Die Hexenmeisterin bei Kaffee und Kuchen
Als verhältnismässig kleines Land ist auch die Musikszene der Schweiz eher überschaubar. Dennoch gibt es unter den nicht wenigen Perlen an ausgezeichneten Musikern welche, die ganz besonders herausstechen. Die Prog begeisterte Liane von Metalinside hatte zum Auftakt der neuen Interview-Serie „Portrait Inside“ die Gelegenheit eine dieser Perlen zu treffen. Die Rede ist von Seraina Telli.
Die Aargauerin gehört zu den Sängerinnen, die auch international die metallische Musikszene hat aufhorchen lassen – und dies zu Recht. Man hört es sofort, dass da nicht nur eine leidenschaftliche und stimmgewaltige Sängerin am Werk ist, sondern auch eine Musikerin, die Ihre Passion durch und durch lebt. Seraina ist schrill, frech und fällt sofort auf. Piercings, Tattos, gefärbte Haare und das auffälliges Outfit – man kann die junge Frau einfach nicht übersehen. Man sollte meinen, ein Interview zwischen zwei Metal begeisterten Damen müsste im Pub stattfinden. Doch weit gefehlt, man trifft sich im biederen, von Hausfrauen und Grossmüttern gut besuchten Lokal zu Kaffee und Kuchen und lustigerweise passt das sogar ganz gut. (Äh – das nehmen wir jetzt mal nicht persönlich lieber Daniel – Anm. Redaktion)
Metalinside (Liane): Es geht heute speziell um Dich und um Deine vielseitigen Projekte. Jetzt erzähle uns doch mal, wie Du denn zur der kreativen, schillernden Rockröhre geworden bist.
Seraina Telli (ST): Danke für die Beschreibung (lacht). Ich wollte schon immer Musik machen und singen. Für mich waren seit je her Menschen Vorbilder, die eigenständig sind. Ich wollte keine Sängerin sein, welche einfach eine Band braucht, die mit ihr spielt. Ich wollte lernen wie es ist, selber Musik zu machen, Instrumente zu spielen und dadurch auch unabhängig zu sein. Klar bin ich in erster Linie ein Teamplayer und spiele sehr gerne in Bands. Aber es ist eben auch cool, wenn man einfach hinstehen und selbst Musik machen kannst. Daher habe ich auch angefangen Klavier und Gitarre zu spielen und selber Songs zu komponieren.
MI: Der eine oder andere reduziert deine Band Burning Witches auf das Aussehen, wie stehst du dazu?
ST: Wir fanden es eigentlich eine witzige Idee, dass ein paar hübsche Mädels harten Metal spielen und hatten auch nie damit gerechnet, das dies einmal ein so grosses Thema werden könnte. Ich habe viele männliche Freunde, die Metal spielen. Untereinander gibt es diese Mann/Frau Geschichten nicht – wir sind einfach Freunde und trennen das nicht in die Geschlechterfrage. Ich spiele sonst nur mit Männern in Bands und es ist mit den Burning Witches ganz anders und macht auch riesig Spass, wenn man sich gemeinsam für einen Auftritt ankleidet und schminkt (lacht). Es ist ein ganz anderes Vorbereiten.
MI: Jetzt sagst Du da was ganz Wichtiges: Vorbereiten für den Auftritt. Deine Outfits gestaltest Du ja selber. Könntest Du dir vorstellen als Stylistin für andere Künstler zu arbeiten, Bühnenmode zu kreieren oder etwa ein eigens Modelabel zu gründen?
ST: Oh, das klingt sehr spannend, aber natürlich wieder sehr zeitaufreibend. Ich wollte früher in der Tat Modedesignerin werden, aber es war sehr schwer eine Lehrstelle als Schneiderin zu finden. So betreibe ich es heute mehr als Hobby und ich nehme bestehende Kleider und style sie um. Ich nähe praktisch nichts von Grund auf neu. Aber so als Designerin oder Beraterin tätig zu sein – das wäre schon interessant und eigentlich eine coole Idee.
MI: Berätst Du auch Deine Kolleginnen in der Band, was sie anziehen sollen oder gibst Ihnen Tipps?
ST: Nein, aber wir unterstützen uns da gegenseitig und natürlich fragen wir einander „wie findest du dies und das“. Am Anfang konnte ich schon ein wenig helfen, zum Beispiel mit anbringen von Nieten – das kannten sie kaum und ich mache dies ja schon länger. Mittlerweile sorgt aber jede selber für das Outfit.
