Die Künstler der progressiven Musik sind zurück
Prolog
Genau drei Jahre ist es her (also ok, 2 Jahre und 51 Wochen) als Dream Theater in der gleichen Location wie dieses Mal einen denkwürdigen Auftritt hinlegten und in drei verschiedenen Abschnitten über 2 ½ Stunden Musik präsentierten. Heute ist es wieder soweit, die Meister des progressiven Metals sind zurück in der Schweiz.
Zum einen mit einem neuen Album im Gepäck (Distance over Time) zum anderen mit dem Geburtstagsalbum «Metropolis Part 2: Scenes from a Memory» dass bereits 20 Jahre auf dem Buckel hat, aber immer noch eines der legendärsten und buntesten Werke der Band markiert. So soll heute Abend also ein Feuerwerk an Songs, Hits und den beiden Alben gezündet werden. Im Vorfeld hat Dream Theater angekündigt, dass die Spielzeit rund drei Stunden betragen wird. Andere würde das natürlich zurückschrecken, für Progressiv-Junkies wie mich ist diese Ansage der Moment, wenn einem bereits Wasser in die Augen schiesst, ohne dass man traurig ist 🙂
Main Theme – vergangene und aktuelle Träume werden real
Pünktlich geht es los, die vier studierten Musiker betreten die Bühne (John Myung, Jordan «The Wizzard» Rudess, Trommelwunder Mike Mangini und Gitarrengott John Petrucci). Kurz darauf erscheint auch der Mann, welcher Dream Theater die Vocals schenkt: James LaBrie (mit klassischer Gesangsausbildung, wohlvermerkt).
Gestartet wird mit der aktuellen Langrille «Distance over Time». So wird mit dem bekannten «Untethered Angel» der Take-off in einen langen Abend markiert. Vom ersten Ton her stellt man fest, dass die Institution Dream Theater einmal mehr perfekt funktioniert und die Musiker sich blind verstehen. Bei solchen Ton- / Akkord- / Noten- / Takt- Folgen muss dies natürlich auch der Fall sein.
Dream Theater wirken mächtig, relaxed und noch gereifter als sonst. Als James LaBrie mit dem Gesang einsetzt, wird mir wieder mal vor Augen geführt, wieso er immer wieder als «schwächstes» Glied in der Dream Theater Kette bezeichnet wird. Während der ersten beiden Songs (auf Untethered Angel folgt A Nightmare to Remember) liegt nach meinem Ermessen mehr als nur der Mann am Mischpult schief. Ich habe das Gefühl James trifft die Töne absolut nicht. Dieses Phänomen beobachte ich nicht zum ersten Mal. Nach dem 3. Song findet James den Tritt aber langsam und je länger das Konzert dauert, je besser kommt er in Fahrt. Bestätigt für mich aber persönlich auch wieder, dass James LaBrie sicher die unkonstanteste Kraft in diesem kraftvollen Bündel an Musikwissen und -erfahrung ist.
Es passiert, was immer passiert. Dream Theater lassen mich und aus meinem Empfinden auch viele andere um mich herum, in eine andere Welt entschwinden. Das Talent diese Welten zu Erschaffen gilt es immer wieder zu würdigen. Dies über alle Jahre der Bandgeschichte fertig zu bringen, geht nicht ohne viel Üben, genial konstruierte Songs und Kompositionen und genauem Instrumentenspiel. Jedoch für mich immer wieder eindrücklich und auch heute noch nicht ganz fassbar, teilweise sogar surreal.
Der erste Teil der Show nimmt weiter seinen Lauf mit vielen Songs der neuen Scheibe, ergänzt mit zwei Tracks von älteren Scheiben. Wie bereits gewohnt wird die Band auch bei diesem Konzert wieder von einer eigens produzierten Videoanimation auf der Grossleinwand begleitet. Die Akustik scheint mir – wie bereits in früheren Reviews beschrieben – in der Samsung Hall ganz ok zu sein. Auch heute habe ich das Gefühl, dass die Regler mehr oder weniger auf der richtigen Position für ein hohes Klangerlebnis sind. Bei Bands wie Dream Theater hat dies absolute Wichtigkeit. Der Saal ist gut gefüllt, dass Konzert ist aber nicht ausverkauft. Normal bei den Gigs einer Band, welche oft von «Nichtkennern» als «frickelnd» bezeichnet wird.
Main Theme – Part 2: Scenes from a Memory
Nach 20 Minuten Pause geht es nun in den zweiten Teil des Abends und damit zum Album aus dem Jahre 1999, welches nun in voller Länge und laut John Petrucci im Vorfeld angekündigt «….so gespielt wird, wie es eigentlich hätte werden sollen…».
