Unfassbar
„fluid“ – die seit sechs Jahren erste Veröffentlichung der aus Fribourg stammenden The Burden Remains – macht es einem nicht gerade einfach… Das beginnt bereits bei den Songtitel – was habe ich gerätselt, in welcher Sprache da wohl getextet wurde. Dann die Erleuchtung: Schweizerdeutsch – SCHWEIZERDEUTSCH!!!!
Normalerweise in fester Hand der der heimischen Mundart-Barden, fristet die eidgenössische Abart der deutschen Hochsprache im Metal-Umfeld doch eher ein Schattendasein. Jedoch lässt sich, wenn die Ohrmuschel denn erst einmal auf diese ungewohnten Klänge eingestellt ist, nicht leugnen, dass sich das Ganze einfach irgendwie cool und – verzeiht mit den Ausdruck – „urchig“ anhört.
Und das ist erst der Anfang: The Burden Remains nehmen uns nämlich auf eine Reise mit – eine Bootsfahrt genau genommen… oder sind wir etwa selbst der Fluss, der mal leicht plätschernd dahingleitet, mal durch Stromschnellen peitscht, zuweilen ruhig, zuweilen heftig und laut? Geschenkt! Denn was einem auf den acht Tracks (mit einer Gesamtspielzeit von etwas über 44 Minuten) der Scheibe geboten wird, beginnt mental als kleines Bächlein, das zunächst schier unbemerkt um Aufmerksamkeit heischt, sich dann aber Mal für Mal (resp. Durchlauf für Durchlauf) und mit jeder unerwarteten Wendung, jedem kompositorischen Mäander mehr ins Bewusstsein eingräbt. Oder etwas weniger stark verklausuliert: „fluid“ ist alles andere als leichte Kost!
Hitpotential?!
Es ist denn auch genau dieses andauernde Auf und Ab, dieser stetige Wechsel zwischen schnell / langsam, laut und leise, der dieses Album so spannend macht.
Explizit auf einzelne Lieder einzugehen, fällt schwer. „Gfrores Meer“ wäre allenfalls ein Kandidat, der durch seine gesprochenen Lyrics sowie diese (zumindest für mich) traurige, irgendwie hoffnungslose Grundstimmung hängen bleibt. „Uuf- oder undergaa“ beginnt inmitten einer Stromschnelle, bremst unvermindert ab, nur um einen in den nächsten Strudel hinein zu wirbeln, derweil „Flussabwärts“ mit fetten Riffs daherkommt. Oder „I de Fluet verhaut“, bei dem man sich während den ersten zwei Minuten irgendwie in den sich langsam drehenden Turbinen eines Wasserkraftwerkes wähnt.
Ohrwurmcharakter respektive Hitpotential wird man bei den acht Songs eher vergebens suchen, wobei dies wohl auch kaum der Anspruch der vier Musiker sein dürfte. „fluid“ lässt sich am ehesten als Gesamtkunstwerk beschreiben, wenn auch eines, welches ständig seine Form zu verändern scheint.
Textlich zentrale Thematik ist – fernab von szeneüblicher Klischeebewältigung – gesellschaftlich geprägter Dualismus, der – Auszug aus der Promotext – „in unseren Köpfen Eingang gefunden hat und unserer Wahrnehmung und unserem Denken polare Gegensätze überstülpt – und damit unser Urteil über die Umwelt, wie sie sich uns darstellt, entscheidend beeinflusst.“ So eine Ansage muss man erst mal sacken lassen…
Unfassbar was?
Als nicht minder bemerkenswert erweist sich die vielschichtige Stimme von Sänger Tommy Schweizer, die zwischen sanft-melancholisch und laut-wütend so einige Abstufungen aufweist. Dass nebst Syntietönen auch ein Vibraphon die Klangwelt des Quartetts bereichert, ist mir jetzt nicht explizit aufgefallen, alles in allem klingt der Sound aber stimmig und klar.
„fluid“ von The Burden Remains ist unfassbar – was? Unfassbar gut? Wenn man die Hit-Brille absetzt und sich voll und ganz auf die künstlerische Ausdrucksweise der Langrille konzentriert, dann lässt sich diese Aussage nicht verneinen. Unfassbar anders? Dies mit Bestimmtheit – und das nicht nur wegen der in Mundart verfassten Lyrics, welche einem echten Alleinstellungsmerkmal gleichkommen. Oder einfach generell nur unfassbar – hier zitiere ich gerne aus dem Promotext: „Es lässt sich nicht so einfach fassen, rinnt durch den Verstand und schleift sich doch ins Bewusstsein.“
Das Fanzit The Burden Remains – fluid
Bei „fluid“ handelt es sich mit Gewissheit nicht um ein Album, das sich einem gleich nach dem ersten Durchhören erschliesst – wohl auch nach dem zweiten oder dritten Mal noch nicht, dafür ist das Dargebotene zu vielschichtig, verworren (im positiven Sinne) – oder eben: unfassbar. Und doch… dieses oben erwähne „Einschleifen“ findet statt, wenn man dem Werk – und sich selbst – genügend Zeit einräumt. Und ja, das gerade bei uns Schreiberlingen so verinnerlichte Schubladendenken funktioniert bei „fluid“ eben nur bedingt… – etwas, mit dem sich selbst die Band eher schwer tut (siehe auch unser Kurz-Interview weiter unten).
