Qualität, Odin und eine Überraschung aus China
Nachdem ich die Erstausgabe des Midgardsblot Metalfestival vor vier Jahren im Internet entdeckt hatte, ist nun der Zeitpunkt gekommen, diesen einzigartigen Anlass in Borre, Norwegen tatsächlich einmal zu besuchen. Es handelt sich dabei auch gleich noch um ein Jubiläumsjahr, findet das Festival doch zum fünften Mal statt.
Dass unsere Vierergruppe bei der Anreise ganze drei Mal für eine Band gehalten wurde, werten wir als gutes Omen. Damit sollten die Vorzeichen für drei Tage Metal und Wikingerkultur auf grün stehen. Das Festival bietet von beidem genügend. Viel trägt dazu die Zusammenarbeit mit dem Midgard Vikingsenter, einem Museum, bei. Das Museum sowie die direkt angrenzenden Gräberfelder mit uralten Hügelgräbern stehen allen Festivalbesuchern offen und laden zu einem Besuch ein. Das Rahmenprogramm beinhaltet zudem Führungen durch die Ausstellung und zu den Gräbern sowie jeweils morgens eine Vortragsreihe genannt Mimir Talks zu diversen Themen aus den Bereichen Metal und Wikingerkultur.
Das eigentliche Festivalgelände ist etwa drei Minuten zu Fuss entfernt und besteht aus dem inneren Gelände, dem Marktbereich und dem Wikingerlager. Für die Musik stehen drei Bühnen zur Verfügung. Als Hauptbühne dient die Valhalla Stage, eine einfache Open Air-Bühne. Die winzige Kaupangr Stage steht in der Mitte der Marktstände und es kann sowohl von hinten als auch von vorne zugesehen werden. Die dritte Bühne namens Gildehallen liegt grössenmässig zwischen den anderen beiden. Sie befindet sich in einer zum Museum gehörenden, nach historischem Vorbild rekonstruierten Langhalle aus der Wikingerzeit und stellt damit eine der ungewöhnlichsten Konzertlokalitäten dar, die mir bekannt sind. Die Gehdistanz zwischen den Bühnen beträgt weniger als eine Minute, es ist alles einfach schön nah beieinander. Musikalisch erwartet uns übrigens ein Programm, das abgesehen von Einherjer, Vreid und Ereb Altor ausschliesslich Bands enthält, die ich noch nie zuvor live erlebt habe und teilweise überhaupt nicht kenne.
Erwähnenswert ist sicherlich auch noch das gastronomische Angebot. Zu den eher bekannten Gerichten wie Burger und Pizza (die aber allesamt in sehr hoher Qualität angeboten werden) gesellt sich nämlich ein Pop Up-Restaurant der Norwegian Cook Federation, in dem zu äusserst fairen Preisen frisch zubereitete Menus von Fischsuppe bis glasierter Schweinskeule mit Gemüse und Hülsenfrüchte serviert werden. Der Magen kommt also ebenfalls nicht zu kurz in den folgenden drei Tagen.
Donnerstag, 15. August 2019 – Tag 1
Doch bevor es Essenszeit ist, stehen zuerst mal einige Mimir Talks auf dem Programm zur Einleitung des Midgardsblot Metalfestival.
Mimir Talk: Evolution of the Cult
Ich bin sehr gespannt, was uns in dieser Vortragsreihe erwartet. Den Anfang macht Dayal Patterson, der uns etwas über die gestiegene Nachfrage nach Metal-Büchern erzählt. Als Gründer des Fanzines und Verlags Cult never dies und als Autor von mehreren Büchern bringt er die besten Voraussetzungen dafür mit. Der kleine Saal ist komplett gefüllt, als mein erster Mimir Talk beginnt. Der Vortrag ist spannend und Dayal spricht sehr verständlich, was es leicht macht ihm bei seinen Ausführungen zu folgen. Die Sprache ist Englisch wie bei allen anderen Präsentationen auch. Gegen Ende hin driftet Dayal etwas ab in Richtung Wahrnehmung des Black Metal durch verschiedene Medien, woraufhin in der anschliessenden Fragerunde eine interessante Diskussion zu diesem Thema beginnt. Es ist denjenigen, die sich zu Wort melden anzumerken, dass sie mit Leidenschaft dabei sind und so passieren viele spannende Wortmeldungen.
Mimir Talk: Truth in History, and seeing the big picture through the small places: how „Hugsjá“ and „Skuggsjá“ came into being.
Obwohl eigentlich bereits alle Plätze besetzt sind, möchten noch viele weitere Personen den nächsten Mimir Talk (mit richtig langem Titel) hören. Einige setzen sich auf den Boden, viele stehen im hinteren Bereich. Als Redner sind Ivar Bjørnson von Enslaved und Einar Selvik von Wardruna angekündigt, was das rege Interesse erklärt. Geplant ist, dass die beiden etwas zu ihren gemeinsamen Werken Hugsjà und Skuggsjà erzählen. Dumm nur, dass Ivar noch am Flughafen feststeckt und er derjenige war, der das Skript bei sich hatte. Einar entschliesst sich deshalb zu improvisieren und beginnt einfach mal drauf los zu erzählen. Zu Beginn ist das noch etwas unstrukturiert, aber nach einigen Minuten scheint er sich eingestimmt zu haben und der Vortrag verläuft flüssig. Wir hören seine Gedanken zu seinem musikalischen Werk sowie zur musikalischen Interpretation der Vergangenheit und erfahren mehr über seinen Werdegang als Musiker. Zum Ende singt er uns noch das kurze, wunderschöne Stück „Voluspá“. In diesem intimen Rahmen eine ganz aussergewöhnliche Sache.
