Die pure Atmosphären-Dosis
Drei nordische Truppen liessen die Zuhörerschaft am Dienstabend in fesselnde Klangwelten eintauchen. Überraschendweise waren etliche Personen vor Ort, die man sonst eher an härteren Konzerten antrifft. Das dürfte insbesondere dem Headliner geschuldet gewesen sein. Die Isländer von Sólstafir verfügen offenbar auch hierzulande über eine grosse Fan-Gemeinde. Weshalb ihr unbedingt im Salzhaus hättet vorbeischauen müssen, entnehmt ihr dem nachfolgenden Bericht.
Winterthur verfügt eigentlich über einige Konzert-Locations. Nichtsdestotrotz habe ich es in diesem Jahr bisher nur auf ein paar Besuche ins Gaswerk geschafft. Schön zu sehen, dass es im Dezember nun endlich auch zu einem Abstecher ins Salzhaus kommt. Schliesslich durfte ich hier schon ein paar legendären Shows beiwohnen. Diesbezüglich ist sicher der Abriss von Machine Head aus dem Jahre 2014 zu erwähnen. Meine Fresse, war das geil! Damals tropfte der Schweiss sogar von der Decke. Dies dürfte heute Abend kaum der Fall sein. Ich rechne mit ruhigeren und entspannten Melodien. Während mir die beiden Support-Acts Kontinuum und Louise Lemón kein Begriff sind, gab’s mit den Herrschaften von Sólstafir doch schon die eine oder andere Begegnung (beispielweise im Rahmen eines gratis Gigs an den Winterthurer Musikfestwochen vor drei Jahren). Der Bandname wird übrigens laut meinen Recherchen folgendermassen korrekt ausgesprochen: «soul-sta-firr».
Hui, wie lange bin ich denn bitteschön nicht mehr hier gewesen? Sofort fällt nämlich auf, dass die Holzsäulen nicht mehr da sind. Für die einen waren sie störend, für andere versprühten sie einen gewissen Charme. Fakt ist, dass so deutlich mehr Platz vorhanden ist und sich die Geschichte mit der Sichteinschränkung ebenfalls erledigt hat. Mir gefällt die neue Variante bestens. Mit Hopfentee ausgestattet platzieren wir auf der linken Raumseite und warten gespannt auf die erste Darbietung des Abends.
Louise Lemón
Die schwedische Blondine betritt gemeinsam mit ihrer Band um 19.30 Uhr die Bühne. Bereits nach den ersten Klängen wird klar, wohin die Reise gehen wird. Atmosphäre und Melancholie sind zweifelsohne Trumpf. Louise Lemón verfügt über ein starkes Stimmorgan, welches sich rasch in den Gehörgängen der Besucher einnistet. Auf der Homepage der Sängerin wird ihr Sound passenderweise als «Death Gospel» beschrieben. Dementsprechend wird auch die Lichtshow gehalten. Während die Sängerin ab und an erleuchtet wird, verbleiben die restlichen Musiker eher im Dunkeln.
Abgesehen von zwei temporeicheren Stücken, setzt das Ensemble primär auf ruhigere Lieder. Speziell erwähnen möchte ich zudem noch Klyven Kvastegård. Der mit Hipster-Bart und schickem Hut ausgestatte Saitenhexer dreht gegen Ende des Gigs richtig auf. Der kann was! Wer mal reinhören möchte, sollte sich die Songs «Appalacherna» oder «Thirst» zu Gemüte führen. Nach 30 Minuten räumt die Truppe bereits wieder das Feld.
Kontinuum
Die Landsleute des Headliners übernehmen um 20.15 Uhr das Kommando und liefern bereits in den ersten Minuten einen Beweis dafür, dass Island effektiv ein Quell für talentierte Musikgruppen ist. Den Hype, der um das 2010 gegründete Quintett gemacht wird, kann ich durchaus nachvollziehen. Mit ihrem Mix aus Wave, Rock und progressiven Elementen begeistern Fronter Birgir Thorgeirsson und seine Kollegen das Publikum des sich immer mehr füllenden Salzhauses. Schade, dass ich diese tolle Truppe nicht schon früher auf dem Radar hatte.
