Die Quintessenz von Sepultura und der 30 letzten Jahre
Holly Mother Thrashia! Was hat den Kisser und seine Truppe angestachelt, dass Thrash Metal Album des Jahrzehnts rauszuhauen? Warum müssen sich wegen diesem Teil auch Melo-Deather wie Arch Enemy & Co. warm anziehen?
Der Reihe nach. Zurück ins Jahr 1991. Ich bin 14 Jahr alt. Auf meiner Jeans Kutte prangt als Rückenpatch das Album-Cover von Sepulturas «Schizophrenia». Über Metallica hab ich meine frühe Liebe Nena versetzt und mich komplett dem Thrash Metal hingegeben. Gut, AC/DC waren auch schon da und bleiben eine treue Liebesgeschichte. Nebst Metallica kommen bald Anthrax, Annihilator und schliesslich Sepultura dazu. Letztere waren für mich lange das Härteste was ich mir anhörte.
Auf Bekehrungsmission – Zeuge des Thrash
Wie ein Zeuge des Thrash Metals hab ich Musiklehrer, Schulkollegen und alle anderen Ungläubigen versucht zu bekehren. Meine Eltern wurden einfach durchs ganze Haus beschallt (drum hab ich wohl keine Kinder …) – und auch die Nachbarn. Die hatten keine andere Wahl.
Bekehren, warum das aus Belo Horizonte in Brasilien nicht einfach rohes Geknüppel ist, sondern was vom Geilsten seit man den Strom für Gitarren erfunden hat. Zu meiner Überraschung fand der Musiklehrer sogar einen gewissen Gefallen daran und zeigte zumindest Respekt vor dem was auf «Beneath The Remains» und dann dem für mich Überalbum «Arise» verewigt wurde.
Es folgte mit «Chaos A.D.» ein weiteres Top-Album mit dem Übersong «Refuse/Resist». Damit schaffte man es bis auf Platz 13 (!) der Schweizer Album Charts und Refuse/Resist lief sogar mal bei einem Tagesschau-Beitrag des Schweizer Fernsehens. Bei Chaos A.D. hielten die ersten Tribal- und Folk-Elemente (brasilianische Rhythmen und Perkussion) in den Sound von Sepultura Einzug. Auf die Spitze getrieben wurde das schliesslich auf dem Nachfolge-Album «Roots».
Der grosse Bruch – der Aufstieg von Soulfly
Von da an ging mein Interesse an den Brasilianern immer mehr zurück, für mich war es damals noch zu früh mit dem Folk Metal … da brauchte ich noch ein paar Jahre, um dies über europäische Bands schätzen zu lernen. So dass ich den grossen Bruch von Gründer, Sänger und Schönling* Max Cavalera (*kaum zu glauben, wenn man Max heute sieht …) mit seinem Bruder Igorr, Andreas Kisser & Co. gar nicht so richtig mitkriegte. Also eigentlich erst, als ich auf Soulfly – der Nachfolgeband von Max – aufmerksam wurde. Mit dem Interesse an Soulfly kam dasjenige mit dem Original bei mir immer mehr zu einem Tiefpunkt.
Back To The Roots
Bis ich dann Jahre später über Cataract – die Schweizer Thrash-/Metal-Core Überflieger – die versöhnten Cavalera-Brüder mit ihrer gemeinsamen Verschwörung live erlebte. Da gab es auch den einen oder anderen Sepultura-Klassiker zum Abgehen. Und so besann ich mich nicht nur meinen, sondern auch den Wurzeln der Brasilianer. Nochmals Jahre später dann Sepultura selbst wieder mal im KiFF in Aarau und final vor allem in der heutigen Besetzung auf der 70’000 Tons of Metal. Also eigentlich ist es das inzwischen beständigste Line-up (mal abgesehen von Drummer Eloy) mit Derrick Green am Mik. Der schwarze Hüne hat ein Stimm-/Growl-Organ, welches seinesgleichen sucht. Aber sind wir ehrlich, Bruno Mars‘ Stimme erwartet man auch nicht aus so einem Football-Körper (der übrigens vegetarisch genährt wird). Und nebst dem oft etwas grimmig wirkenden Kisser ist er ein sehr sympathischer Zeitgenosse. Der einem spasseshalber auch mal an die Gurgel geht (kleiner Insider … als ich mit Soul Fly-Shirt vor ihm stand – das Foto findet man in der Review zur 70’000 Tons of Metal 2018 Review).
Dann kam die «Return To Roots»-Tour der Cavaleras. Eines der deftigsten und emotionalsten Live-Erlebnisse für mich damals in Wacken. Und schliesslich im letzten Jahr die von mir sehnlichst gewünschte «Return to Beneath Arise»-Tour. Meine zwei Lieblingsalben von Sepultura und auch Favoriten meiner Jugend. Und so war ich definitiv zurück bei meinen Thrash-Wurzeln von Sepultura.