Mimir Talk: Opening the Gates of Valhöll: Performance Studies and Old Nordic Poetry with a Focus on „What’s going on“ in Eeiríksmál and Hákonarmál
Viele Leute verlassen den Saal, bevor Professor Tery Gunnell seine Analyse der alten nordischen Poesie präsentiert. Der Vortrag ist inhaltlich und sprachlich sehr anspruchsvoll zusammengestellt, so dass höchste Konzentration notwendig ist, um folgen zu können. Es lohnt sich aber, denn wir erfahren viel Wissenswertes über die Art und Weise wie die Gedichte aus der Edda und der skaldischen Tradition geschaffen wurden, um erzählt oder sogar aufgeführt zu werden. Um diese Theorie zu belegen, führt er uns durch die zwei Texte Eíriksmál und Hákonarmál, deren Analyse erstaunliche Hinweise offenbart. Es scheint viele Besucher zu geben, die gut zugehört haben, denn am Ende kommen einige präzise Fragen aus dem Plenum und es entwickelt sich erneut eine spannende Diskussion.
Nach diesen drei Lektionen geballten Wissens über Musik und Literatur ist meine Lernkapazität für heute ausgeschöpft und wir machen uns auf den stimmungsvoll mit Totems dekorierten Weg zum eigentlichen Festivalgelände.
Blot Ceremony
Nun stehen wir da vor dem Eingang, der unter einem hölzernen Wachturm vorbeiführt und warten gemeinsam mit vielen anderen auf die Türöffnung, um die anschliessende Eröffnungszeremonie mitzuerleben. Plötzlich sind Trommeln zu hören und eine archaisch gekleidete Gruppe bahnt sich musizierend einen Weg hin zum Tor. Die Menge setzt sich langsam in Bewegung. Das Tor öffnet sich und es beginnt der gemeinsam Einzug auf das Festivalgelände. Vor der Valhalla Stage, der Hauptbühne bilden Fackelträgerinnen einen grossen Kreis um eine Feuerschale neben der eine kleine hölzerne Statue steht, die Odin darstellt. Die Zuschauer verteilen sich rundherum und die Zeremoniengruppe beginnt mit der Begrüssung aller vier Himmelsrichtungen.
Was danach folgt, ist tatsächlich eine Art Ritual: die kleine Statue wird mit Blut benetzt und es werden Odin, Thor und Freya angerufen. Die Protagonisten tun dies aber in einer solch lockeren Art, dass man sich ob des immer wieder durchblitzenden Humors keineswegs am falschen Ort wähnt, auch wenn einem Opferungszeremonien normalerweise nicht sehr zusagen. Nachdem alle Mitglieder der Gruppe sich selbst und die Statue mit etwas Blut gezeichnet haben, wendet sich ihr Anführer an die versammelten Zuschauer: „Nun beginnt euer Teil. Jeder der mag, darf hier teilnehmen. Es ist egal, zu welchem Gott ihr betet, ob ihr überhaupt betet oder ob ihr nur aus Spass mitmachen wollt. Ihr seid alle willkommen, solange eure Teilnahme in Weisheit und Ehre geschieht, solange es von Herzen kommt.“ In der Folge treten nacheinander Personen aus dem Publikum im den Kreis vor, benetzen sich und die Statue mit Blut und verlassen den Kreis wieder. Einige rufen die Namen nordischer Götter, andere sind still für sich, manche treten zu zweit als Paar vor und wieder andere werfen etwas Kleines in die Flammen.
So dauert die Zeremonie an, bis alle die wollen zum Zuge kommen. Dabei vergehen fast eineinviertel Stunden. Wir schauen eine Weile zu und nutzen dann die Zeit, um das Gelände zu erkunden. Auf dem Papier mag die ganze Zeremonie etwas esoterisch und speziell tönen, in der Realität wirkte es aber sehr freundlich und geerdet. Ich war etwas überrascht, dass der Teil mit den Zuschauern so viel Zeit eingenommen hat und die eigentliche Vorführung nach rund 15 Minuten bereits zu Ende war. Vor allem aber der Einmarsch und die gemeinsame Eröffnung des Festivals versprühte sehr familiären Charme. Nachdem schliesslich alle Interessierten ihr persönliches Ritual durchführen konnten, verklingen die Trommeln wieder und auf der Bühne selbst geht das Licht an.
Gaahls Wyrd
Die erste Band, die auf die Valhalla Stage, gebeten wird, ist Gaahls Wyrd. Uns erwartet eine Ladung Black Metal, angereichert mit mystischer Stimmung und Bezug zur norwegischen Natur. Das klingt nach einer spannenden Mischung, die jedoch auf eine differenzierte Abmischung angewiesen ist. Leider sieht das der Soundtechniker nicht so, weshalb wir primär in den „Genuss“ von dumpf dröhnender und alles übertönender Bassdrum kommen, aber ansonsten nicht viel mehr. Hoffentlich bleibt das ein einmaliger Ausrutscher und wird während des Festivals nicht die Norm bleiben. Von der eigentlichen Musik ist also kaum etwas zu hören und dabei wäre diese bereits genügend anspruchsvoll zu verfolgen.
Die Publikumsreaktionen sind dementsprechend verhalten, abgesehen von einigen Fans, welche die Stücke gut genug zu kennen scheinen, um sie trotz des rumpligen Klangs herauszuhören. Gespielt wird gemäss der Setlist tatsächlich eine Mischung aus Songs vom Debutalbum GastiR – Ghosts invited darunter „From the Spear“ sowie Stücke aus Gaahls Vergangenheit bei God Seed („Sign of an open Eye“ und „Alt Liv“) und Gorgoroth („Prosperity and Beauty“). Vielleicht ist es die erwähnte Zurückhaltung, die etwas auf die Band abfährt. Die Saitenfraktion ist zu Beginn zwar noch mit Energie bei der Sache aber Sänger Gaahls Auftritt wirkt sehr zurückhaltend und bisweilen eher uninspiriert. Eine vollkommen überzeugte Darbietung sieht doch eher anders aus, so dass mein Erstkontakt mit dem bekannten Künstler kein sehr positives Fanzit erhält.
