Reise zum Ende der Welt
Wenn zwei Musiker einer international überaus erfolgreichen Metalband ein Sideprojekt starten, so erregt dies naturgemäss Aufmerksamkeit – auch wenn es sich dabei strenggenommen (zumindest zu Beginn war das so) lediglich um eine Masterarbeit handelt. Dass der Erstling „ECLYPTIC: Wake of Shadows“ ein Konzeptalbum ist, für dessen Umsetzung gleich noch eine eigene Fantasy-Welt erschaffen wurde, spricht für sich. Aber sind ILLUMISHADE mehr als nur ein müdes Echo von Eluveitie, aus deren Reihen sie hervortreten?
ILLUMISHADE (der Name ist ein Wortspiel aus Licht und Schatten) wurde als Crowdfunding-Projekt Ende letzten Jahres von Fabienne Erni (Vocals) und Jonas Wolf (Guitar; beide Eluveitie) initiiert und ist – wie bereits erwähnt – die Masterarbeit von Fabi an der ZHDK (Zürcher Hochschule der Künste). Die Vorgabe dazu: 40 Minuten zusammen mit einer Band Musik zu schreiben. Das finale Ergebnis wird ab dem 15. Mai 2020 erhältlich sein und trägt den mystischen Namen „ECLYPTIC: Wake of Shadows“. Mit von der Partie sind nebst der Doppelfront Fabienne und Jonas zudem die Filmkomponistin Mirjam Schnedl, Bassist Yannick Urbanczik sowie Drummer Marc Friedrich. Wer mehr über die Entstehungsgeschichte der Band erfahren möchte, dem sei unser grosses Interview von Mitte März wärmstens ans Herz gelegt.
Die Voraussetzungen für ein tolles Debut sind – zumindest was das Line-Up anbelangt – also gegeben – doch wie steht es um das musikalisch Dargebotene? Können die Songs ebenso überzeugen wie das ganze Drumherum?
ILLUMISHADE – Von rufenden Winden…
Starten wir mit etwas Statistik: „ECLYPTIC: Wake of Shadows“ umfasst 13 Tracks bei einer Gesamtlänge von 41:10 – rund die Hälfte davon weist eine Spielzeit von unter drei Minuten auf. Bei vieren handelt es sich um rein instrumentale Werke ohne Gesangspart. By the way: Weiss übrigens jemand, wieso immer mehr Bands dazu übergehen, ihren Namen komplett in Versalien zu schreiben? Sichtbarkeit vielleicht? Schlussendlich aber hier nicht von Relevanz, so dass wir uns voll und ganz der Musik zuwenden können.
Die Reise in die Welt von ILLUMISHADE beginnt mit „Passage Through The Clouds“, einem stimmungsvollen, mystisch anmutenden Intro, welches überdies die vier im Vorfeld durch unzählige Fans eingesprochenen und anschliessend zu einer Stimme gesampelten „Splitter der Wahrheit“ enthält – so geht Community!
Die anfangs sanften Synthiklänge im unmittelbar anschliessenden „The Calling Winds“ werden alsbald von kräftig schrubbenden Riffs überlagert, welche sich durch den gesamten Song fressen und lediglich im Refrain zur Ruhe kommen. Die Stimme von Fabienne erinnert mich im übertragenen Sinne etwas an die Sage von König Midas: Was immer sie singt, verwandelt sie zu Gold. Ein wirklich gelungener Auftakt!
Auch wenn eine Vermischung mit der Welt von Eluveitie allein schon aufgrund der zugegebenermassen recht unterschiedlichen musikalischen Genres entfällt, so sind Gastauftritte alleweil eine tolle Sache. Bei „Tales Of Time“ steuert Elu-Mastermind Chrigel Glanzmann himself eine Salve erdiger Growls bei, welche diesem schnellen, aber doch eher poppig daher kommenden Track eine ganz besondere Note verleihen. Speziell finde ich hier zudem die stimmliche Vehemenz, mit welcher Fabi den Refrain anreisst (1:32). „The Farewell Arcades“ ist eine rein instrumentale Nummer, welche von wunderschönen Violinklängen (erinnert mich etwas an das neue Album der Thuner Combo Marhold) getragen wird und wiederum sehr stark vom Kontrast zum rauen Klang von Jonas Klapfe lebt. Gerade hier wird darüber hinaus ersichtlich, wie mittragend die Soundwelt von Mirjam für den Klang von ILLU ist. Normalerweise neige ich dazu, Stücke ohne Gesang gerne mal zu skippen, einfach weil mir dabei etwas fehlt. Unter diesen Arkaden könnte ich hingegen länger verweilen.
