Alcest – die Melodien-Magier
Die französischen Post-Metaller und Shoegaze-Meister von Alcest schauten am Sonntagabend in einer äusserst gut besuchten Schüür vorbei. Wie gewohnt konnte man während ihrer Performance sorgenfrei in einlullende Klangwelten eintauchen und sich einfach nur treiben lassen. Selbst die Corona-Hysterie ging vorübergehend komplett vergessen. Die speziellen Vorgruppen entsprechen allerdings nicht jedermanns Gusto.
Nach wie vor hagelt es in den verschiedenen News-Portalen reihenweise Nachrichten über das Virus, welches momentan auf der Erde für Furore sorgt. Ich kann die ganze Sache mittlerweile nicht mehr hören… Dass inzwischen leider auch der Veranstaltungs-Sektor betroffen ist, bringt mich zusätzlich auf die Palme. Jeder künftige Ticketkauf will gut überlegt sein, weil man nie abschätzen kann, ob der damit zusammenhängende Event verschoben oder – schlimmstenfalls – abgesagt wird. Von den drohenden finanziellen Einbussen der Organisatoren wollen wir gar nicht erst reden. Wir befinden uns wahrlich in unsicheren Zeiten – und vorerst ist kein Ende in Sicht.
Aber glücklicherweise – und das soll dieses kühle Intro direkt ein bisschen auflockern – kann das für heute geplante Konzert von Alcest und Support in Luzern trotz aller Widrigkeiten stattfinden. Die notwendigen Bewilligungen liegen vor. Die Besucher werden jedoch angehalten, die vom Bundesamt für Gesundheit (BAG) vorgegebenen Hygienemassnahmen einzuhalten. Zudem müssen Personen, die auf der Gästeliste stehen, an der Abendkasse ihre persönlichen Daten angeben, so dass man sie kontaktieren könne, falls sich im Nachhinein ein Corona-Verdacht bestätigen würde. Von den Vorverkaufsnutzern liegen diese Koordinaten ja bereits vor.
Im Innern der Scheune sucht man übrigens vergebens nach Angst oder Panik. Die Leute sind tiefenentspannt, bestens gelaunt und freuen sich auf die bevorstehenden Shows. Die beiden Vorgruppen sind mir gänzlich unbekannt. Mal schauen, wer uns da auf den sicherlich fantastischen Gig von Alcest einstimmen wird.
Kælan Mikla
Nationalität Island? Das klingt durchaus vielversprechend, denn der Inselstaat hat bereits so manch talentierte Band hervorgebracht. Musikalisch bewegen sich die drei Damen von Kælan Mikla aber in Gefilden, die etwas weiter entfernt von meinem üblichen Aufenthaltsbereich angesiedelt sind. Das soll offenbar eine Mischung aus Synth-Punk und Dark Wave sein. Mich persönlich erinnert der Sound an frühere Gothic-Partys, die in irgendeinem düsteren Bunker vonstattengegangen sind. Gewisse Stücke sind zweifelsohne tanzbar. Zwei weitere Aspekte sorgen für etliche Flash-Momente: Zum einen der Einsatz von Weihrauch und andererseits die eindrückliche Lichtshow. Letztgenanntes Element dürfte dann ebenfalls beim Auftritt des Headliners ein wichtiger Faktor sein.
Das Trio besteht aus Sólveig Matthildur (Tasteninstrumente), Margrét Rósa (Bass) und Laufey Soffía (Gesang). Vorgetragen werden die Tracks ausschliesslich in isländischer Sprache. Insbesondere der stimmliche Facettenreichtum des zierlichen Frontmädels mit der blaugefärbten Haarpracht imponiert. Ihre leise und scheu ins Mikro gehauchten Ansagen sind dagegen das totale Kontrastprogramm. Doch, doch – Kælan Mikla würde ich mir also wieder einmal anhören.
