Alle Jahre wieder rockt’s im Elsass
Es ist Anfang August – Zeit für einen kurzen Ausflug ins nahegelegene Elsass. Im Rahmen des Foire aux Vins, einer grossen Messe, die seit mehreren Jahrzehnten existiert, gibt’s am ersten Sonntag wieder die bekannte „Hard Rock Session“ im wunderhübschen Amphitheater. Das Schema ist immer noch das gleiche: Vier Bands, die ersten drei mit je genau 60 Minuten Spielzeit, der Headliner mit einer halben Stunde mehr. Und das Programm in diesem Jahr lässt Melodic-Fans natürlich das Wasser im Munde zusammenlaufen…
Es ist ein weiterer toller Sommertag. Ab ins Auto, auf dem Weg noch Nicky aufladen (die kommt direkt von der Arbeit…) und los geht die Fahrt. Dank dem netten Kollegen Yves klappt’s denn auch mit Fotoausweis und die nette Mitarbeiterin, welche uns die Pässe gibt, erwähnt dann auch noch was von einer „Pressekonferenz“. Ja wie jetzt? Sowas hab ich hier ja noch nie gesehen! Gibt’s aber – gemäss den Kollegen vor Ort – offenbar jedes Jahr. Das sagt man mir jetzt… Also gut, dann schauen wir mal, was denn da so los sein wird.
Pressekonferenz
Um halb vier taucht dann tatsächlich eine kleine Blondine auf, mit einem riesigen Smile auf dem Gesicht: Welcome Doro Pesch! Die Dame wird von den mehrheitlich französischen Journalisten (u.a. auch TV) fast belagert. Sie antwortet auf alle Fragen mit ihrem ureigenen Enthusiasmus, verrät dabei die grössten Teile der Setliste, verspricht einen Old School Set mitsamt einem neuen Song, kündigt den Gastauftritt von Tommy Bolan an und erklärt, wie man zwei Tage nach Wacken trotzdem so frisch aussehen kann. Auf meine Frage nach der Rückkehr auf irgendeine Kreuzfahrt meint sie mit beschämten Grinsen, dass sie dieses Jahr (auf der „Monsters Of Rock Cruise“) fürchterlich seekrank war – und schon vor ein paar Jahren (damals auf der „70‘000 Tons of Metal“) war es dasselbe. Doch sie schliesst eine weitere Teilnahme dennoch nicht aus.
Anschliessend wollen einige Leute noch ein Bild mit der Düsseldorferin machen, sehr zum Leidwesen der Promoterdame, die ihren Zeitplan über den Haufen geworfen sieht. Aber Doro lässt sich dadurch nicht aus der Ruhe bringen und geniesst auch diese Momente. Sagt, was ihr wollt: Soviel Klasse wie diese Frau hat, findet man äussert selten in unserer Szene!
Kurz darauf taucht der Opener des Tages im Pressezelt auf: H.E.A.T. Die Schweizer Kollegin Gaby ist völlig aus dem Häuschen, weil sie ein Meet & Greet gewonnen hat, doch zuerst setzen sich die fünf Schweden aufs Sofa und beantworten erstmal ein paar Fragen. Die Show vom Bang Your Head!!! 2015 ist ein Thema – ich wundere mich noch heute, dass Erik damals in der Bullenhitze nicht zusammengebrochen ist! Und sie erzählen, dass einem sogar die Turnschuhe geschmolzen sind damals…
Ein Journalisten-Kolleg drückt danach Gitarrist Dave Dalone eine Art Elektro-Banjo in die Hand, Fronter Erik Grönwall lässt sich nicht lange bitten und schon zocken die zwei kniend „Johnny B.Goode“, sehr zum Plausch der Presseschar! Beim anschliessenden Fotoshooting (unter anderem mit einer strahlenden Gaby) gibt’s noch eine kleine Zugabe in Form von „A Shot At Redemption“, bevor sich die Jungs auf ihren Auftritt vorbereiten. Sehr sympathisch!
Gemäss dem Ablauf sollen auch Powerwolf noch auftauchen für Interviews. Aber dies wird wohl irgendwann passieren, wenn in der Arena Musik läuft – und die hat ganz klar Vorrang!
Fotos von der Pressekonferenz mit Doro und H.e.a.t (Kaufi)
H.E.A.T.
