10 Jahre Rock Meets Classic
Am Mittwochabend legte die Jubiläums-Tournee der atemberaubenden Fusion von rockigen und klassischen Melodien einen Zwischenstopp in Zürich ein. Grössen wie Ian Gillan (Deep Purple) oder Kevin Cronin (REO Speedwagon) gaben sich in einem nur zur Hälfte benützten Hallenstadion die Ehre. Details zu diesem nicht ganz dreistündigen Spektakel entnehmt ihr den nachfolgenden Zeilen.
Alle Jahre wieder! Auch 2019 bringt Mat Sinner sein Projekt Rock Meets Classic (RMC) in helvetische Gefilde. Ich durfte schon einigen Ausgaben dieser Veranstaltung beiwohnen und verliess die Halle eigentlich stets mit einem Lächeln im Gesicht. Hinzu kam jeweils ebenfalls die eine oder andere Horizonterweiterung. Ich höre Kollege Kaufi in Gedanken abermals vom «jungen Schnuufer» sprechen. Tja, was soll ich bitteschön grossartig darauf erwidern? Heute Abend feiern gewisse Akteure ihr 50-jähriges Bühnenjubiläum. Ihre grössten Erfolge hatten sie zu einer Zeit, in der meine Zeugung noch gar kein Thema war. Aber hey, gegen einen musikalischen Nachhilfeunterricht dieser Art habe ich überhaupt nix einzuwenden. Bei den bekannten und populären Hymnen werde ich dann sicherlich erneut einige «Aha»-Erlebnisse haben. Das RMC Symphony Orchestra wird heute Abend mit folgenden Künstlern zusammenarbeiten: Ian Gillan (Deep Purple), Kevin Cronin (REO Speedwagon), Mike Reno (Loverboy), Andy Scott und Pete Lincoln (The Sweet), Scott Gorham und Ricky Warwick (Thin Lizzy) und Anna Maria Kaufmann (Opern- und Musicalsängerin – und nein, sie ist nicht mit unserem Kaufi verwandt).
Kurz vor 19 Uhr treffe ich am Ort des Geschehens ein. Der grosse Publikumsandrang lässt noch auf sich warten – obwohl es eigentlich bald losgehen würde. Naja, zuerst muss einmal ein Hopfentrunk her. Da nicht unbedingt klar ist, ob es heute im Show-Mittelteil ein Päuschen geben wird, sollte der Flüssigkeitshaushalt besser frühzeitig sinnvoll geregelt werden. Anschliessend begebe ich mich in den inneren Teil der Halle. Die Raummitte ist – wie an RMC-Events üblich – komplett bestuhlt. Mit meinem Platz im hinteren Bereich bin ich absolut zufrieden. Tolle Sicht auf die Bühne – so muss das sein! Wer kein Ticket für das Zentrum ergattern konnte, muss mit den üblichen Tribünen vorliebnehmen. Die Lokalität wird allerdings bloss zur Hälfte genutzt. Somit muss man vom Club Hallenstadion sprechen. Überrascht mich ehrlich gesagt ein bisschen. Ich hätte der ganzen Geschichte mehr Zugkraft zugetraut. Jagd auf gelungene Schnappschüsse macht heute Abend übrigens Kollegin Nicky.
Intro – RMC Symphony Orchestra
Punkt 19.30 verdunkelt sich die gesamte Halle. Auf den Screens ist ein unterhaltsames Video einer Maus zu sehen, die sich dank den Klängen von «Eye Of The Tiger» aus einer Falle befreien kann. Es darf zum ersten Mal gelacht werden. Nach diesem witzigen Einstieg flimmern ausgewählte Meilensteine und Rückblicke über die Bildschirme, ehe direkt danach das Orchester das Kommando übernimmt. Mit den Stücken «Hotel California» (Eagles) und «Rock You Like A Hurricane» (Scorpions) können die Musiker schon einmal ihr Talent unter Beweis stellen. Überall sind vertraute Gesichter erkennbar. Einige sind schon etliche Jahre mit von der Partie. Zu den Sängern gehören unter anderem Sascha Krebs und Alessandro Vecchio. Neben Zeremonienmeister Mat Sinner besteht die Saitenfraktion aus den Primal Fear-Haudegen Alex Beyrodt und Tom Naumann. Gut gelaunt verrichten die Herren – und nicht zu vergessen natürlich auch die Damen – ihre Arbeiten.
