Das perfekt organisierte Kuddelmuddel
Es sind wahrlich spezielle Zeiten, in denen wir uns momentan befinden. Ein Festival mit vier tollen Bands zu Hause in der guten Stube schauen, statt direkt vor Ort so richtig abfeiern? Vor ein paar Monaten schlicht unvorstellbar, heute aber ein Schmackerl der besonderen Art. Ich hatte das Glück, beim Tohuwabohu Festival im Kofmehl zu Solothurn live vor Ort dabei sein zu dürfen, hier meine Eindrücke.
Was Anna Murphy (Cellar Darling) und Fabienne Erni (Illumishade) von der ganzen Sache (sowie einigen weiteren Corona-bedingten Dingen) halten, habe ich bereits am Nachmittag mit den beiden sympathischen (und sowas von natürlichen) Ladys diskutiert – die Niederschrift des Interviews findet ihr hier.
Die Halle ist nahezu leer, nur ein paar irgendwie verloren wirkende Tontechniker, Kameraleute und Fotografen wuseln durchs Kofmehl. Wären wir beim Soundcheck zugegen, so wüsste man diese Bilder einzuordnen – hier ist aber gerade die Liveshow des Headliners Samael in vollem Gange, was mir an diesem Abend die Absurdität des Ganzen sehr deutlich vor Augen führt. Standen zuvor zumindest noch die Drums der nacheinander auftretenden Combos frei im Konzertsaal verstreut (bei denen man aufpassen musste, sie nicht versehentlich umzustossen – hätte wohl ordentliche geschäppert im hallenden Saale), so herrscht das fast schon beängstigende Nichts. Das letzte Konzert, das ich damals – vor SARS CoV 2 – besuchte, war im proppenvollen Pont Rouge (Amaranthe) gewesen, bei dem die Leute dichtendst gedrängt bis zur Eingangstür standen. Der Unterschied zum Hier und Jetzt könnte kaum grösser sein. Aber dennoch bin ich einer der Glücklichen, welche die Show der vier am Tohuwabohu Festival auftretenden Bands live vor Ort miterleben dürfen. Denn eigentlich handelt es sich ja um ein „Streaming-only, Zahl-was-du-willst, weltweites Metalfestival“ – da soll noch einer behaupten, die Schweizer Metal-Szene sei nicht innovativ.
Doch zurück auf Start, respektive zu dem, was ab 18 Uhr auf den heimischen Bildschirmen (sowie natürlich direkt vor Ort) geboten wird. Dominiert während den ersten 25 Minuten des Live-Streams noch Konservenfutter (Clips und dergleichen), welches auf das schon bald Folgende einstimmen soll, so kommt es gleich anschliessend zu einem kleinen Stelldichein der Protagonisten des heutigen Abends – respektive der singenden Fraktion der heute aufspielenden Bands. Stephany Hugnin (Kassogtha), Vorph (Samael), Anna Murphy (Cellar Darling) sowie Fabienne Erni (Illumishade) nehmen auf den auf der Bühne aufgereihten Stühlen Platz und werden über Corona, den heutigen Abend oder ihre Lieblingsband befragt – dies wie es sich gehört (und gewiss dem Schutzkonzept folgend) mit reichlich Sicherheitsabstand.
Fotos Tohuwabohu Festival 2020 – Gruppeninterview (pam)
Pünktlich um 19 Uhr geht’s dann endlich in die Vollen…Kassogtha
Die Ehre, diesen speziellen Anlass zu eröffnen, fällt der aus Genf stammenden Band Kassogtha zu. Im Vorfeld für mich ein total unbeschriebenes Blatt, gefällt mir von Beginn weg der Wechsel zwischen Growls und Klargesang bei Frontdame Stephany (wie auch bei Gitarrist Mortimer) sehr gut – irgendwie traut man der eher zierlich wirkenden Sängerin solch gutturalen Laute nicht so ganz zu. Soundmässig kommt das Ganze recht gut abgestimmt rüber, auch wenn zumindest für mich die Saitenfraktion etwas zu grell abgemischt ist.
Alles in allem aber ein wirklich kraftvoller, guter Auftritt dieser noch jungen Melodic Death Metal – Formation. Vor dem finalen Song „Born“ lässt es sich die sympathische Sängerin zudem nicht nehmen, kurz ein paar Dankesworte an alle Zuschauenden (sowie den Veranstalter samt Helfercrew) zu richten. In der leeren Halle vielleicht etwas befremdend, zu Hause vor den Bildschirmen aber sicher ein zusätzlicher Tick „Live-Feeling“.