Folket Bortafor Nordavinden
Wir beschliessen, nun den Festivalmerchstand etwas genauer unter die Lupe zu nehmen. Dort hat sich eine beachtliche Schlange gebildet, aber das habe ich nicht anders erwartet. Glücklicherweise befindet sich die Kaupangr Stage nur circa 20 Meter entfernt, sodass wir eigentlich eher dem dort stattfindenden Konzert beiwohnen, als wirklich anzustehen. Auf der Bühne stehen bekannte Gesichter. Es handelt sich um dieselbe Gruppe, welche die Eröffnungszeremonie durchgeführt hat. Ihr Name lautet Folket Bortafor Nordavinden und auf der Kaupangr Stage zeigen sie nun, dass sie nicht nur Trommeln und Rituale abhalten können sondern ein ganzes Spektrum an urtümlichen Instrumenten zu bedienen wissen.
Garniert wird der instrumentale Part von allerlei verschiedenem Gesang, wobei auch Unterton- und seltener Obertongesang zum Zuge kommen. Die gespielte Musik besitzt nach wie vor einen rituellen Charakter und baut damit einhergehend häufig auf einem Fundament aus Repetition auf. Das Ganze wird aber so beschwingt und mit Freude vorgetragen, dass keine Langeweile aufkommt. Die kurze Spieldauer von dreissig Minuten ist für mein Geschmack gerade richtig, damit mir der Auftritt in guter Erinnerung bleibt.
Ivar Bjørnson & Einar Selvik
Es hat zu regnen begonnen, als wir wieder durch die hölzerne Eingangspforte in den inneren Bereich vor die Valhalla Stage wandern. Mittlerweile ist es dunkel geworden und so sind die Bedingungen vorhanden, um das nächste Konzert mit einer schönen Lichtshow zu untermalen. Ivar Bjørnson und Einar Selvik stehen auf dem Programm und gemeinsam mit ihren drei Mitmusikern werden sie uns einen Querschnitt durch ihr bisheriges Schaffen bieten. Auszüge aus dem gemeinsamen zweiten Werk Hugsjà bilden die Grundlage des Auftritts. Darin eingestreut werden Stücke aus dem Erstlingswerk der beiden, Skuggsjà. Diese Komposition war ein Auftragswerk anlässlich der 200-Jahr Feier der norwegischen Verfassung, aus welcher auch das Midgardsblot Metalfestival in seiner heutigen Form hervorgegangen ist.
Musikalisch bildet das Werk die durchdachte Schroffheit von Enslaved wie auch die filigrane Natürlichkeit von Wardruna ab und steht damit wunderbar im Einklang mit dem norwegischen Land an sich. Es umfasst aber auch genau die musikalische Spannweite des Midgardsblot Metalfestivals, mit seinem Programm aus harschen und ruhigen Klängen. Die heutige Headlinerposition ist damit natürlich mehr als gerechtfertigt und Ivar und Einar werden den damit verbundene Erwartungen absolut gerecht. Gemeinsam mit ihren Mistreitern füllen sie die Bühne aus und bieten eine musikalisch abwechselnde Reise, die auch noch je ein Cover der Songs „Helvegen“ und „Return to Yggdrasil“ der beiden Stammbands Wardruna und Enslaved enthält. Zum Schluss des Auftritts lässt der Regen nach und in der ausklingenden Nacht bleibt ein fasziniertes Publikum nach einem sehr tollen Auftritt zurück.
Freitag, 16. August 2019 – Tag 2
Nach den gestrigen gelungenen Konzerten freue ich mich bereits auf die heutige Fortsetzung. Obwohl der Wetterbericht Regen angesagt hat, ist es trocken und bewölkt mit wenigen Sonnenstrahlen, als wir uns auf den Weg machen, um pünktlich im Midgard Vikingsenter zu sein.
Mimir Talk: The descendants of Frey: Borre as a Centre of Power in South-Eastern Norway from 600-950 CE
Auch der zweite Tag startet wieder mit einer Portion Wissen. Diese Mal soll es um die Bedeutung des Bühnenbilds im Metal gehen. Aufgrund einer Verwechslung ist die erwartete Referentin jedoch nicht vor Ort. Glücklicherweise ist Fredrik Bjønnes, der hier im Museum als Historiker arbeitet und später noch zum Zuge kommen soll, spontan bereit, in die Bresche zu springen und seinen Vortrag vorzuziehen. So kommen wir in den Genuss von vielen Informationen zum Ort Borre und dessen Bedeutung in der Wikingerzeit. Wir erfahren auch noch so einiges über die Hügelgräber und archäologischen Funde in der Gegend. Fredrik ist nicht der beste Redner, weshalb seine Vorlesung bisweilen etwas unstrukturiert und holprig daher kommt, aber die Fülle an Wissen die er vermittelt, mach es dennoch lohnenswert hier zu sein.
Tour of the Exhibitions
Im Anschluss beschliessen wir an der angebotenen Führung durch das Museum teilzunehmen. Dieses ist klein aber fein und unser Guide erklärt uns viel über den Hintergrund der einzelnen Exponate. In Kombination mit dem vorherigen Vortrag erhalten wir auf diese Weise ein umfassendes Bild über den Austragungsort des Midgardsblot Metalfestival.
Urarv
Extremer Metal, Norwegen und Gummienten: Nein, der musikalische Auftakt des heutigen Tages wird nicht in die Hände von Trollfest gelegt. Urarv stehen in der Gildehallen auf der Bühne und das ist musikalisch eine ganz andere Baustelle. Verwurzelt im Black Metal, angereichert mit Elementen aus Heavy Metal sowie Thrash Metal und noch etwas Punkattitüde beigemischt, so präsentieren sich die Südnorweger dem Publikum.