Wer offen (wirklich offen!) für Neues ist, oder generell ein wenig über den metallenen Tellerrand hinausschauen mag, dem kann ich den neusten Streich von The Burden Remains wirklich empfehlen. Anspieltipps gibt es an dieser Stelle bewusst keine; einzelne Tracks hervorzuheben – respektive aus dem Gesamtkontext heraus zu reissen – würde meines Erachtens dem Anspruch dieser Scheibe zuwiderlaufen. Mich hat „fluid“ beeindruckt – auch wenn sie als Hintergrundmusik zu sportlichen Aktivitäten kaum ungeeigneter sein könnte.
Kurz-Interview mit Thomas Jenny
„fluid“ von The Burden Remains ist alles andere als leichte Kost. Für uns ein Grund, direkt bei den Machern nachzufragen. Thomas Jenny hat unsere Fragen beantwortet.
MI (Sandro): Schweizerdeutsch ist jetzt nicht unbedingt die Standardsprache im Metal-Umfeld. Was war der Grund, es trotzdem zu tun?
Thomas: Vielleicht lag es eben gerade daran, dass es sonst kaum jemand tut – das ist gelegentlich durchaus ein Motivator für uns. Dazu kommt, dass wir uns gerne herausfordern; englische Texte sind oft der bequemere Weg, wir sind alle an ihren Klang gewöhnt, man kommt mit einigem an sprachlich nicht so Wohlgetanem durch und interessiert sich auch oft gar nicht so sehr dafür, was überhaupt gesungen wird. Wir wollten den Texten mehr Gewicht geben. Die Idee kam von unserem Sänger Tommy, der darin vor allem eine neue Herausforderung begriff, seinen Gesang mit einem interessanten, für uns und im Metal-Umfeld eher ungewohntem Sprachklang umzusetzen. Zunächst waren wir eher etwas verhalten, weil die Kitschgrenze viel tiefer liegt, wenn die Texte in deiner eigenen Sprache daherkommen – da verzeiht man irgendwie einiges weniger. Aber wir haben dann herumprobiert und uns nach und nach dafür erwärmen können, nicht zuletzt, weil wir das Schreiben der Texte, die Bilder, die wir darin verarbeiteten, als viel persönlicher, tiefgründiger, uns mental und emotional näher zu begreifen begannen. Es war auf eine gute Art einfacher, aber gleichzeitig auch erfüllender, die richtigen Worte zu finden und sich auf Schweizerdeutsch auszudrücken – und unserer Meinung nach ist das Ganze poetischer rausgekommen, als wir es auf Englisch gekonnt hätten, wo man halt als Fremdsprachler gerne mal in die Klischees und gängige Wort- und Gedankenkombinationen hineinfällt, die man schon hundertmal gehört hat – wohl auch, weil wir alle mit derselben Handvoll Alben Englisch gelernt haben, oder so!
MI: Wieso hat das Album einen englischsprachigen Titel – eben „fluid“?
Thomas: Diese Frage hängt eng mit dem Konzept des Albums zusammen, bei dem es um Dualismen geht: Als Gesellschaft haben wir die Tendenz, die Welt in sich ausschliessenden Gegensatzkategorien zu ordnen: hell und dunkel, gut und böse, jung und alt, glücklich und traurig usw. Wir sind quasi alle von Kindesbeinen an darauf gedrillt, immer zu allem auch ein Gegenteil zu suchen, ohne uns zu fragen, ob dadurch ein wahrer Gegensatz ausgedrückt wird (was es ja durchaus auch gibt), den es auch abseits unserer gedanklichen Ordnung gibt und bei dem der eine Pol den anderen kategorisch ausschliesst, oder wir die Welt in ein gedankliches Korsett zwingen, das weder gegeben noch notwendig ist. Diese abstrakte Ebene wollten wir dann auf unsere persönlichen Erfahrungen herunterbrechen: Wo schränken wir uns in unserem Leben und in unseren Begegnungen ein, weil wir von zwei Optionen ausgehen, ohne diese auf Herz und Nieren geprüft zu haben, obwohl es vielleicht viel mehr gibt? Als sich dann bei den Texten die Wassermetaphorik herauskristallisiert hat (siehe die Antwort bei der nächsten Frage), wurde die Suche nach einem Titel quasi zum Selbstläufer: «fluid», es verbindet Musik, Konzept, Texte und Ästhetik des Konzertfilms, den wir mit dem Exit Filmkollektiv zusammen gedreht haben und der zum Album gehört. Wir mochten das Mehrdeutige und Mehrsprachliche des Wortes, denn «fluid» widersetzt sich inhaltlich naturgemäss einer Kategorisierung in zwei diametral gegenüberstehende Kategorien. Auf der sprachlichen Ebene funktioniert sowohl es auf Englisch als auch auf Französisch, Deutsch – und eben Schweizerdeutsch. (Wir haben den Titel absichtlich klein geschrieben, um drauf anzuspielen, dass wir das Wort als Adjektiv verstehen, und nicht von einer Flüssigkeit reden – was natürlich im Englischen nur bedingt funktioniert… Oh well!) Diese Vieldeutigkeit ist quasi der Ausweg aus der Dualismenfalle: Das Denken und das Verhalten müssen fluid sein, um dem entgehen zu können, könnte man sagen.
