Ladies-Night in der Schüür
Dutti: Die Mädels gaben an diesem Donnerstagabend ganz klar den Ton an. Die Bilanz der Veranstaltung hätte am Ende wohl folgendermassen lauten können: Viele Damen auf der Bühne, viele Herren vor der Bühne. Die ganze Sache entpuppte sich als gelungene und sehr gut organisierte Geschichte. Alles Weitere entnehmt ihr wie gewohnt den nachfolgenden Zeilen.
Dutti: Die grossen Festivals sind vorbei. Langsam aber sicher naht für uns Konzertfreunde die Herbst- und Winter-Saison. Glücklicherweise stehen – wie eigentlich immer – tonnenweise geniale Hallen-Veranstaltungen auf dem Programm. Eine davon findet heute Abend in der Luzerner Schüür statt und legt den Fokus auf die weiblichen Akteure unserer Szene. Mit Irony Of Fate (IoF) und den Burning Witches (BW) bestreiten zwei nationale Truppen das Aufwärmprogramm, ehe dann im Anschluss die Brasilianerinnen von Nervosa die ehemalige Scheune mit grösster Wahrscheinlichkeit endgültig in Schutt und Asche legen werden. Nach Samba-Klängen wird man wohl vergeblich suchen – oder doch nicht? Dazu folgt später noch ein kurzer Kommentar.
Auch meine Kumpels und ich sind der Meinung, dass man diese vielversprechende Affiche keinesfalls verpassen sollte. Somit heisst’s: Ab ins Auto und los Richtung Vierwaldstättersee. Die Türöffnung ist auf 18 Uhr angesetzt und genau eine Stunde später soll die erste Band bereits fleissig herumlärmen. Hmm, könnte knapp werden. Dank so mancher Blechlawine kommen wir blöderweise kaum vorwärts. Dass die meisten Leute auch immer gleichzeitig Feierabend machen müssen… Grmpf! Rasch wird uns bewusst, dass wir wohl beinahe den ganzen Irony Of Fate-Auftritt verpassen werden. Aber nicht verzagen werte Leserschaft, wir haben nämlich mit pam (als Knipser) und Domi the Stick (als «normaler» Gast) zwei weitere Metalinsider vor Ort. Allenfalls können die beiden Herren ein paar Worte über den ersten Akt des heutigen Konzertabends verlieren.
Irony Of Fate
Dutti: Inzwischen ist auch meine Wenigkeit in der Scheune angekommen und platziert sich vorerst in der Nähe des Mischpultes. Immer wieder trifft man vertraute Gesichter, doch eigentlich versuche ich mich vollends auf die Musik zu fokussieren und allfällige Gespräche möglichst auf die Umbauphase zu verschieben.
Feine Sache, dass das letzte IoF-Drittel mit «Six Feet Deep» – einem meiner Lieblingsstücke – eingeläutet wird. Frontmädel Cveti Stojmenova setzt wie gewohnt auf ihr weisses, mit Blutkleksen dekoriertes Kleidchen und ihre bitterbösen Growls. Letztere stellen übrigens ein interessantes Kontrastprogramm zu ihrem süssen Mädchenstimmchen da, welches sie jeweils bei ihren Ansagen verwendet. (pam: Das ist in der Tat ein deftiger Kontrast – Dr. Jeckyll and Ms Hide lassen grüssen). Lars Gygax, Gregor Bucher, Tom Zürcher und Raffael Kühni haben heute das Privileg (oder den Druck?) die männliche Zunft auf der Bühne vertreten zu dürfen. Bei den beiden nächsten Gruppen gilt dann definitiv «Phallus Engpassus» (pam: Danke Dutti, damit hast du schon die Wortkombi des Jahres geliefert 😊).
Die Veröffentlichung des Debütwerks «Pray For Freedom… Prepare For Extinction» scheint den Bernern nochmals zusätzlichen Auftrieb verliehen zu haben. Über das Talent und Potenzial des Fünfers habe ich in der Vergangenheit ja schon des Öfteren gesprochen. Jedenfalls beweisen sie mit diesem engagierten Gig abermals, dass eine erfolgreiche Karriere durchaus im Bereich des Möglichen liegt.