Pünktlich geht’s los im bereits jetzt proppenvollen Theater. Ich bin ehrlich gesagt sehr überrascht: Über dermassen viele Fans hat sich kaum ein Opener freuen können… Mit „Bastard Of Society“ steigen die fünf Schweden in ihren Set und auch wenn das schon einen Zacken härter als ab Konserve rüberkommt: Die Songs vom aktuellen Album „Into The Great Unknown“ können einfach nicht ganz mit den älteren Geschichten mithalten. Das wird spätestens in dem Moment deutlich, als „Mannequin Show“ startet und im Publikum das erste Mal richtig gefeiert wird. Erik Grönwall ist natürlich wie immer DER Blickpunkt, unfassbar mit welcher Energie über die Bühne stapft, tänzelt, rennt und dabei immer seinen Blondschopf in Bewegung hält. Dazwischen setzt er sich dann aber auch mal an den Bühnenrand, damit auch die Fotografen mal eine Chance auf ein Bild bekommen…
„Beg Beg Beg“ wird mit etwas AC/DC („Whole Lotta Rosie“) aufgemotzt, bevor mit „Tearing Down The Walls“ das Tempo etwas gezügelt wird. Dennoch ist dies zweifellos ein Highlight, mit sehr viel Emotionen gespielt und gesungen – stark!
Bei Erik brechen jetzt alle Dämme. Zu „Emergency“ unternimmt er Versuche im Crowdsurfen und weil es ihm unter den Fans so gefällt, bleibt er für das anschliessende „Inferno“ grad da! Er läuft singend durch die Ränge, lässt sich von den Fans umarmen und umarmt zurück, wirft sich für Selfies in Pose – der Kerl hat Unmengen an Spass und so packt er sich zu guter Letzt einen vielleicht 10-jährigen Jungen mit Kutte, und schleppt den grad mit auf die Bühne! „Ladies and Gentlemen: The next Generation of Rock Music Fans!“
Die Stunde Spielzeit ist im Handumdrehen vorbei, das geile „A Shot Of Redemption“ bildet den Schlusspunkt und H.E.A.T. beweisen, dass sie trotz dem eher durchzogenen letzten Album zumindest auf der Bühne weiterhin eine Macht sind.
Setliste H.E.A.T.
- Bastard of Society
- Late Night Lady
- Mannequin Show
- Redefined
- Heartbreaker
- Beg Beg Beg (With parts of AC/DC Whole Lotta Rosie & Erma Franklin Piece Of My Heart)
- Tearing Down the Walls
- Emergency
- Inferno
- Living on the Run
- A Shot At Redemption
Doro
Die Metal Queen gibt sich die Ehre in Frankreich. Offenbar ist dies ein eher seltenes Gastspiel hier in der Gegend – entsprechend freudig wird Frau Pesch begrüsst. „Earthshaker Rock“, „I Rule The Ruins“, „Raise Your Fist In The Air“ (teilweise sogar auf französisch), „Burning The Witches“: Doro lässt hier gar nichts anbrennen. Getragen von ihrer auch heute bärenstarken Band gibt’s Klassiker en Masse. Ab „East Meets West“ gibt’s noch weitere Unterstützung: Wie versprochen ist der ehemalige Warlock Gitarrist Tommy Bolan heute mit dabei. Dank ihm steigt das Energielevel auf der Bühne gleich nochmals sprunghaft an!
„Für Immer“ ist immer wunderbar, allerdings sind mir die Mitsingspielchen heute einen Tick ZU lang. Dafür mausert sich das neue „All For Metal“ zu einer unglaublichen Hymne. Der Song mag auf CD (oder auf Youtube…) vielleicht etwas belanglos wirken, aber live ist das eine gewaltige Granate! Dementsprechend die Reaktionen der Fans – die Stimmbänder werden einem weiteren harten Funktionstest unterzogen. „Breaking The Law“ kennt danach jeder (und auch wenn Doro an der Pressekonferenz eine Lanze für diesen Song bricht: Nein. Braucht’s nicht…) und „All We Are“ ist wohl auf immer und ewig ein Garant für tolle Stimmung.
Nun, die 60 Minuten sind noch nicht um! Also macht man weiter und spielt mit „Burn It Up“ und vor allem „Metal Racer“ zwei doch eher seltene Perlen. Auch hierfür gebührt Doro einfach Respekt: Selbst wenn viele Songs absolute Standards in ihren Sets sind: Sie bringt doch immer wieder kleinere oder grössere Überraschungen mit!
