Depressions-Verarbeitung à la Suomi
Eine neue Scheibe von einer Gruppe aus dem Land der tausend Seen? Her damit! In diesem Fall handelt es sich um «Motiva». Es ist der sechste Streich von Silentium, welche primär in den Sektoren Gothic und Melodic Metal ihr Unwesen treiben. Anders als der Bandname vielleicht andeutet, wird es auf dem Silberling kaum still zu und her gehen. Viele der Songs thematisieren das allgegenwärtige Thema der Depression.
Sängerin Riina Rinkinen hatte selbst mit dieser furchtbaren Krankheit zu kämpfen und es helfe ihr extrem, das Ganze in ihren Texten verarbeiten zu können. Der Nachfolger des 2008er-Werks «Amortean» (jep, da lässt ein längerer Unterbruch grüssen) wird am 28. August 2020 via Out Of Line Music erscheinen.
Das Album – «Motiva»
Die Finnen beginnen mit der Wahrheit («Truth»). Wie kaum ein anderes Volk gelingt es ihnen auf eine schier unnachahmliche Weise tonnenweise Melancholie in ihr Liedgut zu pumpen. Riina verfügt über ein wunderbares, glasklares Stimmorgan, welches einen problemlos einlullen kann. Die Nummer ist nix für Hochgeschwindigkeitsfanatiker, aber dafür steckt unglaublich viel Gefühl in ihr drin. Insbesondere im letzten Drittel wird nochmals richtig aufgedreht.
Danach werden die Ketten durchbrochen. Zeit für die Freiheit! «Unchained» kommt definitiv wuchtiger daher. Einflüsse von Nightwish, Tristania oder Within Temptation (also den älteren Geschichten von ihnen) kann der Sechser wahrlich nicht leugnen. Die beiden Saitenhexer Juha Lehtioksa und Aapeli Kivimäki spielen sich dank fetziger Soli geschickt ins Rampenlicht. Chöre sind eh stets ein wirkungsvolles Mittel zur Begeisterungsauslösung. Ein epischer Track, der aber ebenfalls verdammt «catchy» ums Eck kommt.
«Vow» wird durch das Erklingen eines Aufziehspielzeuges – wie man es eventuell noch aus Kindertagen kennt – eingeläutet. Riina erhält übrigens auf der gesamten Platte regelmässig Unterstützung an der Gesangsfront. Dahinter steckt Helena Haaparanta von den bedauerlicherweise nicht mehr existierenden Crimfall. Auch bei diesem Stück spielen die Suomi-Metaller ihre melodiösen Stärken aus.
Die zarten Piano-Klänge nehmen es sofort vorweg: Nun folgt garantiert eine Ballade. Tatsache! «Safer-Easier» ist von A bis Z gefühlvoll. Dazu tragen nicht zuletzt die Streichinstrumente im Hintergrund bei. Die Einsamkeit ist durchweg spürbar. Verschnaufen, geniessen und ein paar Minuten in sich gehen – so wird dieses Lied am besten gehört.
«Vortex» zählt zu den grösseren Brocken des Albums und verpasst die 10-Minuten-Marke nur äusserst knapp. Oha, jetzt werden die bombastischen Film-Soundtracks ausgepackt. Grosses Kino! Eine grandiose Duftmarke! Die Dramaturgie-Kurve neigt sich immer mehr. Nach einem gemächlichen Start feuert Janne Ojala urplötzlich eine peitschende Drum-Salve ab. Erstmals ist ausserdem ein männlicher Gesangs-Part hörbar. Dieser kann jedoch nicht ganz mit der Stimme von Riina mithalten. Ab und an werden orientalische Passagen ins Gesamtkonstrukt eingewoben.
Das darauffolgende «Shame» ist dann eher wieder eine sanftere Angelegenheit. Das Frontmädel mimt die Sirene und zieht den Zuhörer umgehend in ihren Bann. Abermals kann man vor diesen emotionsgetränkten Melodien schlichtweg nur den Hut ziehen. Da wird effektiv auf hohem Niveau komponiert. Finnland verfügt bekanntermassen über ein beinahe unerschöpfliches Arsenal an Equipen, die das auf dem Kasten haben. Soundtechnisch können Silentium unter anderem ebenfalls mit Entwine, Charon und Sentenced verglichen werden. Mist… Gerade wird mir schmerzlich bewusst, dass all die genannten Kapellen gar nicht mehr aktiv sind. Gottlob lebt ihre Musik trotzdem weiter.
Bei «Circle» hat Riina fast durchgehend Pause. Dafür darf die Instrumental-Fraktion ran an die Buletten. Eine gelungene Abwechslung, die obendrein eine gewisse Prise Folk ins Rennen schickt.
Die Monster-Hymne der Scheibe trägt den Namen «Tide». Hier können sämtliche Akteure glänzen. Facettenreichtum lässt grüssen. Endlich greift das Sextett auch auf Growls zurück. Wie so oft funktioniert das Zusammenspiel zwischen klarem Frauengesang und mächtigem Männer-Gegrunze nämlich hervorragend. Das wäre fraglos ein weiterer Kandidat mit «Kinosaal-Ambitionen».
Den Schlussstrich zieht schliesslich das wirklich rein instrumentale «Friend». Ein melancholischer Ausklang, der das Werk optimal abrundet. Ich persönlich hätte zwar nix gegen ein paar finale Knaller-Effekte einzuwenden gehabt. In dieser Form kommen hingegen die sphärischen Freunde auf ihre Kosten.
Das Fanzit
Nach einer 12-jährigen Stille melden sich die Finnen von Silentium mit «Motiva» eindrücklich zurück! Offenbar wird die Fähigkeit, Melodien dieser Art erschaffen zu können, den Nordmännern (und Frauen) bereits mit der Muttermilch eingeflösst. Oder existiert möglicherweise irgendein Wundermittel dort oben vorhandenen Trinkwasser? Allenfalls sollte ich dies bei meinem nächsten Besuch einmal genauer überprüfen. Gothic Metal ist definitiv noch am Leben. Wenn dieser dann zusätzlich mit melodiösen Bausteinen aufgewertet wird, ist der pure Hörgenuss freilich gesichert. Depressive Augenblicke können mit dieser CD in Tat und Wahrheit «behandelt» werden.
Empfehlenswerte Hörproben: «Truth», «Unchained», «Vortex», «Tide»
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Tracklist Silentium – «Motiva»
- Truth
- Unchained
- Vow
- Safer-Easier
- Vortex
- Shame
- Circle
- Tide
- Friend
Line Up – Silentium
- Riina Rinkinen – Gesang
- Sami Boman – Keyboard
- Juha Lehtioksa – Gitarre
- Aapeli Kivimäki – Gitarre
- Janne Ojala – Drums
- Ville Koskinen – Bass