Phönix aus der Haïrdrÿer-Asche
Im Februar dieses Jahres pilgerten fünf motivierte Musiker aus dem Kanton Nidwalden hinauf in den hohen Norden. Zielort: Schweden. Dort durften sie gemeinsam mit Jona Tee (dem Tastenmann der Melodic Rock-Band H.E.A.T.) in den Rocksta Sound Ranch-Studios ihrem neuen Album Leben einhauchen. Das Quintett verliess die Schweiz als Haïrdrÿer und kehrte schliesslich als Fighter V zurück. Hat die Namensänderung Auswirkungen auf den Sound der Truppe? Und wie verlief überhaupt die Plattentaufe in der Schüür? Metalinside hat die Antworten.
Okay, komplett unbekanntes Terrain ist die ganze Angelegenheit für mich nicht. Die damals noch als «Haartrockner»-Kapelle agierenden Jungs haben nämlich bereits am letztjährigen Swiss Glam Rock Fest im Wetziker Rock-Club Hall Of Fame offiziell einen neuen Track vorgestellt: «Fighter» (hierbei handelt es sich notabene um den Titel-Song des neuen Silberlings). An diesem Event waren übrigens auch die beiden Support-Act des heutigen Abends – Smoke ‘N’ Flame und Dizzy Fox – mit von der Partie (siehe Review). Das Publikum in der Schüür darf sich auf eine Zeitreise zurück in die 80er Jahre einstellen. Also, ruft bitte Dr. Emmett Brown an, zwängt eure Allerwertesten anschliessend in den nächstgelegensten DeLorean und dann kann das Abenteuer auch schon beginnen.
Im Erdgeschoss der Luzerner Konzertscheune landet man ziemlich rasch am Merchandise-Stand, der von emsigen Helferlein der jeweiligen Truppen betreut wird. Im Hintergrund läuft auf einem grossen Bildschirm sogar der Videoclip zur Fighter V-Nummer «Dangerous». Doch – das hat Stil. Ein Exemplar des Taufobjekts sichere ich mir bereits jetzt. Für ein kurzes Gespräch mit Crazy Harry von Smoke ‘N’ Flame bleibt ebenfalls noch Zeit. Neben dem heutigen Gig blickt er verständlicherweise auch schon euphorisch in Richtung der zweiten Ausgabe des von ihm organisierten Swiss Glam Rock Fests. Dieses wird am 1. November im Kofmehl stattfinden. Mehr dazu gibt’s dann aus der Feder von Kollege Kaufi zu lesen (genau, hier)
Meine Wenigkeit gönnt sich nun erstmal ein «Bügel»-Bierchen und wandert anschliessend ins Obergeschoss der Schüür. Auf der Bühne scheint alles bereit zu sein für den ersten Akteur. Bei der Besucheranzahl herrscht allerdings noch Luft nach oben. Man würde es sämtlichen Bands wirklich wünschen, dass sie vor einer anständigen Kulisse auftreten können. Na dann liebe Füchse, der Ball liegt in eurer Hälfte. Zeigt, was ihr draufhabt!
Dizzy Fox
Die Sleaze Rocker geben zu Beginn zu Protokoll, dass sie aus Winterthur stammen. Huch, war das bisher nicht immer Bülach? Oder haben meine Hirnwindungen da ein Durcheinander? Halb so wild, es freut mich natürlich, dass sie heute Abend gemeinsam mit mir die Eulach-Stadt in der Innerschweiz repräsentieren. In der Besetzung scheint’s ebenfalls eine Änderung gegeben zu haben. Wie wir jedoch rasch aufgeklärt werden, handelt es sich hierbei lediglich um eine temporäre Sache. Basser Stanley weilt nämlich zurzeit in den Flitterwochen. Valerio übernimmt deshalb seine Tieftöner-Parts.
Neben eigenem Material finden auch zwei Cover-Songs den Weg in die Setliste. Eines davon ist «Crazy Train» von Ozzy Osbourne. Dieses bestreitet der deliziöse Dario gemeinsam mit (und das ist wieder ein Fall für die «nomen est omen»-Regel) Crazy Harry. Die beiden Sänger entpuppen sich als engagierte Publikumsanimateure. Dariolicious hat eine ganz grosse Stärke: Die hohen Töne! In diesem Bereich kann ihm kaum jemand das Wasser reichen. Sein «normaler» Gesang dürfte für meinen Geschmack dagegen ruhig etwas dreckiger sein. Bei «It’s So Easy» von den Guns N’ Roses kriegt er dies beispielsweise super hin.
