Craig Blundell – oder wenn Zeit keine Rolle spielt
Drei Minuten Wartezeit an der Kasse im Supermarkt? Schon werden die meisten Menschen nervös. Einen Film im Fernsehen von Anfang bis zum Schluss konzentriert verfolgen? Haben wir verlernt, denn wir müssen ja zwischendurch unbedingt die E-Mails auf dem Smartphone checken.
Vernünftige Berichterstattung mit Gehalt und guten Recherchen? Dafür wollen wir nicht bezahlen. Ausserdem sind die oberflächlichen und meinst sinnlosen Quick News auf 20 Minuten für die Meisten viel interessanter. Ein ausführliches Interview mit einer Person des öffentlichen Lebens lesen ist uns zu mühsam geworden. Wir sind zu ungeduldig. Das 30 Minuten Interview im Online-Musik-Magazin publizieren, will die Verantwortliche nicht veröffentlichen, denn es muss ja knackig kurz in 2 Minuten abgehandelt sein (Anm. d. Red.: Was hier wo nein). Immer schneller, besser, höher, effizienter, wo führt das noch hin?
Nun, und was hat das mit unserem Interview hier bei Metalinside zu tun? Ganz einfach, wir schwimmen gegen den Strom und haben uns entschieden das komplette Interview mit Craig Blundell zu publizieren (Anm. d. R.: Aha, aber klar doch! Immer!). Es wurde nichts geschnitten oder gekürzt. Es wurde in knapp 16-stündiger Arbeit abgehört, verfasst, übersetzt und Korrektur gelesen..
Nehmt euch doch auch mal Zeit dafür – es lohnt sich!
Der Schlagzeuger, der hauptsächlich über sein Engagement bei Steven Wilson bekannt geworden ist, hat sehr ausführlich über sich und seine Entwicklung in der Musikindustrie geplaudert. Daniel und ich konnten viel Zeit mit ihm verbringen und hingen knapp zwei Stunden „an seinen Fersen“. Nicht nur, dass er viel zu erzählen hatte, er zeigte uns auch kurz vor dem Konzert was hinter und auf der Bühne so alles passiert.
Zum Beispiel wo die Band sich zwischen den Songs frisch macht, wo und wie (!) Nick Beggs mal wieder halbnackt den Soundcheck bestritt oder was auf der Bühne alles an Technik vorhanden ist. Auch erklärte er uns, dass Steven Wilson seine Lebenseinstellung auch sonst wohl recht penetrant umsetzt und grossen Wert darauf legt, dass alle auf Tour involvierten Personen nachhaltig und vegetarisch/vegan leben. So verzichtet der “Boss” (wie Craig ihn gerne nennt) aus ökologischen Gründen weitestgehend auf das Transportmittel Flugzeug und schippert die Band tagelang mit dem Tourbus durch die Gegend.
Was genau der charmante Brite alles sonst noch erzählt hat, könnt ihr nun selbst hier lesen…
(C: Craig Blundell, L: Liane Paasila, D: Daniel Baratte)
Besonderen Dank gilt Diana Seifert von www.lidschlag.net für das Bereitstellen der Fotos
L: Craig, Du hast heute Geburtstag. Herzlichen Glückwunsch zum 45. Jahrestag! Wie hast Du heute gefeiert?
C: Ja, es ist mein 45. Geburtstag wow, ich werde alt. Ich mag es, die Welt zu entdecken. Ich schnappe mir mein kleines Velo, welches ich immer auf Tour mit dabei habe und gehe auf Entdeckungsreise. Heute bin ich in den naheliegenden Zoo gefahren, denn ich liebe Tiere und verbringe gerne Zeit mit ihnen. Zudem habe ich auch mit meiner Familie geskyped.
Mein Sohn hat heute seinen Hochschulabschluss in der Westminster Cathedral gefeiert. Es ist also heute ein ganz besonderer Tag, nicht nur wegen meinem Geburtstag. Leider kann ich wegen der Tour nicht bei meinem Sohn sein. Das ist wirklich eine Schande. Ich habe aber Bilder von ihm gesehen und bin ein so stolzer Dad. Ausserdem ist es unglaublich heiss im Moment. Deshalb versuche ich so viel Energie wie möglich zu sparen. Es gibt also keine grosse Party. Wir haben heute eine 2-stündige Show. Es wird dort drinnen sehr heiss werden.
L: Die Show findet in einem Zelt statt?
C: Yeah, es ist wie ein grosses Zirkuszelt und es ist dort extrem heiss. Das ist natürlich toll, um Gewicht zu verlieren (lacht). Na ja, wird schon gut gehen. Ich versuche daher nicht zu viele verrückte Dinge zu unternehmen. So lange ich jeden Tag mit meinem Bike unterwegs sein kann, ist das ok für mich.
L: Es gibt kein Grund zur Klage. Du bist super „in shape“ und siehst jung aus für dein Alter. (C: Danke!) Was unternimmst du, um fit zu bleiben?
C: Ich habe die Gene meines Vaters geerbt. Er ist ein sehr jung aussehender Mann.
Als ich vor ungefähr drei Jahren das erste Mal mit Steven Wilson auf Tour ging, war ich ziemlich ausser Form. Es ist eine wirklich grosse Tour, auf Top-Level. Ich war etwa 40 Pfund schwerer und nicht ganz so leistungsfähig. Also musste ich härter trainieren und fitter werden. Ich musste an Orten spielen wie Chile oder Mexico und ich hatte aufgrund der Höhenunterschiede echt zu kämpfen. Es ist ein Unterschied, ob du in England einen grossen Namen hast oder ob du auf einer Weltbühne stehst. Denn dort bist zu niemand, vor allem nicht, wenn du Grössen wie Marco Minnemann, Chad Wackerman oder Gavin Harrison vertrittst. Sie spielten ja vor mir bei Steven Wilson. Alle Augen sind auf mich gerichtet. Ich habe mich als schwächstes Mitglied gefühlt.
Also beschloss ich, meinen Lifestyle zu ändern. Ich habe aufgehört Wein zu trinken. Ich habe immer nach dem Gig viel Wein getrunken. Aber es ist eine Falle. Du beendest das Konzert, gönnst dir ein Glas Wein mit deinen Freunden und aus einem Glas werden zwei und drei oder vier. Wenn du am nächsten Morgen erwachst, fühlst du dich total beschissen. Das Ganze ist ein Teufelskreis. Da habe ich realisiert, dass das nicht mehr so weiter gehen kann. Es ist nicht fair gegenüber meinem Boss, meiner Familie oder gegenüber mir selbst. Ich begann Tennis und Squash zu spielen und ich nahm mein klappbares Bike mit auf Tour. Jeden Tag versuche ich ein paar Stunden Fitness zu machen.
A hard working man
L: Ich denke vor allem physisch ist der Job des Schlagzeugers am anspruchsvollsten auf der Bühne, nicht wahr?
