Weihrauch, Blitze und Leidenschaft par excellence
Sold out! Schwarz auf weiss mit Ausrufezeichen hintendran. So steht es auf dem Zettel, den jemand an die Eingangstüre geklebt hat. Es scheint also, dass das Jubiläumsfestival, welches heute anlässlich der von Bölzer ausgerufenen XI Years of Lightning im Dynamo stattfindet, auf grossen Anklang stösst.
Doch den Zettel bemerken wir zu Beginn gar nicht. Vielmehr sticht uns als erstes die Schlange vor dem Eingang ins Auge, die anlässlich der Zeit doch bemerkenswert ist. Es ist kurz nach 15 Uhr, als wir das Dynamo in Zürich fast pünktlich zur Türöffnung betreten und von der anwesenden Crew freundlich empfangen werden. Ich bekomme ohne Probleme meinen Pressepass ausgehändigt und schon stehen wir an der Garderobe, wo wir auch noch einen Gutschein erhalten, den es an der Afterparty im Ebrietas einzulösen gilt. Die ist aber noch weit weg, zuerst steht ein Reigen an Bands an und wir haben keine Zeit zu verlieren: die erste Gruppe steht bereits auf der eher aussergewöhnlich dekorierten Bühne.
E-L-R
Ich versuche mich zu erinnern, wann ich das letzte Mal an einem Konzert der härteren Gangart Blumen auf der Bühne gesehen habe, aber mir fällt gerade echt nichts ein. Dann wird vermutlich heute das erste Mal sein, denn die Berner E-L-R haben neben einigen Kerzen und einer Weihrauchpfanne mehrere Bündel Schleierblumen in ihre Bühnendekoration integriert. Sicherlich ungewohnt, unpassend aber keineswegs, jedenfalls sobald die Musik des Trios miteinbezogen wird. Die beschreibt die Band selbst als „Hypnotic rhythms suspended in a haze of eternal reverberation“ und das Stichwort Hall passt tatsächlich wie die Faust aufs Auge.
Der atmosphärische Metal wirkt sehr entspannt so wie das Beobachten von Wellen, die immer und immer wieder an ein Ufer rollen. Hin und wieder steuern Bassistin I.R. und Gitarristin S.M. etwas Gesang bei, wobei der grössere Teil der Songs instrumental bleibt. Dank der sehr guten Abmischung können die Stücke ihr ganzes Potential entfalten und beispielsweise das Schlagzeugspiel von M.K. sauber herausgehört werden. Was er aus dem eher reduzierten Drumkit an melodiösem Getrommel herausholt ist nicht nur bemerkenswert, sondern trägt auch viel zur Abwechslung in der Musik von E-L-R bei. Auf Ansagen verzichtet die Gruppe vollständig und für einmal finde ich das stimmig, obwohl ich sonst ein Verfechter von Interaktion mit dem Publikum bin. 40 Minuten darf der im Jahr 2016 gegründete Eröffnungsact spielen, 35 davon kann ich mithören und für mich ist diese Dauer gerade richtig. Ein schöner Einstieg in den heutigen Abend.
Ashtar
Nur gerade 20 Minuten beträgt die Umbauzeit zwischen den Konzerten. Deshalb steht nun bereits Ashtar bereit, um mit ihrem Gig loszulegen. Das Logo des Basler Duos erinnert optisch etwas an die soeben gesehenen E-L-R, aber musikalisch ist die Band, welche seit 2012 besteht, auf ihrer eigenen Spur unterwegs. Sehr doomig geht es hier zu und her, aber immer aufbauend auf einem Fundament aus Black Metal. Frontfrau Witch N. scheint zu Beginn noch Probleme zu haben mit dem Sound auf der Bühne, aber nach einigen Handzeichen wird das von der Crew rasch behoben.
Übrigens werden sie und ihr Ehemann Marko Lehtinen am Schlagzeug heute von zwei Live-Gitarristen unterstützt. Leider verzichten Ashtar komplett auf Ansagen und im Gegensatz zum vorherigen Auftritt fehlen mir diese hier nun. Dafür ist nicht nur die Abmischung erneut prima sondern auch die Lichttechnik ein Kompliment wert. Das Konzert wird mit einer sehr stimmigen Beleuchtung in Szene gesetzt und bleibt beinahe über die ganze Dauer abwechslungsreich und interessant, einzig der letzte Song ist mir etwas zu ausgedehnt und in die Länge gezogen. Nichtsdestotrotz dürfen sich die vier nach etwas mehr als 40 Minuten über wohlwollenden Applaus des bereits zahlreich anwesenden Publikums freuen.