MI: Ich gehe davon aus, dass Burning Witches im Moment viel Zeit in Anspruch nehmen. Wie läuft es denn mit den anderen Projekten? Besonders interessiert mich da Surrillium? Und dann gibt es ja auch noch Dead Venus, den Kinderchor und Du gibst auch Gesangsunterricht… Wie bringst Du das alles unter einen Hut?
ST: Manchmal ist es schon ein wenig viel. Man muss halt gut organisiert sein. Ich muss mir nun mal alles aufschreiben, und so funktioniert es eigentlich ganz gut. Ein Vorteil ist sicher, dass alle meine Aktivitäten geografisch sehr nahe beieinander geschehen und somit auch überschaubar sind. Dazu kommt, dass zudem die meisten Leute mit denen ich arbeite sehr flexibel sind. Letztendlich muss ich ganz klar Prioritäten setzen und im Moment sind Burning Witches erste Priorität. Dort passiert sehr viel und es geht stetig voran.
Mit Surrilium bin ich natürlich auch immer wieder dran. Aber schon alleine wegen der Musikrichtung gibt es nicht sehr viele Möglichkeiten um zum Beispiel Liveauftritte zu buchen. Es ist halt schon eine kleine Gemeinde, die Progressive-Rock hört und selbst da gibt es wiederum Abspaltungen in Sub-Genre, sei es Jazz- oder Metal-Einflüsse. Aber wir treffen uns regelmässig, machen Musik und sind auch an neuen Sachen dran. Letztendlich macht auch diese Musik einfach extrem Spass.
MI: Das macht Dich so besonders. Du bewegst Dich ohne Mühe in extrem unterschiedlichen Musikrichtungen. Das kann nicht jede/r. Zusammen mit den Italienern DGM (Progressive Metal) hättet Ihr einen Auftritt gehabt hier in der Schweiz, der leider geplatzt ist…
ST: Genau, es hat leider nicht funktioniert. Wir hatten uns gefreut wieder mal zu spielen, aber irgendwie war der Sänger ziemlich erkrankt. Ich glaub er musste sogar ins Spital. Der Veranstalter wollte den Event ohne DGM nicht machen und hat den Gig letztendlich abgesagt.
MI: Und da wäre ja noch Dead Venus…
ST: Ja, wir sind jetzt zu Dritt. Ich arbeite mit zwei Berufsmusiker zusammen und proben regelmässig um im Moment ein paar Demos aufzunehmen. Irgendwann ist dann auch eine CD geplant, vielleich Anfang nächstes Jahr – wir werden sehen.
MI: Kommst Du gesanglich auch mal an Deine Grenzen?
ST: Ich muss ehrlich gestehen, dass das Meiste eigentlich nur eine Übungssache ist. Wenn ich an Grenzen komme, dann weiss ich, dass es an bestimmen Dingen liegt, wie beispielsweise der Atemtechnik und letztendlich auch mit der damit verbundenen Disziplin. Operngesangs-Stil ist etwas, was ich nicht sehr oft mache. Wenn ich mich allerdings ein paar Wochen darauf konzentrieren, dann würde das sicherlich auch klappen. Also, wirklich etwas, das gar nicht geht (überlegt)…. Ich weiss nicht, aber es gibt schon ganz spezielle Techniken, wie der Kehlkopf-Gesang. Den habe ich allerding auch noch nie ausprobiert. Growlen mache ich nur am Rande und da bin ich gar nicht professionell dran. Ich schaue lieber, dass ich damit meine Stimme nicht kaputt mache. Nein, es ist cool, zwischendurch zu growlen, aber mehr ist für unsere Musik auch nicht nötig.
MI: Trennst Du die Projekte strikt, oder können wir mit kreativen Kooperationen rechnen… Kinderchor singt bei Burning Witches oder ähnlich?
ST: (lacht) „We Eat Your Children 2“ oder so? Nein, im Moment sind keine Kooperationen geplant und alle Projekte sind relativ eigenständig. Aber ich habe schon überlegt, ob man den Kinderchor bei Dead Venus einbauen könnte. Das muss aber schon gut gemacht sein und zum Song passen. Mal schauen…
MI: Mit Burning Witches konntet ihr jetzt beim Label Nuclear Blast unterschreiben. Kannst Du schon sagen, was sie mit euch vorhaben?
ST: Wir sind zum Glück immer noch sehr eigenständig. Mit dem Booking arbeiten wir ja schon länger zusammen. Was cool ist, dass wir jetzt natürlich eine grössere Unterstützung haben werden, besonders bei Produktionen und so und auch bei Promotionen.
MI: Bedeutet, ein neues Album ist in Planung?