C: Ja, schon ziemlich. Mental sind wir natürlich alle stark eingespannt, aber physisch ist das Schlagzeugspiel am härtesten. Ich spüre, was ich am Abend geleistet habe, vor allem bei der Hitze. Von hier in Freiburg (D) aus werden wir nach Istanbul und Athen weiter fahren, dort ist es fast 40 Grad. Sobald ich von der Bühne gehe, versuche ich viel Flüssigkeit zu mir zu nehmen. Zwischendurch hänge ich auch während dem Gig die Füsse ins kalte Wasser, um den Körper herunter zu kühlen.
L: Du arbeitest sehr hart und dies in vielen unterschiedlichen Projekten. Du spielst/spieltest in vielen verschiedenen Bands wie zum Beispiel Lonely Robot, Pendragon, Frost*, bist mit Steven Wilson unterwegs und bei Kino spielst du auch noch. Ausserdem gibst du Schlagzeugunterricht und machst Drum-Clinics u.s.w. Wie bewältigst du diesen vollen Zeitplan?
C: Ich bin ein bekennender Workaholic. Ich liebe es hart und viel zu arbeiten. Was viele nicht wissen ist, dass ich erst vor 10 Jahren angefangen habe, professionell zu spielen. Mein ganzes Leben lang habe ich versucht, mit der Musik etwas zu erreichen. Erfolgreich zu sein bedeutet für mich, wenn ich meine Familie mit meiner Arbeit unterstützen kann und die Rechnungen davon bezahlt werden können. Dann habe ich es geschafft.
Ich habe über die Jahre immer versucht, mein Portfolio zu vergrössern und zu den Menschen immer so nett wie möglich zu sein. Denn wenn du auf dem Weg nach oben bist, begegnest du den Leuten, die du wieder auf dem Weg nach unten triffst. Also gilt für mich „always be a nice person“
Um vielfältig zu sein, brachte ich mir bei, offen und aufgeschlossen zu sein. Ich habe letztes Jahr auf 38 verschiedenen Alben gespielt, was eine Menge ist. Glücklicherweise lerne ich schnell und kann mich anpassen. Zudem finde ich es toll mich weiterzuentwickeln und Neues dazu zu lernen. Ich sauge einfach alles auf wie ein Schwamm.
Mit Google Kalender organisiere ich all meine Termine sehr gut. Ich habe ihn auf meinem Smartphone, meinem iPad und meinem Mac. So weiss ich immer, wo ich wann bin. Ich mache mir auch immer Listen. Jeden Montag erstelle ich eine To-Do-Liste für die Woche und unterscheide, was wichtig ist und was nicht. Zeitmanagement und richtig Prioritäten setzen ist hier sehr wichtig.
Ich bin auch ein grosser Fan davon, alles immer aufzuschreiben. Gutes und Schlechtes, denn es hält den Kopf freier. Früher ging ich oft gestresst und bedrückt ins Bett. Meine Gedanken kreisten nur so. Wenn ich aber alles aufschreibe, sehe ich es auf einen Blick und kann Dinge priorisieren. Ich habe die Gelegenheit bekommen, einer der meist beschäftigten Schlagzeuger der Welt zu sein. Das ist mein absoluter Traum. Das will ich nicht einfach aufgeben. Die Musikindustrie ist ein unbeständiger, flatterhafter Ort. Sicher werden all diese Möglichkeiten, die sich mir gerade bieten, nicht dauerhaft bestehen bleiben. Aber jetzt im Moment breite ich meine Flügel aus und setzte ein paar Anker. Im Moment habe ich viele Dinge mit Steven Wilson geplant. Ausserdem habe ich eine Drum-Clinic Tour in Japan vor mir.
L: Wow, Japan?
C: Ja, ich werden dort Einiges mit Steven Wilson machen und ich habe noch Drum-Clinics geplant.
D: Organisierst du das alles selber oder hast du einen persönlichen Manager, der für dich organisiert und dir hilft?
C: Ich mache alles selber. Ich hatte schon die Möglichkeit gehabt, mit verschiedenen Agenten und Managern zu arbeiten, aber ich mache es lieber alleine. Es klingt jetzt vielleicht eingebildet, aber ich kann selber entscheiden was wann zu tun ist. Es wird eventuell nicht immer so bleiben. Aber so muss ich nicht immer nur arbeiten, arbeiten, arbeiten, weil es der Manager so geplant hat. Es ist auch nett, einfach mal ein bisschen Freizeit zu haben, um Golf zu spielen.
D: Mit einem Agenten hast du natürlich eine gewisse Verpflichtung und du musst Dinge machen, die du nicht unbedingt magst.
C: Ja total. So lange ich alles alleine managen kann, werde ich es geniessen. Ich muss mich nicht verrückt machen lassen und teile mir meine Zeit so ein, wie es für mich passt. Das was ich im Moment mache, ist ein Vollzeit-Job. Und ich entscheide darüber, welche Projekte ich annehme.
Alle denken, ich sei ein „Prog-Guy“, aber ich bin es nicht wirklich. Ich liebe diese Musik, aber meine Lieblingsband war und ist noch immer Slayer.
Dani zieht ein paar lustige Fotos und Artikel aus der Tasche, unter anderem ein Foto mit ihm und einem Celine Dion T-Shirt
C: (lacht) Das mit Celine Dion war eine meiner ersten Sessions. Ich habe bei einem Demo-Album von ihr mit gemacht. Ich habe furchtbar gespielt. Es war sehr schlecht. Es war wirklich, wirklich schlecht. Ich war so nervös.
D: Gibt es für dich Grenzen, oder bist du für jeglichen Drum Job offen?
C: Nein, ich bin da total offen. Weisst du, manchmal muss ich die Musik nicht unbedingt mögen. Manchmal ist es einfach eine Session. Ich habe schon bei einigen Künstlern mitgespielt und mir gedacht „Das ist nicht toll“, aber hey ich bin von Beruf Schlagzeuger. Alles was mich von meinem alten, langweiligen Tagesjob abhält, kann nicht so schlecht sein.
Ja, ich sage zwar, dass ich auswählen kann, aber das ist nicht immer der Fall. Ich mache manchmal Sessions, wo ich nicht übermässig begeistert davon bin. Ich habe auch schon 3 Tage an etwas gearbeitet, was ich total scheisse fand und es hasste. Aber ich kann dann sagen: „Schaut, ihr könnt mich auf diesem Album hören.“ Wenn du bei verschiedenen Alben mitgewirkt hast, zeigt das deine Vielfältigkeit und das ist gut für deinen CV und es sorgt hoffentlich dafür, dass das Telefon weiterhin klingelt und neue Angebote rein kommen.
D: Es scheint ziemlich einfach zu sein, dich als Schlagzeuger zu buchen.