Birds In Row
Die französischen Hardcore Punker Birds in Row setzen auf Glühbirnen-Ketten als Deko und legen los wie die Feuerwehr. Das stimmt mich im ersten Augenblick zwar ziemlich euphorisch, aber mit der Zeit macht sich Ernüchterung breit. Der Gesang das Frontmanns, der sein Gesicht hinter einer typischen Emo-Frisur versteckt, strapaziert langfristig arg sämtliche Nerven meines Körpers. Blöderweise ist die Mucke auch sonst ziemlicher Schrott. Das ist effektiv bloss Krach und Lärm. Hui, haben meine Eltern nicht früher dasselbe zu allen Tönen gesagt, die aus meiner Stereoanlage gekommen sind? Egal, im Falle von Birds In Row müsste ich ihnen sogar recht geben… Das einzig halbwegs brauchbare sind die Ansagen des Schreihalses am Mikrofon (dessen Name trotz ausgiebiger Recherche ein Geheimnis bleibt). Er hat freilich ein paar gute Ansätze und Ideen für einen wünschenswerten Umgang unter uns Menschen.
Alcest
Punkt 21.00 Uhr tritt der Headliner zu seiner Schicht an. Den Meistern der Atmosphäre steht ein exzellentes Lichtspiel zur Verfügung. Schon mit dem ersten Track «Les Jardins De Minuit» verzaubern Alcest alles und jeden. Auf dem Papier ist die Truppe eigentlich lediglich ein Duo, welches aus Neige (Gitarre/Gesang) und Winterhalter (Drums) besteht. Bei Live-Auftritten wird allerdings aufgestockt. Zero (Backing Vocals/Gitarre) und Indria (Bass) eilen jeweils als Verstärkung herbei. Alle vier Musiker beherrschen ihre Spielgeräte bestens und agieren auf enorm hohem Niveau. Vor dieser Technik kann man seinen Hut gar nicht oft genug ziehen. Des Weiteren üben die einzelnen Hymnen eine unglaubliche Wirkung auf die Zuhörerschaft aus. Sanftere Klänge wechseln sich mit fiesem, definitiv an den Schwarzmetall angehauchtem Gekeife ab. Tempovariationen werden ebenfalls angewendet. Es sind zweifelsohne komplexe Nummern, denen man aber nur allzu gerne Aufmerksamkeit schenkt. Ich könnte mir diese musikalische Dröhnung locker stundenlang gönnen.
Ende Oktober des vergangenen Jahres hat das Quartett mit «Spiritual Instinct» ein neues Werk veröffentlich. Das sechste Studioalbum-Erzeugnis ist erwartungsgemäss prominent in der heutigen Setlist vertreten. Mit zehn Songs wirkt diese jedoch relativ mickrig. Zumindest würde dies wohl ein Laie behaupten. Alcest können mit diesem Material nämlich trotzdem eine packende 80-Minuten-Darbietung abliefern. Neben dem sympathischen und bescheidenen Bandoberhaupt Neige sticht zudem abermals Zero hervor. Sein Klargesang lullt einen jedes Mal aufs Neue ein. Mit dem überragenden Zugaben-Block, der aus «Là Où Naissent Les Couleurs Nouvelles» und «Délivrance» besteht, runden die Franzosen ihren Gig optimal ab. Mein mit Hühnerhaut übersäter Körper befindet sich im siebten Himmel.
Das Fanzit
Veranstalter Metal Storm Concerts hat für einmal vielleicht nicht die ultraharten Klänge gebucht, aber das Publikum wurde trotzdem ausgezeichnet unterhalten. Dies lag primär an der brillanten Show von Alcest – den Melodien-Magiern aus unserem westlichen Nachbarland. Ich persönlich würde die Jungs in der Schweiz immer willkommen heissen. Hoffentlich lässt das nächste Gastspiel nicht allzu lange auf sich warten. Von den Support-Acts hinterliessen ausschliesslich Kælan Mikla einen soliden Eindruck. Von der nach einem wässrigen Hopfentrunk benannten Seuche hat übrigens den ganzen Abend lang kaum jemand gesprochen. Schön zu sehen, dass zurecht die Musik im Zentrum des Interesses stand.
Setlist – Kælan Mikla
- Gandreið
- Hvernig Kemst Eg Upp?
- Kalt
- Draumadís
- Kælan Mikla
- Nornalagið
- Skuggadans
- Næturblóm
- Andvaka
- Nótt Eftir Nótt
Setlist – Alcest
- Les Jardins De Minuit
- Protection
- Oiseaux De Proie
- Autre Temps
- Écailles De Lune – Part 2
- Sapphire
- Le Miroir
- Kodama
- Là Où Naissent Les Couleurs Nouvelles*
- Délivrance*
*Zugabe