Nichtsdestotrotz machen die 50 Minuten mit den Füchsen viel Spass und die Zuhörerschaft wird dank ihnen optimal auf den Rest des Abends eingestimmt. Wer die Truppe in diesem Jahr noch (oder erneut) live erleben möchte, hat gleich mehrere Möglichkeiten dazu. Die Jungs werden gemeinsam mit ihren Kumpels von Fighter V Locations wie die Ölfleck-Bar in Frauenfeld oder das Böröm in Oberentfelden aufmischen.
Smoke N’ Flame
Auf die Jungspunde folgen jetzt echte Glam-Veteranen: Smoke N’ Flame! Outfits, Mucke, Posen – da stecken effektiv in jeder Phase die 80er Jahre drin. Die starke Darbietung haben die Herren primär ihrer Rampensau am Mikrofon zu verdanken. Crazy Harry gibt während der gesamten Spielzeit alles – aber wirklich alles. Da können beispielsweise Sprünge mit gespreizten Beinen beobachtet werden und auch für gelegentliche Ausflüge hinunter in die Publikumsreihen ist sich der Mann mit der Haarspray-Frisur keinesfalls zu schade. Das Räkeln auf der Bühne beherrscht er ebenfalls aus dem Effeff. Metalinside-Kollege Friedemann dürfte während dieser Show mit seinem Knipsgerät sicherlich ein paar geniale Bilder einfangen können. Ich freue mich jetzt schon auf die Resultate.
Etwas darf offenbar an keinem Glam und Hard Rock-Abend fehlen: Sprüche und Witze. Es gab schon zuvor bei Dizzy Fox gelegentliches Lachmuskel-Training und jetzt ist wohl auch Harry daran interessiert, den Auftritt seiner Band zusätzlich mit ein bisschen Comedy aufzupeppen. Das kommt bei den Besuchern ausgezeichnet an. Jedoch fällt mir an dieser Stelle auf, dass Smoke N’ Flame mit ein paar Zuschauern weniger vorlieb nehmen müssen. Dizzy Fox scheinen einen populäreren Status zu geniessen.
Neben den ganzen Witzeleien liefert Fronter Harry diverse weitere Unterhaltungselemente. Einmal taucht er in einer mit Lämpchen ausgestatten Jacke auf und macht auf verfrühten Weihnachtsbaum. Ein anderes Mal greift er selbst zur Gitarre und zupft irgendwie daran herum. Das eigentliche Solo spielt dann allerdings Saitenhexer Alex Kiss leicht versteckt im Hintergrund. Die Herrschaften machen aber keinen Hehl daraus. Das nennt man dann vermutlich «ehrliches Playback» – oder so.
Vorgruppe Nummer zwei vermag also ebenfalls zu überzeugen. Songs wie «Why Should I», «I Love Beautiful Girls» oder «You Rock My Heart» machen definitiv Laune. Die Vorfreude auf den Headliner steigt von Minute zu Minute.
Fighter V
Um 21.45 Uhr ist es schliesslich soweit: Fighter V betreten die Bühne. Heiliger Bimbam – in Sachen Zuschaueraufmarsch hat sich jetzt aber einiges getan. Die Hütte ist rappelvoll! Unglaublich, was für eine immense Fan-Schar die Hergiswiler hinter sich haben. Und so viel sei vorweggenommen: Was jetzt folgt, ist ganz grosses Melodic Rock-Kino. Die Zusammenarbeit mit Jona Tee hat sich allemal gelohnt. Gewisse H.E.A.T.-Passagen sind in den neuen Stücken durchaus heraushörbar. Als riesige Kindsköpfe habe ich Dave Niederberger und seine Mitstreiter ehrlich gesagt nie wahrgenommen, aber die Verwandlung von Haïrdrÿer zu Fighter V kann irgendwie trotzdem als eine Art Reifeprozess betrachtet werden.
Gestartet wird mit «Heat Of The City», welches sich durch «catchy» Melodien und bärenstarken Gesang auszeichnet. Die 80er Jahre sind lebendiger denn je. Passend dazu erstrahlt die Schiessbude von Lucien Egloff in leuchtendem Weiss. Ein wichtiger Akteur ist natürlich auch Keyboarder Felix Commerell, der für die musikalische Neu-Ausrichtung wie geschaffen zu sein scheint. Komplettiert wird die Kämpfer-Kapelle durch die Saitenfraktion in Form der Gebrüder Troxler. Dank unterschiedlicher Mähnen ist das Auseinanderhalten der beiden eine leichte Übung. Luca setzt auf Dreads, während Marco eher die lange, glatte Variante bevorzugt.
