Eine vierteilige Schlacht und eine finnische Machtdemonstration
Am Samstagabend wurde den Besuchern in der Luzerner Schüür ein ausgiebiges Konzertprogramm geboten. Zuerst massen sich vier helvetische Gruppen in einer Qualifikationsrunde für das hiesige Finale des Wacken Metal Battle und anschliessend bewies die Gastkapelle Bloodred Hourglass wieder einmal auf eindrückliche Art und Weise, dass Finnland einfach DIE Hochburg für sackstarken Melodic Death Metal ist. Alle Details – inklusive der Bekanntgabe des «Schlachten-Siegers» – entnehmt ihr den nachfolgenden Zeilen.
Dutti: Es ist der grosse Traum eines jeden Metal-Musikers. Mindestens einmal in seiner Karriere möchte man auf dem legendären Wacken Open Air auftreten – dem grössten Festival für laute Gitarrenmucke. Das sind wahrhaftig Erlebnisse und Erinnerungen für die Ewigkeit. Da die Veranstalter auch sehr auf die Nachwuchsförderung bedacht sind, finden jedes Jahr in zahlreichen Ländern die sogenannten Wacken Metal Battles statt. 2020 darf die Schweiz ebenfalls wieder einmal an den Start gehen. Phase eins ist fleissig am Laufen und besteht aus vier Vorrunden, die in verschiedenen Locations im ganzen Land ausgetragen werden. Die jeweiligen Sieger werden zu einem späteren Zeitpunkt im grossen Finale gegeneinander antreten, um das begehrte Ticket für den unheiligen Acker zu lösen. Hellvetica und Tyrmfar haben diese erste Hürde bereits überwunden. Heute wird ihnen eine Truppe aus dem Quartett Strained Nerve, Eternal Delyria, Judge Minos und Almøst Human folgen. Der vierte Finalist wird dann Anfang April in Bern ermittelt. Na dann, lasset die Duelle beginnen!
pam: Da ich heute in der Jury bin und ein Wörtchen mitzureden habe, mache ich das auch grad in dieser Review.
Wacken Metal Battle
Strained Nerve
Dutti: Einer muss immer in den sauren Apfel beissen und sich mit dem tendenziell undankbaren Opener-Slot begnügen. In diesem Fall haben Strained Nerve dieses Los gezogen. Die Jungs aus dem Kanton Aargau zocken einen Mix aus Melodic Death und Modern Metal. Das Lieblingswort von Sänger André kristallisiert sich rasch heraus: «tätsche». Das tut der solide Sound des Quintetts tatsächlich. Amüsant zu beobachten sind zudem die Bewegungen von Basser Matti. Nach lediglich einer halben Stunde (alle «Battle-Bands» erhalten übrigens dieselbe Spielzeit) ist bereits wieder Schicht im Schacht. Mein Bauchgefühl sagt mir, dass diese Angelegenheit eine enge Kiste werde könnte. Zum Glück sitze ich nicht in der Jury.
pam: Das war sicher ein guter Start. Soundmässig ganz auf der Höhe der Zeit und live gespielt passt das ganz gut. Gefällt mir. Was ich jedoch etwas bemängle, ist die Live-Performance der Jungs auf der Bühne. Das Ganze ist sehr statisch – klar, natürlich auch etwas dem Genre geschuldet – aber dennoch erwarte ich von einer Band, die an einem Battle teilnimmt und somit auch noch die Welt erobern will, mehr körperlichen Einsatz. Der einzige der diesbezüglich ab und zu aus sich rausgeht, ist der von Dutti schon erwähnte Basser Matti. Fronter André ist dennoch eine sehr coole Socke, wirkt sympathisch und erinnert irgendwie stark an Anders Fridén, seinerseits Sänger bei In Flames. Irgendwie hab ich das Gefühl, dass er und wohl die ganze Band mit einer Prise Amon Amarth etwas Pate für Strained Nerve gestanden ist. So oder so, ein starker Einstieg in den Battle. Die Latte ist schon mal hoch angesetzt. (Anm. Dutti: Öhm, du sprichst hoffentlich von der Messlatte, oder?)