ST: Ja. Es läuft echt super und wir haben extrem Freude am Komponieren. Wir waren eine Woche in Kroatien und haben dort intensiv geprobt. Also das hatte ich bisher auch noch nicht gemacht. Das erste Album war relativ schnell eingespielt und haben uns teilweise auch nicht so gut gekannt. Jetzt kennen wir uns einiges besser und wissen was die andere kann und tut. Romana und ich brauchen uns manchmal nur anzuschauen und wir wissen was als nächstes kommt. Wir schreiben auch die Songs zusammen. In dieser Woche in Kroatien konnten wir schon sehr kreativ zusammenarbeiten und es ist schon ganz was anderes als bei einer regulären Bandprobe, wo man danach nach Hause geht. In dieser Woche waren wir auch am Abend zusammen und konnten Ideen auch beim Essen noch besprechen. Ja, so zu arbeiten ist echt intensiv aber in jedem Fall cool und bereichernd.
MI: Gibt es schon Pläne zur Veröffentlichung?
ST: Ja, geplant ist eine Veröffentlichung noch dieses Jahres, wohl am wahrscheinlichsten Ende 2018. Das ist zumindest der Plan.
MI: Das bedeutet, nächstes Jahr auf der Hauptbühne von was Grossem stehen… Wacken zum Beispiel?
ST: Oh, das wäre natürlich mega! Das ist schon eins unserer Ziele mal bei was Grossem zu spielen. Die Festivals – das ist ja schon eine Art Kinder-Teenie-Traum und es ist schon cool, wenn man plötzlich nahe dran ist und so was passieren könnte. Wir haben schon Witze darüber gemacht bei „Bang Your Head“. Ich sagte mal, dass wir keine Tickets kaufen sollten, weil wir vielleicht da spielen werden. Eine Woche später kam dann die Anfrage für die Weihnachtssession des Festivals.
MI: „Sweden Rock“ oder „Hellfest“ wären noch spannende Festivals. Ich denke, die Chancen sind realistisch, denn sie geben auch kleineren Bands ein Chance.
ST: Oh! Und ja, es ist natürlich ein Traum bzw. Ziel an die grossen Festivals zu kommen und uns einem breiten Publikum zu zeigen.
MI: Lass uns einen Schritt weiter gehen. Eine ganz tolle Vorstellung wäre, bestimmt auch für Dich, ein Duett mit Rob Halford? Das Konzert in Zürich steht ja auch bald vor der Tür. Gibt es keine Möglichkeiten im Vorprogramm zu spielen?
ST: Wir haben natürlich schon geschaut, ob das was werden könnte und da war auch eine öffentliche Diskussion welche Vorband es sein könnte. Aber jetzt spielt ja Megadeth vorher. Also hätten wir die Chance gehabt uns zu bewerben, so hätten wir das natürlich schon gemacht. Judas Priest wäre die perfekte Band, um im Vorprogramm zu sein. Und mit Rob Halford… es wäre schon ein Traum nur mal mit ihm zu reden…
MI: Was war für Dich bis jetzt der schlimmste, nervenaufreibenste Auftritt?
ST: Schwer zu sagen… Der allererste Auftritt mit Burning Witches war schon sehr anstrengend. Die Leute haben ja schon über uns geredet und viele haben gesagt, dass wir es eh nicht bringen würden. Ich war noch nie so nervös, weil ich wusste, dass wenn wir diesen Gig versauen, sehen sich die in ihrer Meinung bestätigt. Der Druck war schon sehr hoch. Wir hatten ja nicht die Gelegenheit im Vorfeld Test-Gigs zu spielen und als Band zusammenzukommen und im Proberaum ist es nochmals was anderes als auf der Bühne. Auf der Bühne lernt man sich erst recht kennen. Wir waren auf jeden Fall extrem aufgeregt.
MI: Das war in der Metbar in Lenzburg. Es lief ja alles gut und war sogar ausverkauft?
ST: Ja, im Nachhinein war es sehr positiv, cooler Auftritt und wir haben uns auch gut gefühlt, aber eben, selbst die Tage vorher waren schon sehr anstrengend gewesen.
MI: Was hast Du dagegen gemacht? Drogen, Alkohol?
ST: (lacht) Genau, Rockstar-Leben halt. Nein, man versucht ein wenig runterzukommen und sich gut vorzubereiten, aber es ist schon schwierig.
MI: Vor allem als Frontfrau ist man schon exponiert und man kann sich ja nicht hinter dem Schlagzeug verstecken.
ST: Ja, meine Gefühle kommen durch die Stimme direkt raus. Und es ist manchmal schwierig dies zu kontrollieren, vor allem wenn du merkst, dass die Nervosität überwiegt. Normalerweise habe ich es gut im Griff, weil ich weiss, dass ich die entsprechende Techniken anwenden kann und dann automatisch wieder zur Ruhe komme. Bei unserem ersten Gig musste ich mich aber einfach darauf verlassen, dass es funktioniert – da half keine Technik mehr.