Blickfang ist dabei Sänger Aldrahn, der wie ein Berserker auf der Bühne unterwegs ist. Er kreischt, zieht Grimassen und kickt in der Luft herum, als ob er in Trance wäre. Die restlichen vier Bandmitglieder gehen ob dieser Performance etwas unter, sind aber ebenfalls mit Überzeugung bei der Sache. Und die Gummiente? Die holt der Frontmann etwa in der Mitte des Sets als Requisite für seine Darbietung hervor und lässt sie unter anderem auch während eines Lieds ins Mikrofon quieken. Und das ist nur ein Beispiel für weitere ähnliche Aktionen, die sehr stark im Kontrast stehen zu den dissonanten und anspruchsvoll zu hörenden Songs. Der Auftritt ist wirklich schräg, aber auf eine ganz eigentümliche Art auch faszinierend. Das lässt das Publikum leicht konsterniert und mich mit einem etwas zwiespältigen Fanzit zurück.
Synthetic Gentlemen
Als wir nach draussen treten, blendet uns entgegen der Wettervorhersage Sonnenschein und ehrlich gesagt passt das zu den Klängen, die uns nun von der Bühne entgegenschallen. Die Musik der Synthetic Gentlemen klingt ausgelassen und das transportieren die Herren auf der Valhalla Stage auch mit ihrer Darbietung. Musikalisch bieten sie uns sehr modern gehaltenen Hard Rock, der mit elektronischen Klängen angereichert ist und sich einige Gesanglinien aus dem Alternative Rock ausborgt.
Im Vergleich mit dem restlichen Programm haben wir es hier definitiv mit den Exoten des Festivals zu tun. Das zeigt sich auch an der Anzahl Personen vor der Bühne. Zu Beginn des Auftritts sind wir beinahe alleine da, aber die synthetischen Herrschaften lassen sich nichts anmerken und ziehen ihren Gig nicht nur absolut professionell, sondern tatsächlich auch sehr motiviert durch. Das lockt mit der Zeit einige weitere Zuhörer vom Festivalgelände her, so dass die Band aus Tønsberg (das ist gleich um die Ecke hier) doch noch den verdienten Applaus für ihr Engagement erhält. Da die musikalische Ausrichtung aber doch ziemlich weit vom restlichen Programm entfernt ist, kann ich das geringe Besucheraufkommen durchaus nachvollziehen. Trotzdem ziehe ich das Fanzit: überraschend unterhaltsam.
Borrefylkingen (Viking Battle)
Kaum ist das Konzert zu Ende spannen einige historisch gekleidete Personen mit Seilen einen Bereich ab, in den dann sogleich eine mit Schwert, Speer, Helm und Schild gerüstete Truppe tritt. Es ist Zeit für das Viking Battle der Gruppe Borrefylkingen. Die nächsten 15 Minuten werden uns mit sehr viel Enthusiasmus diverse Arten von Schaukämpfen vorgeführt. Darunter sind sowohl Einzelkämpfe als auch Gruppenkämpfe. Das ist eine nette Abwechslung für Zwischendurch, aber nach einer Viertelstunde ist dann auch der richtige Zeitpunkt, um zu einem Ende zu kommen. Der Magen knurrt, und wir stürzen uns auf das qualitative ausgezeichnete Essensangebot.
Vǫluspà
Frisch gestärkt stehen wir wieder vor der Valhalla Stage und warten gespannt auf Zuriaake. Die vier Personen, die da auf der Bühne stehen, sind aber definitiv eine andere Band. Es handelt sich um Vǫluspà, die ihren Slot mit Zuriaake getauscht haben, da letztere Verspätung bei der Anreise hatten. Vǫluspà haben ein akustisches Set vorbereitet und präsentieren dieses nun von der grossen Bühne aus. In der milden Nachmittagssonne funktionieren die ruhigen Folkstücke sehr gut. Die Lieder, welche hauptsächlich von den beiden Frauenstimmen getragen werden, sind sehr zugänglich und einprägsam. Die Texte sind mehrheitlich in Norwegisch verfasst und auch die Ansagen werden zuerst in Norwegisch vorgetragen bevor im Verlauf des Sets auf Englisch gewechselt wird. Die eher ruhige Musik lädt dazu ein in der lauen Nachmittagssonne zu verweilen und zuzuhören. Tatsächlich setzen sich auch viele Leute hin. Alles in allem ein unspektakulärer aber schöner Auftritt.
Zuriaake
Aus der hellen Sonne begeben wir uns nun hinein in die dunkle Gildehallen. Da es sich bei dem Gebäude um ein rekonstruiertes Langhaus aus der Wikingerzeit handelt, ist nebst zwei kleinen Fenstern hoch oben im First, keinerlei Lichteinfall von draussen vorhanden. Bevor Zuriaake die Bühne betreten, wird der Raum mit einer tüchtigen Portion Nebel gefüllt, was eine mystische Stimmung erzeugt. In diese hinein tritt die Band, gekleidet in lange schwarze Gewänder und Kegelhüte. Durch dünne Schleier bleiben die Gesichter der fünf chinesischen Musiker verborgen, als die ersten Töne erklingen.
Wir hören traditionelle Instrumente, die asiatische Melodien spielen bevor die einsetzende Gitarre den Song hin zum Atmospheric Black Metal zieht. Die traditionellen Versatzstücke tauchen aber immer wieder auf und prägen den Sound von Zuriaake ebenso wie die Abwechslung zwischen langsamen, ruhigen Parts und dichtem Black Metal. Das Publikum lauscht gebannt, überall beginnen die Köpfe zu nicken, während auf die Band auf der Bühne mit ihrem langsamen und ruhigen Auftreten dem getragenen Charakter der Musik Rechnung trägt. Zwischen den Songs gibt es keine Ansagen, aber Frontmann Bloodfire und seine Truppe bedanken sich mit vielen Gesten und leichten Verbeugungen. Diese nonverbale Kommunikation passt perfekt.