Setlist – Kassogtha
- Kassogtha (The Call)
- The Greatest Fall
- Welcome to the Machine (Pink Floyd cover)
- Pale Horizon
- Born
Fotos Kassogtha – Tohuwabohu Festival 2020 (pam)
Illumishade
Wer regelmässig bei unserem Online-Magazin vorbei schaut, dem dürften die nun als nächstes auftretenden Illumishade sicher ein Begriff sein. Wo gerade noch schrille Gitarren und kehlige Laute die Bühne zum Erbeben brachten, klingt nun melodiöser Prog-Metal mit einem Hauch Disney-Attitude durch die Halle. Wie schon bei Kassogtha zuvor, merkt man im Live-Stream nur bedingt, dass die Show vor leeren Rängen zelebriert wird – bei aus der Distanz aufgenommenen Einstellungen auf die Totale fragt man sich zwar unbewusst, wie breit da der Fotograben wohl sein mag, ansonsten ist aber auch hier die Kameraführung sehr gelungen. Einzig – und daran muss man wohl noch etwas arbeiten, sollte uns die Pandemie weiter in Schach halten – die gerade bei Illu wie eingefroren scheinenden Pausen zwischen den einzelnen Songs wirken ohne Publikum sehr steril (oder schon fast ein bisschen gespenstisch).
Das Set besteht aus (fast) allen gesanglich untermalten Tracks ihres Debutwerkes, wobei man sich mit „What Have I Become“ sowie „Rise“ auf zwei (von insgesamt drei) Balladen beschränkt. Fabi ist stimmlich wie gewohnt souverän unterwegs, die Band kommt als Ganzes ebenfalls sehr dynamisch und spielfreudig rüber (speziell Yannick scheint voll und ganz in die Illu-Welt abzutauchen). Ein ziemlich stilistischer Kontrast zum Opening Act, klar, aber genau diese Bandbreite an Metal-Stilen macht doch den Reiz eines solchen Abends aus und das Ganze so spannend!
Setlist – Illumishade
- Beyond The Obsidian Veil
- World’s End
- Tales of Time
- What Have I Become
- Crystal Silence
- Rise
- Muse of Unknown Forces
Fotos Illumishade – Tohuwabohu Festival 2020 (pam)
Cellar Darling
Apropos spannend: Sehr gespannt bin ich auch auf Cellar Darling, welche ich das erste (und bis zum heutigen Gig leider auch einzige) Mal am Greenfield Festival 2019 erleben konnte. Irgendwie steht diese Combo für mich nicht einfach nur für progressiv vorgetragene Folkmusik, sondern mindestens ebenso sehr für auf der Bühne zelebrierte Kunst – und wenn Anna quasi fliegend von einem Instrument zum nächsten wechselt (Querflöte, Drehleier, Keyboard und natürlich Mikrofon – hab ich eins vergessen?), so beeindruckt mich das schon ziemlich. Der Grossteil der Songs (genau drei Viertel, allesamt vorneweg) stammt von ihrem 2019er Album „The Spell“, von „This Is The Sound“ finden einzig „Avalanche“ (das meines Erachtens sehr gut rüberkommt) sowie „Redemption“ Einzug in den musikalischen Reigen.
Vor letztgenanntem macht Anna dann noch eine etwas längere Ansage, welche im Kern (resp. ersten Satz) meine eingangs erwähnte Einschätzung der Lage untermauert: „Wir sind Cellar Darling und wir hatten einen tollen Soundcheck – wann ist die Show?“. Ihre Art der Publikumskommunikation (heute eben über eine leicht grössere Distanz hinweg) mag vielleicht bei einigen etwas speziell anmuten (Greenfield… viele Bands so: „Hey you bloody motherfuckers“, Anna: „Ich finde es einfach schön, mit euch zusammen hier in den wunderschönen Berner Alpen zusammen sein zu können“ – ihr wisst, was ich meine), auf mich wirkt sie aber schlicht liebenswürdig – und vor allem authentisch.
Anyway: Auch die dritte Band am heutigen Abend weiss voll zu punkten, entsprechend gespannt bin ich nun auf den Hauptact des Tohuwabohu Festivals – und der verspricht anhand des im Vorfeld Probegehörten nochmals so richtig Feuer unterm Hintern zu entfachen.
Setlist – Cellar Darling
- Insomnia
- Death
- The Spell
- Burn
- Freeze
- Drown
- Avalanche
- Redemption
Fotos Cellar Darling – Tohuwabohu Festival 2020 (pam)
Samael
Während die beiden Bands aus dem deutschsprachigen Teil der Schweiz eher für dezente (immer relativ betrachtet) Klänge zuständig waren, geht auch der zweite frankofone Vertreter des heutigen Abends voll nach vorne los. Mit ein paar Minuten Verspätung auf den straff ausgelegten Zeitplan legen die als Headliner gesetzten Samael los – und das dermassen energiegeladen, dass ich mich erst mal auf diese infernale Live-Power einstellen muss. Was für eine erdige Urgewalt eruptiert denn da auf der Bühne – Wahnsinn. Wie Popeye auf Blattspinat rocken die Walliser Urgesteine die Bühne in Grund und Boden; ununterbrochen sind die vier Musiker unter dem Lead des charismatischen Frontmanns Vorph in Bewegung.