Scott Gorham & Ricky Warwick (Thin Lizzy) – Durchgang 1
«The Boys Are Back in Town» – mit genau diesem Über-Hit geht das Jubilaren-Duo Gorham/Warwick um 19.45 Uhr an den Start. Was es zu feiern gibt? 50 Jahre Thin Lizzy! Die 1986 verstorbene Bandlegende Phil Lynott soll heute Abend würdevoll geehrt werden. Bei Rickys Gesang gibt’s allerdings noch Luft nach oben. Da scheint offenbar leider noch nicht alles korrekt eingestellt zu sein. Auch das Publikum wirkt ziemlich schläfrig. Im Parkett-Sektor kann ich lediglich eine tanzende Dame ausmachen. Nach «Waiting For An Alibi / Don’t Believe A Word» räumen die beiden Herren, die seit 2012 übrigens auch als Black Star Riders ihr Unwesen treiben, bereits wieder das Feld. Ein eher mässiger Auftakt.
Setliste – Scott Gorham & Ricky Warwick (Thin Lizzy) – Durchgang 1
- The Boys Are Back in Town (Thin Lizzy-Song)
- Waiting For An Alibi / Don’t Believe A Word (Thin Lizzy-Song)
Mike Reno (Loverboy) – Durchgang 1
Ein Herr mit Sonnenbrille gibt’s als nächstes den Ton an. Hierbei handelt es sich Mike Reno – den Fronter der kanadischen Hard Rock-Band Loverboy. Stimmlich ist der gute Mann deutlich stärker unterwegs als zuvor noch Ricky Warwick. Beim zweiten Song handelt es sich um den Soundtrack des populären Tanzstreifens «Footloose» aus dem Jahre 1984. Mike performt die Nummer allerdings nicht alleine. Unterstützung gibt’s von einem Orchester-Mitglied. Der Kanadier zeigt sich darüber erfreut, den sonst habe er gemäss eigener Aussage ja nie «Chicks» in der Band. Ein wunderbares Duett.
Setliste – Mike Reno (Loverboy) – Durchgang 1
- Working For The Weekend (Loverboy-Song)
- Almost Paradise (Duett)
Andy Scott & Pete Lincoln (The Sweet) – Durchgang 1
Mat Sinner darf die nächsten Gäste ankündigen: Andy Scott und Pete Lincoln von The Sweet. Genau wie Thin Lizzy dürfen auch die britischen Glam Rocker auf eine 50-jährige Bühnenpräsenz zurückblicken. Oha, die ergrauten Herren drücken aber ordentlich auf die Tube. Unterstrichen wird die Performance mit Pyro-Effekten. Hier kriegt effektiv jeder ein Stück der Action. Pete kündigt dann in einem Gemisch aus Englisch und Deutsch das nächste Lied an: «Another song from the 70er Jahr». Bisher die überzeugendste Darbietung dieses ersten Durchgangs. Nach «Blockbuster» ist bereits wieder Schichtwechsel.
Setliste – Andy Scott & Pete Lincoln (The Sweet) – Durchgang 1
- Action (The Sweet-Song)
- Blockbuster (The Sweet-Song)
Kevin Cronin (REO Speedwagon) – Durchgang 1
Weiter geht’s mit einem Mann, der in Europa offenbar ein seltener Gast ist: Kevin Cronin. Das Aushängeschild der US-Rock-Truppe REO Speedwagon macht von Beginn an einen äussert sympathischen Eindruck. Ausserdem trägt er ein stylisches Brillengestell auf der Nase. «Take It On The Run» wird vom 67-jährigen Sänger mit viel Gefühl vorgetragen. Sackstarkes Stimmorgan! Nach dem Song trifft er mit folgender Aussage den Nagel auf den Kopf: «Rock ‘N’ Roll will keep us young forever.». Da applaudiert die ganze Halle. Wir können uns wirklich glücklich schätzen, denn Kevin gibt zu, dass er tatsächlich 1985 zum letzten Mal in der Schweiz zu Gast war. Beim darauffolgenden Stück erlebe ich schliesslich einen meiner eingangs dieses Artikels erwähnten «Aha»-Momente. «Can’t Fight This Feeling» – eine emotionale und bärenstarke Ballade. Selbst mein knallhartes Metaller-Herz wird von diesen Tönen schonungslos erweicht. Passend dazu recken zahlreiche Zuschauer ihre Feuerzeuge in die Höhe. Diese Generation ist eben (noch) nicht komplett dem Smartphone-Wahn verfallen.
