Der Tanz auf Eierschalen
Mit «Once Upon A Time” veröffentlicht CRYPTEX das dritte Studioalbum und entwickelt damit den einzigartigen musikalischen Werdegang konsequent weiter. Bewusst schreibe ich hier nicht von einer Band bzw. nicht in der Mehrzahl. Auch wenn Mastermind Simon Moskon seit über 10 Jahren interessante Mitstreiter im Schlepptau hat, so ist es meiner Meinung nach er, der CRYPTEX seit gut 12 Jahren Leben und Kreativität einhaucht.
Mit dem neuen Album erteilen Moskon und Band eine weitere Lektion in Sachen Wortklang und musikalischer Extravaganz. Das ist Härte und Melodie mit Klasse, Verstand und viel Emotion. Hoffen wir, dass wir die Band bald wieder in der Schweiz live erleben können. Ich erinnere mich gerne an die Auftritte mit Pain Of Salvation (2012) und Threshold ( 2013) zurück. Ganz grosse Klasse! Anbei mein Austausch mit Simon zum neuen Release (E-Mail Interview).
Metalinside (Liane): Frühjahr 2018, ich erinnere mich immer wieder gerne an unseren ausführlichen Austausch für metalinside.ch zurück. Nun sind gut 2 Jahre vergangen. Das 3. Album «Once Upon A Time» steht kurz vor der Veröffentlichung. Es ist viel passiert…Wie geht es Dir heute?
Simon Moskon (SM): Hey Liane, es ist tatsächlich viel passiert. Für meinen Geschmack leider mal wieder zu viel…ich wünschte ich könnte dir was Anderes berichten. Aber in dem Zeitraum der letzten 2 Jahre gab es privat viele derbe Tiefschläge und Verluste. Meine Mama ist im Juni 2019 verstorben, was bis heute selbstverständlich sehr schwierig für mich und alle anderen ist, die ein enges Verhältnis zu meiner Mutter hatten. Eine heftige, emotional grenzgängige Zeit, in welcher ich einen krassen Tanz auf Eierschalen hinlegen musste. 10 Jahre CRYPTEX, Mama wird schwer krank, Plattendeal, Songs schreiben, Depressionen schlagen wieder extrem hohe, finstere Wellen, Mama verstirbt, Platte machen, Videos drehen, Vater sein, Alltag, Trauerarbeit, Alkoholrückfälle, Beziehung zerbricht, Bloodmoon wird veröffentlicht, weiterhin Trauerarbeit, nächstes Video drehen, Orts/Wohnungswechsel und immer so weiter, weiter, weiter und weiter. Bitter. Und schon schiessen wieder die Tränen in meine Augen, während ich hier tippe und 1000 Bilder durch meinen Kopf brausen. Links von mir, meine kleine Tochter am Wohnzimmertisch frühstückend, zu meiner rechten flimmert derzeit der Fernseher, auf welchem Cartoons laufen…alles ziemlich absurd…Aber so ist das Leben und es geht halt immer weiter. Meine Mom ist zu 100% sehr stolz auf mich/uns.
MI Liane: Am 8.5. sollte nicht nur das neue Album veröffentlicht werden, es sollte auch passend dazu ein Konzert stattfinden. Dieses musste aufgrund der Corona-Krise auf den 9.10. verschoben werden. Welchen Einfluss hat dies alles auf den aktuellen Release?
