Das Comeback des Jahres!
Nach einer fast drei Monate umfassenden Durststrecke wurde der Corona-Bann am Samstagabend endlich gebrochen. Dank der Headbanger’s Ball Bern-Crew gingen im ESBB – Eventlokal Sternensaal in Bern-Bümpliz gleich fünf metallische Darbietungen beim Fuck Corona Fest über die Bühne, die von den durch massiven Konzertentzug geprägten Fans förmlich aufgesaugt wurden.
Die Gefühle und Reaktionen, welche das Ganze auslöste, kann man im Nachhinein nur schwer in Worte fassen. Trotzdem möchte ich dies in Form eines Berichts irgendwie versuchen. Eine Warnung vorweg: Das Vorwort könnte für einmal möglicherweise ein bisschen länge werden. Schliesslich hat sich einiges angestaut, was nun dringend in schriftlicher Form verarbeitet werden möchte.
Die inzwischen leider Gottes überall bestens bekannte Corona-Pandemie hat insbesondere den Kultur-Sektor heftig getroffen und lahmgelegt. Aber wir wollen ehrlich sein; was will man auch von einem Virus, das nach einer kaum geniessbaren «Hopfenpütze» benannt ist, grossartig anderes erwarten? Konzerte und Festivals entwickelten sich plötzlich zum Tabuthema. Riesige Menschenansammlungen auf engstem Raum? Da rollen sich bei jedem Seuchenexperten direkt die Zehennägel hoch. Aufgrund dessen liess ein Veranstaltungsverbot nicht lange auf sich warten. Der Anfang einer der härtesten Zeiten im Leben eines jeden Live-Musik-Junkies…
Ein wahrscheinlich nicht nur für meine Wenigkeit essentielles Hobby wurde gnadenlos auf Eis gelegt. Das Ausleben einer unglaublichen Passion und Leidenschaft? Schlagartig ein Ding der Unmöglichkeit. Dabei sind Besucher solcher Events strenggenommen lediglich am Rand betroffen. Bedeutend kritischer ist es hingegen für die Künstler, Veranstalter und Locations. Ob alle Existenzen diese Krise überstehen werden, steht bedauerlicherweise nach wie vor in den Sternen.
Kreativität sollte allerdings niemals unterschätzt werden. Sie ist wahrlich eine Quelle, die niemals versiegt. Einige Gruppen haben Crowdfunding-Kampagnen ins Leben gerufen, um doch ein paar Einnahmen generieren zu können. Andere entdeckten die sogenannten Online-Stream-Konzerte. Anfangs fiel die Qualität mehrheitlich eher mau aus, aber inzwischen haben sich die beteiligten Parteien an die Technik gewöhnt und kriegen dadurch überzeugende Performances zustande. Selbstverständlich kann damit das Live-Feeling keinesfalls ersetzt werden. Für das Schreiben neuer Musik war ebenfalls auf einmal ausreichend Zeit vorhanden. In den kommenden Monaten werden wir garantiert mit etlichen Alben eingedeckt werden. Gewisse Leute sind sogar auf komplett andere Freizeitaktivitäten gestossen. In meinem Fall wären dies beispielsweise regelmässige Spaziergänge in der Natur. Sicherlich etwas, dass auch bei einer Rückkehr zur Normalität beibehalten werden kann. Das Backen von Bananenbrot überlasse ich hingegen liebe anderen «Experten»…
Inzwischen hat sich die ganze Panik glücklicherweise wieder ein bisschen beruhigt. Die Aluhut-Fraktion geht zwar immer noch von diversen Weltuntergangsszenarien aus, aber ich erlaube mir diese «Spezies» an dieser Stelle auszuklammern. Der Bundesrat konnte bereits zahlreiche Lockerungen der beschlossenen Eindämmungsmassnahmen absegnen. Den Kampf gegen das Virus haben wir noch nicht hundertprozentig gewonnen, aber trotzdem geht’s langsam schrittweise zurück zu den altbekannten Alltagsritualen. Clubs wie die Musigburg in Aarburg oder die Lenzburger Met-Bar planen etappenweise neue Veranstaltungen. Ein Hoffnungsschimmer am Horizont.
