Amaranthe – abseits der Trenches
Oder wie man einen Day Off sinnvoll nutzt. Augenscheinlicher hätte der Unterschied kaum ausfallen können: Spielten Amaranthe rund zwei Wochen zuvor noch im gut besetzten Zürcher Hallenstadion als Anheizer für Sabaton auf deren Great Tour, so sind Saal und Bühne an diesem Abend in der Pont Rouge in Monthey bedeutend kleiner. Die schwedisch-dänische Melodic-Death-Pop-Trance-Power-Metal-Band hatte bewusst kleinere Hallen für ihre vier Gigs umfassenden Headliner-Intermezzos gebucht – ob der Spagat von riesig zu fast schon winzig klappen würde?
Blind Channel
Begleitet wird das Sextett rund um das gesangliche Dreigestirn Elize, Henrik (alias GG6) und Nils dabei von den aus Finnland stammenden Blind Channel, welche mit ihrem Violent Pop durchaus zu gefallen und die Rolle der amtlichen Vorglüher auf charmante Art auszufüllen wissen. Dies zumindest der Eindruck, welchen ich bei den letzten paar Songs gewinnen kann – denn als die 2013 gegründete Truppe – übrigens eher Metal-untypisch mehrheitlich in weiss gekleidet – in der bereits sehr gut gefüllten Halle loslegt, fühlt meiner-einer interviewtechnisch noch Amaranthe-Gitarrist Olof Mörck auf den Zahn (zum Interview). Mit „Snake“ und „Over My Dead Body“ haben sich Blind Channel meine beiden Lieblingstracks für den Schluss aufgehoben, und den Publikumsreaktionen nach zu schliessen habe nicht nur ich Spass an dem, was da on stage geboten wird. Gut, allzu schwierig ist es zugegebenermassen nicht, die ungeteilte Aufmerksamkeit der Menge auf sich zu ziehen, wenn beim erstgenanntem Song GG6 (der selbsternannte „Growl God“ des Headliners) persönlich die Bühne entert (schliesslich veredelten seine gutturalen Schreie das Stück bereits bei der Singleproduktion). Und sich den besten Kracher („Over My…“) für den Schluss aufzusparen, zeugt von einer gesunden Portion Selbstvertrauen. Chapeau!
Amaranthe
Nach einer etwas längeren Umbaupause (die immerhin mit akustischen Schmankerln ab Konserve wie Ozzy und Skid Row überbrückt wird) erschallt das SciFi-schwangere Intro zur Helix Tour. Da der Sound von Amaranthe dafür bekannt ist, für jeden Tonmeister eine echte Herausforderung darzustellen, darf man auf die Qualität der heutigen Beschallung gespannt sein – einen Mittelweg zwischen „hammergeil“ und „Soundbrei der üblen Sorte“ scheint es bei der Combo aus Göteborg nur sehr selten zu geben, ist ihre Musik durch die vielen einfliessenden Stile doch sehr facettenreich, und gerade die Elektro-Klänge stehen oft in einem starken Gegensatz zu den harten Growls.
Gewohnt direkt und kraftvoll wird das Set mit „Maximize“ eröffnet. Ebenso wenig erstaunt es, dass die drei Shouter gleich von Beginn weg den Kontakt zum Publikum suchen – drei Sänger bieten nebst musikalischer Vielfalt eben auch den nicht zu verachtenden Vorteil, nahezu ununterbrochen mit der Menge interagieren zu können.
Und oh Wunder: Der Sound kommt überraschend gut abgestimmt aus den Boxen (Miss Ryd wird im Verlaufe der Show das Pont Rouge noch speziell als tolle Konzertlocation loben – wenn man den heutigen Abend als Referenz nehmen darf, so bin ich voll und ganz bei ihr). Zudem zeigen sich Elize, Henrik und Nils tonal erfreulich treffsicher, was nicht immer so ganz der Fall ist und von Kritikern auch schonmal (zurecht) bemängelt wird.
Bei der Songauswahl fokussieren sich Amaranthe klar auf ihre letzte Langrille „Helix“, welche im insgesamt 19 Tracks umfassenden Set mit acht Liedern zu Buche schlägt. Kleine Randnotiz: Kurz vor Beginn der Show hat ein Roadie noch den Song „Serendipity“ (vom selbstbenannten Erstlingswerk) von der Setliste gestrichen – Schade eigentlich.
Was vielleicht ebenfalls etwas verwundern mag: Mit „82nd All The Way“ haben Elize und Co aktuell eine überaus gelungene Coverversion der Sabaton-Hymne am Start, gespielt wurde sie live allerdings nicht. Über die Beweggründe kann spekuliert werden, Amaranthe haben, wie der weitere Verlauf des Abends noch zeigen wird, auf alle Fälle genügend eigenes Songmaterial, um das Publikum bestens zu unterhalten.
Und: „Endlessly“, die gefühlvolle Ballade, mit welcher Elize Ryd im Hallenstadion noch solo glänzen konnte (und bei welcher sich wohl so einige – mich eingeschlossen – gefragt haben, wie um alles in der Welt man in eine 40-minütige Darbietung zwei Schmusesongs packen kann), fehlt am heutigen Abend gänzlich (eine kurze Recherche im Internet fördert zu Tage, dass der Track auch bei den Support-Einsätzen aus dem Programm geflogen und durch „That Song“ ersetzt worden ist). Soviel zur Rubrik „Vermisst wird..“ (oder eben auch nicht).