SM: Das Konzert am 09.10. ist ein „Pro forma Termin“. KEINER kann in die Zukunft schauen…und die Tendenz geht ja derzeit eher in die Richtung, dass wir Musiker/Künstler/Veranstalter/Clubbesitzer etc. nun mal eben nicht nur mit nem blauen Auge aus dieser Krise davonkommen…Demnach schauen wir mal, wo die gesamte Branche in nem halben Jahr steht. Dennoch: Kopf hoch! Auch wir werden Wege und Lösungen für all das finden. Den Release ziehen wir durch, weil unsere mehr als geduldigen Fans es jetzt einfach verdient haben, ENDLICH dieses verdammte Album in den Händen zu halten, um mit unserer Musik auf den Ohren, die Zeit gut überbrücken zu können! Pläne für irgendwelche Livestreams – ich persönlich finde das tatsächlich auch eher nicht so geil – gibt es derzeit nicht. Man muss ja auch nicht auf jeden temporär fahrenden Zug aufspringen…
MI Liane: Die Voraussetzungen für das neue Album waren geradezu perfekt. Mit Steamhammer/SPV konntet ihr einen starken Partner an Land ziehen. Doch plötzlich kam Corona. Die Folgen für die kulturellen Akteure sind allgemein schwerwiegend. Wie geht ihr/gehst du persönlich damit um?
SM: Die Voraussetzungen waren quasi auch eine Art Prämisse. Wir haben demnach hoch gepokert, da wir für dieses sehr bedeutsame Album, nicht wieder alles im Alleingang durchziehen wollten. Steamhammer/SPV ist schlichtweg der perfekte Partner für uns. Dafür sind wir sehr dankbar! Die Folgen, welche COVID19 mit sich bringt, sind kurzfristig natürlich alles andere als angenehm (für alle Menschen). Wie es sich langfristig verhält, können wir alle demnach höchstens nur vorsichtig abschätzen. Die Kunst/Kultur etc. wird allerdings IMMER einen Weg finden. Egal wie dieser Weg beschaffen sein wird. So wie sie es immer getan hat. Uns allen bleibt nichts anderes übrig, als möglichst souverän mit den daherkommenden Veränderungen umzugehen und eine grösstmögliche Flexibilität an den Tag zu legen. Business as usual halt.
MI Liane: Wie kam es eigentlich zur Zusammenarbeit mit Steamhammer/SPV?
Das war eine Kombination aus diversen Faktoren. Zum einen die seit 2011 anhaltende, kontinuierliche Hartnäckigkeit meinerseits in Bezug auf´s „auf die Nerven gehen“ (lacht). Das war eine glückliche Fügung des Schicksals, da ein sehr guter Kollege, welcher uns bereits 8 Jahre lang quasi „geschäftlich begleitete“ nun der Head of Promotion bei Steamhammer ist. Eine weitere Tatsache ist, dass CRYPTEX vor allem ab der Phase der „Rain Shelter Sessions 2017“ etc. nochmal nen dicken Schub nach vorne gemacht hat und wir damals offenkundig begonnen haben, die Band ein wenig anders auszurichten.
MI Liane: Das neue Album «Once Upon A Time» ist im Vergleich zum Vorgänger «Madeleine Effect» überraschend zugänglich, aber dennoch sehr facettenreich. Absolut hervorragendes Werk!! Meines Erachtens war «Madeleine Effect» im Vergleich eher sperrig. Das neue Album wirkt irgendwie für mich im Vergleich so «aufgeräumt». Eventuell kann man daraus schliessen, dass die Band sich neu gefunden hat?
SM: Vielen Dank! Das sehen, hören und fühlen wir ebenfalls so! Allerdings ist es schwer unsere Alben in den direkten Vergleich zu stellen, auch wenn es selbstverständlich auch immer wieder Querverweise gibt. Alle drei Alben sind aber für sich genommen immer die logische Konsequenz der entsprechenden Lebensphase, in welcher ich mich befand bzw. wir uns befunden haben. CRYPTEX lässt sich einfach nicht von anderen Lebensbereichen entkoppeln/trennen. Demnach ist die Musik jedes Mal ein absolut authentisches und ungeschminktes Abbild unseres Seelenlebens. Das verhält sich ja nun mal bei uns allen mehr als nur wechselhaft (schmunzelt).
MI Liane: Überraschend ist, dass Simon Schröder weiterhin am Schlagzeug im Einsatz ist. Jedoch ist er nicht mehr als festes Bandmitglied dabei. Wie kam es dazu?