Den Stein ins Rollen gebracht haben allerdings die Mitglieder vom Headbanger’s Ball Bern mit der Ankündigung ihres Fuck Corona Festes, für welches die Behörden «grünes Licht» gegeben haben. Aus diesem Grund düsen wir heute Nachmittag zur «W. Nuss vo Bümpliz». Die einzigen Pilger sind wir effektiv nicht. Vor dem Eventlokal Sternensaal hat sich eine wahre Horde schwarzgekleideter Konzert-Suchthaufen versammelt. Alle brauchen offensichtlich dringend ihren «Stoff», um den Entzugserscheinungen den Garaus zu machen. Sind die Berner gar in der Unterzahl? Für die örtliche Bevölkerung zweifelsohne ein spannender Anblick. Etwas Derartiges war ja zuletzt eher eine Rarität. Die Stimmung unter den Metalheads ist grandios. Man begrüsst sich herzlich. Überall ist die Freude deutlich spür und sichtbar. Endlich ist «unsere» Familie wieder vereint!
Die sagenumwobene Band «Türöffnung» geht um 17 Uhr am Fuck Corona Fest an den Start. Nie haben diese Säcke Merchandise dabei! Wobei – ich verpasse sie ja sowieso meistens. Halb so wild. Am Eingang muss jeder Besucher seinen Namen und Telefonnummer angeben. Es ist nur eine von mehreren Massnahmen, die wegen der COVID-19-Sache umgesetzt werden müssen. Die Laufwege zu den Toiletten und zurück sind beispielsweise mit Klebepfeilen gekennzeichnet. Die Damen hinter dem Bartresen werden durch riesige Scheiben vor ungewolltem «Tröpfchen-Austausch» geschützt. Ungeachtet dessen stellen sie den durstigen Seelen jeweils mit einem charmanten Lächeln die populäre Flüssignahrung in Dosenverpackung hin. Im Vorfeld waren zwei Ticketkategorien erhältlich: Die «Save»-Variante für die Galerie oder die Option für den Saal, wo der Abstand in Eigenverantwortung eingehalten werden soll. Ihr dürft jetzt sehr gerne raten, welche Alternative das Rennen gemacht hat. Allzu eng dürfte es angesichts der imitierten Ticket-Anzahl ohnehin nicht werden. Der Eintrittspreis wurde auf CHF 50.- angesetzt. Für fünf Truppen und angesichts der speziellen Situation empfinde ich dies als völlig legitim und fair.
Der heutige Austragungsort vom Fuck Corona Fest wirkt äussert geräumig und erinnert teilweise ans Zürcher Volkshaus. Mist, und wie zur Hölle verhält man sich jetzt schon wieder an einem solchen Konzert? Zu Beginn tapsen wir wie junge Rehe noch leicht verunsichert in der Gegend herum. Erfreulicherweise verlernt man alte Gewohnheiten nicht sonderlich schnell. Bald schon wird eine Position auf der rechten Bühnenseite bezogen. Die ersten Riffs des Soundchecks von The Artifice zaubern den anwesenden Headbangern ein fettes Grinsen ins Gesicht. Verdammt nochmal – endlich wieder Live-Musik! Yes!!!
Na dann, lasset den Spass beginnen! (toll, diese Worte wieder denken und schreiben zu dürfen). Ich agiere gewiss mit einem Mix aus Vorfreude und mulmigem Bauchgefühl, aber das war damals nach dem Terroranschlag auf das Bataclan in Paris kaum anders. Am Ende wird der Musikgenuss bestimmt alles andere in den Schatten stellen. Wie passend, dass heute D-Day ist: Ein «Decision Day» für die Schweizer Metal-Szene!
The Artifice
Mit der Einhorn-Nashorn-Equipe aus Bern hatte ich bereits anfangs dieses mühsamen Jahres in der Met-Bar das Vergnügen. Die damalige Show war leider nicht durchgehend überzeugend. Dieses Mal sieht’s jedoch nach einer total anderen Geschichte aus. Von Beginn weg wird mit ordentlich Wucht aufs Gas gedrückt. Chris – der Fronter aus dem wunderschönen Vorarlberg – ist ein unaufhaltsamer Wirbelwind. Ohne Spickzettel auf der Bühne klappt’s immer noch nicht, aber er muss kaum einen Blick darauf werfen. Seine Kumpels erhalten ausreichend Raum für technische Instrument-Porno-Sequenzen. Da werden den Saitenköniginnen anspruchsvolle Klänge entlockt. Eine krasse Entwicklung im Vergleich zum Auftritt Ende Januar!
Die Gastsängerin, welche in der Honigwein-Spelunke das erste Mal überhaupt vor Publikum agierte, ist bei ein paar Songs ebenfalls erneut mit von der Partie. Ein zierliches, gefühlte 1.50 Meter grosses Mädel, welches scheinbar bloss aus Lungen zu bestehen scheint. Zumindest demonstriert sie uns dies auf eindrückliche Weise. Das sind heftige Growls!