Genauso perfekt passt der intime und aussergewöhnliche Rahmen in der Gildehallen. Das dunkle Holz erzeugt in Verbindung mit dem Nebel, dem mystischen Oblicht und dem Geruch nach Rauch von einem Holzfeuer, welcher dem ganzen Gebäude anhaftet, eine einzigartige Konzertatmosphäre, die zu Zuriaakes Musik passt, wie die Faust aufs Auge. Blendet man die Wikingersymbole an den Wänden aus, könnten wir uns jetzt ebenso gut irgendwo in einer Hütte im chinesischen Hinterland befinden. Derweil ist das Konzert von Zuriaake tadellos: die Einsätze sitzen, der Gesang ist voller Überzeugung und der Sound des Ganzen ist wunderbar abgemischt. Da hat sich der ausgiebige Soundcheck, den die Band persönlich und sehr zielgerichtet („please turn the base down“) durchgeführt hat, definitiv gelohnt. Je länger das Konzert dauert, desto lauter fällt der Applaus und das Anfeuern zwischen den Stücken aus. Das Publikum schüttelt Fäuste reckend die Mähnen, so dass sich sogar einer der Gitarristen davon anstecken lässt. Trotz der wortlosen Kommunikation wird die Dankbarkeit und Freude der Band verständlich, als sie unter enthusiastischem Jubel die Bühne verlassen. Fanzit: fantastisch!
Vreid
Immer noch begeistert, treten wir aus der düsteren Gildehallen wieder ins Licht hinaus. Dort stehen bereits Vreid auf der Valhalla Stage und beginnen mit ihrem Konzert. Der Sound ist erneut hervorragend, so macht das Zuhören einfach Spass. Vreid scheinen hier viele Anhänger zu haben. Das Publikum ist auf jeden Fall so aktiv, wie bisher bei keiner anderen Band. Wir kriegen einen Querschnitt durch die gesamte Bandbreite des Schaffens der Gruppe; Pitch Black Brigade (vertreten mit dem quasi Titeltrack „Pitch Black“), Sólverv, aber auch das aktuelle Album Lifehunger wird nicht aussen vorgelassen.
Sture spricht bei den Ansagen ausschliesslich Norwegisch, weshalb mir verborgen bleibt, was er uns genau mitteilen möchte. Dann konzentriere ich mich halt auf die Musik und die wird mit Energie und Nachdruck gespielt, so dass der Kopf automatisch zu headbangen beginnt. Vreid bieten gerade den totalen Kontrast zum vorherigen Konzert von Zuriaake. Der Black n‘ Roll-Anteil ist sehr eingängig und mitreissend und weil die Band in der untergehenden Abendsonne spielt, herrscht auch eine ganz andere Stimmung: vorher der intime atmosphärische Gig in der Halle, zum darin versinken, jetzt die Show mit Rauch und Feuer, die zum Abgehen einlädt. Ein sehr toller Auftritt, der mich um einiges mehr überzeugt als mein letztmaliger Kontakt mit der Band aus dem norwegischen Sogndal.
Byrdi
Um einiges ruhiger wird es anschliessend auf der Kaupangr Stage mit Byrdi. Die Truppe spielt urtümlichen, nordischen Folk und legt ein grosses Augenmerk auf den mehrstimmigen Männergesang. Weil die Kaupangr Stage ebenerdig gebaut wurde, wäre das mit der Sicht aus den hinteren Reihen im Normalfall so eine Sache. Die Leute in den vorderen Rängen setzen sich jedoch alle auf den Boden, so dass auch die Personen dahinter eine gute Sicht haben. Eine sehr nette Geste, die irgendwie zum familiären Charakter des Festivals passt. Derweil nehmen uns Byrdi mit auf eine musikalische Reise zu ihren Vorfahren. Heraus sticht vor allem das Stück „Ansur“, welches das Gefühl einer gewissen Erhabenheit transportiert. Danach ist mir das mit der Zeit aber etwas zu reduziert und ruhig, doch viele der konzentriert zuhörenden Besucher scheinen der Musik einiges abgewinnen zu können. Jedem das seine.
Gåte
Nachdem das Festivalbooklet Gåte als eine der besten Livebands von ganz Norwegen anpreist, sind meine Erwartungen hoch an die Progressive Folk Rock-Gruppe. Deren Musik zeichnet sich unter anderem dadurch aus, dass sich viele Arrangements von norwegischen Volksliedern darunter befinden. Das scheint nicht nur uns zu interessieren: vor der Valhalla Stage haben sich viele Leute versammelt, was dem Headlinerstatus, den die Band hier am Midgardsblot Metalfestival innehat, durchaus entspricht. Dass Gåte aber tatsächlich eine der besten norwegischen Livebands sind, würde ich auch nachdem ich Songs wie „Skrømt“, „Bendik og årolilja“ oder „Fanitullen“ durchaus etwas abgewinnen konnte, nicht vorbehaltslos unterschreiben. Der Auftritt ist gut, keine Frage, und insbesondere Magnus Børmark schöpft mit seiner Gitarre sowie weiteren, elektronischen Effekten mehr als aus dem Vollen. Aber es fehlt irgendwie das mitreissende, berührende Element und Sängerin Gunnhild Sundli wirkt ab und an etwas müde bei ihrer Darbietung. So bleibt das Fanzit für das Konzert von Gåte: interessant aber nicht umwerfend.