SM: Simon Schröder gehört einfach zur Familie, steht nach wie vor voll dahinter und commited sich auch immer noch nach bestem Gewissen für diese Band. Aber eben nicht mehr zu 100% als vollwertiges Bandmitglied. Diese Entscheidung respektierten wir vor 3 Jahren und sie fusst schlichtweg auf pragmatischen und persönlichen Gründen. Simon Schröder als auch wir fahren generell sehr gut damit. Die Arbeit mit ihm ist immer höchst professionell, verlässlich, harmonisch und ergiebig. Wir haben ihm viel zu verdanken! Und ich bin mir sicher, dass man uns noch sehr oft gemeinsam auf der Bühne erleben wird, wenn sich die Livebranche wieder erholt hat.
MI Liane: Ich habe gelesen, dass Gitarrist André Jean Henri Mertens massgeblich am Songwriting beteiligt gewesen ist. War das bei «Madeleine Effect» anders?
SM: Die „Madeleine Effect“ entstand damals mehr oder weniger im Alleingang, da die Urbesetzung aus 2008 zu dieser Zeit nicht mehr existent war und ich die Band neu formieren musste. – Der berühmte Tanz auf Eierschalen – In der Zeit von August 2014 bis heute sind wir in der „neuen“ Besetzung alle so eng zusammengewachsen, dass es für mich selbstverständlich war, die ganze Sache deutlich liberaler und offener zu gestalten, da hier jetzt halt vornehmlich drei sehr starke Charaktere mit einem starken künstlerischen bzw. kreativen Output zusammenarbeiten. Dieser gemeinsamen Entscheidung wohnt definitiv ein Zauber inne und brachte eine grosse, neue Motivation mit sich. Bis jetzt scheinen sich auch alle einig zu sein, dass sich das absolut gelohnt hat! Denn ohne André wäre ich nicht zu dieser Höchstform aufgelaufen und andersrum genauso. Diesen Kurs werden wir definitiv beibehalten und weiterhin ausbauen.
MI Liane: Als wir das Interview 2018 geführt haben, hast du auch von bereits vorhandenem Songmaterial gesprochen. Was wurde davon auf «Once Upon A Time» verwendet? Den Song «Closer» habt ihr zum Beispiel gar nicht in diesem Zusammenhang veröffentlicht. Habt ihr für das neue Album komplett wieder bei 0 angefangen?
SM: „Closer“ markierte quasi den Startschuss in eine neue Ära und darauf baute sich alles Andere auf. Wir haben anhand dieses Songs gemerkt, dass CRYPTEX diese etwas „neue“ Richtung und Ästhetik sehr gut tut und im September 2017 startete dann eigentlich auch schon die Songwritingsphase für das Album, die mit Songs wie „Body Language“ und „The Promise Keeper“ direkt starke Statements setzte. Die Songs „Leaving“ und „I Don´t Know Why“ sind bereits im Januar 2016 während meines Klinikaufenthaltes entstanden. Im Januar, Februar und April 2018 sind „Haunted“, „Bloodmoon“ und „I See it in your Eyes“ komponiert und arrangiert worden, gefolgt von „A Mo(u)rning“, „Because The Reason is You“ und „Two Horned Crown“ welche ich im Mai/Juni 2018 hinterher schob. Die Songs „Reptiles“ und das Titelstück „Once Upon A Time“ erblickten im September 2018 das Licht der Welt. Im März 2019 (einen Monat vor Start der ersten Studio-Produktionsphase) waren wir mit den finalen Arrangements der Gitarren fertig, sodass wir das reine Songwriting als „abgeschlossen“ betrachten konnten. Von März bis Mai 2019 war ich (ebenfalls in Zusammenarbeit mit André und Marc) mit den Texten beschäftigt und im Oktober konnten wir das fertige „Produkt/Master“ bei der Plattenfirma anliefern. Zack, Bumm, Abfahrt! (lacht)
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