Setlist – Strained Nerve
- The River
- No Escape
- Hells Breeding
- Kingdom Of The One
- Kratos
- Blood Moon
Eternal Delyria
Dutti: Melodic Death Metal scheint am heutigen Abend offenbar das Mass aller Dinge zu sein. Die aus Lugano angereisten Eternal Delyria reichern ihre Stücke zusätzlich noch mit einer Prise Schwarzmetall an. Dazu passen natürlich auch die mit Corpsepaint bemalten Gesichter der einzelnen Protagonisten. Leider erwischen die Ticinesi einen holprigen Start. Speziell das Keyboard-Geklimper wirkt störend und will nicht zu den restlichen Melodien passen. Nichtsdestotrotz können sich die Jungs steigern. Die Darbietung wird konstant wuchtiger. Da spürt man die langjährige Erfahrung, welche der Fünfer vorweisen kann. Reicht’s am Ende möglicherweise doch noch für den obersten Podestplatz? Zu meinem persönlichen Favoritenkreis hätten sie sowieso gehört.
pam: Hm, das Ganze hat sehr gute Ansätze, aber ich frag mich wieso mit einem Keyboarder auf der Bühne so viel ab Band kommen muss? Selbst normale Keyboard-Intros. Für mich persönlich hat’s live zu viele Samples, die für die Art von Sound nicht zwingend sind. Aber ab Konserve kommt das sicher sehr gut. Und wie von Dutti schon erwähnt, wirken dann die effektiv „live“ gespielten Keyboardparts eher störend als bereichernd für den Gesamtsound. Dennoch, das Gesamtpaket inklusive dem Stage-Acting kommt gut rüber. Sie sind absolut mit dabei im Battle.
Setlist – Eternal Delyria
- Eradication Of Solitude And Despair
- Chasing Shadows
- Burning Bridges
- Dying To Live (unveröffentlichter Track)
- Growing Roots
Judge Minos
Dutti: Der nächste Kontrahent setzt sogar auf Bühnendeko. Zu sehen sind zwei Mönchsfiguren, die Schalen mit Glühbirnen in den Händen halten. Ausserdem beginnen später noch ihre Augen rot zu leuchten. Und die musikalische Performance? Bockstark! Die unglaublich bewegungsfreudige Truppe spielt hier gerade alles in Grund und Boden. Heavy Metal mag zwar im heutigen Billing eher ein Exot sein, aber wenn man die Stilrichtung so genial vorträgt, muss man sie definitiv auf dem Zettel haben. Da werden direkt Erinnerung an die grossen NWOBHM-Legenden wach. In Zukunft darf man sicherlich noch einiges von Judge Minos erwarten. Der ehemalige Comaniac-Saitenhexer Dominic hat effektiv ein saucooles Projekt aus dem Boden gestampft. In der Lenzburger Met-Bar hat man ja unter anderem schon einmal die Burning Witches ins Schwitzen gebracht. Also wenn die diesen Wacken Metal Battle nicht gewinnen, weiss ich auch nicht mehr weiter.
pam: Holy Mother Thrasia. Dutti und die Band selber bezeichnet das ganze als Heavy Metal. Für mich hat es jedoch nicht nur optisch zumindest so viele Thrash-Anteile – vor allem die Riffs – dass es mir grad die Kauleiste auskugelt. Ganz meine Wellenlänge. Endlich wieder Mal cleaner Gesang bei einer noch eher jungen Band, das ist grad mal eine schöne Abwechslung und irgendwie auch Wohltat. Der Shouter Hichem übertreibt es zwar ab und zu etwas mit den Höhen, verfügt jedoch über ein respektables Stimmorgan. Ich steh während deren ganzen 30 Minuten mit einem offenen Dauersmile da. Äxgüsi Schüür für den Durchzug. Ginge es nur nach meinem persönlichen Musikgeschmack, dann würde der Sieger in der Tat schon feststehen. Doch es geht bekanntlich um mehr als um ein Privatkonzert bei mir zuhause. So oder so, das war verdammt geil, so dass ich grad zum Merch stürme und mir einen Silberling zu erstehen. Doch meine Euphorie wird etwas gedämpft, es gibt noch gar nichts auf Tonträger. Das ist man noch dran … ja, da freu ich mich doch auf baldige News diesbezüglich aus dem Hause Judge Minos.
Setlist – Judge Minos
- D.T.A.