Erwartungsgemäss wird das Debütwerk der neuen Ära in seiner ganzen Pracht vorgestellt. Meine Favoriten sind «Frontline», «Can’t Stop The Rock», «There She Goes», «Dangerous» und «Fighter». Im Live-Gewand klingen aber irgendwie alle Stücke geil. Ich bin dann gespannt, wie sich das Ganze auf Platte verhält. Kaufi hat sich diese ja bereits ausführlich zu Gemüte geführt (siehe Review). Ihre Vergangenheit klammern die Jungs glücklicherweise nicht total aus – und das ist auch gut so. Stücke à la «Mrs. Whiskey» müssen ja nicht direkt in die Tonne gekloppt werden. Für Hühnerhaut-Momente wird ebenfalls gesorgt. Einmal greift Dave zur Akustik-Klampfe und gibt zu Ehren von Jona und der gemeinsamen Zeit im schwedischen Studio ein Auszug von Iron Maidens «Wasted Years» zum Besten. Das sei eben die Lieblingsband des H.E.A.T.-Tastenmannes. Hammermässig!
Gegen Ende des Sets wird der Schlüpftag von Luca nachgefeiert. Beim «Happy Birthday»-Singen sollte man besser mitmachen, denn wer untätig bleibt, muss sonst offenbar an Daves Lederjacke riechen. Der wilde Kerl trägt das Ding während des gesamten Auftritts! Keine Ahnung, wie er das macht. Ich wäre schon lange in meinem eigenen Schweiss ertrunken. Aber zurück zum Geburtstagskind, das ein grosses, hübsch verpacktes Geschenk bekommt. Hahaha, Luca erhält doch tatsächlich einen Kühlschrank in Form eines Marshall-Verstärkers. Finde ich absolut gelungen. Für einen Musiker passt dies definitiv wie die Faust aufs Auge.
Im Zugaben-Block biegen die «Fighters» mit «City Of Sinners» und «Looking For Action» auf die Zielgerade ein. Den ultimativen Schlusspunkt setzen sie dann mit ihrer Cover-Version von «You Give Love A Bad Name». Beim Original mag vielleicht mittlerweile der Elan fehlen, aber dank Dave und Co. erleben wir die Nummer wie zu den allerbesten Zeiten von Mister Jon Bon Jovi. Den darauffolgenden tosenden Applaus haben sich die fünf Melodic Rocker absolut verdient.
Das Fanzit
Die Musiker aus Hergiswil waren zwar schon als Haïrdrÿer stark, aber als Fighter V kommt das Ganze dann doch nochmals ein paar Stufen mächtiger daher. Aus der Asche der Vergangenheit ist ein majestätischer Phönix hervorgegangen, der uns in Zukunft sicherlich noch sehr viel Freude bereiten wird. Ich traue dem Quintett nämlich einiges zu. Potenzial für grosse Taten ist zweifelsohne vorhanden. Wir werden die weitere Entwicklung der Kämpfer nur allzu gerne weiterverfolgen.
An der Release-Show des heutigen Abends lief alles glatt. Schön zu sehen, dass die Schür vor allem beim Auftritt des Headliners aus allen Nähten geplatzt ist. Mit Smoke N’ Flame und Dizzy Fox waren allerdings auch zwei Support-Acts im Programm, die einen tollen Job machten. Die 80er Jahre sind tot? Pustekuchen! Abende wie diese wiederliegen diese Aussage problemlos.
Setliste – Dizzy Fox
- Seem So Real
- Wicked
- Bite It
- Crazy Train (Ozzy Osbourne-Cover)
- Spirit
- This Is A Robbery
- Over The Top
- Lower The Bar
- It’s So Easy (Guns N’ Roses-Cover)
Setliste – Smoke N’ Flame
- Smoke ‘N’ Flame
- Dirty & Sweet
- Up An’ Down
- Why Should I
- All Night Long
- Call Me Crazy
- I Love Beautiful Girls
- Panama (Van Halen-Cover)
- You Rock My Heart
Setliste – Fighter V
- Heat Of The City
- Frontline
- My Lady Stood Me Up
- Runaway (Bon Jovi-Cover)
- Can’t Stop The Rock
- There She Goes
- Wasted Years (Iron Maiden-Cover/Snippet; akustisch)
- Save Your Love For Me
- Headlines
- Turn It Up
- Jump (Van Halen-Cover)
- Fighter
- Dangerous
- Mrs. Whiskey
- City Of Sinners*
- Looking For Action*
- You Give Love A Bad Name (Bon Jovi-Cover)*
*Zugabe