C: Nun, über Social Media ist mittlerweile fast jeder erreichbar. Jeder kann einen Schlagzeuger buchen, einen Vinnie Colaiuta oder mich. Jeder ist erreichbar heutzutage. Die Zeiten haben sich verändert, egal ob das etwas Gutes oder etwas Schlechtes ist. Ich hatte es vorher schon erwähnt, dass ich auf 38 Alben zu hören bin. Das ist ein tolles Portfolio. Durch die Entwicklung der technischen Möglichkeiten kann ich viele Aufträge in meinem Heimstudio ausführen. Viele Jungs arbeiten so. Es ist ein notwendiges Übel.
Das Leben hat auch Schattenseiten
L: Wenn du zurückschaust, was war der Job der dich am meisten inspiriert hat und welches war der schlimmste Job, den du als Musiker umsetzen musstest?
C: Der schlimmste Job. Ich habe einmal in einer Kabarett-Band gespielt, als ich noch am Üben war. Wir spielten auf Geburtstagsfesten, in Bars, etc. Ich machte das für 10 Jahre. Es war nichts überwältigendes, aber ich habe spielen gelernt. Und dann spielte ich in einer Art 60er Jahre Rock `n Roll Band in London. Wir spielten an so kleinen, dämlichen Events in Pubs. Ich habe mein Leben lang in Pubs gespielt. Wir spielten dort von 11 bis 12 Uhr abends. Alle waren betrunken und niemand hörte dir wirklich zu.
Was ich nie vergessen werde ist ein Event zwischen Weihnachten und Neujahr. Ich hatte mein Schlagzeug neben der Toiletten aufgestellt. Die Tür war gleich neben meinem Floor Tom. Alle waren betrunken, liefen in und aus der Toilette hinaus und sie liefen immer in mein Schlagzeug. Gleich neben der Tür war auch ein riesig grosser Tannenbaum. Ich erinnere mich an diese zwei Typen, die richtig wütend wurden und sich gegenseitig anpöbelten und das gleich neben meinem Schlagzeug, während ich am Spielen war. Dann fielen sie auf mich und während sie fielen, rissen sie den grossen Christbaum mit auf mich drauf. Im Pub wurde es plötzlich total ruhig. Ich lag dort am Boden, bedeckt mit Cymbals, Hi-Hats, einem Weihnachtsbaum, den zwei Typen und Bier. Ich fragte mich: „Was mache ich hier eigentlich?“ Das war der Punkt, wo ich meine Musik Karriere nochmals überdenken wollte. Ich ging zurück zu meinem normalen Job.
Am Ende hat mich das Spielen auf diesen wirklich beschissenen und demotivierenden Gigs nur stärker gemacht. Wenn du dann etwas Gutes machen konntest, lernst du auch, es wirklich zu schätzen. An manchen Tagen bist du auf Tour total müde und hast kaum geschlafen. Aber auch wenn ein Gig mal nicht so toll gelaufen ist, es ist niemals so schlimm, wie es einmal war. Und ich mache Musik als Beruf. Das ist mein Traum. Daran muss ich mich manchmal erinnern und mir sagen: Das ist vielleicht nicht der beste Gig auf der Welt gewesen, aber ich sitze wenigstens nicht hinter einem Schreibtisch und werde angeschrien oder liefere Früchte und Gemüse aus oder arbeite in einem Altersheim. Ich spiele Musik!
Der beste Auftrag, den ich je gemacht habe? Da gibt es so viele Highlights. Mit Bruce Dickinson „Run to the Hills“ zu spielen war unglaublich. Mit Steven Wilson für das „Rush“ Album zu spielen oder für das 40-jährige Jubiläum von „2112“. Auch wenn du an einem Festival spielst und Mike Portnoy oder Thomas Haake (Meshuggah) schaut dir zu und kommt nachher zu dir her und sagt, du seist eine Inspiration, dann ist das wunderbar. Vor allem, wenn du so lange zu diesen Personen aufgeschaut hast.
Ein weiteres Highlight ist die aktuelle Tour mit Steven Wilson und die Shows mit ihm in der Royal Albert Hall. Die Aufnahmen für die kommende DVD bzw. Blu-ray, das war gewaltig und ziemlich lebensbejahend für mich. Ein absolut tolles Erlebnis ist das, wenn du an den besten Orten dieser Welt spielen kannst.
L: Wann wird der Mitschnitt des Konzertes in der Royal Albert Hall veröffentlicht?
C: Im Oktober oder November 2018. Ich habe die Aufnahmen gesehen und es ist einfach spektakulär! (sucht nach Worten vor Begeisterung)
L: Ich spüre deine Leidenschaft für das Ganze (C: Natürlich.). Ich liebe das! Ich bin ebenfalls eine leidenschaftliche Person und manchmal, nervt es mein Umfeld. (C: Damit muss ich auch leben.)
C: Da stimme ich dir total zu. Hier zu sein, das ist ein Geschenk. Ich nehme es niemals, niemals für selbstverständlich. Weil ich glaube, sobald du das tust, wirst du selbstgefällig. Dann übst du nicht mehr genug, du versuchst nicht mehr, immer besser zu werden. Ich habe immer noch Dinge, die ich erreichen möchte. Mit und ohne Steven Wilson. Ich will immer noch mein eigenes Ding machen. Ich will ein besserer Musiker werden. Was, glaube ich, viele Musiker für selbstverständlich halten. Sie gehen auf die Bühne, spielen und weiter geht’s zum nächsten. Ich übe täglich zwei bis drei Stunden. Ich arbeite jeden Tag an mir.
L: In dem Fall auch auf Tour?
C: Ja total. Ich muss! Ich will nicht hinter meinem Schlagzeug sitzen und jeden Abend das gleiche spielen. Das wäre nicht fair gegenüber den Jungs und auch nicht mir oder dem Publikum. Weil wenn du das tust, machst du es an einem Abend, dann an zwei, dann an drei und du wirst immer selbstgefälliger. Dann stehst du einmal in einer wunderschönen Arena und siehst es als selbstverständlich an. So will ich niemals sein.
L: Auf dem aktuellen Album von Steven Wilson „To the Bone“ spielst du fünf Songs. Wieso konntest du nicht alle Songs einspielen?
C: Steven arbeitete gerne mit neuen Musikern zusammen. Ich habe ein paar Aufnahmen gemacht welche wir mir dann mit Paul Stacey überarbeitet haben, um verschiedene Takes zu haben. Steven gefiel diese Idee. Aber als ich den Anruf bekam, dass ich auf mehreren Liedern spielen sollte, hatte ich keine Zeit. Ich war auf Drum-Clinic Tour in Belgien. Deshalb konnte ich nicht mehr als diese fünf Songs spielen. Aber schon nur einen Song zu spielen, wäre fantastisch gewesen. Ich war schon enttäuscht, dass ich nicht mehr spielen konnte, weil es zeitlich nicht aufging. Aber das ist der Nachteil, wenn du ein Freelance-Musiker bist. Manchmal klappt es, manchmal nicht.