Pam: Nun, viel mehr gibt es da nicht anzumerken. Fand den Gig sehr gelungen, vor allem hat mich auch das eine oder andere sackstarke Riff gepackt. Vor allem der Rausschmeisser «Destruction» blieb mir grad wegen des geilen Riffs hängen. Bei den Jungs und vor allem Mädel selbst spürt man auf der Bühne noch ein paar Unsicherheiten, aber das ist ja bei einer solch jungen Band ganz normal und gehört dazu. Das macht den Charme aus. Wird definitiv nicht mein letztes Irony of Fate-Konzert bleiben.
Burning Witches
Dutti: Die Brugger-Hexen verleihen momentan ihrem neusten Werk den letzten Schliff. Ihren mächtigen Hammer werden sie dann voraussichtlich am 09. November auf die Welt loslassen. Bis dahin müssen wir uns mit altbekanntem Song-Material begnügen. Bei der Qualität ist das allerdings überhaupt kein Problem.
Zum Auftakt gibt’s das Doppelpack «Metal Demons» und «We Eat Your Children» auf die Lauscher. Bei den Gitarristinnen Romana Kalkuhl und Sonia Nusselder, sowie auch Basserin Jay Grob fliegen die Mähnen nur so durch die Gegend. Klein-Lala Frischknecht ist hinter ihren Plattentellern zwar kaum zu sehen, gibt aber trotzdem mit vollem Elan den Takt an. Aber ganz ehrlich, ohne ihre Anführerin Seraina Telli wären die Damen wohl nur halb so stark. Die Oberhexe und ihr facettenreiches Stimmorgan sind schlichtweg überragend. Zudem ist sie eine nimmersatte Publikums-Animateurin – klatschfaule Zuhörer gibt’s bei ihr nicht. Gut so!
Zwischen Irony Of Fate (Melodic Death/Groove/Thrash Metal) und Nervosa (Thrash Metal) mögen die schwermetallischen Witches je nach Sichtweise allenfalls als Aussenseiter gelten, aber davon lässt sich das Quintett nicht aus dem Konzept bringen. Mit «Holy Diver» findet auch die Dio-Hommage wieder Platz in der Setliste. Immer geil, aber man dürfte die Nummer meinetwegen gerne wieder einmal durch «Jawbreaker» ersetzen. Das würde wohl nicht nur Rob Halford freuen. Aufgepasst: Der echte Kracher folgt jetzt! Eine Kostprobe des Hexenhammers in Form des neuen Songs «Open Your Mind». Alter Verwalter, das ist Heavy Metal! Da hauen die Ladies mal frech den geilsten Track des Abends raus. Meine Fresse macht der Lust auf die neue Scheibe. Der darauffolgende Abschluss mit «Burning Witches» geht dafür fast ein bisschen unter.
Pam: Endlich hab ich es heute auch mal an ein Konzert der Hexen geschafft. Aufgrund deren sackstarken Debütscheibe waren die bei mir schon lange auf dem Konzert-Radar. Terminkollisionen verhinderten jedoch ein erstes Aufeinandertreffen. So bin ich heute in erster Linie wegen den hochgelobten Newcomerinnen des Jahres 2017 da. Dementsprechend hoch sind auch meine Erwartungen an deren Auftritt heute Abend – allenfalls schon fast etwas zu hoch.
Die Mädels bieten von Beginn einen soliden Aufritt. Aber es fehlt der Wow-Effekt, denn ich beim ersten Mal reinhören der CD noch hatte. Keine Frage musikalisch haben sie es drauf, der Sound passt, auch das Stage-Acting (gut die eingeübte Choreo bei dem einen Song fand ich jetzt etwas für eine Band die klassischen Metal spielt etwas unpassend. (Dutti: Ah, da meinst du sicherlich den Track «Creator Of Hell» und den dazugehörigen «Hexen-Walzer». pam: Anscheinend ja. Dann hab ich wohl den Gag dahinter nicht verstanden. Auf jedenfall sah es sehr komisch aus.).