Seidrblot
Zum Abschluss des heutigen Tages verschlägt es uns nochmals vor die Kaupangr Stage, wo Seidrblot den Abend mit ihren mystischen Klängen füllen. Auffallend ist insbesondere der ausgiebige Einsatz von Untertongesang, der in vielen Songs vorkommt. Die gespielte schamanistische Folkmusik hat einen gewissen rituellen Charakter, der einen beim Zuhören einlullt. Viel mehr als eine halbe Stunde muss das nicht sein, und Seidrblot machen dann genau zum richtigen Zeitpunkt Schluss. Ein schöner Ausklang für einen intensiven und gelungenen Festivaltag.
Samstag, 17. August 2019 – Tag 3
Der heutige Tag beginnt mit Regen. Richtig viel Regen. Und ebensoviel Wind. Auf dem Festivalgelände sind alle Zäune umgedrückt worden und auch einige Stände haben den Sturm nicht überstanden. Die Helfer arbeiten auf Hochtouren, um bis zum Nachmittag alles wieder aufgeräumt zu haben und ich stapfe durch die giessenden Ströme des Himmels dem Midgard Vikingsenter entgegen.
Mimir Talk: The grotesque and the disturbed – the Aesthetics of Metal Album Covers
Für heute steht nur ein Mimir Talk auf meinem Programm: Michał Choiński, Doktor in Literaturgeschichte, Music Promoter und Festival Booker in Polen, wird über die Ästhetik von Albencovern im Metal referieren. Und wie er das tut! Gleich in der Einleitung ist Michał Choiński anzumerken, dass er mit Haut und Haar Metalhead ist. Er sprüht nur so vor Begeisterung für das Thema. In Kombination mit seinem guten Englisch sowie einer sehr flüssigen Redeweise ist das Zuhören ein Genuss. Ausgehend von der Frage „Why did my mother find Eddie from Iron Maiden scary and unnatural?“ aus seiner Jungendzeit, erklärt er uns die psychologischen Hintergründe des Grotesken an sich. Dabei bezieht er sich auf die der Kunst innewohnenden Norm des Decorums, kommt auf die Herkunft der grotesken Darstellung zu sprechen und erklärt, warum das Unheimliche aus psychologischer Sicht unheimlich ist („It’s something that you know, but that you don’t know at the same time“).
Als er von der Crew darauf aufmerksam gemacht wird, dass er zehn Minuten Restzeit hätte, merkt man, dass er um einiges über die vorgegebene Dreiviertelstunde hinaus reden könnte. Ich würde diesen spannenden Ausführungen auch noch länger zuhören mögen. Vielleicht bin ich aber der einzige, dem es so geht oder es sind alle erschlagen vom Gehörten. Denn in der anschliessenden Diskussionsrunde gibt es neben meiner eigenen Frage nur eine weitere Wortmeldung. So schliesst die Veranstaltung sogar einige Minuten zu früh. Von denjenigen Mimir Talks, die ich mir angehört habe, war das definitiv der beste.
Nun heisst es, wieder in den Regen hinaus zu gehen. Dieser hat aber immerhin stark nachgelassen und das eigentliche Gelände des Midgardsblot Metalfestival öffnet pünktlich seine Pforten für den dritten und letzten Tag.
Runahild
Wir nutzen die Gelegenheit, in der Gildehallen aus dem Regen zu kommen und Runahilds Konzert beizuwohnen. Als Solokünstlerin steht hier natürlich ihr Gesang im Vordergrund. Die Instrumentalfraktion besteht aus einem Teil der Mitglieder von Folket Bortafor Nordavinden, sodass wir auch noch einiges an Trommeln zu hören kriegen. Durch die auf Wiederholungen und getragenen Gesangslinien basierenden Songs entsteht eine meditative Atmosphäre. In der Gildehallen wirkt das durchaus, auf einer der anderen Bühne wäre Runahilds Auftritt vermutlich ob der offenen Umstände verpufft. Hier kann ich dem Konzert aber durchaus etwas abgewinnen, wenn auch nicht über die gesamte Dauer.
Ereb Altor
Die Valhalla Stage zu eröffnen, ist heute Ereb Altors Aufgabe. Als ich die Schweden vor drei Jahren das letzte Mal gesehen habe, traten sie mit blutverschmierten Gesichtern auf und spielten ein sehr Black Metal-lastiges Set. Heute haben sie die Gesichtsbemalung zuhause gelassen und konzentrieren sich mehr auf ihren von Bathory beeinflussten Viking Metal. Der Sound ist wunderbar klar, aber sehr, sehr laut. Mit Ohrstöpsel ist der Auftritt dennoch gut geniessbar. Sänger Mats hält seine Ansprachen kurz, sagt aber doch zu jedem Stück etwas. Die Schweden präsentieren uns drei Tracks des neuen Albums Järtecken, an denen sie sichtlich Freude haben. Daneben sind es vor allem „Ulfven“ und das thematisch wie die Faust aufs Auge passende „Midsommarsblot“, welche die Highlights darstellen. Insgesamt haben Ereb Altor ein gutes Set zusammengestellt, das primär aus epischem Viking Metal besteht und von einigen schwarzmetallischen Farbtupfern durchsetzt ist. Allzu viel Publikum ist noch nicht anwesend, was dem Auftritt nicht ganz gerecht wird.