- Final Flash
- The Keeper Of Imbalance
- The Deadman
- Believe Or Die
Almøst Human
Dutti: Aber aufgepasst, wir wollen die Lorbeeren keinesfalls zu früh verteilen, denn schliesslich greift nun der letzte Schlachtteilnehmer ins Geschehen ein: Almøst Human aus Yverdon. Das musikalische Schaffen der Romands deckt gleich eine arg breite Stilpalette ab. Von Sludge, über Doom bis hin zu Progressive Metal ist da irgendwie alles dabei. Eine schwerfällige und komplexe Kost. Mich haut der Auftritt ehrlich gesagt kaum aus den Socken. Lob muss ich hingen dem mit Pornoschnäuzer ausgestatteten Sänger Ben zusprechen, da er bemüht ist, seine Ansagen mehrheitlich auf Deutsch zu halten. Aus eigener Erfahrung kann ich euch versichern, dass dies für einen Welschen alles andere als eine Selbstverständlichkeit ist.
pam: Selten, aber es kann passieren, bin ich mit Dutti nicht ganz gleicher Meinung. (Anm. Dutti: Nicht auszudenken, wenn wir wirklich jedes Mal derselben Meinung wären, hihi). Im Gegensatz zu ihm krieg ich meinen Mund immer noch nicht zu. War es bei Judge Minos noch wegen meinem Dauersmile, so ist jetzt nur noch blankes Stauen, meine Unterlippe küsst den Boden der Schüür. Wenn ich die Zutaten von Dutti oben lese, dann würde ich persönlich bei dieser Band nie reinhören. Gar nicht meine Welt. Aber ich hab vor ein paar Jahren das gleiche zu Hackbraten gesagt. Hackfleisch als Braten? Warum das ganze rumgehacke und nicht grad einen richtigen Braten? Da weiss man, was man hat. Doch ich wurde eines besseren belehrt. Es kommt durchaus auf die Zutaten drauf an, auf das Rezept und wie das umgesetzt wird. Yep, ich hab ein Hackbraten-Rezept, dass selbst für meinen verwöhnten Gaumen superfein ist. Irgendwie erlebe ich jetzt mit Almøst Human das Gleiche auf musikalischer Ebene. Nie hätte ich gedacht, dass mir so was gefällt. Natürlich hat das viel mit der Live-Performance der Band selbst zu tun. Ben passt mit seinem Hipsterschnauz und einer brutalen Stimme bzw. Growls perfekt zum Gesamtkonzept. Und noch nie habe ich solche Töne von Gitarren entlockt gehört. Ohne Sehen, hätte ich 100% auf Keyboards getippt. Und das Ganze funktioniert! Es hört sich sehr geil und persönlicher Geschmack hin oder her, dass es einzigartig ist, das muss ein jeder und jede zugestehen. Auch wenn ich davon ausgehe, dass ich enttäuscht werde, da muss ich jetzt nochmals zum Merch, eine CD muss her. Doch so viel sei in die Zukunft verraten: Es funktioniert auch ab Konserve (hier reinhörend und am besten grad bestellen)! Nicht nur wegen viel Charme – „Guete Abig mitenand. Miär sind hüt die Welsche.“ – sondern mit dem Gesamtkunstwerk haben mich Almøst Human gepackt. Das war bockstark.
Setlist – Almøst Human
- From Womb 2 Tomb
- Welcome 2 Neverland
- Normosis
- Clowned
- System Of Beliefs
- In The Name(s) Of God(s)
- Chemical Breakfast
Die darauffolgende Headliner-Show von Bloodred Hourglass
Dutti: Die Schweizer Gladiatoren haben das Feld inzwischen geräumt. Somit ist alles angerichtet für die Performance des Gastes aus dem hohen Norden. Scheinbar handle es sich hier und heute um den allerersten Headliner-Gig von Bloodred Hourglass in Zentraleuropa. Es ist freilich stets aufs Neue bemerkenswert, wie der Verein Metal Storm Concerts solch exklusive Events aus dem Boden stampfen kann. Bevor das Geschepper losgeht, erhält Sänger Jarkko Koukonen ein Zettelchen in die Hand gedrückt. Ihm wird die Ehre zuteil, den Gewinner der Wacken-Schlacht verkünden zu dürfen. Trommelwirbel! Almøst Human werden ins «grande Finale» einziehen. Huch, damit hätte wohl manch einer – inklusiver meiner Wenigkeit – nicht unbedingt gerechnet. Die teils irritierten Gesichter der Besucher sprechen zumindest Bände. Wie auch immer, die Jury hat entschieden und das muss entsprechend akzeptiert werden.