Zwischenfanzit: Man darf nicht vergessen, dass auch Burning Witches als Band noch nicht zig Jahre Erfahrung auf den Bühnenbrettern hat. Doch wer so ein Debüt raushaut und auch entsprechend «gehyped» wird, muss auch mit hohen Erwartungen rechnen. Die haben sie bei mir live noch nicht erfüllt, aber ich denke, das ist nur eine Frage der Zeit. Vor allem der von Dutti erwähnte neue Song war definitiv ein Highlight des heutigen Abends. Der ging ganz schön ab. Da freu ich mich gewaltig auf den nächsten Silberling im November 2018 und auch schon auf den nächsten Auftritt der Hexen. Ich bin mir sicher, sie werden mich in naher Zukunft auch live fesseln (und mich hoffentlich nicht grad in den Hexentopf werfen).
Nervosa
Dutti: Hopfentrunk bereit? Check! Nacken wieder einigermassen eingerenkt? Check! Sich gefragt, weshalb im Erdgeschoss ein Latino-Tanzkurs stattfindet. Check! (Anm. von pam: Das ist in der Schüür schon fast Standard, während es oben rumpelt und gepogt wird, werden unten die Körper zu Latino-Rhythmen verbogen). Platz mit vernünftiger Sicht auf die Bühne eingenommen? Check! Alles klar, meine Kumpels und ich nun sind hundertprozentig bereit für den Headliner des Abends. Dieser besteht aus drei attraktiven, brasilianischen Damen, die sich dem Thrash Metal verschrieben haben, und hört auf den Namen Nervosa. Gestern fand mit dem Trio übrigens noch ein Meet & Greet in der Down Town Bar in Luzern statt. Leider konnte ich diesem Event jedoch nicht beiwohnen.
Unter tosendem Applaus schreiten Fernanda Lira (Gesang/Bass), Prika Amaral (Gitarre) und Luana Dametto (Schlagzeug) um circa 21.30 Uhr zur Tat. Letztgenanntes Mädel darf das Drum-Set von Irony Of Fate benutzen. Es folgt ein packender und mitreissender Thrash-Abriss, der wohl so manch zerstörte Nackenmuskulatur mit sich bringen wird. Mein Hauptaugenmerk gilt relativ rasch der Militärhosen tragenden Dame am Tieftöner und ihrer unglaublichen Mimik. Der Titel der Grimassen-Königin stünde Fernanda zweifelsohne zu. Man ist sich nicht wirklich sicher, ob sie einen mit ihren Blicken lediglich normal auszieht oder doch eher brutal häutet. Jedenfalls weisen ihre Augen eine verdammt hypnotisierende Wirkung auf. Ein schlüpfriger Gedanke sei an dieser Stelle erlaubt: Macht sie diese Gesichtsverrenkungen auch bei anderen «Aktivitäten»?
Pam: Das ist jetzt schon sehr schlüpfrig Dutti. (Dutti: Je m’excuse 😉 ) So oder so, da ist mein heutiger Wow-Effekt. Ohne grosse Erwartungen lasse ich dieses Thrash-Metal-Gewitter über mich ergehen. Und holy thrashing Moly – selten hat mich eine Band vom ersten Ton und vor allem Blick so gefesselt wie Nervosa. Die Truppe spielt extrem «tight», das Ganze ist superprofessionell als wären sie schon seit Jahrzehnten unterwegs und Teil der legendären «Big Four».
Vor allem die bereits von Dutti erwähnte Mimik von Fernanda hat es in der Tat in sich. Mal ganz dämonisch mit weit aufgerissenen Augen – teilweise sieht man nur noch die weissen Augenäpfel – , teuflisch, dann wieder ganz fies bis zu einem verzaubernden Lachen (siehe Fotos). Man muss sich richtig konzentrieren, auch mal die anderen beiden Mädels zu beobachten, denn ihr Blick und ihre Mimik sind brutale «Eye-Catcher». So was hab ich noch nie erlebt. Während Prika mehr oder weniger mit stoischer Ruhe die knallharten Riffs aufs Publikum loslässt und Luana noch relaxter ihre Felle ganz schön respektabel in bester Brazil-Tradition bearbeitet, steht Fernanda kaum mal still und die wohl Hälfte des Konzerts verbringt sie tief in ihren Oberschenkeln – wie Rob Trujillo von Metallica zu seinen besten Zeiten. Respekt auch vor dieser durchaus athletischen Leistung.