Das Album verkauft sich gut. Es hat ihm neue Märkte aufgetan. Leute drücken ihm gerne das Image des Progressiv-Künstlers auf. Aber er ist einfach ein Künstler, der das machen will, was ihn glücklich macht. Ich wurde anfangs nur für sieben Wochen gebucht und jetzt sind es schon drei Jahre und ich bin immer noch mit dabei.
L: Ein neues Album ist bereits in Vorbereitung, habe ich gehört?
C: Ja, Steven ist ständig am Schreiben. Ich bin mir sicher, es wird wieder in eine neue Richtung gehen. Ich fühle mich auf jeden Fall sehr geehrt, weil ich ursprünglich nur Marco Minnemann’s vorübergehender Ersatz sein sollte, während er mit Joe Satriani unterwegs war.
L: Ich habe auf Facebook diesbezüglich teilweise echt miese Kommentare gelesen (C: Ja, davon habe ich viele bekommen.). Wie geht es dir dabei?
C: In unserer Zeit ist Trolling das neue Ding. Es war schon immer da, aber jetzt haben die Leute eine grössere Plattform und somit eine grössere Stimme. Sie sagen ihre Meinung. Sie können einfach auf Twitter oder Facebook oder Instagram gehen und ihre Gefühle, seien sie gut oder schlecht, niederschreiben, „Enter“ drücken und sich keine Gedanken darüber machen, was das bei anderen Personen auslöst. Ich bin ein sehr sensibler Mensch und sehr leidenschaftlich, deshalb habe ich jeden Kommentar gelesen, die Guten und die Schlechten. Heute habe ich eine dicke Haut, aber die hatte ich anfangs nicht. Es hat mich fast zerbrochen und ich wollte aufgeben. Ich konnte nicht damit umgehen. Ich habe noch nie in einer Band gespielt, die so eine grosse Fan Base hat. Progressive Fans können …
L: … sehr kritisch sein.
C: Ja genau. Ich habe es immer lustig gefunden: Progressive Fans, die aber nicht fortschreiten können. Also ich finde das unglaublich. Ich höre Prog-Musik und ich bin ein Fan davon. Aber ich höre auch Slayer und Iron Maiden. Wenn es dort ein Line-Up-Wechsel gibt, ist mir das egal. Fans können sehr leidenschaftlich sein und das ist auch gut so. Ich habe gelernt, dass der beste Weg mit Kritik umzugehen, für mich der ist, einfach nichts zu sagen und ihnen zeigen, was ich mit meinen Stöcken und Füssen machen kann. Steven nimmt jede Show auf. Er hört es sich an und am nächsten Tag sprechen wir darüber. Er sagte mir zu Beginn, was ich anders machen sollte. Und die Liste war lang!
Ich hatte grosses Glück diesen Auftrag zu bekommen, aber ich war zu Beginn einfach nicht gut genug. Es war ziemlich hart dies einzugestehen. Ich wusste, ich würde für diese sieben Wochen dabei sein und nahm mir vor, dass ich mein aller aller Bestes gebe und wenn die Wochen vorbei wären und Steven wieder einen Schlagzeuger braucht, ich an oberster Stelle seiner Liste stehen würde mit Leuten, die er anrufen will. Das war mein Ziel.
Die erste Show war in Chile. Ich kam auf die Bühne und ich habe noch nie so etwas gesehen. Meine Nerven waren zum Reissen gespannt und ich hatte Lampenfieber. Ich habe echt schlechte Nerven, wenn ich spielen muss. Es ist schwer, das in den Griff zu bekommen. Ich habe gezittert und die ersten Gigs in der ersten Woche waren nichts, worüber ich stolz sein könnte. Also fing ich mit meiner Übungsroutine an und die Gespräche mit Steven wurden kürzer und kürzer und dann fragte er mich, ob ich nicht 2 Monate länger mit dabei sein wollte.
Ich habe also viel geübt und das Trolling in den Sozialen Medien nahm immer mehr ab. Die Leute wollten immer noch Gavin oder Marco und das ist auch ok so. Ich konnte noch ein bisschen länger mit dabei sein und diese zwei Jahre waren wirklich lebensverändernd. Ich wurde von Magazinen für Interviews angefragt und landete auf dem Titelbild. All diese Zeitschriften hatte ich als Kind gelesen und all meine Vorbilder waren auf der Titelseite. Wow und jetzt bin ich drauf!
Für die aktuelle „To the Bone“ Tour glaubte ich nicht, dass Steven mich buchen würde. Steven kann jeden Musiker haben, den er will. Aber er wollte mich und jetzt sind wir schon seit sieben Monaten auf Tour. Ich spiele besser denn je und bin selbstsicherer und entspannter. Ich lese nicht mehr immer, was andere Leute schreiben. Wenn ich ehrlich bin, ist es mir nun auch egal. Die wollen etwas sagen und sie wollen gehört werden. Ich habe mittlerweile einige Fans und ich liebe das und bin sehr loyal ihnen gegenüber. Ich bedanke mich immer und nehme mir Zeit, um sie zu treffen. Und das werde ich auch immer so machen. Gewiss habe ich nicht die grösste Community, 30’000 sind es glaube ich auf Facebook, aber sie wächst und wächst mit den richtigen Personen.
L: Du hast immerhin zweimal so viele wie Nick Beggs…
C: Toll, das ist alles was zählt! (lacht) Das Ganze wächst langsam, aber es hat Qualität. Ich will nicht Dinge hochladen, um 1’000 Likes zu bekommen. Das ist heute sehr einfach. Setzt einen #whatever und du hast 500 Likes. Aber das ist nicht ehrlich. Ich will, dass Menschen auf meine Seite kommen und mir folgen, weil sie wirklich mögen, was ich mache und ich sie inspiriere. Es ist eine wechselseitige Beziehung. Es ist mir wichtig, dass die Leute bleiben. Ich bin keine Über-Nacht-Sensation, wie viele Leute mich nennen. Ich bin schon einige Zeit da. Social Media ist sehr wichtig heutzutage, es ist ein notwendiges Übel. Ich lasse es langsam wachsen und ich glaube, das ist der richtige Weg.
D: Du hast das Militär mit dem HMS Raleigh als Flag Officer abgeschlossen (C: Genau.). Ich habe aber auch Fotos gefunden, auf denen du bei der Royal Marine Band zu sehen bist (C: Ja, ich war in der Royal Marine.) Man sagt, dass Schlagzeuger, die beispielsweise wie du in der Marine gespielt haben, disziplinierter sind. Was denkst du darüber?
