Zuerst der Schmerz
Zugegeben, es tat weh, als der einst als «verrückter Professor des Metals» titulierte Kanadier Devin Townsend das Aus seines Devin Townsend Projects verkündete. Als langjähriger Fan kam die Meldung einer Hiobs-Botschaft gleich. Erinnerungen an die Londoner Auftritte im Roundhouse mit The Retinal Circus oder in der Royal Albert Hall blitzten auf und gleichzeitig kam der traurige Gedanke auf: Das soll es nun gewesen sein? War es das wirklich? Gibt es ein Leben nach dem Tod? Und wenn ja, warum?
Die Erlösung
Doch Schluss jetzt mit dem dramatischen Gedankengut – das Leben geht weiter. Einfach ohne das Devin Townsend Project (DTP). Übrig bleibt aber DT (und nein, damit ist nicht Dream Theater gemeint). Mag die Beerdigung von DTP noch so traurig sein – Devin Townsends Ankündigung, als Solo-Künstler weiter zu machen, lindert den Schmerz doch nachhaltig. Natürlich ist es schade, dass das gewohnte DTP-Team getrennte Wege geht, aber wer weiss, vielleicht hat das ja auch was Gutes.
Wer sich mit dem Schaffen von Devin Townsend ausführlich auseinandergesetzt hat, wird von der Virtuosität und Vielfältigkeit des Künstlers aus Vancouver geradezu erschlagen. Townsend setzt sich schon fast schwindelerregend mit den unterschiedlichsten Musikstilen auseinander und seine Kompositionen reichen von Ambient und Relaxation bis sind zu Brachial-Töten-Brutalo. Dazwischen tummelt sich Townsend in seiner künstlerischen Freiheit und mixt frisch fröhlich Musikelemente aller Stile. Mal tödlich ernst, mal beschämend humoristisch und Pups-orientiert, überschreitet er permanent Grenzen.
Natürlich lässt dies auch Spielraum für Spekulationen, wie denn das neue Album Namens Empath denn sein wird und ob Devin neue Wegeg geht. Nun, Empath macht da keine Ausnahme – im Gegenteil. Es potenziert die Vielfältigkeit eines Devin Townsends und widerspielt das Schaffen und Wirken einer nun mehr 25 Jahre anhaltenden Karriere.
Die Erklärung, oder warum Chad?
Empath entspräche seiner musikalischen Freiheit, meint Townsend und erlaube es ihm, das zu tun, was er eigentlich schon immer wollte. Dass er dabei eine grosse Anzahl an Musikern mit ins Boot holte, verwundert nur wenig – zu unterschiedlich sind die einzelnen Songs und für jede Passage scheint Devin Townsend den dazu passenden Künstler engagiert zu haben.
Darunter findet sich auch Chad Kroeger. Ja, ihr habt richtig gelesen. Offenbar hat der Nickleback-Mann mehr zu bieten als Mainstream-Gedudel, sonst würde er wohl kaum auf einem solch facettenreichen Album wie Empath mitspielen. Aussagen Devin Townsends zufolge, hatte Chad sogar wesentlichen Einfluss, das Album auf der harten Schiene zu fahren. Und wie hätte es anders sein können – Anneke Van Giersbergen darf natürlich auch nicht fehlen und findet ein weiteres Mal Platz auf einem Tonträger von Devin. Besonders toll ist, dass auch Steve Vais Gitarren-Künste auf Empath vertreten sind.
Empath ist kein massentaugliches Kulturgut, das mal so nebenbei konsumiert werden kann. Townsend erfindet sich aber auch nicht neu. Wer genau hinhört, findet immer wieder Elemente, die auf irgendeinem seiner mittlerweile über 20 Alben zu finden sind. Jetzt halt einfach komprimiert und gebündelt als eigenständige Werke. Hier gilt eindeutig: Wer Devin Townsend kauft, bekommt auch Devin Townsend… und wie!
