Die monumentale Rückkehr der Thrash-Titanen
Dreieinhalb Jahre nach dem auch schon sackstarken Album „Brotherhood Of The Snake“ melden sich Testament mit ihrem neuen Werk „Titans Of Creation“ zurück. Nicht härter, nicht schneller, dafür aber etwas verspielter und experimentierfreudiger – ohne dabei auch nur das geringste bisschen Biss einzubüssen.
Keine Selbstverständlichkeit bei einer Band, deren Mitglieder alle schon über 50 Jahre alt sind, aber dennoch nicht wirklich überraschend (50 soll ja schliesslich das neue 49 sein). Wie gut „Titans Of Creation“ wirklich geworden ist? Dieser Frage gehen wir hiermit gerne mal auf den Grund.
Zugegeben, bei Testament werde ich leicht sentimental. Zwar hat es eine Weile gedauert, bis ich sie zum ersten Mal live erlebte, doch kam ich trotzdem schon relativ früh mit ihnen in Berührung. Man schrieb das Jahr 1993, als ich, damals im zarten neunten Lebensjahr, mit meiner Familie zu Besuch bei Verwandten in einem nicht wirklich bekannten, kleinen Kaff im Kanton Aargau war. Diese bewohnten und bewirtschafteten einen bestimmt schon damals unter Denkmalschutz gestellten Bauernhof im Zentrum des Dorfes und hatten (haben) seinen Sohn, der anderes im Sinn hatte, als in aller Herrgottsfrüh auf der Matte zu stehen, um Rüben oder Kohl aus dem Boden zu holen.
Es gab wohl einen Grund, weshalb ich mich gut mit ihm verstand. An besagtem Besuchstag beschenkte er mich mit ein paar CDs – eine davon war die „Parody Of Life“ von Headhunter (yep, die Band, die Szene-Grösse Schmier nach seinem Abgang von Destruction im Jahre 1989 gegründet hat), die andere hörte auf den klangvollen Namen „The Ritual“ – und stammte von Testament.
Da man das Coverart der „Parody Of Life“ offenbar als für einen Neunjährigen nicht geeignet ansah, wurde mir der Hörgenuss derselben erst einmal für ein paar Jahre untersagt. Doch ich hatte ja noch Testaments „The Ritual“ – und die hatte auf mich eine ziemlich nachhallende Wirkung. Wann auch immer ich also dieses fast schon hypnotisierend wirkende Mordsriff von Electric Crown höre, stehen bei mir aufgrund einer explosiven Erregung nicht nur die Nackenhaare stramm. Ich fühle mich dann auch immer irgendwie daheim. Egal, wo und wie ich den Song höre. Man kann also durchaus sagen, dass ich auf Werk #13 der Bay-Area-Thrasher durchaus gespannt war.
Vorwort zum Coverart
Bevor ich auf den Punkt, respektive die Musik zu sprechen komme, noch ein paar Worte zum fantastischen Coverart aus der Feder von Künstler Eliran Kantor, der zufällig den gleichen schönen Jahrgang wie der hier Schreibende hat. Es zeigt drei Titanen, die an dem Ort stehen, an dem die Planeten geformt werden. Während der eine Titan eine glühend heisse Flüssigkeit aus seinem Gefäss giesst, formen es die anderen beiden mit ihren Hämmern zu menschlicher DNA, die sich als Ring um einen neu geschaffenen Planeten legt.
In der Brust eines jeden Titanen brennt die Flamme eines sterbenden Sterns, der Quell der Atome, die den menschlichen Körpern entlang der Doppelhelix zugrunde liegen. Da das Artwork wirklich bestens zum aktuellen Album passt, könnte man meinen, dass es auf Basis der Vorstellungen der Band erschaffen wurde – doch das genaue Gegenteil war der Fall. Das Konzept für das Artwork existierte schon zu einem Zeitpunkt, wo weder das Album einen Titel hatte noch die Lyrics feststanden. Und so wurde das Album nach dem Coverart benannt.
Testament – Titans Of Creation
Nun aber genug gefaselt, denn so interessant das Coverart oder meine sentimentale Testament-Verehrung auch sein mögen, es ist die Musik von „Titans Of Creation“, die die Note am Ende dieses Textes ausmacht. Und die ist nicht minder interessant. Den Einstieg markiert das fulminante und bereits bekannte „Children Of The Next Level“, das sich thematisch einer religiösen Kultbewegung namens Heaven’s Gate widmet, die in den 1980er-Jahren in den USA von sich Reden machte. Stilistisch könnte man diesen, die Trommelfelle prügelnden Track, als konsequente Fortsetzung von „Brotherhood Of The Snake“ einordnen. Testament machen keine halben Sachen, wenn es um den Ersteindruck geht. Der erste Track muss sitzen und das Revier markieren. Ein mit Leichtigkeit erfüllter Job.
