Ein Abend der Superlative
Niemand geringeres als die immer noch aufstrebende Band Jinjer beschliesst meinen eigenen Konzertreigen im 2019. Heute Abend soll eine DER aufstrebenden Bands der letzten Jahre für ein weiteres Highlight in meiner Konzertchronik sorgen. Passend zu den kurz bevorstehenden Weihnachten wurde ein grossartiges Paket inklusive Schlaufe geschnürt.
Mit Space of Variations, Khroma und The Agonist stehen noch drei weitere Bands auf dem Abendprogramm, welche den ankommenden Gästen den dritten Adventsabend zu einem unvergesslichen Erlebnis machen sollen. Das Dynamo ist dabei bereits zum Start der ersten Band sehr gut gefüllt, die Stimmung ist ausgelassen und das Publikum drängt sich zum Start von Space of Variations ein erstes Mal vor die Bühne.
Ukrainische Klänge zum Aufwärmen – Space of Variations
Space of Variations stammen wie der heutige Hauptact aus der Ukraine. Bereits nach dem ersten Song frage ich mich ob dieses unscheinbare Land noch mehr solche Metal-Bands beheimatet. Wenn ja, dann bin ich mal auf die kommenden Jahre gespannt, denn die Jungs stellen gleich zu Beginn ihres Sets klar, dass es ein «anstrengender» Abend für die Muskulatur im Nackenbereich des eigenen Körpers werden wird.
Die Musik der Landsleute von Jinjer ist schwierig zu beschreiben. Auf jeden Fall klingt die Mischung treibend, leidenschaftlich und überlegt. Dabei bedient sich die Band mehrerer Sub-Genres des Metal und sorgt mit ihrer gnadenlosen Mischung bereits für die ersten Schweisstropfen im Saal.
Die Band ist sichtlich dankbar sich hier präsentieren zu dürfen und feuert ein Gitarrenriff nach dem anderen in die Meute. Ob russische oder englische Texte spielt eigentlich keine Rolle, die Texturen der Songs klingen schlüssig, aggressiv und verfehlen ihre Wirkung nicht. Ein grandioser Start in einen Abend, welche die Temperatur im Dynamo bereits zu dieser frühen Zeit in den oberen Bereich des Thermometers steigen lässt.
Finnisches Delirium – Khroma
Weiter geht’s mit Khroma. Für mich die Entdeckung des Abends. Verstört füttere ich nach dem Set der vier Herren mein Spotify mit den Alben dieser grandiosen Band. Unglaublich was für Songstrukturen die Jungs auf die Bretter zaubern. Dazu trägt nicht nur die inbrünstige Stimme des Leadsängers bei, sondern auch die Faszination der Arrangements der gesamten Musikfraktion. Schwere Gitarrenriffs schneiden wie Glasscherben alles auf, was möglich ist. Die düstere Lichtshow passt absolut genial zu den teilweise verängstigenden, das Chaos heraufbeschwörenden Strukturen. Die Finnen die können es einfach. Niemand anderes transportiert die Schwere des Metals in solch feingliedrigen aber trotzdem brachialen Kompositionen. Einmal mehr bringt es eine Band fertig, mich (positiv gemeint) im innersten Kern meines Metal-Herzens zu treffen. Die schweren Riffs der tiefer gestimmten Gitarren lassen mich in ein schwarzes Loch entschwinden, welches mich an einen Deliriums ähnlichen Zustand erinnert. Fantastisch.
Kanadische Frauenpower – The Agonist
Zu neuer Bekanntheit führte die Band „The Agonist“ eigentlich der Abgang der Frontfrau Alissa Withe-Gluz, ihrerseits nun seit mehreren Jahren bei Arch Enemy tätig. Vicky Psarakis nennt sich nun die heutige Frontröhre und ich muss gestehen, sie steht im Vergleich zu Alissa in nichts nach (jedenfalls wenn man die älteren Videos im Netz anschaut).
Im Dynamo geht’s rund zu den härteren Tönen der kanadischen Band. Gitarrensalven, der stimmgewaltige Gesang (bzw. auch mal „Geröchel“) und auch das genaue Schlagzeugspiel tragen zu einem weiteren eindrücklichen Sounderlebnis am heutigen Abend bei. Die Band zieht durch und macht unterwegs durch ihre Setlist auch fast keinen Halt, alles folgt Schlag auf Schlag. Aus meiner Sicht eine professionelle Darbietung, da kommt einem gar nicht in den Sinn überhaupt Vergleiche zur früheren Frontfrau der Kanadier herzustellen.
