Reise zurück in die Jugend
Zumindest für Personen mit meinem Jahrgang. The Rasmus führten uns am Dienstagabend mit unseren rebellischen Teenager-Ichs zusammen. Trägt Sänger Lauri Ylönen selbst 2019 noch Rabenfedern im Haar? Haben die alten Klassiker à la «In The Shadows» nach wie vor dieselbe Wirkung? Die nachfolgenden Zeilen werden es euch verraten.
Zu einer Zeit als auf MTV ausschliesslich noch Musikvideos über den Bildschirm flimmerten, bin ich zum ersten Mal mit der finnischen Alternative Rock-Truppe The Rasmus in Berührung gekommen. Diese düstere, mit Gitarren-Riffs gepaarte Aura übte einfach eine unbeschreibliche Anziehungskraft auf mich aus. Wurden eventuell bereits damals die ersten Samenkörner für mein späteres Metalhead-Dasein gesät? 2003 brachten die Herren aus Helsinki ihr fünftes Studioalbum «Dead Letters» heraus – ein Meilenstein in der Bandgeschichte! So ziemlich alle grossen Hits der Gruppe sind auf diesem Silberling zu finden. Im Rahmen der aktuell laufenden Tour wird die 15-jährige Existenz von genau dieser Platte zelebriert. Grund genug also, um heute Abend einen Abstecher ins Zürcher Dynamo zu wagen. Zürich ist übrigens just das passende Stichwort. Die Wege von The Rasmus und mir haben sich nämlich zuletzt im Abart gekreuzt – hui, das ist inzwischen auch schon wieder sieben Jahre her. Das waren noch Zeiten!
Dass die Jungs aus Helsinki nach wie vor echte Publikumsmagneten sind, wird einem beim Betreten des Saals deutlich vor Augen geführt. Mit dem neueren Material der Nordmänner bin ich ehrlich gesagt kaum vertraut. Aber da sich die heutige Setliste eher in älteren Gefilden bewegt, ist das halb so wild. Im Vorfeld der Tour konnten die Fans zudem abstimmen, welche zehn Stücke sie neben der «Dead Letters»-Fraktion hören möchten. Aufgrund dessen hoffe ich speziell auf «Dead Promises» oder «Lucifer’s Angel». Über zu wenig Nostalgie dürfte man sich aber so oder so nicht wirklich beklagen können.
Eddie Stoilow
Vor der Hauptattraktion gehen allerdings noch Eddie Stoilow aus Tschechien ins Rennen. Ihr Pop Rock ist mir blöderweise viel zu seicht. Der Metallschädel in mir bevorzugt nun einmal eine etwas härtere Gangart. Diese zahlreichen Samenlöser lösen bei mir keine Regung aus. In typischer CH-Manier verhält sich das Publikum jedoch ebenfalls völlig passiv. Interessant, ich hätte zumindest gedacht, dass die dem Mainstream wohlgesonnen Nasen mit diesen Klängen etwas anfangen können. Okay, die Stimme von Honza Žampa hat zugegebenermassen ihre Momente, aber insgesamt ist das schlichtweg zu wenig. Tja, diese halbe Stunde hätte ich mir eigentlich schenken können.
The Rasmus
21.00 Uhr. Alle da? Gut, dann nix wie los. Lasst uns gemeinsam mit den Sauna-Liebhabern die toten Buchstaben besingen. Jubelnd und kreischend werden die Musiker empfangen. Als Show-Element kommt eine Videoleinwand zum Einsatz, die abwechslungsweise entweder Song-Lyrcis oder Ausschnitte aus den Musikvideos des jeweiligen Tracks zeigt. Tatsächlich, Lauri Ylönen trägt immer noch seine Rabenfedern im Haar. Ohne die scheint’s nicht zu funktionieren. Aber wieso zur Hölle ist der ganze Sound so leise? Habe ich etwas verpasst oder ist das ein Kirchenkonzert? Wohl kaum. Ein paar Dezibel mehr würden also durchaus und ohne Schwierigkeiten im Bereich des Möglichen liegen. Keine Ahnung, was man mit dieser Zimmerlautstärke bezwecken möchte. Dadurch wird höchstens das Geplapper in den hinteren Reihen gefördert. Dieses «Gschnorr» geht einem mit der Zeit richtig auf den Senkel. Trotzdem versuche ich mich so gut wie möglich auf die Musik zu konzentrieren.
Die Finnen haben keine leeren Versprechungen abgegeben; «Dead Letters» wird effektiv in voller Länge durchgezockt – und dies sogar getreu nach der originalen Trackliste. Das bedeutet, dass der Über-Hit «In The Shadows» bereits als zweite Hymne auf die Fans losgelassen wird. Respekt an die Raben-Rocker – so etwas würden heutzutage nicht mehr viele Bands wagen. Nach dem «Funeral Song» beginnt der zweite Show-Teil. The Rasmus tragen nun drei Kompositionen im akustischen Gewand vor. Zu «Sail Away» passt dies selbstverständlich hervorragend, aber «No Fear» wäre mir mit Strom lieber gewesen. Die Power aus den alten Tagen wird generell ein bisschen vermisst. Immerhin erfüllt mir das Quartett meine in der Einleitung erwähnten Wünsche: «Lucifer’s Angel» und «Dead Promises» haben es in die Setliste geschafft – yes! Als Zugabe gibt’s zum Abschluss schliesslich noch «Last Waltz». Die Besucher verwandeln sich wieder zurück in Erwachsene und schlendern an der Limmat entlang in die Nacht hinein.
Das Fanzit
Sowohl Veranstalter Mainland Music als auch die Bands durften sich an einem vollen Haus ergötzen. Eddie Stoilow entsprachen einfach nicht meinem Gusto. The Rasmus waren dann glücklicherweise besser, aber an den Gig im Abart kamen sie trotzdem nicht heran. Somit konnte ich mir die 40 Franken für ein Shirt sparen. Die niedrige Lautstärke während der Performance blieb ein ungelöstes Rätsel. Insgesamt war es ein netter, kleiner Nostalgie-Trip. Nichtsdestotrotz freut sich mein metallisches Herz künftig wieder auf härtere Klänge und rasantere Melodien.
Setliste – The Rasmus
- First Day Of My Life
- In The Shadows
- Still Standing
- In My Life
- Time To Burn
- Guilty
- Not Like The Other Girls
- The One I Love
- Back In The Picture
- Funeral Song
- Sail Away (akustische Version)
- No Fear (akustische Version)
- Liquid (akustische Version)
- Night After Night (Out Of The Shadows)
- Lucifer’s Angel
- Dead Promises
- Bullet
- F-F-F-Falling
- Livin‘ In A World Without You
- Last Waltz*
*Zugabe