Wenden wir uns aber wieder der Haben-Seite zu. Amaranthe strahlen während ihres rund achtzigminütigen Auftrittes eine enorme Spielfreude aus. Dass Elize Ryd allein durch ihre Präsenz die Bühne zu beherrschen vermag, dürfte hinreichend bekannt sein. Was mir aber auch an diesem Abend wieder sehr stark auffällt ist, wie wichtig Growler Henrik Englund Wilhelmsson für diese Band doch ist – nicht nur durch seinen gutturalen Gesang, sondern auch durch sein enorm energiegeladenes Stageacting. Und bei Clear-Voice-Vocalist Nils Molin, der vor rund drei Jahren das Gründungsmitglied Jake E. Lundberg ersetzte, merkt man, dass er wirklich im schwedischen Kollektiv angekommen und ein fixer Bestandteil im Bandgefüge geworden ist.
Neue Songs wie „Unified“, „Countdown“ oder das überragende „Helix“ reihen sich ebenso perfekt ins Set ein wie altbewährte Titel („Digital World“, „Hunger“ etc. – die gesamte Setlist findet ihr wie gewohnt ganz unten). Bei „Amaranthine“ wird die bestens gelaunte Frontfrau von Olof am E-Piano begleitet, eine Einlage, welche man so nicht allzu oft zu sehen und hören bekommt. Eine kleine Balletteinlage schliesst ihre einleitende Solo-Gesangsperformance ab. Positiv werte ich hier ihre Notentreue – schon oft war zu beobachten, dass Elize speziell bei diesem Song gesanglichen Experimenten nicht abgeneigt ist, und dabei auch schon mal ziemlich daneben griff resp. sang. Ebenfalls mit im Programm ist das bei solchen Events schon fast obligate Drumsolo, bei welchem Morten Løwe Sørensen sein Können als Chef der Percussionabteilung unter Beweis stellen darf. Dass die knackige Trommeleinlage nicht übermässig in die Länge gezogen wird, sei hier amtlich verdankt.
Das choreografische Headbangen ist an diesem Abend weniger zu beobachten als bei anderen Auftritten der schwedisch-dänischen Combo, die Lichtshow weiss trotz der eher bescheidenen Mittel zu gefallen. Man stelle sich vor, Amaranthe stünde die geballte Pyro-Feuerkraft einer Band wie Sabaton zur Verfügung (was in Anbetracht der doch sehr überschaubaren Platzverhältnisse im Pont Rouge dann doch etwas zu viel des Guten gewesen wäre)…
Nach „Breakthrough Starshot“ ist dann erst einmal Schluss – keine Frage, dass da noch mehr kommen muss, schliesslich fehlen noch mindestens zwei Titel, welche unabdingbar zum Standardrepertoire dieser Band zählen. Eingeleitet wird der vier Songs umfassende Zugabeblock von einer etwas schrägen aber umso erfrischenderen Ansage von Bassist Johan Andreassen, welche praktisch nahtlos in einen Mitsingteil Marke „Männlein vs Weiblein“ übergeht – nicht überaus originell, aber von Elize und Nils doch charmant moderiert und als Einleitung zu „That Song“ absolut passend.
Es folgen noch „Call Out My Name“ und „The Nexus“, plus als krönender Abschluss das fulminante „Drop Dead Cynical“, bei welchem das Sextett nochmals so richtig drauflos powert, dann ist endgültig Schluss. Ein in der Tat schweisstreibender Abend geht zu Ende.
Nach dem mittlerweile nicht mehr wegzudenkenden „Band mit Publikum im Hintergrund“-Foto schütteln Amaranthe vom Bühnenrand aus noch jedem Menge Hände – etwas, das aufgrund der Foto-Trenches bei den Great War-Auftritten nicht möglich ist und eben auch den Charme einer so kleinen aber feinen Veranstaltung ausmacht.
Das Fanzit
An Amaranthe scheiden sich die Geister, keine Frage. Ihr sehr eigenwilliger Sound lässt sich live wie schon so einige Male erlebt nur schwer abmischen – beim heutigen Konzert gelang es dem Mann am Mischpult wirklich passabel, und auch gesanglich gab man sich keine Blösse. Die Songauswahl bot einen guten Mix ihrer bisherigen fünf Alben, wobei der Schwerpunkt logischerweise auf den „Helix“-Titeln lag. In Sachen Spielfreude und Action auf der Bühne gibt es bei den Schweden ohnehin nie etwas zu bemängeln – und wenn man sich wie so viele im Pont Rouge mitreissen lässt, ist einfach Party angesagt.
Amaranthe vermögen auch auf grossen Bühnen zu überzeugen, keine Frage, aber ihr volles Potential spielen sie gerade auch bei kleineren Locations gekonnt aus. Ob sich die dreieinhalbstündige Zugfahrt von Luzern nach Monthey gelohnt hat? Und ob!
Was mir am Rande noch auffiel: Das gesamte Merchandising Angebot wurde praktisch durchs Band weg 10 Franken preiswerter dargeboten als auf der Great Tour…
Setliste Amaranthe – Pont Rouge 2020
- Maximize
- Digital World
- Hunger
- Invincible
- GG6
- Unified
- Dream
- Countdown
- Inferno
- Amaranthine
- Afterlife
- Helix
- Drum Solo
- 365
- Fury
- Breakthrough Starshot
- That Song*
- Call Out My Name*
- The Nexus*
- Drop Dead Cynical** Zugabe