Lasst euch von Long Distance Calling «flashen»
Die vier Post-Rocker von Long Distance Calling aus Münster und Dortmund verzauberten am Sonntagabend das Publikum im Aargauer KIFF mit ihren einlullenden Melodien. Während fast zwei Stunden konnte man problemlos dem Alltag entfliehen und sich völlig der Musik hingeben. Veranstalter Metalmayhem bewies mit der Durchführung dieser Veranstaltung ein goldenes Händchen in mühseligen Zeiten. Das war eine Klang-Therapie vom Feinsten!
Rückblick zum 29. Juli dieses Jahres: Ich sitze freudig in meiner Wohnung und verfolge auf dem Bildschirm gespannt das Programm des Wacken World Wide-Streams. Die Sehnsucht nach dem «Holy Ground» und dem damit verknüpften Wonnegefühl ist gigantisch. Trotzdem geniesse ich diese Online-Veranstaltung in vollen Zügen. Man kann nämlich auch hier einige interessante Bands entdecken, die zuvor noch nie den Weg auf das eigene Radar gefunden haben. Kurz vor 23 Uhr ist eine gewisse Truppe namens Long Distance Calling an der Reihe. Bereits beim Namen setzt das Grinsen bei mir ein. Im Distanzhalten sind wir aus den bekannten Gründen aktuell gezwungenermassen sowieso Weltmeister. Doch als die ersten Töne erklingen, haben die vier Herren sofort meine gesamte Aufmerksamkeit. Dieser rein instrumentale Vortrag hat es absolut in sich! Hoffentlich reicht’s eines Tages zu einer Live-Begegnung…
Sprung in die Gegenwart: Mittlerweile schreiten wir dem Ende des Septembers entgegen. Der Sommer und die (Online-)Festival-Erinnerungen gehören inzwischen der Vergangenheit an. Kühl ist’s geworden. Den Göttern sei Dank sind bei uns in der Schweiz Durchführungen von Konzerten mit einer reduzierten Teilnehmerzahl trotz «Seuchen-Ausbruch» erlaubt. Aufgrund dessen führt mich mein Weg heute Abend in das in Aarau gelegene KIFF, welches nach längeren Augenblicken der Stille endlich wieder seine Pforten öffnet. Und wer tritt dort auf? Ihr könnt es euch wahrscheinlich schon längst denken… – genau, es sind Long Distance Calling! Die Metalmayhem-Crew macht’s möglich. Dass die Deutschen auf ihrer Mini-Tour ebenfalls einen Stopp bei ihren südlichen Nachbarn einlegen, ist eine unglaublich tolle Geste.
Die Registration mittels QR-Code hat bestens funktioniert. Aufgrund dessen gelange ich geschmeidig ins Innere der Location. Doch drinnen herrscht überall Maskenpflicht. Tja, zurzeit lässt sich an der «Gesichts-Windel-Thematik» leider nix ändern. Aber davon lasse ich mir die Freude und Lust auf rockige und metallische Darbietungen keinesfalls trüben. Da der Laden offensichtlich sehr gut besucht ist, scheinen das zahlreiche andere Leute ähnlich zu sehen wie meine Wenigkeit. Selbstverständlich muss der Konsum der einen oder anderen Hopfen-Blondine auch trotz Fratzen-Zensur unbedingt sein. Da es keine Vorgruppe gibt, können wir uns voll und ganz auf den Headliner konzentrieren.
Long Distance Calling
Punkt 20 Uhr dröhnt das Intro – «Curiosity (Part 1)» – aus den Boxen. Nach und nach betreten die Protagonisten das Rampenlicht und greifen zu ihren «Waffen». Das Quartett setzt sich zusammen aus dem Brille tragenden Gitarristen Dave, dem mit einem Cap ausgestatten Tieftöner-Mann Jan, Drummer Janosch und dem zweiten Klampfer Flo. Krass, wie frenetisch diese Jungs empfangen werden! Man scheint hierzulande ebenfalls eine treue Anhängerschaft zu besitzen. Da ich die letzten beiden Tage an einem Black Metal-Festival in Wetzikon verbracht habe, sind meine Energiereserven bereits arg erschöpft. Aber heute steht ja eher ein Entspannungsprogramm an, oder?