Mit „Crystal Silence“ begeben wir uns auf bekanntes Terrain, handelt es sich bei diesem poppigen, catchy Song mit Elektro-Touch doch um die dritte vorab ausgekoppelte Single. Die den 70er/80er Jahren entliehenen Disco-Elemente überziehen das Stück mit einem ganz eigenen Flair, der sich so auf dem ganzen Album nicht wiederfindet. „What Have I Become“ ist für mich das persönliche Highlight – eine unvergleichlich schöne Ballade voller Emotionen und Hingabe, mal leise, mal kraftvoll. Die Instrumentierung verstärkt dieses Gefühl, ebenso wie die eindrückliche, wenn auch dezent im Hintergrund bleibende orchestrale Untermalung. Ich denke, hier kommt Fabis Liebe zu Musicals so richtig zum Vorschein. Hört einfach mal ab 3:50 rein – ganz grosses Kino.
… hinein in den Mahlstrom…
Apropos Balladen… „Rise“ folgt direkt im Anschluss und sorgt gleich nochmals so richtig für Hühnerhaut (gebt mal „Tauri Reacts Rise“ bei YouTube ein)! Stimmlich wie gehabt überragend, dürfte gerade dieser Song dank seiner etwas weniger verspielten, geradlinigeren Art auch Personen ausserhalb der Metal-Welt ansprechen! Das gefühlvolle Gitarrensolo von Jonas ist dann quasi das Rahmhäubchen obendrauf! „Into The Maelstrom“, welches rein instrumental daherkommt, nimmt zu Beginn die liebliche Melodie von „Rise“ auf, wird dann aber zusehends düsterer, bedrohlicher. Nicht unbedingt ein Song, den man für sich allein stehend in Dauerschleife hören wird, aber im Gesamtkontext des Albums doch von eindrücklicher Machart. Treibende Gitarrenriffs gepaart mit unruhigen Techno-Sounds vertreiben in „Muse Of Unknown Forces“ auch noch die letzten romantischen Gefühle. Und gesanglich erbringt Miss Erni den Beweis, dass sie nebst balladesken Noten obendrein aggressivere, energischere Töne draufhat.
Zwischensequenz… Neulich bei ILLU im Studio (rein hypothetisch, versteht sich). Produzent so: „Wir haben drei Hammer-Balladen, welche soll aufs Album?“ Band: YES!“. „Golden Lands“ ist auf ihre Art eine wunderschöne Popballade, die jedem Disneyfilm zur Ehre gereichen würde. Nicht sphärisch wie „What Have I Become“, nicht tragend wie „Rise“, sondern einfach herzerwärmend. Und was Jonas hier seinem Instrument entlockt, ist schlichtweg nur wow! Es folgt „Beyond The Obsidian Veil“, eine alsbald schon hektische, krachende Instrumentalnummer, die einem Gewitter gleich über den Hörer hinwegrollt – es ist eben von Vorteil, eine überaus talentierte Filmmusikkomponistin mit an Bord zu haben! Auch hier gilt: Nicht unbedingt ein Track, den man sich losgelöst reinzieht, aber dramaturgisch perfekt zu diesem Konzeptalbum passend!
… bis ans Ende der Welt
„World’s End“, die erste veröffentlichte Single der Band, lädt zum grossen Finale ein. Hier wird nochmals alles in die Waagschale geworfen, was den Sound von ILLUMISHADE ausmacht. Progressiver Metal, viele Tempiwechsel, hart, gefühlsvoll, variantenreich umgesetzt, mit viel Drive und gesanglicher Finesse – oder um es in Jonas Worten wiederzugeben: Der Blueprint der ILLU-Songs.
Den Abschluss bildet das ruhige, schwebende „Glowing Tides“. Mit 42 Sekunden der kürzeste Track auf „ECLYPTIC: Wake of Shadows“ und irgendwie fast schon eine Art Cliffhanger (was bei den vielen Möglichkeiten, welche die Welt von ILLUMISHADE bietet, sicher nicht ungewollt ist).
