spiel von Santeri Kallio. Etwas später gibt dann Tomi erstmals seine bitterbösen Growls zum Besten. Parallel dazu wechselt der Sound in den Progressive Metal mit orientalisch klingenden Passagen. Auch der klare Gesang des Frontmanns ist zu hören. Exakt diese Mischung ist zweifelsohne einer der wichtigsten Bausteine für die erfolgreiche Amorphis-Mucke. Hörenswerter Einstieg – so darf’s gerne weitergehen. So Metal waren Bienen wohl bisher noch nie.
Zur nächsten Nummer «Message In The Amber» wird der geneigte Fan nur eines sagen: «Typisch Amorphis!». Das Erzeugen solcher Melodien ist für die Finnen ein Leichtes. Das erinnert mich stets an ihr Meisterwerk «Tales From The Thousand Lakes» aus dem Jahre 1994. Abermals triumphiert Herr Joutsen dank seiner stimmlichen Bandbreite. Santeri mutiert erneut zum Volldampf-Klimperer. Die Dynamik reisst den Zuhörer regelrecht mit. Der Chor-Einsatz im letzten Drittel ist dann schlichtweg noch das Tüpfelchen auf dem «i».
Höre ich da tatsächlich eine Orgel im Hintergrund? Hühnerhaut pur! Dieses Mal setzt der Fronter hauptsächlich auf seine clean vocals. Ganz ohne Reizung seiner Kehle kommt er dann allerdings doch nicht aus. Grob und aggressiv brüllt er sich die Seele aus dem Leib. Wer die Orgel schon überraschend empfand, wird beim Saxophon erst richtig aus allen Wolken fallen. Hat man bei Amorphis auch noch nie gehört. Aber es passt – genau so wie die erneut auftauchenden, choralen Abschnitte. Zudem darf Esa Holopainen erstmals seine Gitarrenkünste ausgiebig vorführen. Überraschung Nummer drei ist der finnische Erzähler, der gegen Ende des Songs aufkreuzt. Dabei handelt es sich um Pekka Kainulainen. Somit ist der Texter der Band zum ersten Mal aktiv auf einem Album zu hören.
«The Golden Elk» – ein durchaus witziger Songtitel. Zu Beginn wird die Zuhörerschaft von sirenenartigem Gesang eingelullt. Kurz darauf drückt das Sextett dann aber wieder auf die Tube. Die Riffs werden härter. Nichtsdestotrotz bleibt uns die typische Amorphis-Melodie erhalten – und genau das ist die grosse Stärke dieser genialen Truppe. Tomi hat hier gelegentlich ein paar ganz fiese Grunzer drin. Die klar gesungenen Passagen behalten jedoch die Überhand. Anhänger von «Tausendundeine Nacht» kommen in der zweiten Hälfte des Tracks für eine Weile voll und ganz auf ihre Kosten. Solche orientalischen Parts kennen wir beispielsweise auch schon von Überhymnen wie «Death Of A King». Wieso ich bisher noch keine Hörempfehlung abgegeben habe? Tja, bisher konnten schlichtweg alle Nummern überzeugen.
«Wrong Direction» geht – glücklicherweise – überhaupt nicht in die falsche Richtung. Da sind sie wieder – diese unverkennbaren Amorphis-Klänge. Akute «Eargasm»-Gefahr! Einmal mehr kann der Hörer in atemberaubende Landschaftsbilder eintauchen. Sollte ich eines Tages einmal die eisigen Weiten des Lapplands durchstreifen dürfen, würde ich – zumindest auf einem Ohr – mir dabei definitiv Amorphis zu Gemüte führen. Wer mir nach wie vor nicht folgen kann, sollte sich unbedingt einmal den zum Song zugehörigen Videoclip auf YouTube anschauen (siehe unten). Dort wird die Verschmelzung zwischen Musik und Landschaft eindeutig dargestellt.