Ups… da muss ich mich sogleich korrigieren. In den Kompositionen der Prog-Künstler befinden sich definitiv zahlreiche «gepfefferte» Passagen, die nachvollziehbarerweise die Headbanger und Tänzer in den Reihen der Zuhörerschaft auf den Plan rufen. Die hervorgerufenen Energien sind effektiv keinesfalls zu unterschätzen. Insgesamt kann festgehalten werden, dass die Truppe den Spagat zwischen harmonischen Abschnitten und krachenden Sequenzen bravourös beherrscht. Als Begleitung gibt’s obendrauf eine fabelhafte Licht-Show, die das Ganze optimal abrundet. Eintauchen, geniessen und fühlen! Vergleiche mit den Grossmeistern von Alcest dürfen – zumindest meines Erachtens – zurecht getätigt werden.
Ein kritischer Gedanke hat mir im Vorfeld des Events keine Ruhe gelassen: Kann eine komplett gesangslose Performance über einen längeren Zeitraum funktionieren? Oder wird’s einfach irgendwann stinklangweilig? Nope, öde Augenblicke sucht man bei diesem Auftritt vergebens. Long Distance Calling lassen sowohl ihre Instrumente als auch ihre atemberaubenden Hymnen sprechen – und das ist notabene eine verdammt deutliche Sprache! Trotzdem nutzt Flo den Mikrofonständer in der Ecke, um gelegentlich ein paar Worte an die Fans zu richten. Ein wirklich sympathischer und bodenständiger Kerl. Wobei, das gilt eigentlich für alle Akteure.
Im Fokus der Setlist steht das neuste Werk «How Do We Want To Live?», welches am 26. Juni 2020 das Licht der Welt erblickt hat. Es gibt wahrscheinlich kaum einen passenderen Album-Titel für das Jahr 2020. Total bekommen wir sechs neue Stücke zu hören. Doch der Vierer zeigt ebenfalls Herz für seine älteren Erzeugnisse. Dazu gehören unter anderem überragende Songs wie «Black Paper Planes» oder «Out There».
Kurz vor dem Finale muss sich Dave plötzlich mit technischen Schwierigkeiten herumquälen. Glücklicherweise wird er bald wieder Herr der Lage. Die Zugabe-Rufe wollen nicht abklingen und die vier progressiv angehauchten Musketiere könnten wohl noch locker bis in alle Nacht hinein weiterspielen. Aber nach «Metulsky Curse Revisited» ist dann leider Schicht im Schacht. Dass sich diese 110 Minuten ungeachtet dessen hundertprozentig gelohnt haben, steht allerdings ausser Frage!
Das Fanzit
Danksagungen gehen raus ans KIFF, die Metalmayhem-Crew und natürlich Long Distance Calling. Das war eine musikalische Achterbahnfahrt der Extraklasse. Ein Seelenflug über dem Aarauer Nachthimmel inklusive Gefühlsexplosionen. Von A bis Z herrschte eine ausgezeichnete Stimmung in der Hütte. Des Weiteren ermöglichte der vernünftig gestaltete Spielplan ein stressfreies Heimkommen. Jederzeit gerne wieder!
Setlist – Long Distance Calling
- Intro – Curiosity (Part 1) (ab Band)
- Curiosity (Part 2)
- Hazard
- In The Clouds
- Ductus
- Black Paper Planes
- Voices
- Immunity
- Sundown Highway
- Sharing Thoughts
- Out There
- Apparitions
- Arecibo (Long Distance Calling)
- Ashes
- Metulsky Curse Revisited*
*Zugabe