Aus meiner Sicht war auch die Auswahl der Songs für die Setlist am heutigen Abend sehr überlegt und die richtige Mischung. Besser könnte man für den kommenden Hauptact gar nicht mehr vorglühen. Allen, die noch nicht in Kontakt mit „The Agonist“ gekommen sind sei das aktuelle Studio-Werk „Orphans“ an dieser Stelle empfohlen.
Ein Phänomen der dritten Art – Jinjer
Dann ist es endlich soweit, Jinjer betreten die Bühne. Vorab ist noch zu erwähnen, dass kurz vor dem Start der Performance ein Countdown eingeblendet wird, welcher von drei Minuten zurück zählt. Schon allein dieser „Trick“ steigert das Verlangen auf die Hauptband des heutigen Abends ins unermessliche (Ich erlebe diese Countdowns nun immer wie öfters an Konzerten, einfach sachlich festgestellt und sie sind natürlich taktisch gesehen sehr beeinflussend).
Die Erwartungen an den Hauptact des Abends waren bereits im Vorfeld sehr hoch, wie sich zeigt aber angemessen dem Können der Ukrainer. Unglaublich was für eine Perfomance diese Band bietet. Dazu gehört der ganze Mikrokosmos an vertrackten und doch melodischen Instrumentenpartitionen, die Stimme von Tatiana Shmailyuk und ganz einfach die Aura, welche von der Bühne her ausgestrahlt wird.
Die Reaktion des Publikums im Dynamo bleibt nicht aus, bereits zum zweiten Song „Teacher Teacher“, welcher natürlich längstens Kultstatus erreicht hat, werden die Köpfe geschüttelt und gemosht was das Zeug hält. Es brodelt im Konzertlokal.
Musikalisch bin ich einmal mehr verzückt; Roman Ibramkhalilov (Gitarre) und Eugene Abdukhanov (Bass) spielen sich in einen wahren Rausch hinein. Tatiana zeigt mit Klargesang und im Tieftöner-Fragment, was ihre Stimmbänder zaubern können. Unglaublich was für eine Kraft diese Frau in die Shouts legt.
Die Setlist des heutigen Abends beinhaltet alle wichtigen Songs, welche Jinjer soweit nach vorne gebracht haben. Erfreulicherweise sind es aber nicht nur die „alten“ Songs, welche das Zündungspotenzial mitbringen, sondern auch die aktuellen, wie zum Beispiel Judgement (& Punishment) vom aktuellen Longplayer Macro. Aber natürlich werden vor allem die früheren Hits wie eben „Teacher, Teacher“ oder „Perennial“ oder die Zugabe „Pisces“ vom ersten Ton bis zum letzten Ton abgefeiert.
Jinjer ist nicht nur eine gepushte Band, die Dank Internet und den sonstigen tatverdächtigen Medienkanälen an die Oberfläche gespült wurde. Nein, Jinjer hat es sich definitiv verdient, ein solches (ausverkauftes) Konzert zu spielen wie heute Abend. Musikalisch, wie auch bezogen auf die Präsenz gibt es momentan kaum eine andere Band in diesem Sektor, welche eine solche eigenständige und verrückte Mischung in dieser Qualität auf die Bretter legt.
Sucht man aber trotzdem einen kleinen Wehmutstropfen fällt mir auf, dass Tatiana Shmailyuk noch ein wenig an ihrem Ausdruck arbeiten kann. Natürlich, sie muss da oben wohl die „Böse“ mimen, aber trotzdem sehe ich kaum ein Lächeln über ihre Lippen huschen. Bei dieser Präsenz, welche sie sonst zeigt, wäre wohl ab und zu ein freudiges Gesicht noch das Tüpfchen auf dem I, zum so kritischen Gesellen wie mich auch noch vollends zu überzeugen.
Das Fanzit – Jinjer & Co.
Ein letzter Konzertabend im Dezember 2019, welcher der Superlative angehört. Die Mischung der Bands im Dynamo stimmt, Jinjer reissen die Hütte einmal mehr bis auf die Grundfestungen ab. Ausverkauftes Haus. Es gibt nicht viel mehr, was man zusammenfassen kann. Merry Christmas and a Happy new Year.
Setliste Jinjer
- lainnereP
- Teacher, Teacher
- Sit Stay Roll Over
- Ape
- Judgement (& Punishment)
- I Speak Astronomy
- Dreadful Moments
- Who’s Gonna Be The One
- Retrospection
- Perennial
- On The Top
- Pit Of Consciousness
- Just Another
- Words Of Wisdom
- Pisces*
*Zugabe