Wütend geht es weiter. Chuck Billy besingt mit „WW III“ den nuklearen Untergang der Menschheit. Jeder wird sterben – keine Möglichkeiten zur Flucht. Niemand wird uns retten. Alle Hoffnung ist verloren. Untermalt wird Chucks Wut auf die die Todesmaschine fütternde Brutalität auf dieser Welt von druckvollen Drums und blitzartigem wie auch walzenhaftem Gitarrenspiel. Ein Stampfer, der live sein volles Potential entfalten könnte, aber auch schon auf der heimischen Anlage eine absolute Kampfansage ist.
Bei „Dream Deceiver“ bin ich nicht der erste und wohl auch nicht der letzte, der es sagt: Es ist wohl der Song, der am deutlichsten an die Testament der späten 1980er / frühen 1990er erinnert. Sägende Riffs und tobende Drums gehören hier genau so zu den Markenzeichen wie bei „Night Of The Witch“, welches schon vor der Albenveröffentlichung als Single ausgekoppelt wurde und über einen famos wie furios treibenden Mittelteil verfügt. Genau das richtige, um mal wieder das eigene Gehirn durchzupusten. Ausserdem klingt Chuck beim Anstimmen des Refrains mit seinem gröhlenden „AAAAAAAAAAAAALLL NIGHT“ wie der Anführer eines wütenden Bauernmobs, der sich mit Fackeln und Mistgabeln bewaffnet auf die Hexenjagd begibt. Kommt geil!
Dass Testament aber auch anders können, stellt „City Of Angels“ unter Beweis. Keine Angst – der Song dreht sich nicht um die Film-Schnulze von 1998 und Nicolas Cage und Meg Ryan haben hier auch keine Gastrolle als Hintergrundsänger bekommen. City Of Angels ist ein aufs Tempo bezogen gemächlicherer, aber dennoch ziemlich aggressiver Track, den man beispielsweise mit einer Strassenwalze, wie man sie vom Baugewerbe her kennt, assoziieren könnte. Langsam mag sie zwar sein – stellt man sich ihr aber in den Weg, ist sie trotzdem tödlich. So ähnlich verhält es sich mit dem textlich im sadistisch-morbiden Bereich angesiedelten City Of Angels.
Ich habe eingangs erwähnt, dass sich Testament auf ihrem neuen Werk auch verspielter und experimentierfreudiger zeigen. Dafür steht für mich ganz ohne Zweifel der Song „Isthar’s Gate“, welcher mit teils orientalischen Klängen aufwartet und sich textlich mit einer Reise zurück ins alte Babylon abhebt. Das besungene Ištar-Tor war tatsächlich eines von Babylons Stadttoren. Ištar selbst wurde als Göttin sexueller Begierden wie aber auch als Kriegsgottheit verehrt und war dementsprechend die wichtigste Gottheit im alten Babylonien. Testament bezeichnen sie als die „Queen of the underworld“ oder als „Queen of nocturnal wars“ und somit durchaus treffend. Der Kreis zum hier vorliegenden Album und dem Coverart schliesst sich mit der Tatsache, dass dieser Gottheit der Planet Venus zugeordnet wurde. Ein Song, der durch und durch Spass macht.
Nachdem auch „Ishtar’s Gate“ nicht der schnellste Song der Tafelrunde war – geiler Thrash muss auch nicht immer das Gaspedal bis zum Anschlag runterdrücken -, geht’s mit „Symptoms“, „False Prophet“ und „The Healers“ wieder ziemlich zur Sache. Testament verstehen es einfach prächtig, ihre Grundaggressivität in Songs unterschiedlicher Tempi zum Ausdruck zu bringen. Immer wieder untermalt mit ausdrucksstarkem und charakteristischem Gitarrenspiel.
Gedrosselt wird das Tempo dann auch mit „Code Of Hammurabi“ nicht. Interessanterweise entführen uns Testament hier wieder nach Babylon, in eine Zeit, als Hammurapi I. als sechster König Babylonien beherrschte. Der hier behandelte Codex Hammurapi bezeichnet die älteste, vollständig erhaltene Gesetzestext-/Rechtssammlung mit über 280 Paragraphen, die in eine mehrere Meter hohe Stele gemeisselt wurden – und die, wenn’s nach Testament geht, auch heute noch Anwendung finden sollte.