C: Ja, das ist wahr. Ich habe die Royal Marine im Jahr 1993 also vor 25 Jahren verlassen. Wow, ich fühle mich jetzt richtig alt. Ich gehe immer noch einmal im Jahr dorthin zurück und gebe Unterricht. Einige meiner Freunde, die ich damals zu dieser Zeit gefunden habe, sind heute hohe Tiere bei der Marine. Als ich etwa 10 Jahre alt war, konnten sich meine Eltern kein Schlagzeug leisten. Eines Tages sah ich im TV dies (Marching Band??) und ich war total begeistert. So trat ich bei den Kadetten bei, später dann einem Schlagzeug Chor. Und eins war klar: Ich wollte zu den Marines.
Ich verliess die Schule mit 16, war sehr fit und bestand alle „Vorsprechen“ und so kam ich zu den Royal Marines, wo ich vier Jahre lang blieb. Irgendwann landete ich bei der RM Band Portsmouth, was das Beste vom Besten ist. Ich sah die Welt, war an verschiedenen Orten wie Russland oder in den Staaten. Ich war sehr jung damals, 16 bis 20, doch immer, wenn die andern trinken gingen, blieb ich dort und übte.
D: Ich habe auch ein Bild gesehen, wo du Trompete spielst.
C: Auf meinem persönlichen Facebook Profil habe ich noch alle meine alten Marine Freunde und dazumal hatte ich den Ruf, der schlechteste Trompeten-Spieler der Welt zu sein. Ich war echt schlecht. Aber ich wollte unbedingt zwei Instrumente spielen. Das ist nun seit 25 Jahren ein Dauerwitz und sie machen sich immer noch über mich lustig (lacht).
Aber was die Disziplin angeht: Sie haben mir beigebracht morgens früh aufzustehen. Ich stehe auch heute jeden Tag sehr früh auf und habe meine Routine. Ich bin ein totaler Routine-Mensch. Über alles hinweg, von persönlicher Hygiene zur Reinigung meiner Arbeitsgeräte. Ich gehe alles so gut es geht durch. Das ist wie in mir programmiert. Dafür bin ich den Marines unglaublich dankbar. Deswegen gehe ich auch immer noch zurück, um Master-Klassen und Drum-Clinics zu unterrichten. Das bedeutet mit unglaublich viel und sie sind nach so vielen Jahren auch immer noch sehr gute Freunde, die mir wichtig sind. Das alles bedeutet mir viel.
D: Du spielst nicht nur Schlagzeug oder Trompete. Ich habe auch schon Fotos gesehen, wo du Bass-Gitarre oder Keyboard spielst. Und ich habe „Seasons“ geschaut, was noch in Arbeit ist.
C: Ja, im Januar diesen Jahres habe ich auch ein paar Musikstücke für Werbefilme geschrieben. Ich habe mir über 10 Jahre lang selber Klavier und Gitarre spielen beigebracht. Ich habe auch viel über Musik-Theorie gelernt. Ebenfalls habe ich viele Kooperationen mit Microsoft gemacht. Auch Dell hat mich angefragt, Musik für ihre Webseite zu schreiben. Das habe ich dann alleine in meinen Studios aufgenommen.
D: Das Lied „Seasons“, ist das ein Experiment? Oder der Anfang eines neuen Projektes?
C: Ja, ich habe ein paar neue Projekte und arbeite an einem Album. Das letzte Album kam 2010 heraus.
L: Dr. Octopus? Ich habe das noch nicht gefunden. Kann man das irgendwo kaufen?
C: Yeah, es ist auf iTunes. Es ist dunkles Drum-and-Bass-Zeugs. Je mehr ich über Progressive und Metal Musik lerne, desto mehr bin ich von diesen Musikstilen fasziniert. Ich möchte etwas ganz Spezielles und Neues machen. Eine Art Animals As Leaders trifft auf Slayer trifft auf Coldplay. Etwas, das du nicht in ein gewisses Genre packen kannst. Aber ich will mir Zeit nehmen und sicher sein, dass es toll wird. Immer wenn ich etwas wie „Seasons“ veröffentliche, ist es ein bisschen komisch. Ich frage mich, wie es die Leute sehen…
D: Es ist schon ein bisschen seltsam, ehrlich gesagt…
C: (enthusiastisch) Das ist gut, das mag ich! Du kannst es nicht in einer Schublade ablegen und das ist, was ich an Musik liebe. Ich werde mit solchen Dingen nie Chartplatzierungen erreichen. Aber für mich repräsentieren sie meine Gedanken. Mein Kopf ist ein unaufgeräumter Ort voller Ideen. Und manchmal regt total komisches, seltsames Zeugs die Menschen zum Nachdenken an. Das ist etwas Gutes. Also ja, ich bin gerade am Schreiben. Ich habe meinen Mac immer bei mir, wo ich Ideen aufschreibe. Wir werden sehen. Ich habe noch keine konkreten Pläne. Wir werden sehen, was dabei heraus kommt.
D: Du bezeichnest dich selber als Progressive-Musiker. (C: Eher als Alternative.). Also als Alternative-Musiker. Fans verlangen oft von einem Schlagzeuger, dass er sehr komplizierte Dinge à la Mike Portnoy (C. ja genau.) spielen kann. Im Kontrast hat Simon Phillips einmal gesagt: „In the past I tried to play complicated. Today in timing.“ Stimmst du dem zu?
C: Ich stimme dem voll und ganz zu. Simon ist ein bisschen wie mein Mentor. Ich finde, er ist ein fabelhafter Musiker. Er gehört zu den Typen, die selbst nach Jahren noch dabei sind, obwohl sich die Musikindustrie immer verändert. Es gibt einfach solche Leute, wie Vinnie Colaiuta oder Simon Phillips, die das schaffen. Ich glaube, das sind einfach vielfältige Musiker und das hatte einen unglaublich grossen Einfluss auf mich. Was ich gelernt habe ist, dass es total einfach ist, ähnlich zu spielen wie Marco Minnemann. Aber es wäre nun einmal nur eine schlechte Imitation von Marco, hätte ich das angestrebt. Denn es gibt nur einen Marco. Das gleiche wäre es bei Gavin Harrison. Ich glaube, es ist wichtig für mich als Musiker, ich selbst zu sein. Das habe ich vor allem bei dieser Show gemerkt.
Als ich anfing, versuchte ich, Marco zu sein, Gavin zu sein, Chad zu sein. Steven machte mich darauf aufmerksam. Er sagte zu mir: „Ich will das nicht! Mit grössten Respekt für diese Musiker, aber sei du selber! Ich habe dich wegen dir gebucht.“ Es hat einige Zeit gedauert, bis ich das verstanden und akzeptiert habe. Es ist aber auch ein bisschen in den Köpfen der Fans eingebrannt. Sie schauen und denken sich „Das ist nicht Marco, aber ich will Marco hören.“ Es ist ein Lernvorgang. Ich gebe einfach das Beste, um die bestmöglichste Version von mir zu sein. Weil immer wenn ich versuche Marco oder Gavin zu sein, wird es immer auch nur eine Imitation bleiben. Ich spiele die Drum-Parts nun leicht anders und Steven gefällt das.