MI: Viele Songs auf „fluid“ haben einen engen Bezug zum Wasser – „Am Ufer vo mim Wäse“, „Flussabwärts“, „Gfrores Meer“ – hat das eine besondere Bewandtnis, resp. Wie ist euer Verhältnis zum nassen Element?
Thomas: Wir freuen uns sehr, dass dir das aufgefallen ist. Komischerweise hat sich das erst während des Songwritings ergeben; soll heissen, wir haben mit dem Konzept angefangen und dann die Texte geschrieben, wobei wir erst relativ spät im Prozess bemerkt, dass sich da intuitiv ein roter Faden in der Symbolik der Texte eingeschlichen hatte – was aber auf der anderen Seite auch nicht überraschend ist, denn die Wassermetaphorik passt wie die Faust aufs Auge, um das Konzept des Albums auszudrücken: Wasser kann eingezwängt und gelenkt werden, bricht sich halt aber Bahn, wenn es zu viel wird, und sucht sich seinen eigenen Weg. Es ist gleichzeitig Quelle des Lebens, aber auch brutale Urgewalt – und es bietet schlicht eine ungeheure Bandbreite von intuitiv zugänglicher Metaphorik.
MI: „fluid“ klingt sehr speziell, unerwartet, ich benötigte mehrere Durchläufe, um mich zumindest einigermassen zurecht zu finden. Diese Unterschiede leise/laut, schnell/langsam, hart/weich ziehen sich wie ein roter Faden durch das ganze Werk. Wie würdet ihr den Musikstil bezeichnen, der auf „fluid“ zu hören ist?
Thomas: Puh, eine schwierige Frage; üblicherweise drücken wir uns ganz gerne darum, den Stil zu verorten, um ganz ehrlich zu sein. Wie du ja bemerkt hast, arbeiten wir musikalisch sehr stark mit Gegensätzen (nicht zuletzt auch um die Thematik des Albums musikalisch umzusetzen). Das ist irgendwie schon ein konstitutives Merkmal für unsere Musik, da hast du völlig recht. Da fällt einem intuitiv schon Post Rock ein, wo diese Gegensätze ebenfalls prägend sind. Da wir aber gelegentlich einen Zacken härter sind, machen wir es uns notfalls einfach und bezeichnen das Ganze als «Post Metal», wenn es denn kategorisiert sein muss.
MI: Welche persönlichen musikalischen Einflüsse haben „fluid“ am meisten mitgeprägt?
Thomas: Nicht ganz einfach zu sagen; wir sind musikalisch sehr breit aufgestellt und unsere persönlichen Geschmäcker decken ein weites Feld ab (und eindeutig nicht bei allen von uns dasselbe), das neben allen Schattierungen von Metal von klassischer Musik über Elektro und Jazz zu Classic Rock, Indie und Folk reicht. Ich weiss, das sagen alle und es tönt immer so pseudo, was es aber bei uns nicht weniger wahr macht. Die Schnittmengen zwischen unseren Geschmäckern sind tatsächlich zwangsläufig je nach Konstellation unter uns eher unterschiedlich; wenn wir uns auf die letzten beiden Alben einigen müssten, die wir alle quasi uneingeschränkt gut finden, wären das wohl «Köld» von Solstafir und «Mariner» von Cult of Luna – deshalb würde ich die beiden Alben mal irgendwie als Blaupause bezeichnen, auch wenn alles andere, was wir den lieben langen Tag so hören, wohl auch irgendwie Eingang gefunden hat, ob bewusst oder nicht.
Trackliste The Burden Remains – fluid
- Aus isch teilt
- I de Fluet verhaut
- Uuf- oder undergaa
- Sauz u Gröu
- Am Ufer vo mim Wäse
- Flussabwärts
- Fremdi Gstaade
- Gfrores Meer
Line Up – The Burden Remains
- Silvan Mangold – Drums
- Thomas Jenny – Guitar/Backing Vocals
- Philippe Aebischer – Guitar/Backing Vocals
- Tommy Schweizer – Vocals/Bass