Ich bin Wochen später noch «geflashed» und noch am Konzertabend Besitzer aller der Alben der Band geworden (Dutti: Ach, deshalb kam es beim Merchandise-Stand zu gewissen Engpässen). Nervosa, you got me! Wie damals als Sek-Schüler als dies auch schon eure Landsmänner Sepultura geschafft haben.
Dutti: Anfang Juni dieses Jahres haben Nervosa mit «Downfall Of Mankind» ihr drittes Studioalben veröffentlicht. Damit sind sie ihrem Zweijahresrhythmus treu geblieben. Dass das aktuelle Material mit neun Stücken die heutige Setliste dominiert, dürfte soweit eigentlich niemanden wirklich verwundern. Da sind aber auch einige brutale Nackenbrecher mit dabei. Diesbezüglich müssen beispielsweise unbedingt «Never Forget, Never Repeat» oder «Kill The Silence» erwähnt werden. Fernandas fauchiger und bissiger Gesang zeigt während des gesamten Gigs keine Schwäche. Bärenstarke Leistung! Luana drischt wie eine Irre auf ihre Felle ein und die blonde Prika (vom Aussehen her eine leicht aggressivere Version von Kobra Paige) versteht es durchaus, ihrer Saitenkönigin das eine oder andere «Eargasm»-Solo zu entlocken. Soundtechnisch scheint man sich vor allem durch die deutschen Veteranen Destruction, Sodom und Kreator inspiriert haben zu lassen. Der rundum überzeugende Auftritt wird schliesslich mit dem stets für Furore sorgenden «Into Moshpit» vom 2014er-Debütsilberling «Victim Of Yourself» beendet.
Das Fanzit
Dutti: Der gesamten Metal Storm-Crew gebührt Dank für diesen genialen Konzertabend, an welchem wir uns prächtig amüsiert haben. Zu meiner grossen Freude stimmte bei allen drei Truppen die Soundqualität. Die Mädels haben effektiv den Ton angeben und bewiesen, dass sie in der männerdominierten Metal-Szene definitiv für einige Ausrufezeichen sorgen können – und dies wohl auch in Zukunft weiterhin tun werden.
Pam: Das war definitiv ein Schüür-Highlight der höchsten Güteklasse. Danke auch von meiner Seite an Atze und sein Metal-Storm-Team. Da hattet ihr ein goldenes Händchen. Die Schweiz hat gut vorgelegt mit zwei jungen Bands mit viel Potential. Brasilien hat aber gezeigt, wie es ein, zwei Ligen höher zu und her geht. Und schön, dass mal Frauen in der Mehrzahl waren. Aber das macht die Bands nicht besser aber auch nicht schlechter. Es sollte schlichtweg egal sein. Nervosa hätten heute sowieso fast jede Band an die Wand gespielt. Egal ob mit oder ohne «Schnäbi».
Und kleiner Fun-Fact: Dass Mr. Destruction Schmier im Publikum steht, war zu erwarten. Er ist ja ein bisschen der Götti von den Burning Witches. Dass V.O. Pulver auch dabei ist, eigentlich ja auch als deren Produzent. Aber erst als ich zu Hause in den Booklets meiner neu erstandenen CDs von Nervosa blätterte, fiel mir auf, dass das letzte Album im Little Creek Studio von V.O. Pulver produziert wurde – wie auch das Debüt von Burning Witches. War also ein bisschen ein Little Creek-Kundenevent 😉. Drum auch die Kombi von BW und Nervosa heute Abend. Also nicht nur ein Ladies-Abend der Ladies Willen.
Setliste – Irony Of Fate
- Intro – Doomsday Clock
- Resurrection
- Oceans Of Doom
- Sleeping Death
- When Worlds Collide
- Unleashed Your Chains
- Six Feet Deep
- Epitaph
- Destruction
Setliste – Burning Witches
- Metal Demons
- We Eat Your Children
- Creator Of Hell
- Bloody Rose
- Save Me
- Black Widow
- Holy Diver (Dio-Cover)
- Open Your Mind (neuer Song)
- Burning Witches
Setliste – Nervosa
- Horrordome
- … And Justice for Whom?
- Death!
- Bleeding
- Enslave
- Hostages
- Masked Betrayer
- Never Forget, Never Repeat
- Vultures
- Raise Your Fist!
- Arrogance
- Kill The Silence
- Fear, Violence And Massacre
- Intolerance Means War
- Into Moshpit