Nun, so wurde ich diese Tage mit Verspätung doch noch gwundrig, was den Sepultura mit der neuen Scheibe «Quadra» so abliefern … und nach einer Minute und 15 Sekunden konnte ich nicht mehr anders. Ich fing an diesen Monolog in meine Jugend zu schreiben. Wer das jetzt nicht so spannend fand, jetzt kommt’s knüppeldick. Wenn auch meine Worte das Werk des bisherigen Jahrzehnts im Thrash Metal nie werden rüberbringen können, aber eines vorweg – gut den Spoiler gab es ja schon ganz am Anfang – was da Sepultura losgelassen haben, ist fast nicht zu toppen! Lest und hört selbst.
Sepultura – Quadra (die Review)
Ein Einstieg («Isolation») mit einem gemächlichen Intro, dumpfes Knallen – zuerst fühlt man sich ganz kurz an «Arise» erinnert, es wird dann aber bald ungewohnt elektronisch, es kommen noch ungewohnter aber gefälligere Streicher und Chöre dazu. Spätestens jetzt erwartet man, dass dieses Intro so ab einer Minute abbricht und der nächste und somit erste komplette Song folgt … nix da. Ganz in «Arise»-Manier wird nicht unterbrochen und es sägt ein Riff nebst im Stile von «Arise» auch dessen von Arch Enemys «The World Is Yours» rein. Zack die Metalbohne, da war ich schon hin und weg. Ich wollte einfach nur noch rausschreien. Woooooooaaaaah, einfach geiler geht nicht. Das knüppelt schon verdammt deftig. Eloy Casagrande beweist sein Können und Power (siehe Drum-Cam zu Isolation) – einer der krassesten Drummer, die ich je live erlebt habe, mehr Power geht nicht – und trotz messerscharfen Killer-Riff und dem Getrommle bleibt’s sehr episch – vor allem mit einem klassischen Chor, der ab der Bridge einsetzt, wie ich es von Sepultura – ich habe wie erwähnt ein paar Lücken in deren Discographie – noch nie gehört habe. Der galoppierende Gesang erinnert allgemein schon ein erstes Mal an Chuck Billy von Testament. Und ein catchy Refrain der sofort hängen bleibt:
«In the cage, in the cage, You will remain. In the cage, in the cage, You will remain.»
Auch das Solo eher ungewohnt, wie ich finde nicht so der typische Kisser-Stil, erinnert einmal mehr an die Ingredienzen von Arch Enemy. Also man nehme Arch Enemy und Testament zu gleichen Teilen, mache noch einen epischen Chor und eine Prise «Arise» dazu und man wird aus den Latschen katapultiert! So was Geiles, das vom ersten Ton und vom ersten Anhören reinknallt, hab ich schon lange nicht mehr gehört. Einzig das Intro ist etwas gar in die Länge gezogen bzw. wäre besser, wenn das nicht in den gleichen Track verpackt ist. Das muss man zuerst überstehen, doch nach etwas mehr als einer Minute zahlt sich die Geduld aus. So wie das Hochfahren bei der Achterbahn. Stellt euch die Silver Star im Europa-Park vor. Es hört und hört nicht auf mit hochfahren, aber als es runtergeht, dann gibt’s kein Halten mehr. Pures Adrenalin.
Nun, was haben Sepultura hier ausgepackt ??? Verdammt gerne mehr davon !!! Schon alleine der Opener ist das Geld wert!
Die Latte ist also schon mehr als hoch gesetzt und ich bin einfach nur noch zappelig und komplett aus dem Häuschen. Das erste Viertel bleibt melodiöse rohe Gewalt mit einer starken Anlehnung an Arch Enemy, Testament und immer wieder Referenzen aus der Ära zwischen «Beneath The Remains» und «Roots». Grad bei «Means To An End» sind diese Anspielungen mehrfach gut hörbar. Und bei diesem Song sieht man Eloy im geistigen Auge richtiggehend seine Drums Zerstören. Live dürfte das brutalst krachen – eine Augenweide ihm zu zuschauen.
Hab ich Roots und Tribal erwähnt? Natürlich sind die auch dabei – zum Beispiel am offensichtlichsten beim Intro von «Capital Enslavement» – allgemein vermehrt im zweiten Viertel, wenn wir uns weiter am Titel der Scheibe orientieren und diese in vier Teile zerlegen.
Im dritten und vor allem letzten Viertel wird’s experimenteller, es kommen auch akustische Elemente dazu – ich fühl mich zum Beispiel bei «Guardians Of Earth» teilweise an Annihilators «Crystal Ann» erinnert. Und immer wieder die Streicher und Chöre, die ich so von Sepultura nie erwarten würde, aber von Bands wie Therion einfach liebe. Hey, da sag ich auch bei Sepultura nicht nein.