Das Fanzit Illumishade – ECLYPTIC: Wake of Shadows
Das letzte Mal, als ich derart grosse Hemmungen verspürte, mich auf ein neues Album einzulassen, muss bei „Operation: Mindcrime“ von Queensrÿche gewesen sein. Die Erwartungshaltung an die vor mir liegende Scheibe ist riesig, so dass eine Enttäuschung nur allzu nahe liegt. Die ersten drei von ILLU vorab veröffentlichten Songs hatten mich jeder auf seine Art überzeugt, der progressive, aber doch eingängige Sound lag voll auf meiner Wellenlänge. Aber würde das restliche Material genügen, um mit dem bereits Gehörten mitzuhalten? Oder hatte man einfach mal ein Best-Of als Appetizer in Umlauf gebracht, ohne noch die eine oder andere Schippe drauf legen zu können?
Wie damals anno 1988 wurde ich positiv überrascht – wer nicht direkt zum Fanzit gehüpft ist, wird dies anhand meiner bisherigen Ausführungen ohnehin schon erraten haben. Gleich drei Balladen – wenn auch jeweils von unterschiedlicher Machart – auf eine Metal-Scheibe zu packen, ist mutig, zeugt aber auch von einem gesunden Selbstvertrauen in das eigene Können. Was zudem positiv zu Buche schlägt ist, dass nicht nur die Initiantin des ganzen Projektes auf „ECLYPTIC: Wake of Shadows“ zu glänzen weiss. Die fünf Musiker bilden eine geschlossene Einheit, bei der jeder in seinem Aufgabengebiet überzeugt.
„ECLYPTIC: Wake of Shadows“ ist eine eindrucksvolle Mischung aus Prog-Metal, musical-nahen Elementen sowie poppig-angehauchten Klängen, die Produktion zudem druckvoll und dynamisch. Wem dieses Kaleidoskop an Attributen zusagt, kann meines Erachtens bedenkenlos zugreifen. Wer jedoch nach einem Eluveitie 2.0 Ausschau hält, der sollte vorab zumindest probehören – die beiden Welten bewegen sich nicht nur erzählerisch in unterschiedlichen Sphären. Ich für meinen Teil bin auf alle Fälle sehr gespannt, wie die Musikwelt dieses Opus aufnehmen wird…
Wenn nur alle Masterarbeiten mit so viel Herzblut und Liebe gemacht würden… – von mir gibt’s ein „Summa cum laude“ (die fehlenden 0.5 Punkte behalte ich als Pfand dafür zurück, dass ILLU sich beim nächsten Album nochmals übertreffen werden – einfach wird das sicher nicht.. .Challenge accepted?).
Kurz-Interview mit Fabienne
Unser Interview im März deckt zwar (beinahe) alles Wissenswerte rund um ILLU ab, weist jedoch noch einige entscheidende Lücken auf – um was genau geht es thematisch bei ihrem ersten Opus? Was hat es mit dem Mitwirken von Chrigel auf sich? Und wie geht es mit ILLUMISHADE weiter?
Wir haben die Change ergriffen und uns von Fabi kurz einige Punkte zu „ECLYPTIC: Wake of Shadows“ erläutern lassen:
MI (Sandro): Wir wissen um die unterschiedlichen Tribes in der Welt von Illumishade, wir haben uns zumindest in groben Zügen bereits etwas in die Welt von ILLUMISHADE eingelebt – und wir wissen, dass es sich um ein Konzeptalbum handelt. Was ist nun die konkrete Geschichte hinter „ECLYPTIC: Wake of Shadows“?
Fabienne Erni: Das Album ist die Reise unseres Guardians bis zum „World’s End“. Die Geschichte erzählt, wie die Welt zusammenbrach. Es geht dabei vor allem um die Emotionen des Guardians. Was unser Guardian fühlt, während sie merkt, dass sie langsam Allem machtlos gegenüber steht und nichts mehr ändern kann. Der letzte Track jedoch gibt Hoffnung. Da ist noch was, es ist noch nicht zu Ende.
MI: Könntest du bitte die 13 Tracks des Albums jeweils ganz knapp kommentieren (sowohl in musikalischer als auch lyrischer Hinsicht)?
Passage Through the Clouds: Einladung, in unsere Welt einzutauchen.
The Calling Winds: Man hört das erste Mal die Stimme unseres Guardians. Lydisch. Engelshaft.
Tales of Time (feat. Chrigel Glanzmann): Hymne der Welt. Stolz und euphorisch, majestätisch. Die Moral und die Grundgesetze der Welt in der „goldenen Zeit“ werden präsentiert.
The Farewell Arcades: Eine Art Zeitreise in das „Jetzt“.