Grave Miasma
Nachdem wir uns innerhalb der Schweiz umgehört haben, geht es nun weiter mit einer Band aus einem anderen Land. Genauer gesagt England und die Rede ist von Grave Miasma. Doch bevor die vier Herren loslegen können, muss erneut die Bühne umgebaut werden. Dieses Mal dauert das Ganze etwas länger als die 20 Minuten, aber schliesslich ist alles bereit. Die Band präsentiert uns ihren Black Metal eher statisch. Immer wieder blitzen Versatzstücke von Death Metal auf in der Musik und sorgen für viel Abwechslung. Leider ist der Gesang von Sänger Y (das ist ein Pseudonym, kein Platzhalter) recht gleichförmig und flach, was für den musikalischen Ausdruck nicht gerade förderlich ist. Instrumental ist der Auftritt allerdings sehr ansprechend und interessant, wobei insbesondere die Gitarrenarbeit respektive die zahlreichen Soli herauszuheben sind. Bei den Zuschauern stösst der Auftritt jedenfalls auf offene Ohren und die Band wird mit grossem Lärm verdankt.
Vomitor
Stilistisch hält auch die nächste Band dem Death Metal die Treue, ersetzt aber den damit gemischten Black durch Thrash Metal. Die ursprünglich aus Australien stammenden Vomitor sind aus ihrer Wahlheimat Dublin von weit her angereist, um heute Abend hier am XI Years of Lightning-Festival zu spielen, aber von Jet Lag oder ähnlicher Reisemüdigkeit ist definitiv gar nichts zu spüren. Im Gegenteil, das Quartett steht total aufgeladen auf der Bühne und spielt mit Biss auf. Vor allem der Sänger, Death Dealer, schneidet Grimassen, posiert und ist so richtig aktiv. Bei seinen Ansagen erinnert er etwas an Abbath, wie er mit den Augen rollt und das Gesicht verzieht. Aber auch die drei Instrumentalisten toben sich aus und stehen kaum einmal still. In ihrer ganzen Aufmachung mit Kutten und Patronengürtel wirkt die Band sehr urig und old school-mässig, was in diesem Zusammenhang durchwegs positiv ist. Nach einigen Songs wirken dieselben aber schon etwas zu hektisch und holprig, so dass ich nicht immer folgen kann und sich ein Hauch von Eintönigkeit einschleicht. Alles in allem also ein zwar sehr engagierter, manchmal aber fast zu nervöser Auftritt.
The Ruins of Beverast
Nun bin ich gespannt auf The Ruins of Beverast, mit denen die musikalische Grundhaltung wieder zurück in Richtung Black Metal tendiert. In rotes Licht getaucht beginnt die deutsche Band ihren Auftritt und zum ersten Mal am heutigen Abend kann der Sound im Dynamo das bisherige Niveau nicht mehr halten. Alles tönt sehr dumpf und der Bass übertönt viele Nuancen der anderen Instrumente. Das sind keine guten Voraussetzungen für die atmosphärische Musik von The Ruins of Beverast, aber schauen wir mal, wie sich das entwickelt. Der Gesang von Mastermind Alexander von Meilen ist stark mit Effekten unterlegt und schafft es nicht, sich über den von den Instrumenten gewobenen Grundteppich zu erheben. Alles verschwimmt und wird zu einen einzigen Klangstrudel, der vom dröhnenden Bass dominiert wird. So schafft es die Band auch im weiteren Verlauf ihres dreiviertelstündigen Auftritts nicht, mich für ihre Musik zu begeistern.
Primordial
Bevor die einzige Band, die mir heute Abend bereits im Voraus bekannt war, mit ihrem Konzert beginnen kann, steht erst einmal eine leicht längere Umbaupause mit ausgedehntem Soundcheck an. Wir haben uns direkt am Gitter platziert, so dass uns nur der 45 Zentimeter tiefe Fotograben von der Bühne trennt. Ab dem Moment als die Iren mit „Where greater Men have fallen“ ihr Folk Black Metal-Set beginnen und Sänger A.A. Nemtheanga auf die Bühne stürmt, ist eine unglaubliche Energie beinahe spürbar. Von Beginn weg animiert der Frontmann das Publikum zum Mitmachen und erscheint als solch leibhaftige Verkörperung der Musik, dass es schon beinahe unheimlich ist. Immer wieder tritt er bis ganz an den Bühnenrand und nimmt Kontakt mit einzelnen Zuschauern auf. So auch beim folgenden „Nail their Tongues“, das von einer inbrünstigen Ansage eingeleitet wird.