Und nicht zuletzt kommt auch der gute alte Sepultura-Groove nicht zu kurz und wenn der mal zu wenig ist, dann darf es auch der legendäre von Pantera sein. Ganz extrem bei «Ali» – inklusive der Stimme von Phil Anselmo, die man zu hören meint.
Was Sepultura hier schafft ist die Quadratur des Kreises. Sie besinnen sich stark zu ihren Wurzeln und auch zu aktuellen Szenegrössen wie Testament oder auch Arch Enemy, ohne dass es wie ein Abklatsch oder billige Kopie wirkt. Und selten hab ich in diesem Genre auf einem Album so viel Abwechslung geboten erhalten. Derrick hört sich zwar oft immer wieder etwas nach Chuck Billy an, aber variiert seinen Gesang extremst zwischen Halb-Clean, seinen gewohnt fetten Growls, aber auch Gekreische (bei «Autem»), wie es ich es von ihm bisher nicht kannte. Aber da bin ich jetzt auch zu wenig Experte aus den letzten Sepultura-Alben. Das werde ich aber nachholen, versprochen!
Der Fundus, aus dem die Brasilianer schöpfen können, ist schliesslich auch riesig mit bereits zuvor 14 veröffentlichten Studioalbum. Nie ist mehr als drei Jahre zwischen zwei Alben vergangen. Sepultura liefern nicht nur verdammt hohe Qualität ab, sie sind auch äusserst produktive Arbeitstiere. Nebst im Studio sind sich praktisch auch immer konstant auf Tour. Kisser meint dazu auch grinsend: «Musik ist alles für uns. Gäbe es Sepultura nicht, wäre ich wohl ein trauriger und einsamer Typ. Sepultura definiert uns.»
Der Rausschmeisser ist der untypischste Sepultura-Song, denn ich bisher gehört habe. Gitarren, Riffs und mit cleanem Frauengesang – und Derrick nah dran 😉 – wäre hätte das gedacht? Und Leute, es funktioniert!
Übrigens, «Quadra» bedeutet auf Portugiesisch auch Sportplatz. Sepultura haben sich auf der Spielwiese von Quadra definitiv ausgetobt!
Das Fanzit Sepultura – Quadra
Wirft man all die besten Riffs, Zutaten von Testament und Arch Enemy aus der 10er Jahren, frühe 90er Sepultura mit ihren Tribal-Elementen und den Groove von Pantera in einen Topf kommt Quadra raus! Als wäre die Aufgabe für Sepultura gewesen, macht das bestmögliche moderne Thrash-Metal-Album, ohne eure Wurzeln zu vergessen. Und wichtig, keine Gefangenen!
Ob es die beste Thrash Metal-Scheibe des Jahrzehnts oder gar des noch jungen Jahrtausends ist am Ende Geschmackssache und da haben sie auch grosse Konkurrenz von zum Beispiel Kreator und eben Testament, die in den letzten 10 – 15 Jahren auch auf sehr hohem Niveau agieren und ein Hammeralbum nach dem anderen raushauen. Aber was mich bei Quadra fasziniert und man es damit auch nicht als reines Thrash-Album bezeichnen kann, ist die Vielfalt, die geboten wird. Kein Song gleicht dem anderen und dennoch vermisst man den berühmten roten Faden nicht. Und wo mir wohl die meisten beipflichten: Es ist der beste Output aus Belo Horizonte seit „Chaos A.D.“ und wohl damit auch die beste Performance von Derrick Green, seit er den Frontposten bei Sepultura übernommen hat. Seine gesangliche Leistung und Vielfalt ist neben dem Songwriting und den Drums das überragende Puzzle-Teil. Was den Gesang betrifft, muss ich als Cavalera-Fan gestehen, vermisst man Max bei Quadra definitiv nicht (mehr). Sollte es wirklich eine heute schwer vorstellbare Reunion geben, dann lasst bitte dem Ami das Mikro.
Anspieltipps: 1 Isolation (der Übersong), 2 Means To An End, 5 Ali (Pantera lässt grüssen), 7 Guardians Of Earth (episch!), 8 The Pentagram (Instrumental), 12 Fear Pain Chaos Suffering (also eigentlich alle – am besten das ganze Album einfach durchhören und geniessen)
PS: Quadra ist Sepulturas erstes (!) Nr. 1 Album in Brasilien und auch in der Schweiz (13) und in Deutschland (5) deren bisher höchste Chartplatzierung.
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Line-up Sepultura
- Derrick Leon Green – Vocals
- Andreas Kisser – Vocals, Guitars
- Paulo Xisto Pinto Jr. – Bass
- Eloy Casagrande – Drums