Insbesondere Drummer – resp. mindestens ebenso sehr Keyboarder – Xytraguptor (kurz: Xy) legt eine massiv schweisstreibende Performance hin, die wahrlich ihresgleichen sucht; und mich irgendwie auch an Slipknot erinnert – krass, was da auf der Bühne abgeht! Überhaupt: Der gesamte Auftritt der Walliser Black-/Elektro-/Industrialmetaller strahlt ein permanentes „Fick dich Corona“ aus.
Wohl auch aufgrund ihrer enormen Bühnenerfahrung wirkt der Auftritt von Samael zudem auf mich am wenigsten Live-Stream-like (oder positiv ausgedrückt: man wähnt sich schon fast an einem echten Gig, auch wenn die Halle aufgrund der inzwischen komplett abtransportierten Drumkits vollends leer dasteht).
Die Sittener hauen von A bis Z rein, als gäbe es kein Morgen (hoffen wir einfach mal, dass sie sich da irren). Auch wenn die Band aus stilistischer Sicht wohl nicht zu meinen absoluten Faves zählt, so bin ich ob ihrer Performance doch mehr als begeistert – sehr gerne wieder!
Setlist – Samael
- Intro
- Hegemony
- Samael
- Rain
- Slavocracy
- Luxferre
- Angel of Wrath
- Rite of Renewal
- Solar Soul
- Son of Earth
- Infra Galaxia
- Reign of Light
- Baphomet’s Throne
- Black Supremacy
- My Saviour
Fotos Samael – Tohuwabohu Festival 2020 (pam)
Das Fanzit – Tohuwabohu Festival 2020
Was ist es nun, das von diesem „Streaming-only, Zahl-was-du-willst, weltweites Metalfestival“ bleibt? Sicher die Erkenntnis, dass auch solche Produktionen Spass machen können, wenn man denn bereit ist, sich darauf einzulassen. Zudem mag es ein mögliches Modell darstellen, um Bands gerade in diesen schwierigen Zeiten zu unterstützen. So war es denn auch möglich, Tickets und Merchandise-Artikel über den Konzerttermin hinaus (bis 31.7.2020) auf der offiziellen Homepage des Festivals zu erwerben. Und – dies kann nicht stark genug betont werden – Bands erhalten so endlich wieder die Gelegenheit, das zu tun, was sie am besten können: nämlich live abzurocken!
Speziell erwähnen möchte ich zudem noch die perfekte Organisation des ganzen Events sowie die enorme Hilfsbereitschaft der vor Ort agierenden Crew – dass mir gleich drei Personen behilflich sind, Ersatz für meine zu Hause liegen gebliebenen Ohrstöpsel zu finden, war einmalig, danke!
Oder um es in den Worten von Organisator Merlin Sutter auszudrücken: „Wir können uns kaum genug bedanken – bei den über 13’000 Fans die auf YouTube & Facebook mit uns gerockt haben, bei den vier grossartigen Bands die uns daran erinnert haben, warum wir Live Shows so lieben, und bei den Teams von Kofmehl und Jump TV für den unglaublichen Einsatz. Besonderer Dank gilt zudem all denen, die, obwohl sie auch umsonst hätten zuschauen können, grosszügig gespendet und freiwillige Tickets und Merchandise gekauft haben. Dank diesen Fans, und dank der zusätzlichen Unterstützung von Pro Helvetia und Fondation SUISA, konnten wir diesen unheimlich aufwändigen Anlass ohne Verluste durchführen und alle Bands mit einer Gage nach Hause schicken – der ersten in 2020, und womöglich auch der letzten. Tohuwabohu Festival hat unser Ziel voll und ganz erfüllt: Auch diesen Sommer zumindest einmal zusammen Live Musik zelebrieren zu können – als Fans, Musiker, und Crew.“
Das Tohuwabohu Festival mit Samael, Cellar Darling, Illumishade und Kassogtha war für alle Beteiligten eine neue, spannende Erfahrung – und vielleicht auch ein Türöffner für eine neue Art von Gigs; auch wenn wir uns das momentan vielleicht noch nicht so ganz vorstellen können.
Fotos Backstage Kofmehl – Tohuwabohu Festival 2020 (pam)
Wer die Auftritte der vier Schweizer Bands gerne nochmals in voller Länge erleben möchte, et voilà:
TOHUWABOHU Festival 2020 – The Show
Video Tohuwabohu Festival 2020: Kassogtha (Full Show)
https://www.youtube.com/watch?v=2rxHX6UG_Vc
Video Tohuwabohu Festival 2020: Illumishade (Full Show)
https://www.youtube.com/watch?v=-_TuYwrq0CM
Video Tohuwabohu Festival 2020: Cellar Darling (Full Show)
https://www.youtube.com/watch?v=bVYmSAxYUs4
Video Tohuwabohu Festival 2020: Samael (Full Show)
https://www.youtube.com/watch?v=LGBKYHmdEVA