Während des Gigs erkundigt sich Chris beim Publikum vom Fuck Corona Fest, was es von Corona halte. Als Antwort gibt’s lauten Jubel. Typisch… Deshalb ist der Job des Sängers so dankbar. Du kannst der Masse irgendetwas entgegen brüllen und sie jubeln dir anschliessend frenetisch zu. Bei dieser speziellen Thematik wären Mittelfinger oder «Buh»-Rufe ausnahmsweise aber sicherlich angebracht gewesen. Egal, denn The Artifice liefern definitiv einen gelungenen Einstieg in den Abend.
Setlist – The Artifice
- Hypocrisy Exposed
- Nuclear Winter
- Sidereal
- Staring Into The Abyss
- Philistine Paradise
- Urns Of The Innocent
- Extralegal Execution
- Wicked Usurper
Pausenunterhaltung
Selbst für die Bespassung während den Umbauphasen haben sich die Organisatoren etwas einfallen lassen. Ein Typ im Motörhead-Shirt und mit Akustikklampfe wagt sich an die grössten Hits unserer Sparte. Zu hören sind unter anderem Hymnen von AC/DC oder System Of A Down – teilweise sogar mit Jodel-Parts. Die passendste Hymne für den gesamten Anlass bleibt allerdings unanfechtbar «The Boys Are Back In Town» von den legendären Thin Lizzy. Eine Spur mehr Beachtung würde ich dem selbsternannten Pausenclown absolut gönnen. Verständlicherweise nutzen die Leute die Momente bis zur nächsten Performance aber auch für andere Dinge wie Blasen-Erleichterungen, Teeren der eigenen Lunge oder Merch-Shopping.
Shadow’s Far
Roman Wettstein und Hellvetica kenne ich bestens. Der gute Mann hat jedoch noch in einer anderen Gruppe aktiven Mikrofondienst: Bei Shadow’s Far aus dem Kanton Uri. Der Fünfer treibt seit 1997 sein Unwesen in der Szene. Anfang November haben meine Metalinside-Kollegen pam und Domi der Plattentaufe des neuen Eisens «Ninety Nine» beigewohnt. Das muss wohl eine ziemliche Fete gewesen sein (zur Review).
Und heute in Bümpliz? Tja, wir werden freilich mit der ultimativen Thrash Dosis bedient – mitten in die Kauleiste! Die Mähnenschüttler leisten sämtlichen Anweisungen von Roman brav Folge. Erste Mosh-Aktionen und Circle Pits können ebenfalls bestaunt werden. Fantastische Bilder, die man gezwungenermassen länger nicht mehr gesehen hat. Dänu Spycher von Plekvetica wird den einen oder anderen Schnappschuss mit seiner Knipsmaschine garantiert festhalten. Shadow’s Far räumen wirklich ab und ich schliesse ein Wiedersehen definitiv nicht aus.
Setlist – Shadow’s Far
- 99
- Propaganda
- Headshot
- Land Of The Dead
- Forsaken
- Baptized In Blood
- One Shot One Kill
- Rebound Of Greed
- Cast The First Stone
- Turn The Page
Rectal Depravity
Im Anschluss ist die «Grunzer»-Abteilung an der Reihe. Die Innerschweizer von Rectal Depravity sind eindeutig der Farbtupfer des Abends – wenn auch ein ziemlich brutaler und tödlicher. Hauptsächlich liegt das an den auffälligen Outfits. So stellen wir fest, dass eine Windel wohl auch als Schutzmaske taugt. Die Zuhörerschaft wird derweil munter mit Toilettenpapier eingedeckt. Hundertprozentig keine Verschwendung, denn von diesem Gut dürften die meisten von uns eh ausreichend in ihren Kellern gelagert haben. Ihr elenden Hamsterkäufer!
Ehrlicherweise muss ich zugeben, dass ein komplettes Festival mit solche Schweinelauten-Fanatikern (Respekt für das Durchhalten dieser kräftezehrenden Gesangstechnik!) kein Vergnügen für mich wäre. Zwischendurch macht’s aber schon Spass. Etliche Nasen werden konstant bewegungsfreudiger und deswegen entwickelt sich der Auftritt zu einem intensiven und schweisstreibenden Unterfangen. «Fitness-Party» wäre wahrscheinlich ein brauchbarer Begriff. Unterlasst es aber bitte, mich nach irgendwelchen Lyrics zu fragen. Die habe ich nämlich schlichtweg nicht verstanden.