Kommen wir zurück zur Leistungsbeurteilung der Suomi-Metaller. Das rundum sympathische Quintett drückt durchgehend auf die Tube! Eindeutig lehrreiches Anschauungsmaterial für die jungen, helvetischen Gruppen, die vorhin auf dieser Bühne gestanden haben. Basser Jose Moilanen und Klampfer Lauri Silvonen «propellern» mit ihren Mähnen, was das Zeug hält. Wer auf rasanten Melodic Death Metal steht, kommt bei den Jungs aus Mikkeli absolut auf seine Kosten. Das Land der tausend Seen ist ja generell ein Quell für überragende Vertreter dieses Genres. Möge er niemals versiegen! Tracks wie «Waves Of Black», «The Unfinished Story» oder «Where The Sinners Crawl» machen unglaublich Laune! Dementsprechend frenetisch werden die Nordmänner bejubelt. Am Ende erreichen sie zwar die versprochenen 90 Minuten nicht ganz, aber das dürfte ihnen nach diesem bombigen Abriss praktisch niemand übel nehmen.
Setlist – Bloodred Hourglass
- Intro
- Alysia
- Waves Of Black
- Valkyrie
- Six Feet Savior
- Pieces
- We Form The Broken
- August
- The Last Of Us
- Ask & You Shall Receive
- Castle Ashtray
- Architects
- The Unfinished Story
- Times We Had
- Where The Sinners Crawl
- Outro
Das Fanzit – Bloodred Hourglass und Wacken Metal Battle
Dutti: Metal Storm Concerts und finnische Bands – diese Kombination hat abermals ausgezeichnet funktioniert! Mit Bloodred Hourglass durften die Besucher einen Vertreter des melodiösen Todesmetalls kennenlernen, der hoffentlich noch viele Jahre lang für Furore sorgen wird. Gerade jetzt, wo die weitere Existenz von Children Of Bodom völlig im Unklaren liegt, könnte man eventuell in Jarkko Koukonen und seinen Mitstreitern würdevolle Nachfolger für diesen Posten finden. Die Sanduhren sind jedenfalls hierzulande jederzeit wieder herzlich willkommen.
Beim Wacken Metal Battle hätte ich den Sieg eigentlich lieber Judge Minos oder Eternal Delyria gegönnt, aber es war nichtsdestotrotz eine lohnenswerte Sache. Man darf zurecht gespannt sein, wer am Ende die Schweiz effektiv auf eine der Bühnen des riesigen Bullhead City Circus vertreten wird.
pam: Die Wahl für die Jury war definitiv nicht einfach. Es waren heute durchwegs alles sehr geile Bands am Start und der Gewinner ist der Schweizer Metalfan und vor allem diejenigen, die heute in der Schüür waren. Am Ende gewannen Almøst Human mit einem Punkt Vorsprung äussert knapp. Dennoch kann ich sehr gut hinter der Wahl stehen. So geil ich die anderen Bands auch fand und immer noch finde, es ist jetzt nicht wirklich was neues dabei, was international für Furore sorgen oder gar den Sieg in Wacken bringen würde. Grad Jugde Minos sind wirklich verdammt geil, aber wenn wir ehrlich sind, das gibt es schon zu Tausenden. Während Almøst Human ein Alleinstellungsmerkmal haben: Wer solchen Sound live aus Gitarren holt, der sorgt entweder für Ektase oder zumindest für ungläubiges Staunen. Auch wenn es nicht jedem gefällt, es lässt niemanden kalt. Es ist zwar ein verdammter Hackbraten, aber er ist wohlgeformt und schmeckt trotz dem Gemixe. Es ist ein Gesamtkunstwerk. Wenn wir den Battle gewinnen wollen, dann kommen wir um Almøst Human nicht drum herum. Ich bin gespannt, ob es die anderen Judges beim Schweizer Finale auch so sehen werden. (Anm. Dutti: Und ich bin jetzt wegen deinem ständigen Gequatsche über Hackbraten verdammt hungrig).