Tempel
Als nächstes müssen wir wieder in die Gildehallen. Die Norweger von Tempel stehen auf der Bühne und sie legen sich so richtig ins Zeug. Die Musik ist eine sehr eigenartige Mischung. Thrash Metal ist genauso vorhanden wie Black Metal-artige Passagen. Die Vocals scheinen dem Hardcore entlehnt zu sein, etwas Heavy Metal höre ich ebenfalls heraus und zwischendrin gibt es immer wieder Teile, die in Richtung Hard Rock gehen. Zum Schluss kommen noch einige Anleihen aus Funk, Garage und Surf Rock hinzu und fertig ist das Gemisch. Klingt wild? Ja tatsächlich. In ein, zwei Songs funktioniert diese Melange denn auch gut und verschmilzt zu einem zwar ungewohnten aber ansprechenden Mix. Während der restlichen Zeit bleiben die Stücke leider zu heterogen, um vollends zu überzeugen. Man weiss irgendwie nie so recht, ob man jetzt die Fäuste recken, headbangen oder einen Moshpit starten soll und kaum hat man sich entschieden, wechselt die Charakteristik der Lieder auch bereits wieder.
Das Publikum scheint hin und hergerissen zu sein. Die leicht chaotische Musik wird aber teilweise ausgeglichen durch den energetischen Auftritt der Band. Die scheint sichtlich Spass zu haben und es sehr zu schätzen wissen, dass sie hier auftreten dürfen. Auch wenn ich ausser tausend Dank kein Wort der norwegischen Ansagen verstehe, sprechen die Gesichtsausdrücke der vier Herren für sich. Der sauber abgemischte Klang tut sein Übriges, damit wir den Auftritt gerne bis zum Ende verfolgen. Mein Fanzit fällt geteilt aus: musikalisch noch ausbaufähig, auftrittsmässig bereits top.
Vǫluspà
Nach einer Verpflegungspause hören wir uns schliesslich Vǫluspà ein zweites Mal an. Dieses Mal findet das Konzert auf der Kaupangr Stage statt und damit können wir interessante Vergleiche zum gestrigen Auftritt auf der grossen Bühne stellen. Bei Vǫluspà handelt es sich übrigens ursprünglich um ein Folk Rock-Studioprojekt und die akustischen Auftritte am Midgardsblot stellen für die Band ein Novum dar. Keine Neuheit stellt dafür die Setlist dieses zweiten Konzerts dar, ist sie doch eins zu eins dieselbe wie gestern. Vermutlich haben Vǫluspà noch gar nicht viel mehr Musik im Repertoire, so dass grosse Variationen sowieso nicht möglich sind. Auch die Ansagen sind genau gleich, was etwas schade ist, denn hier wäre Variation ja durchaus möglich gewesen. Hinzu kommt, dass die Songs auf der grossen Bühne besser zum Tragen gekommen sind, so dass ich insgesamt dem gestrigen Konzert den Vorzug gebe.
Einherjer
„We are Einherjer and we brought you the sun!“ Danke, Frode Glesnes, wir nehmen das Mitbringsel gerne entgegen und freuen uns auf eine Ladung lokalen Viking Metal. Wer mein Review zum aktuellen Album Norrøne Spor gelesen hat (nachzulesen hier), weiss wie stark das neue Material des Quartetts ist. Einherjer sind sich dessen ebenfalls bewusst und so finden sich mit „The Spirit of a Thousand Years“, „Kill the Flame“, „Mine Våpen Mine Ord“ und „Spre Vingene“ ganze vier Tracks davon auf der Setlist. Und die Songs funktionieren live hervorragend, besonders wenn die Abmischung einmal mehr nichts zu wünschen übriglässt. Die Band wirkt eingespielt und schafft es locker, die Valhalla Stage ohne grosses Brimborium auszufüllen. Ich habe den Eindruck, dass genau diese Bühnengrösse perfekt ist für die Musik von Einherjer. Auf jeden Fall kommt der Auftritt gut an beim Publikum und vor uns beginnt eine Gruppe von historisch gekleideten Wikingern behelmt und in Kettenhemd einen Moshpit. Irgendwie surreal, aber wenn nicht bei Viking Metal, wo dann?
Neben den weiteren eher neuen Songs „Nidstong“ und „Nord og Ner“ gibt es natürlich auch Stücke von früher zu hören. „Dreamstorm“ ist ganz klar einer meiner Favoriten und das unverzichtbare „Dragons of the North“ darf ebenso wenig fehlen wie „Ironbound“. Damit komme ich voll auf meine Kosten und die 45 Minuten Spielzeit gehen wie im Flug vorbei, bis sich Gerhard, Frode, Aksel und Ole unter lautem Beifall verabschieden. Für mich als Fan natürlich eines der Highlights und auch objektiv gesehen gibt es an dem Auftritt überhaupt nichts auszusetzen.
Enslaved
Auch die nächste Band auf unserem Plan kommt aus Norwegen. Enslaved haben für das Midgardsblot Metalfestival etwas ganz Besonderes angekündigt. So haben sie mit Mia Habib Productions zusammengearbeitet, um uns ihren Progressive Viking Metal untermalt von zeitgenössischem Tanz zu präsentieren. So stehen zu Beginn neben den Bandmitgliedern selber auch vier schwarz verhüllte, mit langen rasta-artigen Perücken ausgestattete Gestalten auf der Bühne und bewegen sich zuckend und schüttelnd hin und her. Ich habe keinerlei Ahnung von zeitgenössischem Tanz, soviel gleich mal vorweg. Viel anfangen kann ich bis jetzt nicht damit. Es sieht aus, als ob ein Stroboskop als Inspiration gedient hat und ich schaffe es nicht, auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen was meine Augen sehen und meine Ohren hören.
Was mir auffällt ist, dass die Tänzerinnen und Tänzer meine Aufmerksamkeit stark von der Musik ablenken. Ich kann mich daher gar nicht so richtig auf Enslaved konzentrieren. Nach einem Stück verlässt die Tanzgruppe die Bühne wieder. Einerseits bin ich froh, denn nun kann ich mich mehr der Musik widmen, andererseits bin ich auch etwas enttäuscht, falls es das bereits gewesen sein sollte mit der Zusammenarbeit. Vier Songs später (darunter der Höhepunkt „Allfáðr Oðinn“) betreten Mia Habib und ihre Begleiter zu „Loke“ erneut die Valhalla Stage. Der Beginn ist dieses Mal leichter verständlich; die vier Gestalten umschwärmen Sänger Grutle Kjellson wie schwarzes Wasser, das lebendig wird. Im weiteren Verlauf kann ich dann nicht mehr folgen, denn mir wird es wieder zu chaotisch.