„Life, death to live by the code. Ancient tales are the stories fold. We must enforce Babylonian code of the law. Rise, fall, the lines been drawn.“
Dass an den Bandmitgliedern von Testament offenbar der eine oder andere Geschichtslehrer verloren gegangen ist, oder sie schlicht ein Faible für Verborgenes oder Antikes haben, zeigt sich mit dem letzten vollwertigen Track „Curse Of Osiris“. In welchen mythologischen Themenbereich wir uns hier vorwagen, muss glaube ich nicht noch speziell erwähnt werden. Hier geht’s um göttlichen Mord und Totschlag.
„Osiris was murdered, by his brother Set. A pharaoh dethroned, brought back from the dead. Now Isis gave birth to their begotten son. Horus will train to avenge his father’s death.“
Die Lyrics gehen hier eins zu eins in fiesen Screams von Chuck und brutaler Gitarrenarbeit von Eric Peterson und Alex Skolnick auf. Ein Werk für die Götter? Ich bin schwer geneigt, dies zu bejahen. Doch bevor wir uns dem Fanzit widmen können, gönnen uns Testament mit dem abschliessenden „Catacombs“ noch eine Art Verschnaufpause. Richtig. Verschnaufpause. Am Ende des Albums. Lyrics gibt’s hier keine – ausser man bezeichnet epische „Oooooohs“ als solche.
Scherz. Zum Abschluss gibt’s ein – wirklich – episches Instrumental, das, sollte es jemals wieder einen Reboot der Conan-Filmreihe geben, hoffentlich von den Machern als Main Theme verwendet werden würde. Denn alles, was sich vor meinem geistigen Auge beim Abspielen von „Catacombs“ abspielte, drehte sich um gestählte Muskeln, 30 Kilogramm schwere Stahlschwerter, zerfledderte Leichen, die mit selbigen Bekanntschaft gemacht haben und Cimmerier, die ihrem Gott Crom huldigen. Natürlich im Stillen – denn Crom verachtet schliesslich all jene, die ihn um etwas anflehen.
Das Fanzit Testament – Titans Of Creation
Geiles Teil. Mehr brauch ich dazu eigentlich gar nicht zu sagen. Und es gibt auch kaum was zu kritisieren. Die Titanen des geschmackvollen Thrashs liefern eine knappe Stunde beste Unterhaltung. Ohne Langeweile. Ohne Stinker. Und auch wenn’s nicht immer mit Volldampf vorwärts geht – die Platte macht einfach Spass. Wenn ich etwas kritisieren müsste, dann den Umstand, dass es eigentlich meinem persönlichen Geschmack entspräche, würde es immer mit Volldampf vorwärts gehen. Von mir aus könnte die ganze Platte Tracks wie „Curse Of Osiris“ enthalten. Und dann müsste ich die fehlende Abwechslung kritisieren.
Und somit stehe ich vor einem Dilemma – und schicke die Platte in den Ring mit Ober-Metalinsider Pams Kritik zu Sepulturas „Quadra“. Nicht, weil ich die „Titans Of Creation“ als Thrash-Buffet des Jahrzehnts bezeichnen würde. Sondern weil ich davon überzeugt bin, dass eine 1000-PS-Dampfwalze letzten Endes über einen für meinen Geschmack etwas zu groovigen Samba-Flitzer triumphieren wird. Und jetzt verziehe ich mich mal besser, bevor mir pam die Ohren lang zieht (Anm. pam: Aber sicher doch nicht zu Ostern, da haben andere mit bereits langen Ohren ihren Auftritt … und ich beziehe mich ja bei der Sepultura-Review auch sehr stark auf Testament – weil grad im Gesangsbereich mich das neuste Werk von Sepultura sehr oft an Testament bzw. Chuck erinnert. Quadra ist die Essenz von diversen Bands, die aktuell die Messlatte vorgeben und dazu gehören Testament vor allem seit „Dark Roots Of Earth“ definitiv. Und jetzt ziehe ich mir mal „Titans Of Creation“ rein … die Review von Andy hat definitiv gluschtig gemacht).
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Trackliste Testament – Titans Of Creation
01. Children Of The Next Level
02. WW III
03. Dream Deceiver
04. Night Of The Witch
05. City Of Angels
06. Ishtars Gate
07. Symptoms
08. False Prophet
09. The Healers
10. Code Of Hammurabi
11. Curse Of Osiris
12. Catacombs
Line-up Testament
Chuck Billy – Gesang
Eric Peterson – Gitarre
Alex Skolnick – Gitarre
Steve DiGiorgio – Bass
Gene Hoglan – Drums