MI: Die Leute waren aber richtig wild und gingen ganz schön mit. Ich konnte leider nicht dabei sein, aber die Youtube Videos sagen alles!
ST: Ja, das war echt cool. Der Laden war ja sehr voll und darum hatten wir ganz vorne viele Leute. Auch solche, die die Songs komplett mitsingen konnten.
MI: Aber Stage Diving gab es bisher keines?
ST: Doch, doch…. wo war das nochmals genau? Bei irgendeinem Konzert gab es jemanden. Aber nur ganz klein und kurz (lacht). Ich glaube es war bei der Plattentaufe.
MI: Jetzt eine eher generelle Frage zu Burning Witches: Sonja ist jetzt neu bei euch und hat Alea ersetzt. Was war da der Hintergrund?
ST: Es war für sie schon ziemlich schwierig gewesen, denn es ist alles halt plötzlich sehr schnell gelaufen. Ich glaube sie konnte sich mit dem Ganzen nicht so recht identifizieren. Es hat sich irgendwie auseinandergelebt und sie hat sich dann entschieden, dass es besser wäre, wenn man sich trennen würde. Aber wir sind im Guten auseinander. Man muss sich halt schon früh entscheiden, denn wir haben doch viel miteinander zu tun, viel gemeinsamen Stress und da muss alles stimmen und man muss zusammenhalten.
MI: Denke ich auch. Ich habe das Gefühl, ihr habt recht viele Live-Auftritte.
ST: Ja, gerade in Spanien sassen wir doch lange aufeinander. Wir hatten in 5 Tagen 4000 Kilometer mit dem Auto hinter uns gebracht und meistens wenig geschlafen, teilweise nur drei, vier Stunden und sind dann wieder 800 Kilometer weiter an den nächsten Gig gefahren. Das war sehr anstrengend, hat uns aber doch sehr zusammengeschweisst.
MI: Die spanischen Fans sind auch ein wenig anders als die Schweizer, was den Ausdruck von Emotionen betrifft, oder?
ST: Oh ja, und wir sind schon ein wenig erschrocken. Wir dachten am ersten Konzert kommen vielleicht 20 Leute und wir waren dann schon sehr überrascht, als es hiess der Gig sei ausverkauft. Das Publikum ist wirklich voll abgegangen, wie man es sich halt gerne vorstellt. Und auch später am Merchandising mussten wir höllisch aufpassen, dass wir nicht plötzlich von einem Fan gepackt wurden. (lacht) Da sind die Schweizer Fans schon eher zurückhaltend. Aber es machte schon Spass, diese Emotion und die Faszination der Spanier zu sehen. Warte, oder war es in Spanien mit dem Stage-Diving? Wohl eher…
MI: Wie siehst Du Deine musikalisch Zukunft?
ST: Ich mache doch schon lange Musik und wusste lange nicht in welche Richtung ich gehen wollte. Mit Dead Venus habe ich inzwischen gute Leute gefunden und mit Burning Witches läuft es sehr gut und dort ist auch der Zusammenhalt sehr gross. Aber auch mit Surrillium mache ich gerne weiter. Generell halt mehr CDs, mehr Konzerte, mehr Musik.
Schwarz oder Weiss?
MI: Seraina, jetzt gibt es ein paar ganz persönliche, vielleicht auch schräge Fragen. Wir nennen es „Schwarz oder Weiss“. Ich nenne dir 2 Begriffe und du musst dich für einen entscheiden und erklären, warum Du dich dafür entschieden hast ok?
Hip Hop oder Volksmusik?
ST: Schwierig…. mhmmm dann doch HipHop. Es gibt viele Musiker, die ihre Emotionen durch ihre Musikrichtung transportieren können und das erscheint mir beim HipHop schon wichtiger als bei der Volksmusik, auch wenn es dort auch um Emotionen geht.
Tarja Turunen oder Alissia White-Gluz?
ST: Alissia! Ich finde sie sehr cool. Tarja ist eine ausgezeichnete Sängerin mit einer tollen Stimme, aber Alissia ist wie ein kleines Biest – frech und wild und so bin ich ja irgendwie auch.
Fleischesser oder Frutarier?
ST: Fleischesser, ganz klar!
Analog oder Digital?
ST: Oh, schwierig…. Analog. Ich denke analog klingt halt einfach wärmer.
iPod oder High End?
ST: Ich höre sehr viel Musik über das Handy, will dabei aber schon einen guten Kopfhörer haben. Sonst natürlich über gutes Equipment mit entsprechend qualitativen Lautsprechern.