Grosser Jubel brandet über uns hinweg als „Gods to the Godless“ angestimmt wird und die Fans recken beim Intro begeistert die Fäuste in die Höhe. Bis die verzerrten Gitarren einsetzen und alles zu headbangen beginnt. Die Band spielt sich immer mehr in Rage und ist unglaublich passioniert bei der Sache. Bei einem solchen Engagement sehen wir auch gerne darüber hinweg, dass Schlagzeuger Simon O’Laoghaire bei „No Grave deep enough“ einige rhythmische Unsicherheiten erkennen lässt. Die Hälfte des Auftritts ist bereits vorbei, als „As Rome Burns“ das ganze Dynamo (und bei Primordial ist der Saal nun proppenvoll) mobilisiert mitzusingen. Die Stimmung ist wahnsinnig intensiv und das Konzert wird mit „The Coffin Ships“ zu einem einzigen Rausch bis schliesslich nur noch ein einziger Song auf der Setlist verbleibt: „Empire Falls“.
Zum Schluss laufen die Band und das Publikum bei glasklarem Sound nochmals zur Höchstform auf bevor der letzte Ton verklingt. Unter lautem Jubel bedanken und verabschieden sich Primordial von den frenetischen Zuschauern. Noch Minuten nachdem die Band die Bühne verlassen hat und das Licht angegangen ist, erklingen laute Sprechchöre und fordern eine Zugabe. Bis die Technikcrew den Bühnenvorhang zuzieht und damit das endgültige Ende des Auftritts signalisiert. Ich bin absolut begeistert. Ausrufezeichen.
Bölzer
Nach einer weiteren halben Stunde ist es dann schliesslich soweit und Bölzer, Geburtstagskind und Gastgeber des heutigen XI Years of Lightning-Festival legen los mit ihrer Show. Ich habe noch nie einen Auftritt des Zürcher Duos gesehen und kann deshalb nicht beurteilen, welche Elemente die Band sonst einsetzt, aber heute Abend scheinen sich die Herren KzR und HzR passend zu ihrem Jubiläum etwas ins Zeug gelegt zu haben. So binden sie den vorhandenen Beamer ein und zeigen beispielweise eine von Blitzen durchzogene Wolkenszenerie, was thematisch natürlich passend ist zum Motto des heutigen Festivals: XI Years of Lightning. Auch eine Weihrauchpfanne scheint vorhanden zu sein, auch wenn ich diese nicht erspähen kann. Dennoch ist der schwere Duft bis in die hinteren Reihen riechbar, was für mich nicht ganz zum Auftritt von Bölzer passt.
Das Publikum ist überraschend zurückhaltend, ich hätte ehrlichgesagt erwartet, dass die Mehrheit der Anwesenden praktisch ausschliesslich aufgrund des Hauptacts gekommen ist. Bölzer hat sich übrigens nicht nur bei ihrer eigenen Präsentation Mühe gegeben, sondern allgemein bei der Initiierung des ganzen Anlasses. Gemeinsam mit der Meh Suff-Crew haben sie ein sorgfältig ausgewähltes Line-Up zusammengestellt und einige Grössen aus der Metalszene nach Zürich geholt, was wirklich sehr toll ist. Auch dass sie, die nicht sehr häufig in ihrer Heimat spielen, ihr Jubiläum hier feiern ist eine schöne Geste. All dies geht mir während des Auftritts von Bölzer durch den Kopf.
Soundmässig gibt es erneut nichts auszusetzen. Dafür ist die Wahl der Beleuchtung leider ziemlich unglücklich: der Stroboskop, welcher mitten ins Publikum gerichtet ist, wird viel zu häufig und einige Songs lang sogar beinahe dauernd eingesetzt, was uns geblendet zurücklässt und das Zuschauen extrem anstrengend macht. Schade für das Konzert, aber wir machen das Beste daraus.
Meine Aufnahmefähigkeit hat nach all diesen Eindrücken mittlerweile stark nachgelassen und so beschliessen wir, auf Deströyer 666 zu verzichten und den Heimweg anzutreten.
Das Fanzit – XI Years of Lightning
Ich habe Primordial früher schon zweimal gesehen und deshalb gewusst, dass sie eine intensive und energiereiche Liveband sind, aber was sie heute hier geboten haben, schlägt das alles mit links. Dieser Auftritt gehört zu den zehn besten Konzerten die ich in meinem bisherigen Leben gesehen habe!
Die anderen Bands des heutigen Abends werden von dieser Leistung natürlich total in den Schatten gestellt, was aber nicht heisst, dass deren Konzerte im grossen und ganzen nicht gut gewesen wären. Einfach je nach Band mal mehr und mal weniger.
Ein Lob gebührt auch der ganzen gut aufgegleisten Organisation des XI Years of Lightning-Festival sowie der Technikcrew, die einen wichtigen Beitrag zum Gelingen dieses speziellen Anlasses beigetragen haben.