Setliste Doro
- Earthshaker Rock
- I Rule the Ruins
- Raise Your Fist In The Air
- Burning the Witches
- East Meets West
- Für Immer
- All For Metal
- Breaking the Law
- All We Are
- Burn It Up
- Metal Racer
Powerwolf
Zeit für den Headliner. Ok – Zeit für die Band, die hier Headliner sein müsste… Ja, heute backen die Wölfe kleinere Brötchen als noch vor ein paar Wochen auf dem Bang Your Head!!!. Abgesehen davon, dass auf der Bühne deutlich weniger Platz herrscht, so ist die praktisch komplett fehlende Pyroshow der grösste Unterschied. Der Bühnenaufbau und die Deko sind allerdings auch heute natürlich wieder erstklassig. Und Powerwolf sind zudem in einer Liga angekommen, in der sie auch ohne Feuer, Glitzer, Laser und was weiss ich noch bestehen können. Alleine Attlia versprüht dermassen Charisma, der Kerl ist wirklich ein richtig geiler Frontmann geworden! Image hin oder her: Seine Ansagen wirken weit weniger einstudiert wie noch vor ein paar Jahren. Heute ist sehr viel mehr Spontanität dabei. Die Fans flippen demzufolge bei der französischen Ansage zu „Army Of The Night“ richtiggehend aus, sodass im eh schon übervollen Fotograben grad auch noch der eine oder andere Crowdsurfer daherkommt…
Mitsingen ist angesagt bei „Demons Are A Girl’s Best Friend“ – ich gelange hier je länger je mehr zu der Überzeugung, dass dies einer der geilsten Songs der Wölfe überhaupt ist! Meine Stimmbänder und mein Nacken denken ähnlich – Stimmbänder müssen also mal kurz mit (Hopfen-)Tee behandelt werden. Und was passiert? NOCH mehr singen! „Armati Strigoi“…
Zu „Fire & Forgive“ werden ein paar kleine Feuerchen auf der Bühne angezündet – kein Vergleich zu den Flammenwerfern vor ein paar Wochen. Aber wie gehabt: Die Musik überzeugt auch ohne Firlefanz.
Mein persönliches Highlight ist danach einmal mehr die „Werwolfes Of Armenia“, bei denen Attila im Land des Weltmeisters das „HU“ auf isländische Art versucht. HA!
Mit „Incense & Iron“ gibt’s noch einen dritten Titel vom brandneuen Werk „The Sacrament Of Sin“, die heimischen Fans drehen sprichwörtlich durch und starten einen weiteren Circle Pit. Zu Power Metal. Naja – das hatten wir ja schon…
Mit nur einer Stunde Spielzeit ist das Ende natürlich und leider sehr schnell da. „Sanctified With Dynamite“ und das obligate „We Drink Your Blood“ – tausendfach mitgeschrien – setzen mehr als nur ein Ausrufezeichen. DAS hier, sehr geehrte Metal Gemeinde, DAS hier ist ein Headliner! Diese Band kann und wird jedes verdammte Festival auf dieser Erde problemlos anführen, das steht ausser Frage!
Setliste Powerwolf
- Blessed & Possessed
- Army of the Night
- Amen & Attack
- Demons Are a Girl’s Best Friend
- Armata Strigoi
- Fire and Forgive
- Werewolves of Armenia
- Incense & Iron
- Sanctified With Dynamite
- We Drink Your Blood
Ghost
Ich hab mir lange überlegt, was ich zum Hauptact des Tages schreiben soll. Offenbar sind Ghost in Frankreich unfassbar gross, anders kann ich es mir nicht erklären, warum hier nicht Powerwolf als letzte spielen. Ja, im Publikum hat’s sehr viele Shirts von Papa und seinen Geistern. Verstehen muss ich das ja nicht…
Zugegeben: Der Bühnenaufbau, das Bühnenbild sieht schick aus, ist durchaus eines Headliner würdig. Der Rest? Ein paar Musiker mit identischen Masken, hat man einen hat man alle fotografiert. Keine Emotionen welcher Art auch immer sind sichtbar. Toll. Ein Sänger mit weisser Schminke (gut, DAS haben die Wölfe ja auch), der aber stimmlich und von der Ausstrahlung her zu keiner Sekunde an seinen heutigen Vorgänger herankommt. Und musikalisch kann ich mit diesem pseudo-intellektuellen-okkult Zeugs gar nichts anfangen, das ist pure Langeweile. Keine Power, kein gar nichts, da nützen weder die knallenden Pyros, bereitgestellte Schnitzelkanonen (Pam hätte seine Freude gehabt….) noch der ach-so-böse-dreinblickende Anti-Papst etwas.
Vor einem Jahr waren an dieser Stelle Amon Amarth. Wahrlich nicht meine Musik! Aber himmelarsch: DAS war ein verdammter Headliner! DAS war eine beeindruckende Metal Show! Heute heisst es Schlafmusik – Nicky und ich verduften somit. Wir sind bei weitem nicht die einzigen, denn auf dem Weg nach draussen sehen wir sehr viele Fans (Dutzende, keine Übertreibung!) mit Powerwolf Shirts, die sich sicherlich ebenso über die heutige Headlinerauswahl gewundert haben…
Das Fanzit
Lage, Location, Organisation: Die Hard Rock Session in Colmar ist diesbezüglich Spitzenklasse! Das Konzept mit den (fast) gleichen Spielzeiten ist speziell und wohl ziemlich einzigartig, sicherlich nochmals ein Pluspunkt. Die Bandauswahl ist einmal mehr sehr edel (gut, dieses Jahr nur zu 75%…), und während man Doro und Powerwolf schon ab und zu mal auf der Bühne sehen kann, ist vor allem der Auftritt von H.E.A.T. toll gewesen, denn da ist’s für mich persönlich schon eine Weile her seit dem letzten Mal. Keine Frage: Wenn das Line Up stimmt, dann fahre ich auch 2019 wieder ins Elsass…