Setliste – Kevin Cronin (REO Speedwagon) – Durchgang 1
- Take It On The Run (REO Speedwagon-Song)
- Can’t Fight This Feeling (REO Speedwagon-Song)
Anna Maria Kaufmann – Halbzeit
Nach einem kurzen Intermezzo des Orchesters und dem Solo-Auftritt einer Cellistin darf der Special-Guest des diesjährigen Billings ran an den Speck. Ui, diese mächtige Sopran-Stimme sorgt wahrscheinlich nicht bloss bei mir für tonnenweise Hühnerhaut. Der Symphonic Metaller in mir jauchzt vor Freude. Vor Show-Beginn wurde noch kräftig die Werbetrommel für das am 22. März erschienene Album «Rock Goes Kaufmann» gerührt. Mit der zweiten Nummer ihres Sets sorgt die Kanadierin, die übrigens auch den deutschen Pass besitzt, für regelrechte Jubelstürme. Es handelt sich hierbei nämlich um das überragende «The Phantom Of The Opera», welches gemeinsam mit Pete Lincoln vorgetragen wird.
Setliste – Anna Maria Kaufmann – Halbzeit
- The Last Unicorn (Jimmy Webb-Cover)
- The Phantom Of The Opera (Andrew Lloyd Webber-Cover) (Feat. Pete Lincoln – The Sweet)
Scott Gorham & Ricky Warwick (Thin Lizzy) – Durchgang 2
Nach einem weiteren Zusammenspiel des RMC Orchesters und der Mat Sinner Band wird Runde zwei eingeläutet. Somit müssen wir – wie bereits im Vorjahr – ohne eine Pause auskommen. Da sich der konsumierte Hopfentee trotzdem nach Freiheit sehnt, nutze ich die Gunst der Stunde für einen raschen Abstecher zu den sanitären Anlagen. Pünktlich zum grossen Hit «Whiskey In The Jar» bin ich jedoch glücklicherweise wieder an meinem Platz zurück. Das Publikum wirkt plötzlich irgendwie beflügelt. Schön zu sehen, dass nicht alle mit ihrem Hinterteil auf dem Sitzleder festgefroren sind. Scott Gorham und Ricky Warwick machen’s ebenfalls besser als im ersten Durchgang.
Setliste – Scott Gorham & Ricky Warwick (Thin Lizzy) – Durchgang 2
- Jailbreak (Thin Lizzy-Song)
- Whiskey In The Jar (Traditional-Cover)
Mike Reno (Loverboy) – Durchgang 2
Mister Loverboy gibt sich keine Blösse und liefert auch bei seinem zweiten Set eine grundsolide Leistung ab. Bei «Turn Me Loose» steht die Zuhörerschaft erneut. Mike Nimmt’s freudig zur Kenntnis. Schade nur, dass es knappe 90 Minuten gedauert hat, um Herrn und Frau Schweizer auf Betriebstemperatur zu bringen.
Setliste – Mike Reno (Loverboy) – Durchgang 2
- Lovin‘ Every Minute Of It (Loverboy-Song)
- Turn Me Loose (Loverboy-Song)
Andy Scott & Pete Lincoln (The Sweet) – Durchgang 2
Sitzplatz? Was ist das? Mittlerweile hält es wirklich niemanden mehr auf den Sitzen. Pete und Andy hauen uns sogleich den «Ballroom Blitz» um die Lauscher. Moment, das Stück kommt mir verdächtig bekannt vor. Richtig, denn hierzulande kennt man insbesondere die Cover-Version unserer Solothurner Hard Rocker Krokus. Sehr gut, nun weiss ich also auch, von wem das Original stammt. Wieder etwas gelernt. Unter anderem aufgrund dessen schätze ich die Rock Meets Classic-Veranstaltungen. Dass Andy nach «Fox On The Run» seine Klampfe wegschmeisst, sorgt bei einigen Besuchern für Gelächter. Wollte er hier irgendwie den grossen Rockstar markieren? Es scheint sein Geheimnis zu bleiben.