Die Setliste wird durch die aktuellste Scheibe «No Need To Reason» dominiert. Darauf wird zum allerersten Mal vollständig auf die englische Sprache gesetzt. Mit «Hlidargötu heimsveldi» und «í huldusa» vom Vorgängeralbum «Kyrr» ehren die Herren ihre Wurzeln dann aber doch noch. Obwohl von den heute anwesenden Zuhörern kaum einer des Isländischen mächtig sein wird, feiern sie Kontinuum trotzdem mit vollem Elan ab.
Sólstafir
Rappelvolles Salzhaus. Alle haben sich versammelt, um den Darbietungen des Headliners zu lauschen. Enttäuscht wird hier niemand. Während knapp zwei Stunden legen die Isländer eine überragende Leistung an den Tag. Unterstützung erhält das Quartett während der Show übrigens vom Louise Lemón-Tastenmann Anders Ludwigsson. Für kurze Kompositionen waren die Herren ja noch nie bekannt. Jedes Stück kommt mit unglaublichem Facettenreichtum daher. Hinzu gesellt sich die unglaublich markante Stimme von Frontmann Aðalbjörn Tryggvason. Eintauchen und geniessen ist angesagt. Sólstafir an – Welt aus.
Über die Disziplin des Publikums bin ich positiv überrascht. Während der Tracks wird brav geschwiegen und der Musik gelauscht. Die Silberlinge «Köld» (2009) und «Berdreyminn» (2017) sind heute Abend mit dem meisten Songmaterial in der Setliste vertreten. Wer neben Aðalbjörn ebenfalls noch auffällt ist Bassist Svavar Austmann Traustason. Mit Hut, Sonnenbrille und Pipi Langstrumpf-Zöpfen ist dies allerdings auch nicht besonders schwierig. Mit «Goddess Of The Ages», das eine Spielzeit von über 12 Minuten aufweist, beenden Sólstafir ihren gelungenen Auftritt. Zeit für die Zuhörerschaft, aus dem tranceartigen Zustand zu erwachen und in die Realität zurückzukehren. Ich bin allerdings davon überzeugt, dass sich einige von ihnen gerne noch länger hätten einlullen lassen wollen.
Das Fanzit
Insbesondere die Isländer – sprich Sólstafir und Kontinuum – konnten heute Abend dank sackstarken Performances überzeugen. Erstaunlich, wie viele Metalheads der Headliner anzogen hat. Ich habe heute Abend viele Gesichter getroffen, mit denen ich an einem Konzert dieser Art ehrlich gesagt nicht gerechnet hätte.
Wer die ganze Geschichte verpasst hat, erhält übrigens im März des kommenden Jahres nochmals Gelegenheit, die Atmosphären-Meister in unseren Gefilden live zu erleben. Am 19.03.2019 gastieren Sólstafir nämlich in der Luzerner Schüür und werden mit insgesamt neun Personen anreisen. Angeblich sollen unter anderem ein Klavier und Streichinstrumente zum Einsatz kommen. Ausserdem werden einige Locations im Rahmen dieser «Berdreyminn»-Tour bestuhlt sein. Man darf also zurecht gespannt sein.
Zum Schluss hätte ich noch einen persönlichen Wunsch für irgendein Konzert (oder eine Tournee) in der Zukunft. Sólstafir könnten ruhig einmal ihre Landsleute und Schwarzmetaller von Auðn mit auf die Reise nehmen. Die Kombo mag auf den ersten Blick vielleicht nicht hundertprozentig zusammenpassen, aber nichtsdestotrotz wissen beide Gruppen mit dem Begriff Atmosphäre einiges anzufangen. Zudem könnte man dann zwei der meines Erachtens momentan besten isländischen Truppen gemeinsam in Aktion erleben.