D: Die Leute glauben das sonst nicht (C: Ganz richtig). Man muss authentisch sein. Jemand hat mich mal gefragt, wer denn mein Vorbild sei bezüglich dem Basspiel. Ich antwortete, dass ich keines habe, weil ich nicht klingen will wie Steve Harris oder Geddy Lee oder John Myung. Ich will wie ich klingen.
C: Da stimme ich dir zu. Ich höre auch keine anderen Schlagzeuger. Ich habe meine Helden, ganz klar. Aber ich habe vor etwa fünf Jahren aufgehört, mir andere Schlagzeuger anzuhören. Auf Social Media kann man einen 2-Jährigen Chinesen unglaubliches spielen sehen. Da fragt man sich nur „Was zur Hölle geht da ab“? Das kann einen verrückt machen. Ich verbringe lieber die Zeit damit, mich für meine Gigs vorzubereiten.
D: Kannst du dich auf den Konzerten mit Steven Wilson frei entfalten? Du mischst ja akustisches mit elektronischem Schlagzeug. Kannst du selber entscheiden, wie dein Part klingen soll oder gibt es gewisse Limits?
C: Natürlich, ich habe auch immer Respekt vor dem Künstler. Ich bin nicht auf einer Drum-Clinic, weisst du. Ich kann nicht auf die Bühne gehen und einfach etwas spielen (immitiert etwas im Slayer Stil). Dann würde ich gefeuert werden (lacht und witzelt darüber, Slipknot oder Slayer zu spielen während Steven „Pariah“ singt). Ich glaube, diese Erkenntnis kommt auch mit dem Alter und ich habe auch gelernt, dass ich früher vieles falsch verstanden habe. Heute verstehe ich, was der Chef will. Ich bin nicht dort, um für mich zu spielen. Er ist der Künstler, er ist das Aushängeschild, er ist der Boss.
Steven mag Schlagzeuger, die anführen. Und er mag Vielfältigkeit. Als ich das erste Mal mit ihm gearbeitet habe, sagte ich zu ihm, dass es für mich einfach sei auf der Bühne eine Taste auf dem Mac zu drücken und ein Sample abzuspielen. Aber ich wollte live spielen. Ich kenne mich gut aus mit den Roland Produkten und der Elektronik. Ich wollte gerne davon mehr in die Shows einbringen. Auf der letzten Tour brachte ich ein bisschen mit hinein. Und auf dieser Tour wollte ich alles live spielen. Ich habe die ganze Elektronik und es ist wirklich eine verrückte Ausrüstung.
Es ist vielleicht nicht technisch schwieriges Zeugs, aber was die Zuschauer nicht sehen ist, dass ich jeden Teil des elektronischen Schlagzeuges live spiele. Es ist nicht einfach, aber ich liebe es. Ich unterhalte und es ist einfacher den Knopf zu drücken und das Drum läuft. So kann ich meinen Kopf frei halten und wenn es zum verrückten Zeug kommt, kann ich entspannen. Weil das ist der einfachste Teil. Der schwierige Teil ist die Elektronik, das Triggering, Überlegen, wo ich den Sound um die Ausrüstung platziere, all das Zeugs.
Ich bin also nicht sonderlich frei, wenn es um die Songs geht, aber dafür wenn es um die Intensität und die Stärke geht. Ich weiss nicht, wie ich am Abend spielen werde. Es kommt auf den Mix in meinen Ohren drauf an, auf die Hitze, wie animiert die Band ist oder wie müde. Mein Job ist es, die Intensität möglichst hoch zu halten. Ich kann neue Sachen während dem Gig ausprobieren. Und wenn es Steven nicht gefällt, wird er es mir mitteilen.
Es gibt gerade eine interessante Dokumentation auf Netflix „Hired Gun“. Sie ist gewaltig. Es geht genau darum, was wir als Job machen. Einige meiner Freunde sind bei der Dokumentation mit dabei. Was wichtig ist, ist den Künstler zu respektieren, egal in welchem Genre er spielt.
D: Auf der Website eines Schlagzeug Festivals in der Schweiz stand folgende Schlagzeile. „When innovation doesn’t just test the limits of an instrument, it goes beyond them“ (C: Total!) Ist das deine Philosophie?
C: Ja, das ist sie. Es ist einfach, ein Instrument zu spielen und zu glauben, du hast alles gegeben und dass es alles ist, was du tun kannst. Aber das ist nicht so. Alles ist schon vor Millionen Jahren erfunden worden. Man muss sich fragen, wie man es weiter entwickeln kann. Wie kann ich etwas, was bereits existiert, innovieren? Wie kann ich es neu und aufregend gestalten? Für mich ist es genau das, was Musik ausmacht.
Ich habe diese wundervolle Technik, wenn ich sie nur dafür nutze, wofür sie designt wurde, könnte das jeder. Das kannst du auch einem Affen beibringen. Ich will aber bis zum Limit gehen und darüber hinaus. Ich fordere mich selber als Künstler und als Brand. Innovation kann dich pushen, dir Fragen stellen, machen, dass du überlegst und weitergehst. Und das kann nur etwas Gutes bedeuten.
Meine Beziehung zur Elektronik und vor allem zu Roland ist nun fast 15 Jahre alt. Es hat mich als Schlagzeuger verändert. Es hat meine Gedanken angeregt. Wenn ich von etwas gelangweilt bin und mir denke, ich bin damit fertig, gehe ich zurück und bringe es noch einen Schritt weiter. Einfach nicht auf dem Level verweilen, auf dem du dich befindest. Das unterscheidet einen Weltklasse Musiker von einem normalen. Dich immer wieder zu fragen, dich heraus zu fordern und das Beste zu geben.
Tipps für Jung-Drummer
D: Was würdest du einem jungen Schlagzeuger raten? Üben, üben, üben?
C: Die Industrie ist gesättigt, total gesättigt. Es gibt viele Schlagzeuger, die gerne den Gig spielen würden, den ich spiele. Ich habe also ein grosses, grosses Glück. Aber grundsätzlich hat es Platz für jeden.
- Sei keine schlechte Imitation von jemandem anderen. Weshalb sollten sie dich anstellen? Sie können die andere Person sowieso haben.
- Gib immer dein Bestes. Fördere dich und hinterfrage dich immer und jeden Tag. Bleibe nicht auf deinem Level sitzen. Gib niemals auf. Wenn dir jemand sagt, du seist nicht gut genug, sage nichts.
- Es ist wichtig, einen Plan B, C und D zu haben. Wenn du noch nicht an deinem Ziel angekommen bist und dich demotiviert fühlst, geh zurück zu Plan C und vielleicht klingelt das Telefon aus einem anderen Grund. Sei ein Schlagzeuger, ein Lehrer, ein Ausbilder. Entwickle deine Marke so gut wie möglich. Konzentriere dich nicht ausschliesslich auf Progressive Metal. Sei offen für Hip-Hop, Jazz, Fusion. Mach dich attraktiv.