Setliste – Andy Scott & Pete Lincoln (The Sweet) – Durchgang 2
- The Ballroom Blitz (The Sweet-Song)
- Fox On The Run (The Sweet-Song)
Kevin Cronin (REO Speedwagon) – Durchgang 2
Mein Favorit aus Runde eins ist als nächstes an der Reihe. Ohne auf irgendeine Art und Weise despektierlich zu wirken, aber exakt so stelle ich mir einen rockigen Opa vor. Und Kevin wirkt noch äusserst fit für sein Alter. Spritzig düst auf der Bühne hin und her und geniesst den gemeinsam Auftritt mit den Mitgliedern der Mat Sinner Band. Seine Frau Lisa mischt dann urplötzlich bei den Background-Sängerinnen des Symphony Orchesters mit. Ihr widmet der REO Speedwagon-Fronter schliesslich einen der grössten Hits der Rockgeschichte: «Keep On Loving You». Jep, zu dieser Ballade haben sicherlich einige Paare in den Publikumsreihen in ihrer Jugend munter herumgeturtelt. Ich muss mich definitiv demnächst einmal ausgiebig mit der Diskographie dieser tollen Truppe genauer auseinandersetzen.
Setliste – Kevin Cronin (REO Speedwagon) – Durchgang 2
- Keep The Fire Burnin‘ (REO Speedwagon-Song)
- Roll With The Changes (REO Speedwagon-Song)
- Keep On Loving You (REO Speedwagon-Song)
Ian Gillan (Deep Purple) – Finale
So, fertig? Nicht ganz. Treue Besucher von RMC-Veranstaltungen wissen, dass der grösste Höhepunkt erst zum Schluss kommt. Wen haben wir noch nicht gehört beziehungsweise gesehen? Korrekt, die Stimme von Deep Purple. Ian Gillan ist zweifelsohne der populärste Star des Abends. Nach 2011, 2012 und 2015 mischt er heute bereits zum vierten Mal in Mat Sinners Projekt mit.
An Pyroeffekten wird während seiner Performance nicht gespart. «Highway Star» beschreitet der Sänger noch in eleganter Abendgarderobe. Stimmlich wirkt die ganze Geschichte leider nicht wirklich sattelfest. Insbesondere von den hohen Tönen sollte Ian besser die Finger lassen. Die kriegt er heutzutage einfach nicht mehr sauber hin. Deshalb bin ich froh, dass das grandiose «Child In Time» nicht zum Zug kommt. Dann folgt eine Tenue-Erleichterung: Sakko weg, Hemd aus der Hose und Ärmel hochkrempeln. Und siehe da, plötzlich klingt der Gesang eine Spur besser. Zwischen den einzelnen Stück gibt’s immer wieder interessante und spannende Anekdoten aus dem «purple’schen» Nähkästchen. Vor «When A Blind Man Cries» werden wir daran erinnert, dass nicht ständig über alles und jeden gemotzt werden soll. Das darauffolgende «Perfect Strangers» haut mich richtig aus den Socken. Sackstark vorgetragen. Alex Beyrodt gibt bei den Soli alles.
Das «Grande Finale» bildet wie immer die gemeinsame Performance eines Songs durch alle Künstler des diesjährigen Programms. 2019 kann es natürlich nur einen geben: «Smoke On The Water». Ein würdiger Abschluss einer abermals fantastischen Show.
Setliste – Ian Gillan (Deep Purple) – Finale
- Highway Star (Deep Purple-Song)
- Black Night (Deep Purple-Song)
- Anya (Deep Purple-Song)
- When A Blind Man Cries (Deep Purple-Song)
- Perfect Strangers (Deep Purple-Song)
- Hush (Joe South-Cover)
- Smoke On The Water (Deep Purple-Song) (All-Star-Jam)
Das Fanzit
Vorab besten Dank an das Veranstalter-Duo actnews und abc Production AG, dass wir dieser gelungenen Veranstaltung beiwohnen durften. Speziell in Durchgang zwei haben sowohl die Akteure auf der Bühne als auch das Publikum nochmals eine ordentliche Schippe draufgelegt. Für mich persönlich kamen die überzeugendsten Darbietungen von Kevin Cronin und den Herrschaften von The Sweet. Erneut konnte ich meinen musikalischen Horizont und Wissensstand erfolgreich erweitern. Es ist immer wieder eine Ehre, diese Rock-Legenden gemeinsam mit einem Orchester in Aktion erleben zu dürfen.
Macht Mat Sinner nach zehn Jahren nun Schluss mit Rock Meets Classic? Nix da, die ersten Details zur nächstjährigen Tour sind bereits bekannt. Das Zürcher Hallenstadion wird man – welch ein Zufall – am 06. März 2020 beehren. Bisher als Gäste bestätigt sind Alice Cooper, Joyce «Baby Jean» Kennedy und Danny Bowes und Luke Morley (Thunder). Alleine schon die Bestätigung des weltberühmten Schockrockers dürfte ein Garant für einen hoffentlich grösseren Publikumsaufmarsch sein.