Setlist – Rectal Depravity
- Tupa2pac
- Backstage Shitter
- Barbedwire Hysterectomy
- Sandpaper Assfuck
- Toiletbrush Asscrush
- Flying Fetus
- Open The Gates Of Smell
- Kellogg’s Crusties
- Babyflesh Consumption
- Hypergenitalistic Knockout
- Untitled Track (Dr niu-niu)
- Twinkle Little Star (Cover)*
*Zugabe
Nihilo
Bei Nihilo taucht ein vertrautes Gesicht auf. Basser Florian Keller stand doch bereits mit The Artifice auf der Bühne, oder? Jep, da scheint einer eine Doppelschicht einzulegen. Gut, nach der langen Pause sollten knappe Kräfteverhältnisse kaum ein Problem darstellen. Die Herrschaften hauen in solider Manier auf den Putz lassen die Wände des Saals erzittern. Die «Fratze des Wahnsinns» von Schreihals Ragulan Vivekananthan ist jedes Mal aufs Neue eine echtes Vergnügen. Diese Mimik passt einfach wie die Faust aufs Auge zu Death Metal. Der druckvolle Sound stellt für die doch etwas eingerosteten Nackenmuskeln durchaus eine Herausforderung dar. Glücklicherweise sind Metalheads eine verflucht zähe Gattung.
Setlist – Nihilo
- Abuse Of Confidence
- Death Prevails
- Fueled By Suspicion
- Infected
- No Fire Zone
- Orange Hazard
- Deception Of Existence
- Deceptive World
- Antichrist
Omophagia
Einen letzten Pfeil haben die Veranstalter noch im Köcher. Das unzerstörbare Schlachtschiff Omophagia aus Zürich sorgt für den finalen Abriss des Abends. Die Geschütze feuern in hohem Tempo unaufhaltsam technische Todesmetall-Salven auf die Lauscher. Untrainierte Ohren würden daran mit Sicherheit zu Grunde gehen. Das hier anwesende Publikum hätte allerdings wohl kaum etwas gegen eine bis in die frühen Morgenstunden dauernden Beschallung einzuwenden. Zu lange mussten sie darauf verzichten. Da die Vorgaben der Behörden jedoch ebenfalls eine Türschliessung um Mitternacht vorsehen, muss der Zeitplan strikt eingehalten werden.
Das Quintett zeigt eine bockstarke Leistung und verlangt den Besuchern nochmals alles ab. Einige Personen werden sogar mit Schutzmasken ausgestattet. Andere latschen nach wie vor mit irgendwelchen Toilettenpapier-Kostümen (Rectal Depravity sei Dank) durch die Gegend. Frontmann Ben punktet ausserdem abermals mit seinen bekannten Zeigfinger-Luft-Drum-Solo Einlagen. Den Schlussstrich setzen die Herren schliesslich mit dem Track «Narcissus» vom aktuellsten Silberling «646965».
Setlist – Omophagia
- Intro
- Nothing Special
- Down We Fall
- First Light
- 646965
- Evolve
- Radicalized
- Pride Before Fall
- Man Machine
- Absolute Zero
- Narcissus
Das Fanzit – Fuck Corona Fest 2020
Ein gigantisches Dankeschön geht in Richtung der gesamten Headbanger’s Ball Bern-Crew. In unsicheren und schwierigen Zeiten haben sie mit dem Fuck Corona Fest etwas gewagt und einen ausgezeichneten Event aus dem Boden gestampft. Der Szene wurde wieder Leben eingehaucht. Alles war bestens organisiert. Sämtliche Kapellen vermochten zu überzeugen und an der Soundqualität gab’s nix zu meckern (obwohl sich die Ohren zuerst wieder an diese Lautstärke gewöhnen müssen). Die Nackenmuckis werden sich in den kommenden Tagen wohl oder übel bemerkbar machen. Doch ein Gefühl überstrahlt einfach alles: Die helvetische Metal-Familie durfte endlich wieder gemeinsam Live-Darbietungen erleben und geniessen!
Und der Ausblick? Naja, vielleicht müssen wir nun alle in Quarantäne… Wobei dies wahrlich das worst-case-Szenario wäre. Ich bleibe da lieber optimistisch und hoffe, dass das Konzertleben nun schrittweise und nicht überstürzt hochgefahren werden kann – selbstverständlich unter Berücksichtigung entsprechender Vorsichtsmassnahmen. Hoffnung ist ohne Zweifel vorhanden. Das Fuck Corona Fest war jedenfalls Balsam für viele geplagte Seelen.