Und zuallerletzt: Sei die netteste Person, die du sein kannst. Die Industrie ist eigentlich ein ziemlich kleiner Ort und ab einem gewissen Level — das klingt jetzt sehr eingebildet, das mag ich nicht — kennt jeder jeden und man weiss, wer die guten Typen sind und wer ein Idiot ist. Und der Ruf eilt einem oft voraus.
Das geht zurück zu dem, was ich am Anfang gesagt habe: So wie du Menschen behandelst, so wirst auch du von ihnen behandelt werden. Und wenn du sie auf dem Weg nach oben triffst, triffst du sie auch auf jeden Fall auf dem Weg wieder nach unten. Und niemand will mit einem Idioten arbeiten. Etwa 90% meines Jobs verbringe ich in einem Tour-Bus mit andern Menschen. Tag ein, Tag aus. Und bist du ein Idiot, fordernd, schlecht gelaunt oder eine Diva, wirst du ganz schnell nicht mehr bei der Tour dabei sein und wohl nicht mehr mit ihnen zusammenarbeiten.
Gib immer dein Bestes, mach deine Marke so stark wie möglich, gib niemals, niemals auf. Sei nett zu den Leuten auf dem Weg nach oben und nach unten. Wir alle müssen das.
L: Ich glaube, es ist recht schwer, sich selbst zu sein, wenn man so jung ist. Weil oft weiss man noch nicht wirklich, wer man ist. Ich versuchte früher auch Dinge und Personen zu kopieren. Es braucht seine Zeit…
C: Nimm dir einfach Zeit. Ich habe in den letzten drei Jahren viel über mich gelernt, was ich mir gar nicht vorstellen konnte. Mein Temperament heute ist total anders wie es einmal war. Ich bin mehr getrieben und intensiv, aber ich bin auch entspannter. Ich glaube, das ergänzt sich gut. Auf der Bühne und auch mit meiner täglichen Routine bin ich sehr intensiv und sehr professionell. Ich habe eine starke Arbeitsethik.
Aber auf der anderen Seite bin ich auch sehr entspannt. Ich denke, wenn ich das nicht wäre, würde meine Intensität die Leute überfordern. Heute bin ich entspannter, weil ich die Gigs verstehe und weiss, was von mir erwartet wird. Ich fühle nicht mehr den gleichen Druck wie früher. Wenn jemand nicht mag, was ich mache, dann sei es so. Sagen wir, es hat 100 Leute im Publikum und 99 Leute freuen sich total und sind glücklich und einer nicht. Dann ging ich nach Hause und hatte das Gefühl, ich habe jemandem den Abend ruiniert und fragte mich, was ich falsch gemacht habe.
Heute ist es so, dass ich der Mehrheit gefalle. Ich kann nicht alle erreichen, nicht die Marco- oder die Gavin-Fans. Ich werde nie sie sein. Alles was ich tun kann, ist mein Bestes geben und mich nicht mit Kleinigkeiten aufhalten. Weil es nichts bringt, überhaupt nichts. Es hat eine Weile gedauert, bis ich das gelernt habe, eigentlich sogar eine ganze Weile. Und zu akzeptieren, dass ich nicht vor 30’000 Leuten spielen kann und alle denken sich „Wow, er ist ein toller Schlagzeuger“. Wenn 29’999 Leute der Gig gefällt und einer wäre unglücklich, hätte das früher mein Tag ruiniert. Heute denke ich mir: „Was soll’s?“ (zuckt mit den Schultern)
L: Du hast mit Steven Wilson beim „Hellfest gespielt was sehr untypisch ist, da es musikalisch nicht ganz so passt. Wie war die Reaktion der Fans?
C: Toll. Einfach nur toll. Ich bin so ein Metal-Typ. Ich spiele ja auch extreme Sachen. Aber wegen meinen kurzen Haaren und meinem adretten Look traut man mir das nicht zu. Deshalb will ich mir auch einen Bart wachsen lassen. Dann kann ich sagen: Ich sehe aus wie Kerry King (Slayer), lass mich etwas machen. (lacht)
D: Ich sehe aber eher aus wie Kerry King als du. (C: Ja, ich müsste mir die Haare rasieren. lacht) Ich habe sie nicht rasiert. (C: Also ist es ganz natürlich? Sieht gut aus, steht dir.)
C: Es ist interessant. Leute nehmen dich wahr und stecken dich gleich in eine Ecke. Als ich am Hellfest war und all diese anderen fantastischen Schlagzeuger wie Tomas Haake, alle mit ihren langen Haaren und langen Bärten. Und dann komm ich mit meinem Seitenscheitel (lacht). (L: Aber Lars Ulrich hat auch kurze Haare.) Ich glaube, er hat keine andere Wahl. Die Haare gingen ihm wohl immer mehr aus. Aber Gott segne ihn. Er kriegt oft schlechte Kritik, aber er hat immer meinen Respekt.
D: Aber Lars ist nicht wirklich der beste Schlagzeuger auf der Welt…
C: Hey! Nein, ist er nicht. Aber man muss nur mal anschauen, was er alles gemacht hat. Ich muss professionell sein, mit dem was ich sage. Natürlich gibt es Schlagzeuger, die ich nicht mag und bei denen ich mir denke „Wie bist du nur an diesen Gig gekommen?“ Aber ich darf es nicht äussern.
Lars ist, das weiss ich, nicht der beste Schlagzeuger des Planeten, aber wenn ich zurückschaue zu dem 12, 13jährigen Jungen in mir, der Zeitungen und Milch verteilte und „Ride the Lightning“ hörte und sich dachte „Woooah“… Diese Musik hat mein Leben verändert. Es hat die Art, wie ich zuhöre verändert. All die grossen Bands wie Slayer, Megadeath, Anthrax waren ausschlaggebend dafür, dass ich die Dinge anders sah. „Ride the Lightning“ ist eines meiner Top 10 Alben überhaupt.
L: Was ist dein Nummer 1 Album?
C: Wahrscheinlich Iron Maiden’s „Killers“ oder vielleicht „South of Heaven“ von Slayer. All das heavy Zeugs. … vielleicht. Ich habe so viele. Es ist schwierig.
D: Sting? (C: Sting!) Vergiss nicht Sting. Das mit ….
C: Eines der — darf ich so sagen — am schönsten aufgenommenen Alben aller Zeiten. Leute, die nur Mainstream hören, hören es wie eine tolle Pop-Aufnahme. Es ist voller Taktarten und vor allem Musiker wie Vinnie Colaiuta machen es so, dass es wie das Meer klingt. Ich spreche immer über Taktarten mit meinen Studenten und in Lektionen. Wenn du solche Änderungen in einer geraden Linie machen kannst, dann tust du etwas wunderschönes. Wenn du es wie eine gezackte Linie macht, 7 zu 5, 7 zu 5, dann macht es keinen Spass, zuzuhören.