Enslaved spielen derweil astrein auf bei hervorragendem Sound. Auch dieses Mal bleibt es bei einem Song, zu dem getanzt wird. Weitere vier Stücke später sind wir bereits am Ende des Sets angelangt und der fulminante Schlusspunkt wird nochmals mit Tanz untermalt (leider verstehe ich die Ansage nicht richtig, so dass ich keinen Titel nennen kann). Und jetzt funktioniert das Zusammenspiel. Die Bewegungen wirken stimmig, der Tanz baut sich ebenso auf wie die Musik. Langsam steuert die Darbietung auf den Höhepunkt hin und die Tänzerinnen, die diesmal weissgolden gekleidet sind, reissen sich nacheinander die Masken vom Kopf. Untermalt von einer tollen Lichtshow geht das Konzert von Enslaved zu Ende. Musikalisch eine tolle Sache, tänzerisch eher durchwachsen und nicht immer ganz einfach nachzuvollziehen. Auf jeden Fall aber toll, dass die Band mit dieser Zusammenarbeit etwas neues ausprobiert hat.
Heilung
Als musikalischen Schlusspunkt des Midgardsblot Metalfestival fungieren Heilung. Es scheint, dass sich sämtliche Besucher vor der Valhalla Stage eingefunden haben, um dem speziell für das Midgardsblot Metalfestival einstudierten Auftritt beizuwohnen. Die Voraussetzungen stimmen: es ist dunkel und von Regen keine Spur mehr. So kann die Lichttechnik aus dem Vollen schöpfen und für ein stimmungsvolles Ambiente sorgen. In Kombination mit viel Nebel, der vom Wind tüchtig verwirbelt wird, entsteht ein mystisches Bühnenbild für dieses letzte Konzert auf der grossen Bühne. Heilung bringen viel Dekoration und ausgefeilte Kostüme mit, um ihren Nordic Folk schön in die Szene zu setzen.
Der Soundmix ist ein letztes Mal über alle Kritik erhaben. Zu Beginn wird die Spannung gut aufrechterhalten und die Musik entfaltet eine Sogwirkung. Je länger der Auftritt aber dauert, desto schwächer wird diese. Die aufwendig angelegte Produktion wirkt zu gross für den transportierten Inhalt. An einem anderen Festival würde dies vielleicht nicht so stark ins Gewicht fallen, aber hier haben wir diverse weitere Künstler, die ähnliche Musik machen und mit ihrer Bodenständigkeit besser ins Bild gepasst haben. So kann mich Heilung nicht oder vielleicht – nach diesem Dreitagesprogramm – nicht mehr nachhaltig begeistern. Das Publikum scheint jedoch insbesondere nach dem 14-minütigen „Hamrer Hippyer“ einverstanden zu sein mit der Wahl dieses Headliners und tut dies mit lautem Schlussapplaus kund.
Das Fanzit – Midgardsblot Metalfestival 2019
Das Midgardsblot Metalfestival ist wirklich ein einzigartiger Anlass. Es ist die perfekte Mischung zwischen dem handgemachten Charme kleinerer Festivals und dem hohen professionellen Anspruch grosser Veranstaltungen. So sind auf der einen Seite beispielsweise die Absperrgitter mit schwarzen Tüchern verhüllt, die von den Helfern liebevoll mit gesprayten Runen verziert wurden. Auf der anderen Seite wurde als Eingangsportal extra für das Festival ein Holzturm errichtet, der seinem Aussehen nach ebenso gut zum Museum gehören könnte. Es gibt handgeschriebene Preislisten an den Bars und gleichzeitig ein wunderschönes Hochglanz-Programm mit ganz vielen Hintergrundinfos zu so ziemlich allem.
Diesen Spagat meistert das Midgardsblot Metalfestival hervorragend und macht dadurch einen sympathischen, geerdeten Eindruck mit Inhalt von hoher Qualität. Die Besucher sind allesamt sehr interessiert und konzentriert, was aber auch zu einer eher ernsten Stimmung führt. Ausgelassenes Feiern ist hier definitiv die Ausnahme.
Musikalisch haben Zuriaake alles hinter sich gelassen und sich von der Überraschung des Tages zum Highlight des Festivals gemausert. Einherjer lieferten mit ihrer bodenständigen, coolen Art einen weiteren Höhepunkt, ebenso wie Vreid die genau die richtige Mischung von Songs in ihre Setlist brachten. Im folkigen Bereich sind Ivar Bjørnson & Einar Selvik als Höhepunkt zu nennen und von den Auftritten auf der Kaupangr Stage haben mir Seidrblot am besten gefallen. Ein sehr grosses Lob gebührt auch den Tontechnikern, die bis auf ganz wenige Ausnahmen für eine ausgezeichnete Klangqualität gesorgt haben. Da wurden meine hohen Erwartungen definitiv übertroffen.
Die Idee mit den Mimir Talks passt sehr gut zum Festival und war eine erfrischende Ergänzung zum musikalischen Programm. Besonders spannend zu verfolgen war der Vortrag des begeisterten Michał Choiński, aber auch all die anderen Präsentationen, die ich gesehen habe, bereiteten mir viel Freude.
Zu all dem kommt ein tolles Verpflegungsangebot, ein gut durchdachtes Festivalgelände und eine wunderschöne, spezielle Umgebung hinzu, sodass mir das Midgardsblot Metalfestival 2019 in bester Erinnerung bleiben wird.