Die Entführung
Empath entführt in sanfte, leicht psychodelische Gefilde, die an Pink Floyd erinnern, reisst dich jäh aus dem relaxten Zustand und katapultiert dich in eine düstere und aggressive Musiklandschaft, die trotz aller Dynamik und Power stets diesen genialen Touch einer Townsendschen Komposition beinhaltet. Manchmal hat man das Gefühl, Mittelpunkt eines musikalischen Experiments zu sein und man ist fasziniert, wie man Klangelemente der letzten fünf Jahrzehnte vereinen kann. Kaum hat man sich an eine Rhythmik oder Klangfolge gewöhnt, wird man aus der Komfortzone herausgeprügelt und findet sich plötzlich in einer wilden Achterbahn wieder.
Empath erfordert die Bereitschaft hinzuhören und sich zu öffnen. Wer borniert nur Strapping Young Lad hört, wird über das ganze Album betrachtet genauso wenig glücklich, wie die Fans vom Ambient-Album «Ghost» des Meisters. Der Mix von so dermassen vielen Musikstilen und Komponenten erfordert eine gewisse Offenheit, auch mal andere Klänge und Soundgebilde zuzulassen. Wer das nicht kann, hat ohnehin verloren und wird mit Empath nicht so glücklich, wie er sein könnte. Genau hinzuhören kann zudem essenziell sein, denn Townsend arbeitet auf Empath sehr deatailliert und verspielt. So manches, unscheinbar wirkendes Soundfragment entpuppt sich als Teil des Ganzen. Allerdings findet man auch wieder Elemente, die so gar nicht zu passen scheinen, aber einfach nur lustig sind. Es scheint, dass Townsend seine musikalische Freiheit bis zum Bersten auskostet und genau das macht letztendlich auch dem Zuhörer Spass.
Das Fanzit
Auch mit Empath ist Devin Townsend nicht massenkonsumtauglich geworden. Dies spricht eigentlich für den Kanadier, der lieber die Musik macht, die er will, als die, welche der Mainstream verlangt. Das Album hat diese charakteristische Eigenart von Townsend. Dieses Etwas, das ihn halt vom Gros der anderen Musiker abhebt. Und manchmal denkt man schlichtweg: Was hat sich der Kerl eigentlich dabei gedacht? Empath macht schwindlig und süchtig zugleich. Es ist manchmal abstossend einfach, ja schon fast plump und dann wieder so komplex und brachial, so dass man schlichtweg keine Erklärung für das Gehörte finden kann. Tja, und manchmal verwirrt es einfach nur….
Veröffentlichung 29. März 2019 auf InsideOut Music.
Ab Release reinhören und portofrei Limited Edition (2CD) bestellen
Setliste Devin Townsend – Empath
- Castaway
- Genesis
- Spirits will Collide
- Evermore
- Sprite
- Hear Me
- Why?
- Borderlands
- Requiem
- Singularity
10.1 – Adrift
10.2 – I Am I
10.3 – There Be Monsters
10.4 – Curious Gods
10.5 – Silicon Scientists
10.6 – Here Comes the Sun
Line-up / Musiker
– Devin Townsend / Vocals, Guitar, Keyboards, Synths, Producer
Mitwirkende
- Morgan Ågren (Mats And Morgan, Frank Zappa, Fredrik Thordendal) / Drums & Percussion
- Anup Sastry (Monuments, Periphery) / Drums
- Samus Paulicelli (Decrepit Birth, Abigail Williams) / Drums
- Nathan Navarro / Bass
- Mike Keneally – Guitars. Keyboards
- Elliot Desgagnés (Beneath the Massacre) / Vocals
- Steve Vai / Guitars
- Chad Kroeger (Nickelback) / Vocals
- Anneke Van Giersbergen (The Gathering, Ayreon, The Gentle Storm) / Vocals
- Ché Aimee Dorval / Vocals
- Ryan Dhale (Age of Electric and Limblifter) / Guitars
- Elektra Women’s Choir / Choir Vocals