Vinnie’s „Ten Summoner’s Tales“, das Album klingt wie das Meer, der Ozean. All diese kleinen Taktarten und Polyrhythmik. Es ist einfach schön, niemand würde etwas anderes sagen. Gewisse Musiker können einfach solche Schönheit in die Taktarten bringen. Gavin Harrison ist zum Beispiel einer davon.
Unvoreingenommen zu sein ist noch das Beste, nicht wahr? Fans auf Tour schenken mir oft tolle Sachen wie zum Beispiel Gin (L: Den hat er von uns bekommen, Schweizer Gin), über Fussball-Shirts bis zu CD’s und ich höre sie mir immer an. Einige sind vielleicht nicht so toll oder treffen nicht meinen Geschmack, aber ich bin offen und ich mag das.
Mein Sohn hat mir ein paar echt komische Dubstep mässige Lieder gezeigt, echt verrücktes Zeugs. Aber ich finde es ziemlich inspirierend, vor allem was den Rhythmus angeht. Das mag ich. Ich habe einige Schüler, die sind in ihren 60er und sie hören sich Slayer an. Sie mögen vielleicht die Musik nicht, aber sie schätzen sie und wie gut es aufgenommen wurde. Das ist inspirierend und genau DAS liebe ich so sehr an Musik.
L: Wir lieben es auch und hören so viele verschiedene Musikrichtungen wie Jazz, Bugge Wesseltoft … (C: Oh yeah, cool!) Wir haben ihn mal in einer Kirche spielen sehen. Es war wunderschön. Und dann hören wir wieder Iron Maiden (C: Ich liebe das)
D: Und dann sehen wir uns Tori Amos live an.
C: Toooolll. „Cornflake Girl“ ist eine der schönsten Aufnahmen überhaupt. Das ist etwas Tolles. Und das ist, wo es, glaube ich und das sage ich mit dem grössten Respekt, bei Progressive-Fans etwas fehlt. Manchmal hören sie nichts anderes. Ich will nicht stereotypisieren oder so. Aber viele Progressive-Fans, die ich kenne, wollen nichts ausserhalb dieses Genres hören. Das ist eine Schande. Los, hört euch Miles Davis an oder Weather Report, weil es Progressive auf seine eigene Art ist. Es ist vielleicht nicht in 4/4 aber etwas wird Emotionen auslösen und machen, dass du Musik ein wenig anders hörst. Mein Musikgeschmack ist sehr umfänglich und ungewöhnlich.
L: Wir haben uns heute Alben von Grobschnitt und Brösselmaschine gekauft. Kennst du die?
C: Ja, die kenne ich. Das ist so cool!
D: Wir haben mal eine Dokumentation über The Beatles auf Arte gesehen und für Liane hat sich dadurch alles verändert.
L: Ich muss gestehen und es klingt vielleicht etwas komisch, aber ich habe The Beatles nie verstanden (C: Ich auch nicht.). Ich mochte sie nicht. Für viele haben die Beatles die Welt revolutioniert. Sie haben alles erfunden, Eiscreme, Risotto und was auch immer (C: (lacht, vor allem Eiscreme.) Es tut mir leid, ich konnte sie nicht spüren. Dann sahen wir die Dokumentation auf Arte von BBC und es hat bei mir einen Knoten gelöst. Sie gingen so tief auf das Album „Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band“ ein. Ich war komplett geflashed.
C: Das liebe ich! Ist es nicht toll, wie einen so etwas verändern kann?
L: Ja es ist toll. Jetzt verstehe ich The Beatles besser (lacht)
Back to the 60s
D: Zurück zu den Sechzigern und Siebzigern.
C: Es geht zurück zu diesem offen sein. Viele Leute sagen immer gleich „Das mag ich nicht“. Aber kommt schon! Gebt dem doch eine Chance. Es kann einen zu etwas ganz neuem bringen. Und genau deshalb liebe ich Musik. Musik ist emotionsgeladen. Und wenn wir alle das gleiche mögen würden, wären wir wohl alle Progressive-Fans.
D: Progressive-Fans können extrem anstrengend sein.
C: Ja, manchmal fühle ich mich, als würde ich eine Prüfung ablegen. Ich will die Fans nicht schlecht machen. Sie sind so toll zu mir. Ich bin ja selber ein Progressive-Fan. Als ich jünger war, mochte ich Veränderungen überhaupt nicht, z.B. bei einem Line-up Wechsel bei einer Band, und ich mochte keine anderen Genres. Und heute sage ich: Gebt mir alles! Denn es macht mich zu einem besseren Musiker, einem besseren Lernenden und einem besseren Zuhörer.
L: Einige können echt aggressiv sein. Ich habe mich mit einem Freund von uns wegen dem neuen Steven Wilson Album gestritten. Ist ja ok, wenn dir die Richtung bzw. die Entwicklung nicht gefällt. Aber muss man deswegen so aggressiv argumentieren?
C: Aber das interessante ist ja, dieses Album hat Steven auf die Nummer 1 in den Charts gebracht. Es hat für uns neue Möglichkeiten eröffnet, an neuen Festivals zu spielen. Steven ist sehr produktiv und man kann als Fan nicht erwarten, dass es immer gleich bleibt. Er ist der Künstler und er kann selber entscheiden, welche Richtung er einnehmen möchte.
L: Man weiss, dass man offen bei ihm sein muss, wenn man Steven folgt…
C: Würde er immer nur das gleiche machen, wäre er ein Entertainer. Das ist der Unterschied zwischen einem Entertainer und einem Künstler. Er ist Künstler und er kann machen was er will. Deshalb habe ich so grossen Respekt vor ihm, natürlich auch wegen vielem anderen, aber er hat mir beigebracht, aufgeschlossener zu sein. Schau immer nach vorne, denke immer positiv und motiviere dich selber.
Das Team welches er für die Tour zusammengestellt hat ist unglaublich. Angefangen von den Leuten die das Catering machen, bis zu den Technikern, egal ob zuständig für Gitarre oder Schlagzeug oder Licht, einfach alle. Sie sind einfach erste Sahne. Und er wählt sie selber aus. Handverlesen. Sie sind echt grossartige Typen. Aber darüber hinaus sind sie alle total nette Leute. Um zurück zu der Liste zu kommen: Es kostet nichts, nett zu andern zu sein.
Wir sind ein zufriedenes Team hier. Seit sieben Monaten sind wir schon zusammen unterwegs und noch nie gab es einen Streit. Wir sind alle schon ein bisschen älter, haben alle unsere Jobs und haben auch unseren Freiraum tagsüber. Und wir haben Nick Beggs. was will man mehr, um tagsüber unterhalten zu werden?