Einen gemächlichen Beginn gibt’s dann bei «Heart Of The Giant». Genüsslich kann man den leicht bluesigen Gitarrenklängen lauschen. Kurz darauf kommt dann allerdings wieder Tempo ins Spiel. Growl-Biest Tomi strapaziert seine Kehle erneut mit viel Elan. Aber auch die klar gesungenen Teile gepaart mit dem Chor im Hintergrund sind ein echtes Hörvergnügen. Esa und Santeri liefern sich im letzten Drittel ausserdem noch ein packendes Duell mit ihren jeweiligen Instrumenten.
Über ein wunderschönes Flötenintro, welches an einen Mix aus Nightwish und Filmsoundtrack erinnert, steigen wir in den nächsten Song «We Accursed» ein. Herr Kallio haut ein weiteres Mal mit Hochgeschwindigkeit in die Tasten. Tomi tobt sich bevorzugt in den tieferen Gesangsregionen aus. Eine solide Hymne mit heroischen Elementen.
Mit einer Spielzeit von 04:45 Minuten handelt es sich bei «Grain Of Sand» um den kürzesten Song der Platte. Der Fronter setzt auf seinen gewohnten Stimmen-Mix. Als Kontrastprogramm kommen vereinzelt Frauenstimmen zum Einsatz. Im Gegensatz zu den vorangehenden Nummern fehlt mir dieses Mal jedoch ein bisschen die Durchschlagskraft. Daran kann auch ein durchaus unterhaltsames Klampfen-Solo gegen Ende leider nicht viel ändern.
Vielleicht funktioniert das bei «Amongst Stars» ja wieder besser. Tomi erhält hier mit Anneke van Giersbergen nämlich prominente Unterstützung an der Gesangsfront. Die Niederländerin macht einen gewohnt souveränen Job. Mit ihrem neusten Projekt Vuur werde ich zwar überhaupt nicht warm, aber ihr Talent am Mikro bleibt trotzdem unbestritten. Das gemeinsame Duett mit Mister Joutsen erinnert beinahe ein wenig an Gut gegen Böse. Die gelegentlichen Temporeduktionen sind bei diesem Stück absolut angebracht – auch wenn Amorphis mit Balladen sonst kaum etwas am Hut haben.
Der finale Track hört auf den Namen «Pyres On The Coast». Die gesamte Band zeigt sich ein letztes Mal von ihrer besten Seite. Eine überragende Hymne. Tempi-Wechsel, Dynamik, Growls und clean vocals, epische Passagen und abermals packende Duelle zwischen Keyboard und Gitarre – was will das Amorphis-Fan-Herz mehr? Dieser Albumabschluss ist absolut gelungen.
Das Fanzit
Amorphis blasen mit «Queen Of Time» zum Angriff auf die diesjährige Top 10 der Metal-Neuerscheinungen. Die sechs Finnen scheinen nichts von ihren Stärken eingebüsst zu haben. Ausserdem lassen sie auf ihrem neusten Epos passende Elemente ihrer älteren Werke einfliessen. Vor Tomi Joutsens Stimmgewalt kann man einfach nur den Hut ziehen. Gitarrist Esa Holopainen und Keyboarder Santeri Kallio laufen auf «Queen Of Time» ebenfalls zu Hochform auf. Einige Nummern, wie beispielsweise «Wrong Direction», bleiben einem gleich in den Gehörgängen kleben, während andere Stücke dazu mehrere Durchläufe benötigen. Doch danach ist das Hörvergnügen umso grösser. Pflichtkauf für alle Amorphis-Anhänger und Freunde von epischen Melodien.
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Trackliste Amorphis – Queen Of Time
- The Bee
- Message In The Amber
- Daughter Of Hate
- The Golden Elk
- Wrong Direction
- Heart Of The Giant
- We Accursed
- Grain Of Sand
- Amongst Stars
- Pyres On The Coast
Line Up – Amorphis
- Tomi Joutsen (vocals)
- Esa Holopainen (guitar)
- Jan Rechberger (drums)
- Tomi Koivusaari (guitars)
- Santeri Kallio (keyboards)
- Olli-Pekka Laine (bass)