Das sehr melodiöse Album fasziniert auch nach 21 Jahren immer noch. Ja gut ich bin ehrlich, dass würde ich wohl auch von jedem anderen Album berichten, welches Dream Theater am Stück spielt. Aber es ist wirklich so. Die Wendungen und Windungen des Konzeptalbums sind insgesamt ein wahnsinniges Musik-Epos, welches zurecht zelebriert wird.
Der ganze zweite Teil des Konzerts wird natürlich wieder von Videos begleitet. Passend zur Musik werden cartoonhafte Filmsequenzen gezeigt. Wenn man sich als Fan von DT bereits mit den Texten eingehend befasst hat, dann erkennt man diese in den Cartoons wieder. Ansonsten sollte man sich lieber auf das Erleben der Musik konzentrieren.
Die Mischung zwischen «Frickel»parts und den ruhigen balladesken Teilen des Albums machen den zweiten Teil des Konzerts abwechslungsreich. Zudem geht die Komposition unter die Haut. John Petrucci beweist einmal mehr, dass er nicht nur in den schnellen fingerflitzenden Bereichen talentiert ist, sondern auch die gefühlsvollen Momente meisterlich über sein Instrument ausdrücken kann. James LaBrie fühlt sich sichtlich wohl diese Songs zu performen und kann im zweiten Teil überzeugen.
Nachdem die letzten Klänge von «Finally Free» erklungen sind verlassen die Musiker die Bühne. Dies heisst im Umkehrschluss, dass es noch eine Zugabe geben wird. Den sonst wären die Musiker jetzt geblieben und hätten sich verneigt. Nachdem die Ovationen des Publikums nicht versiegen wollen, kommen sie alle nochmal zurück und spielen «At Wit’s End». Dies markiert dann aber den wirklichen Schlusspunkt des heutigen Abends. Der tosende Applaus für die Ausnahmekünstler ist einmal mehr unheimlich verdient.
Epilog – Nachwirkungen und Nebenwirkungen von DT
Selbst stehe ich einmal mehr nach dem Konzert noch minutenlang mit offenem Kiefer da. Ich finde es immer wieder eindrücklich, was Musik in einem auslösen kann. Dream Theater machen nicht nur Musik, sie erschaffen sie philosophisch ausgedrückt, immer wieder neu…
Das Fanzit – Dream Theater Samsung Hall 2020
Es hat sich auch heute mehr als nur gelohnt Dream Theater die Ehre zu erweisen. Ich habe mittlerweile schon viele DT-Konzerte erlebt und hatte noch kein einziges Mal das Gefühl, dass ich enttäuscht nach Hause zurückkehren musste. Zudem wurde heute Abend ein wichtiges Album für die Geschichte von Dream Theater in ganzer Länge gespielt. Mit einer Konzertzeit von rund 2 Stunden und 45 Minuten schaffen es Dream Theater im Vergleich zu anderen Bands für einen bezahlbaren Preis neue Welten zu zaubern und fürs Geld gibt’s wirklich etwas zurück.
Wahrscheinlich bin ich heute Abend auch Zeuge eines Konzertprogramms geworden, welches in dieser Art gar nicht mehr geben wird. Ich nehme nicht an, dass nach dieser Tour das Album nochmals irgendwann ganz gespielt wird. So ist und bleibt jedes Konzert von DT ein Unikat. Die Band hat mich heute ein weiteres Mal überzeugt. Ein weiteres Mal stelle ich aber auch fest, dass ich – wenn ich müsste – James LaBrie wahrscheinlich ersetzen würde. Er ist aus meiner Sicht die ungenaueste Grösse in diesem Theaterwerk. Ein wundervoller Abend und nun heisst es leider wieder ein lange Zeit Träumen bis die Herren hoffentlich wieder mal zurück in die Schweiz kommen.
Setliste Dream Theater
Act 1:
1. Untethered Angel
2. A Nightmare to Remember
3. Paralyzed
4. Barstool Warrior
5. In the Presence of Enemies, Part I
6. Pale Blue Dot
Act 2 (Metropolis, Part 2: Scenes From a Memory):
7. Act I: Scene One: Regression
8. Act I: Scene Two: I. Overture 1928
9. Act I: Scene Two: II. Strange Déjà Vu
10. Act I: Scene Three: I. Through My Words
11. Act I: Scene Three: II. Fatal Tragedy
12. Act I: Scene Four: Beyond This Life
13. Act I: Scene Five: Through Her Eyes
14. Act II: Scene Six: Home
15. Act II: Scene Seven: I. The Dance of Eternity
16. Act II: Scene Seven: II. One Last Time
17. Act II: Scene Eight: The Spirit Carries On
18. Act II: Scene Nine: Finally Free
19. At Wit’s End*
*Zugabe