Crystal Silence: Wir sind angekommen im „Jetzt“. Hektisch. Eigentlich alles gut, aber irgendetwas stört, irgendetwas braut sich zusammen.
What Have I Become: Guardian merkt, dass sich die Welt am Verändern ist. Melancholisch, verzweifelt, erschöpft.
Rise: Guardian schöpft neue Kraft.
Into the Maelstrom: Die Welt verändert sich mehr und mehr. Es wird düsterer.
Muse of Unknown Forces: Unser Guardian ist wütend. Sie sieht, dass sie machtlos ist. Die Welt verändert sich zum schlechten.
Golden Lands: „Comforting Lullaby“. Der Guardian singt zu sich selbst, um sich Mut zu machen, sich zu beruhigen.
Beyond the Obsidian Veil: Es braut sich was zusammen.
World’s End: Das Ende der Welt. Guardian bricht zusammen und damit auch das Herz der Welt. Die Welt ist nicht mehr im Gleichgewicht. Alles verändert sich, alles wird düster.
Glowing Tides: Ein Hoffnungsschimmer. Eine Art Reprise von „The Calling Winds“.
MI: Bei „Tales Of Time“ ist Chrigel Glanzmann mit an Bord. Wie kam es zu dieser Zusammenarbeit? War der Song bereits pfannenfertig oder hatte Chrigel noch einen gewissen Einfluss darauf?
Chrigel war begeistert von unserer Idee, eine Band mit einer Welt herum zu schaffen. Es hat sich einfach irgendwie so in einem Gespräch ergeben und dann war es klar, dass er in einem Song mitsingen wird. Ich liebe es, es gibt dem Album gleich nochmals einen neuen Sound dazu. Chrigels Screams sind für mich eine der Besten überhaupt. Wir haben dann überlegt, in welchem Song es am besten passt und ihm einen Pilot geschickt. Er hat natürlich seine eigene Note reingebracht, genau so wie wir es uns vorgestellt haben!
MI: Welches ist dein persönlicher Lieblingssong auf „ECLYPTIC: Wake of Shadows“ und warum?
Diese Frage ist extrem schwierig zu beantworten für mich, wenn nicht unmöglich. Jeder Song hat seine Geschichte. Die Songs sind wie „Kinder“. Die Songs wachsen mit uns, sie verändern sich. Es ist extrem schön zu sehen, wie sich die Songs weiterentwickeln vom Anfangsstadium bis zum Endprodukt.
MI: Gibt es etwas im Gesamtkontext von ILLUMISHADE resp. „ECLYPTIC: Wake of Shadows“, auf das du besonders stolz bist?
Ich bin stolz darauf, dass wir das alles gemeinsam als Team erschaffen haben. Die Musik, die Welt. Und das ist erst der Anfang. 😉
MI: Corona trifft nebst vielen anderen Bands nun auch euch, die Plattentaufe vom 22.5.2020 fällt leider ins Wasser (resp. wurde um einen Tag verschoben und findet nun als Live Release Show via Stream statt) – wie sieht euer neuer Schlachtplan aus (auch im Kontext von Eluveitie)?
Wir können am 23. Mai um 20:00 CET nun eine Live-Stream-Release-Show machen. Die Show wird live übertragen auf YouTube. Wir freuen uns riesig. Wir sind sehr froh, dass wir eine solche Lösung finden konnten für die jetzige Situation. Für den Rest des Jahres ist es für beide Bands extrem schwierig zum Sagen, was noch kommen wird. Pläne schmieden momentan ist schwierig. Wir werden sehen, wie sich die Situation entwickelt und dann dementsprechend handeln. Ich kann es jedenfalls kaum erwarten nun am 23. Mai Live ein „Ghost-Concert“ zu spielen mit ILLUMISHADE und dann sobald wie möglich wieder „normale“ Konzerte zu spielen, sei das mit Eluveite oder ILLUMSHADE.
Trackliste ILLUMISHADE – ECLYPTIC: Wake of Shadows
- Passage Through The Clouds
- The Calling Winds
- Tales Of Time (feat. Chrigel Glanzmann)
- The Farewell Arcades
- Crystal Silence
- What Have I Become
- Rise
- Into The Maelstrom
- Muse Of Unknown Forces
- Golden Lands
- Beyond The Obsidian Veil
- World’s End
- Glowing Tides
Line Up – ILLUMISHADE
Fabienne Erni – Vocals
Jonas Wolf – Guitar
Mirjam Schnedl – Keyboard
Yannick Urbanczik – Bass
Marc Friedrich – Drums